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Umweltverschmutzung

Guppys werden laut Forschern durch Antidepressiva im Wasser unfruchtbar

Ein Guppy-Pärchen schwimmt durchs Aquarium
Der Guppy, der wegen seiner reproduktiven Fähigkeiten auch Millionenfisch genannt wird, könnte diese durch Antidepressiva in Gewässern in Zukunft verlieren, so eine Studie Foto: picture alliance / NHPA/Avalon.red | Paulo de Oliveira
Louisa Stoeffler
Redakteurin

30. August 2024, 11:55 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Guppys sind beliebte Fische im heimischen Aquarium, die dafür bekannt sind, sich viel und gern zu vermehren. Allerdings könnten die Tiere diese Fähigkeit durch pharmazeutischen Müll in Form von Antidepressiva in den Gewässern verlieren.

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Nur wenige bestreiten, dass die Menschheit ihre Umgebung nachhaltig verändert hat. Dazu zählen viele Produkte, die durch uns in die Umwelt eingebracht werden und ihr schaden. Während viele dabei eher Plastik im Visier haben, gibt es auch noch anderen menschengemachten Müll, der den Ökosystemen schadet. Zuletzt wurde etwa bekannt, dass brasilianische Haie dauerhaft Kokain im Meer ausgesetzt sind (PETBOOK berichtete). Allerdings betrifft dies wohl noch mehr Substanzen, denn Forscher haben nun herausgefunden, dass Antidepressiva in Gewässern die Fortpflanzung von Guppys nachhaltig schädigen. Die auch als Millionenfische bekannten, eigentlich in der Fortpflanzung sehr tüchtigen Fische, könnten dadurch sogar impotent werden.

Wie Antidepressiva in die Gewässer gelangen

Zunächst fragt man sich natürlich, wie die Guppys überhaupt mit Antidepressiva in Kontakt kommen können. Denn damit Behandelte kippen ihre Medikamente sicher nicht einfach in den See – sie scheiden sie aber dennoch aus. Und auch die herstellenden Pharmazieunternehmen leiten ihre Abwässer in die städtischen Kläranlagen. Dort werden die Medikamentenreste zwar gefiltert, aber scheinbar nur unzureichend.

Dies ist ein Phänomen, dass durch die Wissenschaft schon seit dem Beginn der 2000er-Jahre genauer untersucht wird. Denn viele dieser eigentlich gereinigten Abwässer gelangen dann in Flüsse und Seen und damit auch in die Meere. 2023 konnte eine Studie nachweisen, dass Medikamentenreste in besorgniserregender Konzentration bereits die Antarktis erreicht haben.1

Im Fokus der Untersuchungen stehen dabei nicht etwa Paracetamol oder Ibuprofen, sondern ein spezielles Antidepressivum. In den USA unter dem Markennamen „Prozac“ verkauft, ist das Medikament in Deutschland eher unter dem Wirkstoffnamen Fluoxetin bekannt. Es zählt zu den Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und kann die Symptome von Menschen mit chronisch depressiver Verstimmung maßgeblich verbessern.

Laut einer Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind immer mehr Menschen auf diese Medikamente angewiesen. Der Anteil der Betroffenen hat sich 2011 bis 2021 um 50 Prozent erhöht – Tendenz stark steigend.2 „Prozac“ und seine Ableger können aber auch starke Nebenwirkungen entwickeln – die Fische wohl auch seit Längerem und in immer größerem Ausmaß zu spüren bekommen.

Wie sich Antidepressiva im Wasser auf Fische auswirken

Bereits 2003 stellten Forscher fest, dass Fluoxetin das Verhalten von Fischen beeinflusst. Es wurde damals bereits in allen Weltmeeren an der Oberfläche sowie in der Tiefe nachgewiesen und als Ökotoxin deklariert.3

In den darauffolgenden Jahren kamen immer mehr Konsequenzen für das Verhalten von Fischen, Veränderungen ihrer Hirn-Chemie und sogar ihrer DNA ans Licht. So sind verschiedene Fischarten um einiges ängstlicher und nervöser geworden, denn sie schwammen weitere Wege, um potenziellen Fressfeinden zu entgehen.4 Außerdem zeigen sie gestörtes Sozialverhalten oder sogar Aggression. Weibchen legten weniger Eier, Männchen griffen sie eher an, als sich mit ihnen fortzupflanzen.5

Dass dies katastrophale Auswirkungen auf die ohnehin schwindenden Bestände vieler Fischarten haben könnte, zeigt nun eine aktuelle Studie an Guppys. In dieser Untersuchung wurden sich über fünf Jahre andauernde Veränderungen an 3600 Fischen und ihrem Nachwuchs angeschaut. Antidepressiva veränderten unter anderem die Kondition des Körpers der Guppys, aber auch die Vitalität ihrer Spermien.

Fische und Menschen sind gar nicht so verschieden

Im Wissenschaftsmagazin „TheConversation“ schätzen die Autoren selbst die Ergebnisse ihrer Untersuchung ein. Demnach sei es gar nicht so ungewöhnlich, dass Fische und Menschen auf Fluoxetin mit denselben Wirkungen reagieren, denn sie haben ähnliche Rezeptoren. „Fluoxetin-Arzneimittel erhöhen den Serotoninspiegel im Gehirn, was Wohlbefinden und Glücksgefühle steigert.“ Bei Fischen sei Serotonin jedoch auch an der Fortpflanzung, der Nahrungsaufnahme sowie dem Wachstum, Stress und verschiedenen Verhaltensweisen beteiligt.

In einer Testgruppe wurden die Fische einer geringen Dosis Fluoxetin ausgesetzt. Dadurch waren sie in einem generell schlechten Gesundheitszustand, doch ihr Gonopodium war stark erweitert. Bei männlichen Guppys dient diese umgebaute Flosse der Fortpflanzung. Doch auch die Keimzellen der Guppys litten bereits unter einer geringen Dosis der Antidepressiva. Sie wurden sehr langsam und verringerten ihren Fortpflanzungserfolg erheblich.

Auch waren insbesondere männliche Guppys in der Langzeituntersuchung in ihrer Anpassungsfähigkeit beeinträchtigt. Sie zeigten in unterschiedlichen Situationen dasselbe, sich wiederholende Verhalten. Für Fressfeinde macht sie dies zu einer viel leichteren Beute. Interessanterweise veränderte sich dieses Verhalten jedoch nicht, wenn die Fluoxetin-Dosis erhöht wurde.6 Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass eine kleine Menge davon bereits erhebliche Auswirkungen auf Süß- und Salzwasserbewohner haben kann.

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Was dies bedeuten könnte

Antidepressiva haben vielen Menschen bereits geholfen, ihre Krankheiten zu überwinden. Allerdings darf man die negativen Folgen für die Umwelt und vor allem für Fische nicht übersehen. Denn nur ein kleiner Teil des Medikaments löst im Menschen bereits eine lebensrettende Wirkung aus, ein Großteil gelangt aber auch durch Ausscheidungen in die Abwasserkanäle.

Dies bedeutet natürlich nicht, dass kranke Menschen keine Medikamente mehr nehmen sollten, um die Umwelt nicht zu belasten. Allerdings erfordern die Ergebnisse der letzten Jahre eine Anpassung der Abwasserwirtschaft und dass spezielle Filtersysteme für Pharmazieabfälle entwickelt werden, damit Fische und andere Wasserbewohner nicht noch weiter belastet werden.

Depressiv? Hier bekommen Sie Hilfe

Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können. Auch online, unter TelefonSeelsorge. Sprechen Sie auch Freunde und Bekannte an, wenn Sie schwere Gedanken haben und suchen Sie sich Hilfe bei psychologisch geschulten Fachkräften.

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Quellen

  1. Postigo, C., Moreno-Merino, L., López-García, E., López-Martínez, J., & de Alda, M. L. (2023). Human footprint on the water quality from the northern Antarctic Peninsula region. Journal of hazardous materials, 453, 131394. ↩︎
  2. Oecd.com, „Health at a Glance 2023“ (aufgerufen am 29.8.2024) ↩︎
  3. Brooks, B. W., Foran, C. M., Richards, S. M., Weston, J., Turner, P. K., Stanley, J. K., ... & La Point, T. W. (2003). Aquatic ecotoxicology of fluoxetine. Toxicology letters, 142(3), 169-183. ↩︎
  4. Thomas, M. A., Joshi, P. P., & Klaper, R. D. (2012). Gene-class analysis of expression patterns induced by psychoactive pharmaceutical exposure in fathead minnow (Pimephales promelas) indicates induction of neuronal systems. Comparative Biochemistry and Physiology Part C: Toxicology & Pharmacology, 155(1), 109-120. ↩︎
  5. ScientificAmerican.com, „Fish on Prozac Prove Anxious, Antisocial, Aggressive“ (aufgerufen am 29.8.2024) ↩︎
  6. Aich, U., Polverino, G., Parast, F. Y., Melo, G. C., Tan, H., Howells, J., Nosrati, R., & Wong, B. B. M. (2024). Long-term effects of widespread pharmaceutical pollution on trade-offs between behavioural, life-history and reproductive traits in fish. Journal of Animal Ecology. ↩︎
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