10. Februar 2023, 5:23 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Bisher ging man davon aus, dass vor allem intelligente und soziale Tiere wie Delfine oder Elefanten sich selbst im Spiegel erkennen. Nun zeigen die Ergebnisse einer Studie erstmals, dass auch Putzerlippfische mit ihrem Spiegelbild interagieren. Doch woran das liegen könnte, ist noch nicht eindeutig bewiesen.
In der Tierwelt gibt es einige Arten, die ihr eigenes Spiegelbild identifizieren können. Dazu zählen Menschenaffen, Elefanten, Pferde, Delfine und Elstern. Bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass vor allem soziale und intelligente Arten dazu in der Lage seien. Aber auch Putzerlippfische scheinen ihr Spiegelbild identifizieren zu können. Zu diesem Ergebnis kommen Biologen in einer Studie zur sogenannten Spiegelselbsterkennung. Diese veröffentlichte das Team um Masanori Kohda der städtischen Osaka-Universität im US-amerikanischen Journal „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Danach können die Fische sich nicht nur selbst im Spiegel erkennen, sondern auch zwischen bekannten und unbekannten Artgenossen unterscheiden. Die Wissenschaftler führten dazu verschiedene Tests mit der Gattung der Blaustreifen-Putzerlippfische durch. Was der Grund dafür sein könnte? Dazu gibt es bislang nur Vermutungen.
Übersicht
Forscher markierten Fische mit Farbe an der Kehle
Um zu überprüfen, ob sich ein Tier sich selbst erkennt, beobachten Forscher vor allem die Reaktionen des Tieres vor dem Spiegel. So versuchen sich Elefanten etwa Dreck, der ihnen zuvor ins Gesicht geschmiert wurde, mit dem Rüssel zu entfernen. Ein eindeutiger Beweis dafür, dass sie verstehen, dass es sich bei dem Bild im Spiegel um die Abbildung ihrer selbst handelt. Genau wie beim Menschen verstehen auch Tiere dies nicht beim allerersten Blick in den Spiegel. So dauert es einige Male, bis sie entsprechende Schlussfolgerungen ziehen.
Bei den Putzerlippfischen gingen die Forscher ähnlich vor. Diese Fische haben ihren Namen nicht ohne Grund: Im Ozean säubern sie andere Fische von abgestorbenen Hautschuppen oder sogar Parasiten. Diese Eigenschaft nutzten die Forscher in ihrer Studie und markierten zehn Putzerlippfische für einen Spiegeltest an der Kehle mit Farbe. Die Markierung ähnelte einem Parasiten auf ihrer Haut und wurde so angebracht, dass die Fische sie nur beim Blick in einen Spiegel sehen konnten.
Nach Angaben der Wissenschaftler versuchten die Meeresfische beim Anblick ihres Spiegelbilds, die Flecken von ihrer Haut zu entfernen. Sie schwammen zum Boden des Beckens und kratzten sich selbst daran, um den vermuteten Parasiten abzuschaben. Wurden ihnen Bilder anderer Putzerlippfische gezeigt, zeigten sie das Verhalten nicht. Ein eindeutiger Beweis, dass die Fische ihr Spiegelbild mit sich selbst in Verbindung brachten. Auch hier dauerte es eine Weile, bis die Fische sich selbst im Spiegel erkannten und so auch lernten, wie ihr Spiegelbild bzw. sie selbst aussehen.
Auch interessant: Welche Zierfische kann man gemeinsam im Aquarium halten?
Putzerlippfische unterscheiden zwischen fremden und vertrauten Individuen
In weiteren Tests legten die Forscher den Putzerlippfischen Bilder anderer Exemplare vor. Denn Putzerlippfische sind bekannt dafür, aggressiv auf ihnen unbekannte Artgenossen zu reagieren. Exemplare, die den ersten Spiegeltest nicht durchlaufen hatten, reagierten den Angaben der Forscher nach auf alle Bilder von Fischen aggressiv – unabhängig davon, ob es sich dabei um sie selbst oder andere Fische handelte. So versuchten sie etwa, die abgebildete Fische zu beißen. Erst, nachdem diese Fische den Spiegeltest mit Markierung durchlaufen hatten, griffen sie häufiger Bilder ihnen unbekannter Fische an. Offenbar waren sie nun in der Lage, zwischen den Fotos fremder Artgenossen und ihnen selbst zu unterscheiden.
Um die Fähigkeit der Fische zu testen, ihr eigenes Gesicht erkennen zu können, präsentierten die Wissenschaftler ihnen auch weitere Bilder, bei denen es sich allerdings um Fotomontagen handelte. Darauf waren Fische zu sehen, die aus dem eigenen Gesicht auf dem Körper eines fremden Fisches bestanden oder Fische mit dem Gesicht eines fremden Fisches auf dem eigenen Körper. Die Putzerlippfische reagierten interessanterweise nur aggressiv auf Bilder, auf denen das Gesicht eines fremden Putzerlippfischs zu sehen war.
Verhalten erklärt Kann sich ein Hund sich im Spiegel erkennen?
Selbsterkenntnis Diese Tiere erkennen sich im Spiegel
Freundlich, zurückhaltend, aggressiv? Studie identifiziert vier Persönlichkeiten bei Erdhörnchen
Forscher vermuten soziales Gefüge der Fische als Grund für die Fähigkeit, sich selbst im Spiegel zu erkennen
Aber warum besitzen Putzerlippfische überhaupt die Fähigkeit, sich im Spiegel erkennen zu können? Die Forscher vermuten, dass es vor allem für Arten, die in stabilen sozialen Gruppen leben, besonders wichtig sei, zwischen vertrauten und fremden Individuen unterscheiden zu können. Putzerlippfische unterhalten an Riffen im Ozean regelrechte Putzstationen. Um sich von ihnen die Haut reinigen zu lassen, kommen immer wieder dieselben Fische zu ihnen – darunter auch Raubfische. Diese verschonen die Putzkolonne gezielt, selbst wenn die Putzerlippfische in ihrem geöffneten Maul nach Futter suchen.
Zu erkennen, ob es sich bei einem Raubfisch um einen regelmäßigen „Kunden“ handelt, oder ein Neuling, der vielleicht doch auf einen schnellen Snack aus ist, ist also überlebensnotwendig. Dass die Fähigkeit jedoch so weit geht, auch sich selbst zu identifizieren, erklärt dies noch nicht vollständig, denn auch Tiere wie Hunde können Individuen unterscheiden, erkennen sich selbst aber nicht im Spiegel.
Eine schon 2019 durchgeführte Studie des Max-Planck-Instituts für Ornithologie und der Universität Konstanz berichtete über Spiegeltests an Putzerlippfischen: „Unsere Beobachtungen lassen nur wenig Zweifel, dass dieser Fisch mit seinem Verhalten alle Kriterien für einen bestandenen Spiegeltest erfüllt“, sagte Co-Autor Alex Jordan damals. „Weniger klar ist dagegen, ob man daraus schließen kann, dass Fische sich ihrer selbst bewusst sind – auch wenn in der Vergangenheit vielen Tieren ein Selbst-Bewusstsein zugeschrieben worden ist, nachdem sie den Spiegeltest bestanden hatten.“
Mit Material der dpa