28. Juni 2023, 16:36 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Seit Monaten klagen Tierheime über eine regelrechte Flut von Tierrückgaben. Dabei liege die Betonung sehr auf „Rückgaben“, da nun auffallend viele ihre Haustiere abgeben würden, die sie sich in der Corona-Zeit zugelegt haben. Und auch die Reptilienauffangstation in München platzt aus allen Nähten. Jedoch nicht wegen der steigenden Energiepreise, wie ein Reptilienexperte verrät.
Die Nachwehen der Corona-Zeit sowie die aktuellen Finanz- und Energiekrise stellen einige Tierhalter vor Herausforderungen. Das beträfe aber vor allem Haustiere wie Hunde und Katzen. Auf der Münchener Reptilienauffangstation habe man hingegen schon seit Jahren alle Hände voll zu tun gehabt, erklärt Thomas Türbl, einer der Leiter der Auffangstation. Etwa 1500 Tieren bekommen jährlich in seiner Einrichtung vorübergehend ein Dach über den Kopf. Eine enorm hohe Zahl, wenn man sich vor Augen führt, dass es sich hier um in Not geratene Lebewesen handelt. Die Gründe für die abgaben von Schlange, Echse und Co. seien sehr unterschiedlich. Sie hingen nicht nur mit den gestiegenen Energie- und Lebenshaltungskosten zusammen, wie gleich nach Ausbruch der Krise von vielen Tierschutzorganisationen befürchtet wurde. „In den kommenden zwölf bis achtzehn Monaten rechnen wir bundesweit mit einem deutlichen Anstieg an abgegebenen oder ausgesetzten Tieren“, schrieb Patrick Boncourt, Reptilienexperte beim Deutschen Tierschutzbund, besorgt in einem Statement. Doch so kam es glücklicherweise nicht. Denn die Gründe, weshalb Menschen ihre Reptilien abgeben oder aussetzen, sind andere.
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Reptilien werden bei Umzügen oft in der alten Wohnung zurückgelassen
„Der Prozentanteil von Menschen, die ihr Tier aus finanziellen Gründen abgeben, ist in unserem Bereich verschwindend gering“, erklärt Reptilien-Facharzt Thomas Türbl. Halter von Schlangen, Echsen und Schildkröten seien sich seiner Erfahrung nach ohnehin schon im Vorfeld darüber bewusst, dass die Exoten-Haltung kein billiges Unterfangen ist. Natürlich gebe es immer auch mal Halter, die in eine finanzielle Schieflage geraten. Doch er sehe meist andere Gründe für Tierabgaben. Was wesentlich häufiger vorkomme, seien Todesfälle, Scheidungen oder Umzüge, weshalb die Besitzer sich von ihren Tieren trennten.
Überraschend häufig käme auch vor, dass ein Partner aus dem gemeinsamen Zuhause auszieht und die Reptilien dort einfach zurücklässt. Da erleben dann Ex-Partner oder Neumieter unter Umständen eine böse Überraschung. Gerade für Reptilien eine gefährliche Situation. Im Vergleich zu einem Hund oder einer Katze können sich diese nicht bemerkbar machen. „Ein zurückgelassener Hund würde jaulen, bellen und im Zweifelsfall stinkt es so extrem in der Wohnung, dass auch mal ein Nachbar oder die Polizei vorbeischauen würden. Reptilien hingegen liegen im Terrarium und machen nichts – sie leiden einfach still.“ Erschwerend komme hinzu, dass Vermieter nicht so einfach eine Wohnung betreten können. So blieben die zurückgelassene Tiere so oft lange unbemerkt. In solchen Fällen landen die Exoten dann oft bei Thomas Türbl in der Münchner Reptilienauffangstation.
Ein tierisches Erbe, das niemand antreten will
Häufig seien aber auch Todesfälle der Halter, bei denen nicht geklärt ist, was aus den Tieren werden soll, erklärt Thomas Türbl. „Es kommt immer wieder vor, dass beispielsweise eine Oma verstirbt und 20 Schildkröten hinterlässt. Allerdings kann es dann sein, dass die Enkel nichts mit Schildkröten am Hut oder einfach keinen Platz für sie haben. Das sind meistens so die Gründe, warum Tiere dann bei uns auftauchen.“
Tatsächlich sei es ein unterschätzter Segen, dass es Reptilienauffangstationen wie diese gibt: nicht nur für die Halter und die Tiere, sondern auch für das lokale Öko-System. Denn immer wieder kommt es zu Aussetzungen von exotischen Haustieren in der Natur oder in Zoos – was übrigens strafbar ist. Zum einen sind die wenigsten Exoten dazu in der Lage, hierzulande langfristig in freier Wildbahn zu (über)leben, denn „sie sind an ein anderes Klima angepasst. Weshalb sie hier draußen gerade im Frühjahr oder Herbst an Lungenentzündung sterben.“
Zum anderen können ausgesetzte Haustiere im Zweifelsfall nicht nur Krankheiten übertragen, sondern auch das regionale Gleichgewicht in der Natur stören.
Aber auch die unerlaubte Aussetzung von exotischen Haustieren in Zoos oder Tierparks kommt gelegentlich vor und kann fatale Folgen haben. So könnten Krankheiten in den Zoo eingeschleppt werden, der ganze Bestände dahinraffen, erklärt der Experte im Gespräch mit PETBOOK. „Es gibt Viruserkrankungen, die nicht sichtbar sind, wie beispielsweise die Herpesviren bei Schildkröten oder Arenaviren bei Schlangen.“
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Reptilien-Experte Thomas Türbl sieht die Politik in der Verantwortung
Zwar habe er den Eindruck, dass das Aussetzen von Reptilien in Zoos und Tierparks stark rückläufig sei, doch lasse sich die Entwicklung von Aussetzungen in der Natur nur schwer einschätzen. Dennoch sei es ein ernsthaftes Problem, bei dem Türbl die Politik in der Verantwortung sieht, denn ausgesetzte Tiere sind ein Tierschutzproblem. „Da müssten eigentlich die Kommunen tätig werden, denn die sind für Fundtiere zuständig. Die müssten die Tiere abfangen, abfischen und dann in eine Auffangstation bringen – beispielsweise zu uns.“ Allerdings hätten sie schon jetzt bei sich ein Platzproblem und auch die Frage, wer das für alle bezahlen soll, sei noch nicht abschließend geklärt.
Und wie ist das mit den Zoos? „Aus dem Tierpark kommen regelmäßig ausgesetzte Tiere, die sie dann direkt zu uns bringen, wenn die noch im Karton irgendwo sitzen. Auch an der Kasse werden die häufig früh morgens hingestellt, weil die Leute denken: ‚Ok, das ist im Zoo. Da kann man die aussetzen.‘ Aber die Tierparks nehmen die gar nicht an, sondern bringen die gleich zu uns.“
Zum Glück funktioniere der Austausch auch in die andere Richtung, freut sich Türbl: „Die Wilhelma war heute da und die haben Tiere von uns übernommen. Das passiert Gott sei Dank auch, dass wir Tiere mal in Zoos vermitteln.“