7. Juli 2024, 8:07 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
„Hunde sind die besseren Therapeuten“. Das besagt eine geflügelte Redewendung. Diesen Ansatz verfolgt auch das Konzept Assistenzhund. Dabei übernehmen speziell geschulte Hunde Aufgaben, um Menschen mit besonderen Bedürfnissen im Alltag zu unterstützen. Assistenzhündin Audrey arbeitet mit Alzheimer-Patienten. PETBOOK sprach mit ihrer Halterin Andrea Klemencic über den ganz besonderen Golden Retriever.
Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz und eine unheilbare Erkrankung des Gehirns. Betroffene können unruhig, aggressiv oder depressiv werden. Ein Zustand, der für Erkrankte, Familienangehörige aber auch Pflegepersonal oft nicht einfach ist. Mancherorts werden daher speziell ausgebildete Assistenzhunde für Patienten mit Alzheimer eingesetzt, die nicht nur Trost spenden, sondern Betroffene im Alltag unterstützen.
Einer dieser Hunde ist Assistenzhündin Audrey. Sie arbeitet gemeinsam mit ihrer Halterin Andrea Klemencic mit Alzheimer-Erkrankten im Kurstift in Bad Homburg. Die junge Hündin ist nicht nur durch ihre hochsensible Art für die Arbeit mit demenzkranken Menschen geeignet, sondern hat auch erfolgreich eine Ausbildung für tiergestützte Intervention absolviert. Im Gespräch mit PETBOOK erzählt Andrea Klemencic, wie Assistenzhund Audrey den Bewohnern mit Alzheimer in einem Seniorenstift Freude und sogar Erinnerungen wiederbringt.
„Audrey kann Ängste nehmen und Freude bereiten“
PETBOOK: Frau Klemencic,in ihrem Seniorenstift kommen regelmäßig Therapiehunde wie ihre Hündin Audrey zum Einsatz. Wie reagieren die Senioren auf das Tier?
Andrea Klemencic: „Die Senioren sind immer sehr glücklich, wenn sie unsere Assistenzhündin Audrey sehen. Sie zaubert ihnen ein Lächeln ins Gesicht und wird oft als die beste Mitarbeiterin bezeichnet. Audrey kann Ängste nehmen und Freude bereiten, selbst bei Bewohnern, die nicht mehr sprechen. Ein Bewohner, der nicht mehr spricht, zeigt mit seinen Augen, dass ihm der Kontakt mit Audrey gefällt und ihn entspannt.“
Seit wann kommen Assistenzhunde bei Ihnen im Haus zum Einsatz?
„Die Hunde kommen schon länger bei uns zum Einsatz. Es sind allerdings keine Assistenzhunde, sondern Hunde, die mit ihren Partnern die Ausbildung für tiergestützte Intervention absolviert haben. Viele nennen sie Therapiehunde, aber der Begriff ist nicht ganz richtig. Es sind Hunde für tiergestützte Intervention, die seit 2018 regelmäßig ins Kurstift kommen.“
So sieht der Alltag von Hündin Audrey im Seniorenheim aus
Können Sie kurz erklären, was die Ausbildung dieser Hunde von einem Therapiehund oder Assistenzhund unterscheidet?
„Ein Assistenzhund ist einem Partner zugeordnet und leistet Hilfe im Alltag, wie zum Beispiel Kleidung ausziehen oder Gegenstände aufheben. Hunde für tiergestützte Intervention können auch kleine Hilfestellungen leisten, aber sie wirken vor allem auf psychischer Ebene, indem sie entspannen.“
Wie sieht der Alltag eines solchen Hundes im Einsatz aus?
„Audrey kommt jeden Tag mit in den Kurstift. Sie begrüßt die ersten Bewohner im Foyer, begleitet mich in die Verwaltung und zweimal in der Woche haben wir feste Termine auf der stationären Pflege. Das sind Gruppenaktivitäten mit einem Betreuungsmitglied und mir, sowie Einzelbetreuungen nach Terminierung. Die Hunde brauchen zwischendurch unbedingt Ruhephasen, um sich zu entspannen und zu spielen, da die Arbeit anstrengend ist.“
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„Audrey legt sich manchmal zu ihnen ins Bett und kuschelt“
Können Sie die Interaktionen zwischen den Hunden und den Personen beschreiben?
„Bei Gruppenaktivitäten bieten wir häufig Fellpflege an. Die Bewohner pflegen den Hund mit Bürsten und Kämmen oder putzen die Zähne. Wir gehen auch spazieren, wobei der Hund zwischen dem Bewohner und mir läuft. Audrey besucht auch bettlägerige Bewohner, legt sich manchmal zu ihnen ins Bett und kuschelt. Wir spielen auch mit ihr, indem Bewohner einen Ball werfen, den sie zurückbringt oder ein kleines Puzzle macht.“
Wie oft kommt Audrey wöchentlich in den Stift?
„Audrey kommt jeden Tag von Montag bis Freitag mit in den Kurstift. Die Aktivitäten dauern ungefähr eine Stunde. Zusätzlich ist Audrey immer im Einsatz, wenn sie unter Menschen kommt. Sie begrüßt und kuschelt mit Bewohnern, Angehörigen oder Teamkollegen. Es ist wichtig, dass sie ausreichend Entspannungsphasen hat.“
„Obwohl Demenzpatienten vieles vergessen, erinnern sie sich oft an Audrey und begrüßen sie mit Namen“
Viele Ihrer Bewohner sind an Alzheimer erkrankt. Wie erklären Sie, dass diese Menschen noch Zugang zu Audrey und den anderen Hunden finden?
„Audrey geht oft auf diese Menschen zu und nimmt ihnen die Angst. Obwohl Demenzpatienten vieles vergessen, erinnern sie sich oft an Audrey und begrüßen sie mit Namen. Die körperliche Nähe und die Berührungen tun den Menschen gut und beruhigen sie, auch wenn es ihre Erkrankung nicht heilt.“
Das Fortschreiten der Erkrankung bei den Bewohnern ist auch sehr belastend für die Angehörigen. Gibt es Situationen, in denen Audrey speziell für die Angehörigen da ist?
„Ja, das ist sehr interessant zu beobachten. Gerade im Sommer sitzen Angehörige oft mit unseren Bewohnern im Garten. Wenn ich mit Audrey rausgehe, geht sie häufig zuerst zu den Angehörigen, bevor sie zu den Bewohnern geht. Das zeigt, dass die Angehörigen die Nähe zu Audrey genauso benötigen. Für sie ist es eine große Last, wenn der Vater oder die Mutter sie nicht mehr erkennt oder versteht. Das spürt der Hund einfach.“
„Wenn Audrey kommt, werden seine Augen wach“
Gibt es einen besonderen Moment, der Sie in Ihrer Arbeit mit Audrey oder einem anderen Hund besonders berührt hat?
„Es gibt viele schöne Momente, daher kann ich keinen einzigen herausheben. Ein besonders bewegender Moment war der Besuch bei einem Herrn, der seit Jahren kein Wort mehr gesprochen hat. Wenn Audrey kommt, werden seine Augen wach, und er freut sich, wenn er ihr ein Leckerchen geben kann. Er grinst dann schelmisch und das ist wirklich schön zu sehen.“
Die Arbeit mit Hunden in der Seniorenarbeit ist noch nicht sehr verbreitet. Warum ist das so?
„Vielleicht liegt es daran, dass es jemanden geben muss, der das Konzept umsetzt und mit seiner Arbeit vereinbaren kann. Es gibt immer mehr Besuchshunde, die nur gelegentlich kommen, aber das Konzept, dass ein Hund jeden Tag in der Einrichtung ist, ist selten. Es erfordert viel Arbeit und Engagement.“
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„Tiere bewerten nicht, sie leben im Hier und Jetzt und tun einfach gut“
Würden Sie das Konzept trotzdem wärmstens empfehlen?
„Ja, auf jeden Fall. Die Tiere bewerten nicht, sie leben im Hier und Jetzt und tun einfach gut. Es gibt spontane Anrufe von der Pflegedienstleitung, die um Unterstützung bittet, und wir können mit den Hunden kommen und sofort reagieren. Das ist sehr wertvoll.“
Gibt es Situationen, in denen Audrey besonders glücklich ist?
„Ja, Audrey ist immer freudig, wenn sie ins Kurstift kommt. Sie ist ein glücklicher Hund hier und kennt ihre Aufgabe, alten Menschen zu helfen. Sie hat eine Affinität zu alten Menschen und genießt ihre Arbeit.“