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PETBOOK-Interview

Blindenführhund-Trainer: »Viele Hunde schaffen die Ausbildung nicht

Eine blinde Frau läuft mit ihrem Blindenführhund und einer Begleitung eine Treppe herunter.
Da blinde und sehbehinderte Menschen sich auf ihren Blindenführhund verlassen können müssen, ist das Training, das beide zusammen durchlaufen müssen, sehr aufwendig (Symbolbild) Foto: Getty Images
Dennis Agyemang
Redakteur

9. Juli 2024, 16:49 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Sie gehören vielerorts zum festen Stadtbild: Menschen, die gemeinsam mit ihren Blindenführhunden den Alltag bestreiten. Dabei führen die Vierbeiner ihre Halter sicher durch die Straßen und helfen ihnen dabei, Erledigungen zu machen. Doch damit dies überhaupt möglich ist, müssen die Hunde eine aufwendige Ausbildung hinter sich bringen. Die schaffen allerdings nur wenige Vierbeiner.

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Mobil, sicher und selbstbestimmt. Für sehende Menschen sind diese drei Punkte meist eine Selbstverständlichkeit. Doch damit diese Eigenschaften auch eine Selbstverständlichkeit im Leben von blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen sein können, benötigen viele einen Blindenführhund. Aber das ist gar nicht so leicht, denn ein ausgebildetes Tier kostet um die 40.000 Euro. Und auch die Wartezeit ist nicht unerheblich: So müssen Interessenten geduldig sein, da die Wartezeit aktuell bei 4 Jahren liegt.

Warum das so ist, was solch ein Hund leisten muss und wie man sich mit dem eigenen Hund bei einer Begegnung mit einem Blindenführhund verhalten sollte, hat Ulrich Strasse von der Stiftung Deutsche Schule für Blindenführhunde im Gespräch mit PETBOOK verraten. Die Stiftung ist auf die Zucht und Ausbildung von Blindenführhunden spezialisiert.

„Unsere Hunde lernen etwa 30 Hör- und Sichtzeichen“

PETBOOK: Herr Strasse, was muss ein Blindenführhund so alles können?
Ulrich Strasse: „Die Ausbildung ist sehr umfassend und dauert in der Regel sechs bis neun Monate. Unsere Hunde lernen etwa 30 Hör- und Sichtzeichen, wie ‚rechts‘, ‚links‘, ‚Treppe hoch‘ und ‚Treppe runter‘. Sie müssen aber auch spezifische Orte wie Bäcker oder Briefkasten anzeigen können.“

Wie sieht die Ausbildung der Blindenführhunde bei Ihnen aus?
„Die Ausbildung beginnt, wenn die Hunde etwa 15 bis 16 Monate alt sind. Vorher durchlaufen sie eine Gesundheitsprüfung und werden in Patenfamilien sozialisiert. Während der Ausbildung lebt der Hund rund um die Uhr mit seinem Trainer zusammen, um eine enge Bindung zu entwickeln und spezifische Verhaltensweisen zu erlernen, die für die Sicherheit und Unterstützung der blinden oder sehbehinderten Person notwendig sind.“

Wie genau können Blindenführhund das Leben verändern?
„Meine Schwester ist im Laufe ihres Lebens erblindet und hat seit drei Jahren einen Blindenführhund. Der Hund hat ihr Leben sehr zum Positiven verändert. Es ist erstaunlich zu sehen, wie viel Freude und Unabhängigkeit so ein Hund bringen kann. Meine Schwester hat zwar schon immer gerne Spaziergänge gemacht. Doch bevor sie den Hund hatte, war sie auf eine Begleitung angewiesen. Seitdem Rudy ihr Leben bereichert, hat meine Schwester einen treuen Wegbegleiter und läuft unter anderem durch den Schlosspark in Pankow. Das genießt sie auf alle Fälle.“

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Ein ausgebildeter Hund kostet zwischen 35.000 und 40.000 Euro

Was kostet ein fertig ausgebildeter Blindenführhund?
„Ein ausgebildeter Hund kostet zwischen 35.000 und 40.000 Euro. Die Kosten werden in der Regel von der Krankenkasse übernommen. Allerdings bezahlen die Krankenkassen nur für fertig ausgebildete Hunde.“

Muss die sehbehinderte Person etwas zuzahlen?
„Nein, das wird alles komplett von den Krankenkassen übernommen. In der Regel bezahlen die Krankenkassen auch die laufenden Tierarztkosten und das Futter.“

Was passiert, wenn ein Blindenführhund nicht die notwendigen Anforderungen erfüllt?
„Es kann passieren, dass Hunde kurz vor Abschluss der Ausbildung ausscheiden, weil sie doch nicht die notwendigen Eigenschaften zeigen. Das ist natürlich emotional und finanziell belastend, da die Ausbildung viel Geld kostet und von den Krankenkassen nur bei erfolgreicher Übergabe des Hundes bezahlt wird. Hunde, die die Anforderungen nicht erfüllen, werden dann anderweitig vermittelt, etwa als Familienhunde. Um sicherzustellen, dass sie gut behandelt werden und nicht im Tierheim oder im Ausland landen, bleiben die Hunde im Eigentum unserer Stiftung.“

Eine Frau wird von einem Blindenführhund eine Treppe heruntergeführt.
Interessenten müssen aktuell viel Geduld aufbringen. „Wir haben aktuell leider Wartezeiten von bis zu 4 Jahren“, sagt Ulrich Strasse. Foto: viktor strasse

„Wenn die Chemie stimmt, beginnt die finale Ausbildung“

Wie sehen die ersten Schritte aus, wenn sich eine Person einen Blindenführhund zulegen möchte?
„Wir werden oft von blinden oder sehbehinderten Menschen angerufen, die sich für einen Hund interessieren. In einem Erstgespräch nehmen wir zunächst die Daten der Person auf, die den Hund benötigt. Wir fragen nach ihren persönlichen Eigenschaften, ihrem Sehvermögen, den Wohnverhältnissen und so weiter. Dann organisieren wir ein Ersttreffen bei uns in der Stiftung, an dem auch unsere Trainer teilnehmen.“

Was passiert bei diesem Ersttreffen?
„Wir lernen die blinde oder sehbehinderte Person persönlich kennen und führen ein lockeres Gespräch, bei dem wir Fragen zu ihrem Wohnumfeld, der Größe der Wohnung, der Entfernung zum Arbeitsort und ihren Hobbys stellen. Dieses Gespräch dauert in der Regel zwei bis drei Stunden. Als Highlight des Treffens nehmen wir die blinde Person an die Hand und gehen mit einem Hund in Ausbildung spazieren, damit sie ein Gefühl dafür bekommt, wie es ist, mit einem Blindenführhund zu laufen.

Wenn die Chemie stimmt, beginnt die finale Ausbildung, bei der der Hund speziell auf die Bedürfnisse des zukünftigen Halters trainiert wird. Die Übergabe und weitere Trainingseinheiten finden sowohl bei uns als auch am Wohnort des Halters statt, um sicherzustellen, dass der Hund sich gut einlebt und seine Aufgaben zuverlässig erfüllt.“

Auch die Hundehalter müssen ein spezielles Training durchlaufen

Wie wählen Sie den passenden Hund aus?
„Wir bleiben in engem Kontakt mit den zukünftigen Hundeanwärtern und suchen nach dem geeigneten Hund. Wenn wir glauben, einen passenden Hund gefunden zu haben, organisieren wir ein Treffen, oft in einem Hotel, wo die blinde Person und der Hund ein paar Tage zusammen verbringen. Danach gibt es weitere Trainingseinheiten am Wohnort der blinden Person, um den Hund an die örtlichen Gegebenheiten zu gewöhnen.“

Auch die zukünftigen Blindenführhundhalter am anderen Ende der Leine müssen eine spezielle Ausbildung durchlaufen. Worum geht es da?
„Ja, die Halter benötigen ein spezielles Orientierungstraining, damit sie sich im Straßenverkehr zurechtfinden und auch mit dem Stock umgehen können. Es ist wichtig, dass sie nicht hilflos sind, falls der Hund mal krank wird.“

„Vieleblinde und sehbehinderte Menschen haben Angst vor dieser Prüfung

Was passiert, wenn die Ausbildung abgeschlossen ist?
„Wenn alles perfekt passt und die blinde Person und der Hund ein gutes Team bilden, ist unsere Arbeit getan. Allerdings gibt noch eine wichtige Prüfung, die sogenannte ‚Gespannprüfung‘. Eine unabhängige Stelle von den Krankenkassen überprüft, ob der Hund gut ausgebildet ist und das Gespann gut als Team funktioniert. Viele blinde und sehbehinderte Menschen haben Angst vor dieser Prüfung, aber die meisten bestehen sie problemlos. Die Krankenkassen möchten sicherstellen, dass die Qualität stimmt. Nach erfolgreicher Prüfung ist das Verfahren abgeschlossen und die blinde Person kann den Hund dann in ihren Alltag integrieren.“

Sind Labradore die einzige Hunderasse, die Sie ausbilden?
„Ja, wir arbeiten hauptsächlich mit Labradoren, da sie zuverlässig sind und sich nicht leicht von äußeren Einflüssen beeindrucken lassen. Labradore haben sich weltweit als die besten Blindenführhunde herausgestellt. Aktuell bilden wir sechs Hunde jährlich aus. Unser Ziel ist es aber jährlich 10 bis 15 Hunde auszubilden.“

Die Krankenkassen entscheiden, wer einen Blindenführhund bekommt

Überprüfen Sie, wie die Hunde behandelt werden, nachdem sie in ihrem neuen Zuhause sind?
„Ja, wir betreuen die Hunde bis zum Lebensende und unterstützen auch die sehbehinderten Menschen weiterhin. Wenn es Probleme gibt, fährt ein Trainer hin und korrigiert das Verhalten. Wir sorgen auch dafür, dass die Hunde einen vernünftigen Lebensabend haben. Wenn der Hund nicht mehr arbeiten kann, bleibt er meistens bei der Familie, die ihn ins Herz geschlossen hat. Wenn das nicht möglich ist, finden wir andere liebevolle Familien.“

Wie wird entschieden, wer einen Blindenführhund bekommt?
„Die Krankenkassen legen die Kriterien fest, nach denen entschieden wird. Dazu gehören die Tauglichkeit des blinden oder sehbehinderten Menschen und eventuelle weitere Behinderungen. Die genauen Kriterien sollten bei der jeweiligen Krankenkasse erfragt werden.“

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Wie sollte ich mich als Hundehalter verhalten, wenn ich eine blinde Person mit einem Führhund treffe?
„Den eigenen Hund anleinen und die blinde Person nicht ablenken. Nur eingreifen, wenn eine Gefahrensituation entsteht und dann höflich fragen, ob Hilfe benötigt wird.“

Was passiert, wenn ein Blindenführhund von einem anderen Hund angegriffen wird und sich danach anders verhält?
„Wir machen ein Nachtraining und entscheiden dann, ob der Hund weiterhin geeignet ist. Die Sicherheit der sehbehinderten Person hat oberste Priorität.“

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