30. September 2024, 11:53 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Züchter der Tierschutz? Das ist die große Frage, die sich Hundehalter vor der Anschaffung eines neuen Haustieres stellen müssen. Dabei ist diese Frage mittlerweile zu einer echten Glaubensfrage unter Haltern geworden. Immerhin quellen überall die Tierheime aus allen Nähten. Dennoch rät Hundetrainerin Désirée Scheller Anfängern tunlichst davon ab, einen Hund aus dem Tierschutz zu adoptieren.
Rassehund vom Züchter kaufen oder der Promenadenmischung aus dem Tierschutz eine zweite Chance geben? Das ist unter Hundehaltern mittlerweile zu einer richtigen Streitfrage geworden. So können viele Tierschützer nicht verstehen, wie Leute beim Züchter für teures Geld Hunde holen können, während in Tierheimen oder Tötungsstationen Vierbeiner verzweifelt auf ein neues Zuhause warten. Auf der anderen Seite gibt es die Halter, die sich nicht vorschreiben lassen wollen, woher sie ihren Hund beziehen und auch frei die Hunderasse wählen wollen, die ihnen gefällt. Am Ende des Tages kann und sollte auch jeder frei für sich seine Entscheidung treffen.
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»Gerade Anfänger sollten nicht einfach blind einen Hund aus dem Ausland holen
Allerdings sollten sich Anfänger und Menschen mit wenig Hundeerfahrung keine Tiere aus dem Tierschutz holen – insbesondere nicht aus dem Ausland – erklärt Hundetrainerin Désirée Scheller im Gespräch mit PETBOOK. „Viele verlassen sich da auf die Einschätzung des Tierschutzvereins“, so die Expertin. Allerdings führe das ganz oft zu großen Problemen. Denn „meistens sind das Leute, die das aus Liebe zum Hund machen und die Tiere retten wollen, aber selbst überhaupt keine Ahnung haben.“
Da komme es dann oft zu Fehleinschätzungen. „Vor allem, wenn die Hunde im Ausland schon falsch eingeschätzt wurden und dann einfach blind in die Familie geholt werden. Dann gibt es oft ein großes Drama. Deswegen predige ich immer: ‚Bitte, macht es nicht!‘ Gerade, wenn man Anfänger ist, sollte man nicht einfach blind einem Hund aus dem Ausland direkt ein Zuhause geben.“
„Der Hund hat auch nur ein Leben und das sollte er so schön wie möglich verbringen dürfen“
Stattdessen sollten sich Anfänger, die gerne einem Tierschutzhund ein neues Zuhause geben wollen, lieber als Pflegestelle anbieten. So könnte man mit weniger Druck schauen, ob es klappt und letztendlich auch passt, so die Hundetrainerin weiter. Immerhin wisse man oft nicht, was die Hunde so erlebt haben und welche Probleme sie mitbringen. „Es ist niemandem damit geholfen, wenn ihr Jahre zusammen verbringt und alles nur in Stress und Chaos ausartet.“ Und dann betont die Hundetrainerin und Verhaltensexpertin noch einen wichtigen Punkt, den viele immer wieder vergessen: „Auch der Hund hat nur ein Leben und das sollte er so schön wie möglich verbringen dürfen.“
Allerdings sollte man auch bedenken, dass Hunde auf einer Pflegestelle ebenfalls erzogen und verpflegt werden müssen und sich manche gravierenden Verhaltensprobleme dann erst zeigen. Daher sollte man diesen Weg nicht als „Ausprobieren“ verstehen, sondern als ganzheitliche Verantwortung für die weitere Entwicklung eines Tieres mit schwerer Vergangenheit.
Denn laut Désirée Scheller seien Menschen oft zu emotional und hätten einen unrealistischen Retterkomplex, der in vielen Fällen weder gut für den Hund noch die Person selbst sei. „Ich habe schon oft gehört, dass Leute sagen: ‚Ich weiß, der Hund hat Probleme und der ist ganz arm dran.‘“ Allerdings würden viele vor lauter Retterwunsch das wesentliche übersehen, und zwar die Frage aller Fragen: „Kann ich das überhaupt stemmen? Kann ich dieses Tier wirklich retten oder landet es in der nächsten Katastrophe?“
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„Es passiert immer noch viel zu oft, dass der Hund wieder abgegeben wird“
Tierschutz müsse sein und das unterstütze sie auch, sagt Scheller. Sie habe selbst schon oft als Pflegestelle Tierschutzhunde aufgenommen. Sie sei ohnehin eher der „Secondhand-Hunde-Fan“. Aber man müsse sich davor wirklich gut mit dem Thema auseinandersetzen und realistisch sein. „Es passiert immer noch viel zu oft, dass der Hund nachher wieder abgegeben wird, weil es einfach nicht funktioniert“, so die Hundetrainerin zu PETBOOK.
Menschen, die sich einen Hund aus dem Tierschutz geholt hätten, rät Désirée Scheller vor allem eines: Konsequenz. „Dem Hund vom ersten Tag an Sicherheit und Führung zu geben. Anstatt dem Hund gegenüber so unfair zu sein und erst einmal alles aus dem Ruder laufen zu lassen, um dann erst nach zwei, drei Wochen mit der Durchsetzung der Regeln zu beginnen.“ Daher seien klare Regeln vom ersten Tag an essenziell.
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„Diesen Fehler machen so viele“
„Bevor der Hund nach Hause kommt, sollte man schon wissen: ‚Was darf mein Hund? Was darf mein Hund nicht?‘ und sich auch wirklich konsequent daran halten.“ Gerade Hunde, die bereits viele Strapazen hinter sich haben und buchstäblich in eine neue Welt gebracht werden, müssten von Anfang an Führung und Sicherheit bekommen und dürften sich nicht selbst überlassen werden, appelliert die Hundetrainerin. „Aber diesen Fehler machen viele.“
Meine Erfahrung mit einer Adoption aus dem Auslandstierschutz
„Blind einen Hund zu adoptieren, war wohl eine der wagemutigsten, aber im Nachhinein auch besten Ideen meines bisherigen Lebens. Mein Mischling Bacon Moon kommt aus Griechenland. Er kam mit sechs Monaten zu mir. Ohne, dass wir uns vorher gekannt hätten. Gefunden habe ich ihn im Internet über die Seite eines gemeinnützigen Vereins.
Eigentlich hatte ich mich für seinen Bruder entschieden. Nachdem dieser aber bereits adoptiert war, wurde Gary – so Bacons ursprünglicher Name – mein. Rund zehn Wochen musste ich auf ihn warten. Dann stand er da, mitten im Flughafen in Stuttgart.
Als die Dame der Vermittlung ihn mir in die Arme drückte, kamen mir die Tränen. Da war er. Das süßeste Fellknäuel. Ein Tier, das ich nicht kenne und das mich nicht kennt. Noch nicht. Laufen wollte er keinen Schritt. Zu müde, zu aufgeregt. Also habe ich ihn durch den Flughafen bis zum Auto getragen. Blauäugig hatte ich auch nicht an eine Box oder gar einen Maulkorb gedacht. Stattdessen legte ich den kleinen auf den Rücksitz und setzte mich neben ihn. Später habe ich oft an diesen Moment zurückgedacht – wie gefährlich das hätte sein können. Er war vorher noch nie in einem Auto. Er hätte mich beißen, im Auto ausflippen oder sich verletzen können. Stattdessen legte er seinen Kopf auf meinen Schoß, ich teilte meine Chicken-Nuggets mit ihm (das einzige, das er essen wollte) und so fuhren wir los, in Bacons neues Zuhause.
Während ich aus dem Fenster in den Nachthimmel blickte, schleckte der Kleine plötzlich an meiner Hand und schob seinen Kopf darunter. Ich sah ihn an, er zwinkerte mir zu und schlief ein – da wusste ich, dieses Blind Date ist mein Match. Und so ist es auch heute noch. Allerdings weiß ich auch, welches Glück ich mit Bacon hatte. Er ist ruhig, mag Kinder, liebt Autofahrten, kuschelt gerne, weiß um die Schärfe seiner Zähne und ist dementsprechend vorsichtig. Doch seine Ängstlichkeit ist auch nach fast acht Jahren noch eine Herausforderung, mit der ich zu Beginn nicht gerechnet hatte. Bei dieser Art der Adoption holt man sich also quasi die Katze im Sack. Trotzdem würde ich es jederzeit wieder tun.“