
6. April 2025, 15:57 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Sind Hunde nicht mehr gewollt, werden sie von ihren Besitzern oft einfach verlassen. Dieses Schicksal ereilt auch Dickie – der Hauptdarsteller im Comic „Dickie und die Villa der Vagabunden“. PETBOOK sprach mit Autor Dr. Marcus Leonhardt über seine Beweggründe zum Buch und die traurige Realität hinter der Geschichte.
Welpe Dickie hat keinen guten Start ins Leben: Erst soll er im Fluss ertränkt werden, wird jedoch in letzter Minute gerettet, nur, um dann schließlich über den Zaun des Tierheimes geworfen zu werden. Dort bleibt er lange im Schnee sitzen – „Ich werde doch gleich wieder abgeholt.“ In dem Comicbuch „Dickie und die Villa der Vagabunden“ erzählen die Autoren Marcus Leonhardt und Axel Witte die Geschichte von Vierbeinern, die von ihren Menschen verlassen wurden. Ein Schicksal, das allein in Deutschland jährlich tausende Tiere trifft.
Wie finden sich Hunde zurecht, wenn sie plötzlich im Tierheim landen? Wie würden sie sich erklären, was ihnen widerfahren ist? Diese Fragen versuchen Leonhardt und Witte in ihrer Parabel zu beantworten. Doch was inspirierte die Autoren zu der Geschichte und warum erzählen sie diese in Form eines Comics – einer für Tiergeschichten eher ungewöhnlichen Art der Darstellung? Diese Fragen stellte PETBOOK Dr. Marcus Leonhardt, der von Beruf Humanmediziner ist und dessen eigener Hund eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des Buches spielte.
»Es war ein besonderer Moment, als Riesenschnauzer Carlos in mein Leben kam
PETBOOK: Herr Leonhardt, das Buch „Dickie und die Villa der Vagabunden“ steigt mit einer recht dunklen Szene ein: Hund Dickie soll im Fluss ertränkt werden und entgeht nur knapp dem Tod. Gab es wahre Ereignisse in Ihrem Leben, die Sie zu der Geschichte inspiriert haben?
Dr. Marcus Leonhardt: „Glücklicherweise musste ich noch keine ‚Nahtoderfahrung‘ erleben. Aber natürlich gab es Momente, in denen auch ich dachte, es geht nicht weiter. Dazu kommt der Faktor, dass ich ja eigentlich Arzt und in der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika tätig bin. Auch in diesem Kontext erlebe ich viel Leid, häufig eine als solche empfundene Ungerechtigkeit. Umso schöner ist es, und umso dankbarer war und bin ich, wenn es doch immer wieder Hoffnung, neue Ziele oder auch eine helfende Hand gibt, die dazu verhilft, nicht aufzugeben.“
Gab es einen konkreten Auslöser für die Entscheidung, die Geschichte von Dickie und den Vagabunden zu erzählen?
„Es waren mehrere Auslöser. Zum einen wollten mein Co-Autor Axel Witte und ich uns an einem für uns neuen Sujet und Format probieren, einem Kinofilm im Bereich ‚Family Entertainment‘. Und zum anderen war es natürlich der besondere Moment, als Carlos, mein Riesenschnauzer, in mein Leben kam. Seine Erfahrungen, sein Lebensweg bis dahin, waren die Inspiration.“
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„Ich denke, dass es viele Tiere gibt, die das Schicksal erfahren, plötzlich nicht mehr gewollt zu sein“
Haben Sie für das Buch auch Recherche betrieben? Haben Sie zum Beispiel mit Tierheimmitarbeitern oder Tierschützern gesprochen?
„Generell gibt es in meinem Leben viele Menschen mit einer ausgeprägten Liebe für Tiere, mit denen wir natürlich über das Thema gesprochen haben. Aber auch ganz konkret war ein Tierheim, zumindest indirekt, involviert. Die inzwischen leider verstorbene Frau meines Co-Autors Axel war Journalistin, die den damaligen Umzug des Berliner Tierheimes von Lankwitz nach Marzahn begleitet hat. Während eines Interviews erreichte das Tierheim die Nachricht, dass ein einjähriger Riesenschnauzer quasi vor der Tür gestanden habe. Susanne erinnerte sich daran, dass mein vorheriger Hund gerade gestorben war. Ein Anruf – ‚Willst du ihn dir nicht wenigstens mal angucken?‘ – und wenige Stunden später wurde Carlos zu unserem Familienhund für den Rest seines Lebens.“
Gab es Vorbilder für die tierischen Protagonisten? Zum Beispiel die eigenen Hunde oder Tiere aus dem Bekanntenkreis?
„Ich denke, dass es viele Tiere gibt, die das Schicksal erfahren, plötzlich nicht mehr gewollt zu sein, überflüssig für andere Lebensplanungen werden. Das Buch soll ein kleines bisschen dazu beitragen, zum Nachdenken anzuregen, dass der Umgang mit Tieren auch mit großer Verantwortung einhergeht. Und manchmal habe ich den Eindruck, dass unser eigener Umgang mit Tieren, deren Reaktion auf uns, uns einen gewissen Spiegel vorhält.“

„Könnt ihr das nicht alles auf Fische drehen?“
Und gab es auch Vorbilder für die menschlichen Protagonisten? Zum Beispiel für Gerald, den Tierheimbesitzer, dem die ganze Sache über den Kopf wächst, oder Mercedes, die Frau, die Dickie letztendlich über den Zaun des Tierheims wirft, weil er nicht in ihr Lebenskonzept passt.
„Vermutlich kennen wir alle solche Charaktere. Die etwas charmant-verpeilten, die vieles gut meinen, aber nicht gerade entscheidungsfreudig sind. Wir erleben Menschen, die mit Schicksalsschlägen zu kämpfen haben, und an ihrer eigenen Kraft zweifeln. Es gibt aber auch die ‚Selbstoptimierer‘, deren Lebensziel oder Identität darauf beruht, einer Erwartungshaltung, einem von außen entworfenen Bild von sich gerecht zu werden. Der Wunsch nach Individualität ist toll und zutiefst menschlich. Es lag uns aber daran, eine Geschichte zu erzählen, die die Schönheit und Bedeutung des Gemeinwohls vermittelt.“
Eigentlich war die Geschichte von „Dickie und die Villa der Vagabunden“ als Film geplant – warum hat das nicht geklappt?
„Es war unser – vermutlich etwas naiver – Wunsch, den Film mit echten Hunden zu drehen. Allerdings haben wir uns zu wenig Gedanken über die dafür notwendigen Kosten gemacht. Wir hatten einen Oscar-prämierten Regisseur gefunden und auch Tiertrainer. Wir hätten für jeden Protagonisten aus Tierschutzgründen (Drehzeit pro Tag etc.) aber jeweils mehrere Hunde gebraucht. Das Vorhaben wurde einfach viel zu teuer. Die Technik der Animationsfilme war noch nicht ausreichend entwickelt. Und dann hätten wir beim Versuch, den Stoff doch noch irgendwo unterzubringen, unheimlich viele Kompromisse machen sollen.“
Welche waren das konkret?
„Die Geschichte entsprechend den Wünschen oder dem aktuellen Trend entsprechend zu verändern. Dabei haben wir gespürt, dass wir uns immer mehr von unserer ursprünglichen Idee entfernen. Um das vielleicht absurdeste Beispiel zu nennen: ‚Tolle Geschichte. Aber ihr wisst doch, Nemo ist gerade der Renner … so was müssten wir machen! Könnt ihr das nicht alles auf Fische drehen?‘ Tja, so landete das ursprüngliche Drehbuch dann für viele Jahre in der Schublade.“
„Letztlich verstehen wir unsere Geschichte als Parabel“
Was war Ihnen bei der Umsetzung als Comic wichtig?
„Weder Axel noch ich waren je begeisterte Comicleser. Aber wir hatten die Bilder unserer Geschichte ganz genau, in jedem einzelnen Detail im Kopf. Mit Annelie Wagner haben wir eine Illustratorin gefunden, die diese Bilder ‚zum Laufen‘ gebracht und umgesetzt hat. Mit sehr viel Inspiration, eigenen Ideen und Liebe zum Detail.“
Hatten Sie als Kind oder Jugendlicher auch schon eigene Hunde? Inwiefern haben diese die Geschichte inspiriert oder beeinflusst?
„Der erste Hund war schon vor mir da. Ich bin zu einer Familie mit Hund dazu gekommen. Ich hatte schon immer Hunde. Das gemeinsame Aufwachsen, die Sozialisation, die täglichen Spaziergänge sind zu einem sehr prägenden Element geworden.“
Man soll Tiere ja nicht vermenschlichen. In der Geschichte wird dies aber bewusst gemacht. Glauben Sie, dass Hunde so oder so ähnlich fühlen, wenn sie von ihren Menschen verlassen werden?
„Das weiß ich natürlich nicht. Letztlich verstehen wir unsere Geschichte als Parabel. Als Metapher dafür, wie es sein könnte. Tierische und menschliche Verhaltensweisen werden miteinander verwoben. Emotionen geweckt, hoffentlich auch ein bisschen zum Nachdenken angeregt – zu Fantasie und zum Träumen. Wenn dies zu einem Reflektieren über ein respektvolles und empathisches Miteinander anregt, dann würden wir uns freuen. Wir wollen die Sache nicht größer machen, als sie ist. Wollen nicht sagen, dass ‚Tiere die besseren Menschen sind‘. Aber, um es dann doch etwas zu überhöhen, möchte ich an dieser Stelle den amerikanischen Schauspieler Bill Murray zitieren: ‚Ich misstraue Menschen, die Hunde nicht mögen. Aber ich traue jedem Hund, wenn er einen Menschen nicht mag.‘“

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„Das Buch war die rein privat finanzierte Umsetzung eines Traums“
Was würden Sie zukünftigen Hundehaltern gerne mit auf den Weg geben?
„Ich bezweifele, dass mir die Rolle eines Ratgebers zusteht. Ich würde allen empfehlen, sich der Verantwortung im Umgang mit Tieren bewusst zu sein. Aber auch offen zu sein für das Glück, das durch die Liebe von und zu Tieren entsteht.“
Wird es eine Fortsetzung von „Dickie und die Villa der Vagabunden“ geben?
„Die Geschichte, die Bilder, haben wir im Kopf. Aber auch die Entstehung des aktuell vorliegenden Buches war ja die rein privat finanzierte Umsetzung eines Traums. Ohne die notwendige Unterstützung im Marketing und in der Öffentlichkeitsarbeit werden wir die Fortsetzung kaum umsetzen können. Aber vielleicht findet sich ja doch noch die dafür nötige Unterstützung. Eigentlich lädt die Geschichte dazu ein. Oder zur Umwandlung in eine Animationsfilmserie. Wir wären dafür sehr offen.“