6. Oktober 2023, 13:41 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Zwischen Pipi-Tagebuch, Beziehungskrise und Welpen-Nachtschicht-Plänen – PETBOOK-Autorin Manuela Lieflaender schreibt über das wahre Leben mit dem Australien-Shepherd-Junghund Elvis und ihrem Lebensgefährten Volker. Vor kurzem entwickelte Elvis ein gesundheitliches Problem. Er biss sich immer wieder in den Schwanz und andere Körperteile. Mitlerweile sucht sie das Problem bei sich selbst …
Ich habe mich nicht getraut, in unserer Welpenkäufer-WhatsApp-Gruppe danach zu fragen, ob einer von Elvis Wurfgeschwistern ähnliche Probleme hat. Weiß nicht mal genau, warum nicht. Vielleicht, weil ich nicht hören will, dass Elvis der einzige ist, der sich in die Rute, in die Hoden, in die Beine und-was-weiß-ich-wo-sonst-noch-hin beißt.
Wer gibt schon gerne zu, dass sein Hund verhaltensauffällig ist?
Da macht es mehr Spaß, zu erzählen, wie schlau der Jungrüde ist und dass ihm Dinge höchstens zweimal „erklärt“ werden müssen, bis er sie perfekt umsetzen kann. Ja, da ist Mama stolz.
Zumindest so lange, bis Volker zu mir sagt: „Er beißt sich nur, wenn du in der Nähe bist. Wenn ich mit ihm alleine bin, macht er das nur ganz selten.“ Na toll. Heißt das etwa, ich mache den Hund verrückt?
Auf der Suche nach der Ursache und der Lösung des Problems finde ich mich im Zoom-Call mit Cinta Hamacher wieder. Sie ist Hundetrainerin und Dozentin an der ATN (Akademie für angewandte Tierpsychologie und Tierverhaltenstraining). Ihr Schwerpunkt ist die angewandte Verhaltensanalyse.
Elvis wird analysiert
Damit sie analysieren kann, warum Elvis sich vor allem in Rute und Hoden beißt, habe ich Cinta Videos davon geschickt. „Mein erster Gedanke dazu ist, dass du zunächst medizinisch abklären lassen solltest, ob es an den Analdrüsen liegt. Viele junge Hunde, die verstopfte Analdrüsen haben, beißen sich in diesen Körperregionen. Denn sie wissen gar nicht genau, woher die Beschwerden kommen. Und ein Verhalten dieser Art kann auf Schmerzen hinweisen.“
Sind das Schmerzen oder einfach nur Frust?
Auf der Verhaltensebene will Cinta die Vorboten wissen und, ob das Verhalten von den Bezugspersonen unterbrochen werden kann. Diese Vorboten können sein, dass Elvis beim Abendbrot unter dem Esstisch liegt, auf einem Kunststoff-Knochen und dabei leise vor sich hin „jault“.
„Kauen bereitet auf die Nahrungsaufnahme vor. Es kann frustrierend sein für Elvis, wenn er auf dem künstlichen Knochen herumkaut und nur der Kunststoff-Geschmack bleibt. Ich empfehle dir auf Kauartikel umzusteigen, bei denen er einen schnellen Erfolg. Zum Beispiel eine Schleckmatte oder einen gefüllten Kong. Alternativ legst du eine Decke neben deinen Platz und lässt in kurzen Abständen immer wieder ein Leckerchen fallen. Wichtig ist, dass du Frust bei ihm vermeidest.“
Cinta weiß, vor dem Rute beißen und Rute jagen, gibt es immer ein Verhalten, dass davor gezeigt wird. Elvis baut vorher kurz Blickkontakt auf und beißt sich dann in den Rutenansatz. „Wenn er dich anguckt, solltest du reagieren, am besten, noch bevor er in die Rute beißt. Zum Beispiel mit dem ‚Handtouch‘.“ (Dabei lernt der Hund, dass es für das kurze Berühren der Hand mit der Nase ein Leckerli gibt – Anm. d. Red.).
Ziel der Übung ist, dass Elvis das Rutebeißen nicht als Strategie zur Stressbewältigung nutzt. „So wie manche Menschen bei Stress und Frust an ihren Fingernägeln kauen, beißen manche Hunde sich selbst.“
Wie sieht der Tag aus der Perspektive von Elvis eigentlich aus?
Aber womit hat Elvis eigentlich Stress? „Versuch mal, das, was Elvis am Tag erlebt, aus seiner Sicht zu betrachten. Nehmen wir an, er nimmt sich ein Kissen vom Sofa und bekommt ein Abbruchsignal. Dann wird ihm das Kissen weggenommen. Als Nächstes klaut er die Zeitung vom Tisch und sie wird ihm weg genommen. Er kaut auf einem künstlichen Knochen, hat aber kein Erfolgserlebnis. Das ist wie, als wenn bei dir morgens die Kaffeemaschine nicht funktioniert, der Drucker spinnt und du kein Internet hast – wie fühlst du dich dann? Wahrscheinlich bist du frustriert.“
Es geht also am Ende darum, zu identifizieren, was den Rüden am Tag frustriert bzw. gestresst hat. Und natürlich, welche Erfolgserlebnisse wir ihm verschaffen können, damit sein Erfolgskonto im Gleichgewicht ist.
„Dazu baust du das Training und die Übungen immer so auf, dass Elvis Erfolg haben kann. Außerdem ist es wichtig, ihm richtiges Verhalten beizubringen, statt ihn zu korrigieren.“
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Muss ich komplett umdenken?
Muss Elvis nicht auch lernen, Frust auszuhalten? „Frustrationstoleranz bzw. das Aushalten von Frust ist wahnsinnig wichtig und muss gelernt werden. Viele Übungen sorgen aber eher dafür, dass Hunde für Frust sensibilisiert werden, anstatt dass sie eine Toleranz entwickeln. Hinzukommt, dass der Teil des Gehirns, der diese Fähigkeit mitbringt, in der Pubertät neu strukturiert wird und die Hunden das Warten schwerfällt. Die Übungen müssen also gehirngerecht aufgebaut werden, sodass der Hund es meistern kann. Frustration ist nämlich oft eine Ursache für Angst und Aggressionsverhalten.“
Puh, jetzt sind wir in der Neurobiologie und das ist ein komplexes Thema. Bis dato bin ich davon ausgegangen, im ersten Lebensjahr geht es in erster Linie darum, dem jungen Hund das Warten, eine gute Frustrationstoleranz und Ruhe beizubringen. Dabei gehe ich nach meinem Bauchgefühl.
Was sagt die Fachfrau, wie viel Frust muss Elvis tolerieren können und wann ist es zu viel? „Das ist sehr individuell. Zu viel ist es in jedem Fall, wenn der Hund es deutlich kommuniziert, in dem er jault oder gar bellt. Zu viel ist es für mich auch, wenn ich im ganzen Hund eine Anspannung sehe. Das fällt mir irgendwann auf die Füße.“
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Bin ich der Auslöser dafür, dass Elvis sich beißt?
Am Ende des Gesprächs fällt mir auf, dass Cinta gar nicht darauf eingegangen ist, ob ich vielleicht der Auslöser für das „Problemverhalten“ von Elvis bin? „Das spielt keine Rolle. Dass der Hund zu den Personen im Haushalt eine unterschiedliche Beziehung hat, ist klar. Aber die basiert in erster Linie darauf, was er im Umgang mit der Person gelernt hat. Hier geht es darum, herauszufinden, welche medizinischen Gründe es möglicherweise gibt und Elvis auf der Verhaltensebene alternative Strategien zu bieten.“
Ein paar Tage später bin ich mit Elvis beim Tierarzt. Ihm wird Blut abgenommen, seine Haut und sämtliche Regionen seines Körpers werden bis hin zum Gangbild gründlich untersucht. Das vorläufige Ergebnis ist relativ ernüchternd. Es kann nämlich erst mal nichts festgestellt werden. „Ein schwieriger Fall“, sagt die Tierärztin.
Fortsetzung folgt.
Noch nicht genug von Welpe Elvis bekommen, dessen Marotten seine Besitzer stressen? Lesen Sie auch die anderen Folgen der Kolumne von Manuela Lieflaender:
- Folge 1: „Momentan haben wir tatsächlich kein eigenes Leben mehr“
- Folge 2: „Am Ende des Tages ist die erste Seite des Pipi-Tagebuchs voll“
- Folge 3: „Jetzt hab ich richtig Puls und halte an“
- Folge 4: „Der Hund und ich, wir stressen uns gegenseitig“
- Folge 5: „Der Hund beißt sich in den Schwanz! Was ist bloß mit Elvis los?“