18. August 2023, 10:06 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Viele Menschen beschleicht beim Gedanken an den nächsten Zahnarztbesuch ein ungutes Gefühl, bei einigen ist es sogar blanke Panik. In diesem Fall spricht man von einer „Dentalphobie“, die dafür sorgen kann, dass Angstpatienten trotz akuter Zahn-Beschwerden keinen Arzt aufsuchen. Das kann dramatische Folgen haben. So weit möchte es eine Berliner Zahnärztin aber nicht kommen lassen und setzt nun Therapiehunde ein, um Patienten die Angst vor dem nächsten Zahnarztbesuch zu nehmen.
Zahnärztin Dr. Birte Habedank (45) ist deutschlandweit die Erste, die laut eigener Aussage, ihren Patienten auf Wunsch einen Therapiehund während der Zahnbehandlung zur Seite stellt. So soll ihren überwiegend jungen Patienten die Angst vor dem Zahnarzt genommen und stattdessen Vertrauen geschaffen werden. Mit dabei ist der neunjährige Pinscher Peppi, der einst vom Tierschutz aus Spanien gerettet wurde und jetzt mit seiner Halterin in einer Berliner Zahnarztpraxis arbeitet. Dieses Modell kommt an, denn mittlerweile wird mit der zweijährigen Pinscher-Dame Ava – ebenfalls aus dem Tierschutz – der zweite Therapiehund für die Kinder- und Jugendzahnärztin ausgebildet.
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PETBOOK: Wie sind Sie darauf gekommen, in Ihrer Praxis Patienten einen Therapiehund zur Seite zu stellen?
Dr. Birte Habedank: „Auf die Idee bin ich gekommen, als ich meine Großmutter in einem Altenheim für Demenzkranke besucht habe. Dort hatte ich oft meinen ersten Hund dabei und habe im Aufenthaltsraum gemerkt, dass sich die Atmosphäre immer total verändert hat, sobald ich mit dem Hund den Raum betreten habe. Die Menschen saßen dort sonst immer in Stille und einer gewissen Traurigkeit zusammen, aber als dann mein Hund durch den Raum tobte, lebten die Menschen plötzlich auf und freuten sich. Sie haben mit dem Hund interagiert und es herrschte eine gute Stimmung. Das hat mich wirklich beeindruckt. Da ich viel mit Kindern arbeite, die Angst haben, weil sie im Vorfeld schlechte Erfahrung gemacht haben, habe ich eine Weiterbildung in traumaorientierter Therapie gemacht. Dabei wurde viel über Therapiehunde gesprochen, die für Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen eingesetzt werden. Das hat mich neugierig gemacht.“
Hat Ihr Hund dann ein Training zum Therapiehund absolviert?
„Ja, das hat er. Es gibt verschiedene Ausbildungsstätten. Ich habe das beim Berufsverband für Therapie- und Behindertenbegleithunde gemacht. Das kann man berufsbegleitend machen. Mensch und Tier werden zusammen in Theorie und Praxis ausgebildet.“
Die Therapiehunde arbeiten beim Zahnarzt intuitiv und eigenständig
Wie muss man sich ein Aufeinandertreffen von Patient und Therapiehund bei Ihnen in der Praxis vorstellen?
„Das ist immer situationsabhängig. Ich hole die Kinder meist im Wartezimmer ab und habe einen der Therapiehunde dabei. Ich stelle mich dann den Kindern vor: ‚Hallo, ich bin Dr. Birte, die Zahnärztin. Das ist hier meine Assistenz, Peppi oder Ava.‘ Je nachdem, welchen von beiden ich dabei habe. Ab diesem Zeitpunkt ist das Thema Zahnarzt eigentlich schon vergessen, weil ich die Kinder einbeziehe und sie beispielsweise bitte, die Leine zu halten etc. Plötzlich sind die Kinder in einer anderen Welt. Sie freuen sich, streicheln den Hund und sind ganz fasziniert.“
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Geht es dabei darum, die Patienten durch die reine Anwesenheit der Hunde von ihrer Angst abzulenken?
„Ja. Aber wenn die Kinder große Angst haben, unterstützt der Hund dabei, erst einmal den Raum zu zeigen. Dann hüpft er eventuell auf den Zahnarztstuhl und wir fahren damit hoch und runter. Der Hund kann aber auch Zähne zeigen und helfen zu veranschaulichen, wie alles beim Zahnarzt funktioniert. Oder er kuschelt sich an den Patienten und die Kinder streicheln ihn. Der Hund reagiert auch, wenn die Kinder sehr angespannt sind. Interessanterweise fangen sie dann an zu schnüffeln und die Hände der Kinder zu lecken. Man merkt, wie der Hund von sich aus beschwichtigt. In solchen Fällen lasse ich sie selbstständig arbeiten, ohne ihnen zu sagen, was sie machen sollen. Das machen sie intuitiv echt gut.“
So streng ist ihr Hygiene-Konzept in der Zahnarztpraxis
Werden die Hunde nur bei Kindern eingesetzt oder auch bei erwachsenen Patienten?
„Meistens bei Kindern, aber wir hatten auch schon eine 85-jährige Dame, die sich das gewünscht hat. Sie hat sich unglaublich gefreut.“
Haben manche Patienten Bedenken wegen der Hygiene?
„Wir haben ein sehr strenges Hygiene-Konzept. So haben die Hunde einen eigenen Eingang und Reinigungsbereich. Dort geht es in ihre eigenen Arbeitsklamotten – und die sind jeden Tag frisch. Genauso wie bei uns auch. Die Tiere bekommen dann täglich die hygienesensiblen Bereiche gereinigt, etwa den Po. Die Mundhöhle reinigen wir täglich mit einer Ultraschallzahnbürste und einem antibakteriellen, aber tierfreundlichen Reinigungsmittel. Außerdem bekommen sie viermal im Jahr eine professionelle Zahnreinigung, haben auch Versiegelungen von den kleinen Rillen in den Zähnen – also quasi wie bei uns Menschen.“ (lacht)
Wie sieht der Rückzugsort der Hunde aus?
„Jeder hat seine eigene, kleine Hütte. Die beiden müssen nicht immer arbeiten. Manchmal macht es nur einer. Es gibt auch Zeiten, da wollen beide ein Päuschen machen.“
„Von der Müllkippe auf den Ku’damm“
Ist es schon mal vorgekommen, dass die Hunde einen Patienten nicht mochten?
„Nö. (lacht) Hunde sind ja ehrlich. Entweder sie spiegeln, dass der Mensch sich freut, oder sie spiegeln Zurückhaltung. Sie bespringen auch nicht jeden. Sie schnüffeln vielleicht kurz und gehen dann zur Seite.“
Was ist Ihre schönste Erinnerung mit den Hunden?
„Ach, die schönsten Erinnerungen sind immer, wenn man große Fälle hat, von denen man weiß, es sollte eigentlich eine Vollnarkose werden. Wenn die Kinder am Anfang sehr weinen, später dann aber den Hund festhalten, innig mit ihm schmusen und ihn als Freund sehen. Wenn wir es dann ohne Narkose in mehreren Sitzungen schaffen und nach der dritten Sitzung keine Tränen mehr fließen und nur noch das Glück und die Liebe zu diesem Hund zurückbleibt. Das Vertrauen, dass der Hund geholfen hat – das ist immer unglaublich schön.“
Wie war für Sie die Erfahrung, einen Hund aus dem Tierschutz zum Therapiehund auszubilden?
„Super. Ich sag’ mal so: von der Müllkippe auf den Ku’damm – die Ausstiegskarriere ist echt beeindruckend. Mehr geht nicht.“ (lacht)
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Der Effekt der Therapiehunde ist eindeutig: „Ich muss weniger Schmerzmittel geben“
Ist der Effekt auf Schmerz- und Angstpatienten deutlich?
„Er ist wirklich deutlich. Ich muss weniger Schmerzmittel geben. Das ist wirklich irre.“
Wie gehen denn die Hunde mit dem Trubel und den Fremden in der Praxis um?
„Da beide relativ offen sind und im Vorfeld auch getestet wurde, wie ihr Umgang mit Menschen ist, ist das überhaupt kein Problem. Sie sind beide sehr offen, freundlich und menschenbezogen. Das ist auch Voraussetzung, damit ein Hund so etwas machen kann. Man kann es zwar trainieren, aber für einen an sich ängstlichen Hund wäre das eine Qual.“
Und wie ist es mit Bohren? Haben die Hunde Angst vor dem Lärm?
„Nein, ich habe sie lange eingewöhnt. Erst mal nur mitgenommen und die Gerüche gezeigt. Dann waren sie während einer Behandlung mal im Häuschen mit dabei. Und wegen des Bohrens: Ich habe ja nur Kinderzähne. Die sind wirklich klein – da kann man nicht lange dran herumbohren. Meine Bohrzeit ist zwei bis drei Sekunden. Man denkt immer, Zahnärzte machen da dran ewig herum. Das ist aber Quatsch.“
Gibt es zum Schluss noch eine Anekdote aus Ihrem Arbeitsalltag mit Therapiehunden, die Sie gerne mit uns teilen möchten?
„Hunde mögen keinen Nagellack. Wir hatten mal zur Beruhigung, wenn die Kinder eine Pause gebraucht haben, für Mädchen Nagellack im Angebot und die Fingernägel angemalt. Ich habe aber nicht bedacht, dass der Geruch für den Hund zu stark ist. Alles andere geht, aber Nagellack? Furchtbar. Ich habe nur noch ein Würgen gehört – und plötzlich hatte der Lieblingspullover des Kindes eine andere Farbe. Nagellack gibt es nicht mehr bei uns.“ (lacht)