
16. April 2025, 17:34 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Seit dem 15. April ist der sogenannte Schutzhundesport in Österreich für Privatpersonen verboten. Ein emotionales Video von Hundetrainer Martin Rütter hatte auch in Deutschland das Thema aufkochen lassen. Mehrere Hundeexperten wie Hundepsychologe Marc Ebersbach sprechen sich aber öffentlich gegen ein pauschales Verbot von Schutzhundesport in Deutschland aus.
Seit Mitte April ist in unserem Nachbarland Österreich jegliche Form der Hundausbildung, „die aggressive Verhaltensweisen wie Beißen oder Angriffsverhalten fördert“ untersagt.1 Kurzum: Privatpersonen ist es in Österreich verboten, den sogenannten Schutzhundesport auszuüben. Dabei handelt es sich um eine Sportart für Vierbeiner und ihre Halter, die zwar manchmal etwas rau erscheinen mag, aber grundsätzlich guten Absichten folgen soll, wie Befürworter sagen.
So sollen Hund und Hundeführer körperlich und geistig gefordert werden. Die Komponenten Fährtenarbeit, Unterordnung und Schutzdienst sollen zu einer Einheit verschmelzen und Gehorsam, Instinktsicherheit, Belastbarkeit und Teamfähigkeit des Hundes auf ein höheres Niveau heben. In den letzten Wochen ist das Thema aber auch hierzulande enorm aufgekocht und nach einem Video des Hundetrainers Martin Rütter wurden teilweise auch Forderungen nach einem Verbot in Deutschland laut. Hundepsychologe Marc Ebersbach sieht die Sache differenzierter und sprach mit PETBOOK über Schutzhundesport, die Kontroverse und Martin Rütter.
„Martin Rütter wird nun vorgeworfen, fachlich nicht differenziert zu argumentieren“
PETBOOK: Warum kocht das Thema um ein mögliches Verbot des Schutzhundesports gerade so hoch?
Marc Ebersbach: „Die Debatte wurde neu entfacht, weil Österreich den Schutzhundesport für Privatpersonen verboten hat. Martin Rütter hat dieses Thema aufgegriffen und ein emotionales Video veröffentlicht, in dem er pauschal Kritik am Schutzhundesport und seinen Betreibern übt. Ein Zitat von ihm lautet sinngemäß: ‚Es geht den Betreibern nur um Machtdemonstration gegenüber dem Hund.‘ Diese pauschale Verurteilung hat viele getroffen. Ihm wird nun vorgeworfen, fachlich nicht differenziert zu argumentieren. Also, dass er Äpfel mit Birnen verwechselt. Darum ist das Thema gerade so präsent. Es kocht vielleicht auch deshalb gerade so hoch, weil die Hundewelt hier sehr gespalten ist.“
Wie meinen Sie das?
„Wenn wir uns die Hunderassen anschauen, dann haben wir Rassen, die unter geringer Spannung stehen und wir haben Rassen, die unter relativ hoher Spannung stehen. Unter einer geringen Spannung stehen beispielsweise der Labrador oder alle Arten von Retrievern. Die sind einfach eher cool und lässig. Dann gibt es Hunde mit hoher Spannung oder einer grundsätzlich höheren Anspannung – zum Beispiel Malinois oder Herder. Diese Hunde haben ein hohes Aktivitätsniveau und starke nach vorne gerichtete Arbeitsinstinkte.
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Die Fronten sind verhärtet
Diese unterschiedlichen Voraussetzungen führen zu sehr verschiedenen Herangehensweisen in Haltung und Training. Und sie führen zu einer ausgesprochenen Frage: Warum lege ich mir überhaupt so einen Hund zu? Und was tue ich, um ihn zumindest geistig auszulasten und in seinen Instinkten, die ihm durch die Zucht mitgegeben wurden, zu kontrollieren? Die einen können die anderen nicht verstehen. Es ist fast wie mit zwei Kulturen, die sich grundsätzlich nicht verstehen. Und auch nichts anfangen können mit der Frage des anderen, warum man so lebt, wie man lebt. Oder warum man Dinge so macht, wie man sie macht. Aber genau hier verläuft die Verständigungslinie durch die Hundewelt.“
Es gibt das Lager, dass Martin Rütter vorwirft hier zu emotional und nicht faktenbasiert zu urteilen. Wer sind diese Lager?
„Das kann ich so nicht pauschal beantworten, weil ich natürlich keinen Überblick darüber habe, wer ihm was genau vorwirft. Was ich aber sagen kann: In der Hundeszene gibt es unterschiedliche Lager – und je nach Haltung zum Hundetraining fällt die Einschätzung zu Martin Rütter unterschiedlich aus.
Diejenigen, die mit Hunden arbeiten, die unter Spannung stehen oder ein aggressives Stressverhalten zeigen, stimmen mit Rütters Ansatz tendenziell nicht überein. Sie setzen meist auf kontrollierendes Training, das auch klare Grenzen einfordert. Auf der anderen Seite stehen all jene, die sich einen entspannten Hund an der Seite des Menschen wünschen – ein Hund, der einfach Hund sein darf – ähnlich einem Straßenhund, der sich frei und gelassen verhält. Diese Gruppe stimmt Rütters Philosophie eher zu.
„Viele Probleme, die Martin Rütter benennt, betreffen nicht nur den Schutzhundesport, sondern die Hundehaltung insgesamt“
Hier verläuft eine klare Trennlinie – und die geht gewissermaßen auch durch unser Land. Wie groß die jeweiligen Gruppen sind, kann ich nicht sagen. Aber grundsätzlich gilt: Wer ausschließlich mit positiven Methoden arbeitet und auf Motivation setzt, steht Rütter näher. Wer hingegen der Meinung ist, dass ein Hund auch Grenzen kennenlernen und seine Verhaltensinstinkte kontrollieren müsse, sieht das eher kritisch.
Wie stehen Sie grundsätzlich zum Schutzhundesport?
„Ich sehe beide Seiten: Es gibt sehr positive Aspekte – gerade bei verantwortungsvoller Ausübung. Aber es gibt aber auch kritische Punkte, vor allem bei Übertreibung und unseriösen Strukturen. Was ich bei Martin Rütters Aussage problematisch finde, ist die Pauschalisierung. Er stellt das alles sehr einseitig dar. Dabei betreffen viele Probleme, die er benennt, nicht nur den Schutzhundesport, sondern die Hundehaltung insgesamt.
Was wäre Ihrer Meinung nach notwendig, um diese Probleme anzugehen?
„Wir müssen viel grundsätzlicher ansetzen. Wer darf sich überhaupt einen Hund halten? Wer darf bestimmte Rassen halten? Welche Qualifizierung braucht es? Wer kontrolliert das? Sind die Veterinärämter in ihrer jetzigen Struktur überhaupt in der Lage, das zu leisten – oder braucht es regionale Tierschutzbeauftragte, die Kontrolle und Beratung übernehmen? Ich will da wirklich ein großes Fass aufmachen.“
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„Der Schutzhundesport gehört meiner Meinung nach nicht verboten, aber stärker kontrolliert und reglementiert“
Jetzt werden ja unter anderem durch Martin Rütter Forderungen nach einem Verbot für diesen Sport laut. Gehört der Schutzhundesport ihrer Meinung nach denn verboten?
„Er gehört meiner Meinung nach nicht verboten, aber stärker kontrolliert und reglementiert. Allgemein kann ich sagen: Es gibt Stress, mit dem der Hund vertraut ist, beispielsweise mit jagdlich motiviertem Stress. Bei seriösem Training im Schutzhundesport wird der Hund nur mit dieser Form von Stress konfrontiert, denn es wird lediglich jagdlich motiviertes Beutefangverhalten inszeniert und kontrolliert. Denn nichts anderes als Beute ist der Armdummy für den Hund. Würde ich nämlich den Schutzarm wegwerfen, würde der Hund der Beute – nämlich dem Arm – hinterherlaufen und nicht mehr den Menschen angreifen.
Hier liegt auch ein großes Missverständnis: Viele glauben, man würde den Hunden das Beißen beibringen. Das ist natürlich Blödsinn. Ich muss einem Hund das Beißen nicht beibringen. Wenn er sich bedroht fühlt, geht er entweder in die Flucht oder in den Angriff, je nach Persönlichkeit. Das muss ich nicht trainieren. Im Schutzhundesport haben wir also nicht Hunde, die lernen sollen zu beißen, sondern die lernen, dass sie ihre Instinkte unter Stress und unter Anleitung ihres Menschen zurücknehmen und dadurch kontrollierbar werden. Wenn wir uns also darauf einigen können, dass es bei diesem jagdlichen motivierten Stress in moderater Art und Weise bleibt, dann bin ich dem Schutzhundesport gegenüber positiv eingestellt.“
Ok, und was würde Ihrer Meinung nach gegen diesen Sport sprechen?
„Wenn wir sagen, dass es nicht bei diesem jagdlich motivierten Stress bleibt, sondern zusätzlicher Stress hinzukommt, beispielsweise durch diese Knüppel, mit denen um den Hund herumgefuchtelt wird, um ihn ‚noch stressbelastbarer‘ zu machen, dann sehe ich das kritisch und für den Hund äußerst bedenklich. Dieser Stress kann Hunde überfordern und daher sollten diese Methoden aus Sicht des Tierschutzes und möglicher Sicherheitsrisiken verboten werden.“

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„Wenn wir Schutzhundesport verbieten, findet er illegal in den Hinterhöfen statt“
Aber ich bin generell kein Freund von Verboten. Denn wenn wir es verbieten, findet es illegal in den Hinterhöfen statt. Wichtiger ist mir ein Austausch über die Fragen: Was tut den Hunden gut, was tut ihnen nicht gut? Also wo hört es auf? Und zu der Frage: Wie können diejenigen, die das machen wollen, garantieren, dass das auch fachlich qualifiziert gemacht wird? Also wer bildet diese Leute aus? Wer gibt die Richtlinien vor? Wer kontrolliert ihre Arbeit? Das wären die Fragen, die man sich stellen müsste. Diese müsste geklärt werden, damit die Trennlinie zwischen ‚es ist nützlich‘ und ‚es ist schädlich‘ sauber gezogen wird.“
In Ihrem Video zu diesem Thema haben Sie auch eine Studie zitiert, die für Diskussionen gesorgt hat. Warum?
„Genau, ich habe eine Dissertation aus dem Jahr 2006 von der Uni München herangezogen. Sie ist zwar älter, aber sie ist die Einzige, die sich wirklich differenziert mit der Ausbildung und Beißvorfällen befasst. Kritiker werfen mir vor, dass das zu wenig sei – dabei hat sich Martin Rütter auf gar keine Statistik berufen. Er behauptet einfach, Hunde aus dem Schutzhundesport würden besonders häufig zubeißen – ohne wissenschaftliche Grundlage. Auch Aussagen zum Stressverhalten bei Hunden hat er aus meiner Sicht falsch interpretiert. Und das wird jetzt alles hochemotional diskutiert, ohne saubere Datenbasis. Denn es gibt keine Beißstatistik, die sagt, welcher Hund am meisten zugebissen hat oder welche Form der Hundeausbildung eigentlich die meisten Hunde zum Beißen bringt.“