
16. März 2025, 8:05 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Soll der eigene Hund kastriert werden oder nicht? Diese Frage spaltet Hundehalter wie kaum eine andere. Während einige aus gesundheitlichen oder verhaltensbezogenen Gründen zur Kastration tendieren, fürchten andere die möglichen Nebenwirkungen und den endgültigen Eingriff. Die chemische Kastration scheint hier eine sanftere Alternative zu bieten – doch ist sie wirklich so risikofrei?
Die chemische Kastration gilt als reversible Möglichkeit, einen Rüden temporär unfruchtbar zu machen – ohne Narkose oder Operation. Ein Hormonimplantat unter der Haut soll unerwünschtes Verhalten dämpfen und die Fortpflanzungsfähigkeit unterbinden. Doch Experten warnen: Nebenwirkungen wie Hormonchaos, Aggressivität und körperliche Veränderungen können nicht ausgeschlossen werden.
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Chemische Kastration als Alternative zur OP?
Die klassische Kastration eines Rüden erfolgt operativ und ist unumkehrbar. Doch nicht jeder Halter möchte seinem Hund einen solchen Eingriff zumuten. Eine Alternative ist die chemische Kastration, die eine temporäre Unfruchtbarkeit herbeiführt, ohne dass Körperteile entfernt werden. Tierärztin Dr. Vanessa Herder erklärt dazu im PETBOOK-Interview: „Mit der Kastration des Rüden werden meist zwei zentrale Ziele verfolgt.“
Neben einer Veränderung des Sozialverhaltens sei auch die Kontrolle der Fortpflanzung entscheidend. „Während die Entfernung der Hoden endgültig ist und Reproduktionsfähigkeit sicher eliminiert wurde, ist oft nicht gut vorauszusagen, ob die Veränderung des Sozialverhaltens den gewünschten Effekt erzielt.“
Hier könne die chemische Kastration helfen, so Dr. Herder weiter. „Der Vorteil ist, dass keine Körperteile entfernt werden und die chemische Kastration reversibel ist.“
Wie funktioniert die chemische Kastration?
Bei der chemischen Kastration wird dem Rüden ein kleines Hormonimplantat unter die Haut gesetzt – ähnlich einem Mikrochip zur Kennzeichnung. Der enthaltene Wirkstoff Deslorelin unterbindet die Hormonproduktion in den Hoden und macht den Hund für sechs bis zwölf Monate unfruchtbar.
Vergleichbar ist dieses Verfahren mit dem Verhütungsstäbchen, das manche Frauen im Oberarm tragen. Allerdings setzt die Wirkung nicht sofort ein. Bereits gebildete Spermien verbleiben zunächst in den Nebenhoden, sodass der Hund nicht unmittelbar nach dem Eingriff unfruchtbar ist.
Mögliche Vorteile der chemischen Kastration
- Kein chirurgischer Eingriff nötig: Da keine Narkose oder Operation erforderlich ist, entfällt das Risiko von Komplikationen während oder nach dem Eingriff.
- Reversibilität: Anders als bei der operativen Kastration kann die Wirkung des Hormonchips nach einigen Monaten nachlassen, wodurch der Hund seine Fortpflanzungsfähigkeit zurückerlangt.
- Verhaltensänderung testen: Hundehalter können beobachten, ob die gewünschte Verhaltensänderung tatsächlich eintritt, bevor eine endgültige Kastration in Erwägung gezogen wird.
Nebenwirkungen und Risiken
Trotz der scheinbar schonenden Methode sind die Nebenwirkungen nicht zu unterschätzen. Laut Hundetrainerin Désirée Scheller kann die chemische Kastration massive Verhaltensänderungen hervorrufen: „Viele Tierärzte pflanzen die Hormonchips den Hunden recht wahllos unter die Haut, weil der Halter ausprobieren möchte, ob sich das Verhalten des Vierbeiners dadurch bessert. Kaum ein Tierarzt klärt darüber auf, was für ein Hormonchaos in so einem Hund entsteht.“
Scheller berichtet im PETBOOK-Interview von drastischen Fällen. „Ich habe damals einen Hund bei meiner Mutter gehabt, der auch diesen Hormonchip hatte. Den konnte ich drei Monate lang nicht betreuen, bis sich das alles wieder akklimatisiert hat, weil er uns angegangen ist. Er ist hochgradig aggressiv geworden.“
Neben Verhaltensänderungen gibt es weitere mögliche Nebenwirkungen:
- Hormonelle Schwankungen: Der plötzliche Eingriff in den Hormonhaushalt kann zu Unruhe, Angst oder erhöhter Aggressivität führen.
- Physische Veränderungen: Es kann zu Schwellungen oder Verhärtungen an der Einstichstelle kommen. Die Hoden schrumpfen oft, und das Fell kann sich verändern.
- Gewichtszunahme: Viele Hunde entwickeln eine gesteigerte Fresslust und gleichzeitig ein reduziertes Aktivitätsniveau, was zu Übergewicht führen kann.
Ablauf und Kosten einer chemischen Kastration
Zunächst untersucht der Tierarzt das Tier, um sicherzustellen, dass keine akute Infektion oder andere gesundheitliche Probleme vorliegen. Anschließend wird der Chip mit einem Applikator unter die Haut gesetzt – ähnlich dem Verfahren zur Mikrochip-Kennzeichnung.
Fachtierarzt Axel Wehrend erklärt: „Ein Chip mit einer Wirkung für mindestens ein halbes Jahr kostet etwa zwischen 70 und 90 Euro. Für eine Dauer von einem Jahr müssen zwischen 180 und 190 Euro gezahlt werden. Hinzu kommen die Kosten für die tierärztliche Untersuchung und die Applikation.“

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Ist die chemische Kastration eine gute Wahl?
Die chemische Kastration kann eine sinnvolle Option sein, um die Auswirkungen einer Kastration zunächst zu testen, ohne einen unumkehrbaren Eingriff vorzunehmen. Sie bietet den Vorteil, dass keine Operation notwendig ist und der Hund nach einiger Zeit wieder fortpflanzungsfähig sein kann.
Allerdings birgt sie auch erhebliche Risiken, insbesondere in Bezug auf hormonbedingte Verhaltensänderungen. Fälle von erhöhter Aggressivität oder anderen unerwünschten Reaktionen zeigen, dass Halter diesen Eingriff nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten.
Wer eine Kastration – egal ob operativ oder chemisch – in Betracht zieht, sollte sich eingehend von einem Tierarzt beraten lassen und mögliche Alternativen sorgfältig abwägen.
Mit Material der dpa