23. Oktober 2024, 14:43 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
„Erst muss etwas passieren, damit Hundehalter genauer hinsehen!“ Das ist ein Vorwurf, den man immer wieder von Hundetrainern hört. So kritisieren sie, dass viele Halter ihre Hunde nicht lesen können und es dadurch oft zu kritischen Situationen wie Beißvorfällen kommt, die eigentlich vermeidbar gewesen wären. Denn viele der Hunde hätten vorher Beschwichtigungssignale ausgesendet – doch diese wurden übersehen.
Hunde beißen in der Regel nicht einfach so. Davor senden sie viele verschiedene Signale aus. Doch oft fällt es uns Menschen schwer, die vorhergegangene Kommunikation richtig zu lesen und einzuordnen. Einige Hunde zeigen beispielsweise sogenanntes Beschwichtigungsverhalten. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Gesten, Körperhaltungen und Verhaltensweisen, die Tiere nutzen, um Konflikte zu vermeiden, Spannungen abzubauen, aber auch, um Freundlichkeit zu signalisieren. Beispielsweise, wenn ein Hund einen anderem bedrängt.
Unsere Hunde setzen diese Signale aber auch in der Kommunikation mit uns Menschen ein. Etwa, wenn sie gerade nicht gestreichelt werden möchten. Auf vielen Videos in den sozialen Netzwerken sieht man Tiere, die von ihren Besitzern umarmt oder angefasst werden und sich abwenden, die Lippen lecken oder die Hand des Halters ablecken. All das signalisiert: „Bitte hör auf, ich möchte das gerade nicht“ – wird oft jedoch ignoriert oder missinterpretiert. Bei manchen Hunden kann das dazu führen, dass diese irgendwann deutlicher werden. Dann heißt es plötzlich, der Hund habe aus „dem Nichts“ gebissen. Umso wichtiger ist es für Halter, die Beschwichtigungssignale ihrer Hunde zu erkennen.
Auch interessant: Halter von American Bully XL: »Mein Hund löst bei vielen Panik aus
Beschwichtigung soll Aggressionen verhindern
„Beschwichtigungsverhalten umfasst verschiedene nonverbale Signale, die Hunde einsetzen, um Stress abzubauen oder eine potenziell bedrohliche Situation zu entschärfen“, erklärt Hundetrainerin Katahrina Marioth im Gespräch mit PETBOOK.
„Demut ist eine besonders intensive Form dieses Verhaltens, bei der der Hund deutlich zeigt, dass er keine aggressive Absicht hat und sich unterordnet. Es ist eine Art erweiterte Beschwichtigung, bei der der Hund sich aktiv oder passiv in eine unterlegene Position begibt.“ Durch dieses Verhalten sollen Aggressionen verhindert und Harmonie geschaffen werden. Eine effektive Strategie, die den Hund im Zweifelsfall vor körperlichen Auseinandersetzungen bewahren kann. Denn gerade extrem unsichere Hunde können durchaus „nach vorn gehen“, wenn ihre Beschwichtigungsversuche ignoriert werden und sie sich in eine Ecke gedrängt fühlen.
Grundsätzlich gehörten Beschwichtigen zur natürlichen Konfliktvermeidung und Deeskalation in der Hundekommunikation, erklärt die Expertin. Durch aktive oder passive Unterwerfung signalisiert der Hund dem Gegenüber, dass er keine Bedrohung darstelle und Frieden wünscht. „Beschwichtigung ist Teil eines umfassenden Systems von sogenannten Calming Signals (zu Deutsch: Beruhigungssignalen), das darauf abzielt, friedliche Interaktionen in der Gruppe oder mit Individuen zu gewährleisten.“
Das sind 10 typische Beschwichtigungssignale
So seien die typischen Beschwichtigungssignale bei Hunden meist subtil und vielfältig, erklärt Katharina Marioth von der Hundeschule „Stadthundetraining“. Einige häufige Beschwichtigungssignale seien:
- Gähnen – auch wenn der Hund gar nicht müde ist
- Lippenlecken oder Züngeln
- Kopf abwenden oder Blick wegdrehen
- hinsetzen oder hinlegen
- langsame, bedächtige Bewegungen
- seitliches Schwanzwedeln auf niedriger Höhe
- Pfote heben
- reduzierte Körperspannung (Hund macht sich kleiner macht oder duckt sich ab)
Bei Rüden könnte auch das Ausfahren des Penis im Gesamtbild beschwichtigend gemeint sein.
Man unterscheidet zwei Formen der Beschwichtigung
Grundsätzlich könnte beschwichtigendes Verhalten grob in zwei Formen unterteilt werden, erklärt die Hundetrainerin und Sachverständige für Wesenstests: aktive und passive Demut. „Beide Formen dienen dazu, Spannungen zu reduzieren und Konflikte zu vermeiden, unterscheiden sich jedoch in der Art und Weise, wie sie gezeigt werden.“
Bei der aktiven Demut versuche der Hund eine aktive Rolle bei der Beschwichtigung zu übernehmen und gezielt durch seine Körpersprache zu signalisieren, dass von ihm keine Gefahr ausgehe. „Dabei sind typische Signale, dass sich der Hund kleinmacht. Beispielsweise durch Hinlegen oder auf den Rücken rollen, um so den Bauch zu zeigen.“ Möglich sei aber auch, dass der Hund plötzlich einfriere oder seine Bewegungen stark verlangsame, erklärt Marioth. „Zudem halten einige Tiere in solchen Situationen Kopf und Ohren gesenkt und vermeiden Blickkontakt.“
Weitere typische Signale der aktiven Demut sind:
- Schwanzwedeln in niedriger Position
- Nähern in einem Bogen (indirektes Angehen)
- Leichte Verbeugung, als ob er spielen möchte
- Züngeln oder Lecken des Gesichts des anderen Hundes oder Menschen
- Ein freudiges, aber zurückhaltendes Verhalten.
- Dieses Verhalten ist eher dynamisch und signalisiert aktive Unterwerfung
Der Unterschied im passiven Verhalten sei, dass der Hund hier eine oft weniger bewegungsintensive Form der Unterwerfung zeige, als in der aktiven. Dabei ziehe er sich zurück oder verhalte sich eher statisch, um zu signalisieren, dass er sich unterordnet. „Die aktive Demut ist dynamischer und beinhaltet mehr Interaktionen, oft mit Bewegungen und Gesten, die gezielt die soziale Situation beruhigen sollen.“
Beschwichtigungssignale können bei Rasse und Alter variieren
Um solches Verhalten frühzeitig zu erkennen, sollten Halter ihr Tier aufmerksam beobachten, rät die Hundetrainerin. „Man erkennt beschwichtigende Signale daran, dass der Hund in Situationen, die er als potenziell bedrohlich oder unangenehm empfindet, diese subtilen Gesten zeigt.“ Etwa, wenn der Vierbeiner bedrängt wird. Dann wenden viele Hunde den Kopf ab oder legen ihn auf den Boden auf.
Dabei sollte man im Hinterkopf haben, dass auch vermeintlich unspektakuläre Situationen für Hunde Stress bedeuten können. Beispielsweise, wenn Menschen zu laut sprechen oder sich ihnen zu schnell nähern. Auch in solchen Fällen reagierten einige Hunde durchaus mit Beschwichtigung, um Stress abzubauen, erklärt die Hundetrainerin.
Dabei könnten Beschwichtigungssignale durchaus je nach Alter und Rasse variieren: „Während die grundlegenden Beschwichtigungssignale bei allen Hunden ähnlich sind, gibt es leichte Unterschiede, die durch Rasse, Alter und individuelle Persönlichkeiten bedingt sind.“ So zeigten brachyzephale Rassen – also solche mit kurzen Schnauzen wie Mops oder Französische Bulldogge – seltener ein Lippenlecken, da ihre Gesichtsanatomie dies erschwere. „Ältere Hunde oder Hunde, die bereits viel negative Erfahrungen gemacht haben, können intensiver oder häufiger beschwichtigen, um Konflikte zu vermeiden.“
Auch interessant: Hundeverhaltens-Expertin: »Auffällige Hunde haben oft unerkannte Gesundheitsprobleme
So können Halter ihren Hund in stressigen Situationen unterstützen
Wenn der Hund beschwichtigende Signale zeige, sei es für die Halter wichtig, die Situation zu analysieren und mögliche Stressoren zu identifizieren. Um dem Vierbeiner Sicherheit zu geben, sollte die Umgebung des Hundes beruhigt oder die Situation, wenn möglich, entschärft werden, rät Marioth. „Durch ruhiges Verhalten und Worte oder das Abwenden vom Hund können Sie ihm signalisieren, dass keine Gefahr besteht. Es ist ratsam, laute oder hektische Aktionen zu vermeiden und den Hund nicht weiter zu bedrängen.“
Dabei gebe es aber auch durchaus Hunde, die übermäßig beschwichtigen, weiß die Expertin. Ursachen dafür könnten unter anderem chronischer Stress, Unsicherheit, fehlende Sozialisation oder traumatische Erlebnisse sein. „Hunde, die sich ständig in unangenehmen Situationen befinden oder deren Halter ihre Bedürfnisse nicht ausreichend berücksichtigen, zeigen häufig übermäßiges Beschwichtigungsverhalten.“ In solchen Fällen sollten Halter sich professionelle Unterstützung durch Hundetrainer oder Verhaltensberater holen.
Körpersprache verstehen Warum Hunde gähnen, obwohl sie nicht müde sind
Verhaltensbiologin klärt auf 6 Verhaltensweisen von Katzen, die Menschen oft missverstehen
Körpersprache lesen Wie Hunde uns zeigen, dass sie etwas nicht mögen
Hunde nicht in Situationen drängen
Ein häufiger Fehler sei, die subtilen Signale des Hundes zu übersehen oder zu ignorieren, so die Expertin. „Das kann dazu führen, dass sich der Hund missverstanden oder überfordert fühlt“, erklärt Marioth. Als Hundetrainerin sehe sie solche Fehler häufig. Daher ihre Forderung: Halter sollten ihre Hunde lesen lernen und die Beschwichtigungssignale ihrer Tiere respektieren.
„Ein weiterer Fehler ist, den Hund in Situationen zu drängen, in denen er sich offensichtlich unwohl fühlt. Etwa durch erzwungenen Kontakt mit anderen Hunden oder Menschen. Dies kann langfristig zu Angstverhalten oder Aggression führen.“
Daher sollten Halter aus Rücksicht anderen Hunden gegenüber auch auf die Körpersprache der anderen Vierbeiner achten, mahnt die Expertin. „Wenn ein anderer Hund beschwichtigende Signale zeigt, ist es wichtig, den eigenen Hund nicht in diese Situation zu drängen und den Raum des anderen Hundes zu respektieren.“ Stattdessen sollte man beiden Hunden Zeit und Raum geben, sich gegenseitig zu beobachten und die Situation zu beruhigen.
Meine Erfahrung mit meiner Hündin
„Mein Zwergspitz Yumi zeigt in Kontakt mit fremden Hunden oder Menschen oft Beschwichtigungssignale wie Abducken, seitliches Schwanzwedeln aber auch Kopfabwenden. Mittlerweile habe ich gelernt, diese Signale zu verstehen und sie in solchen Situationen zu unterstützen. Denn leider erkennen die meisten Menschen – aber auch viele Artgenossen – diese Signale nicht oder ignorieren sie. Das hat früher dazu geführt, dass Yumi sehr deutlich werden musste und auch mal nach Hunden oder Kindern geschnappt hat. Heute übernehme ich das für sie in Situationen, die ihr unangenehm sind. Nur, dass ich die Leute (und Hunde) höflich um Abstand bitte, anstatt zuzuschnappen.“