30. Juli 2024, 15:25 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
In nur wenigen Tagen erblindet die Hündin von Katrin Grauel. Das stellt beide vor große Herausforderungen. Wie soll sich Kira im Leben weiter zurechtfinden? Hat sie mit neun Jahren noch die Kraft dazu? Im PETBOOK-Interview erzählt Katrin Grauel, wie sie ihren Hund bei der Umstellung begleitete und wie sie es geschafft hat, dass Kira heute wieder ein (fast) normales Hundeleben führt.
Wie geht man damit um, wenn der Hund plötzlich erblindet? Normalerweise geschieht dies erst im hohen Alter. Der Prozess ist schleichend und die meisten Vierbeiner gewöhnen sich daran, immer schlechter sehen zu können und lernen Schritt für Schritt, sich auf ihre anderen Sinne zu verlassen. Im Fall von Kira war es jedoch anders. Aufgrund einer Krankheit mussten der Hündin beide Augäpfel entfernt werden. Als sie aufwachte, war sie komplett orientierungslos. Für Kira und ihre Halterin Katrin Grauel beginnt eine schwere Zeit, denn niemand kann sagen, wie die Hündin mit der Situation zurechtkommen wird. Nur eins ist klar: Aufgeben oder gar einschläfern lassen sind keine Option.
Im PETBOOK-Interview erzählt Katrin Grauel, wie die ersten Tage nach der Operation mit Kira verliefen und wie sie es geschafft hat, dass ihre Hündin wieder ein fast normales Leben führt.
Kira wurde einfach über die Tierheimmauer geworfen
PETBOOK: Frau Grauel, seit wann lebt Kira schon mit Ihnen zusammen?
Katrin Grauel: „So ungefähr acht Jahre. Kira kam mit einem knappen Jahr nach Deutschland. Sie ist aus Spanien und jetzt offiziell neun. Aber die Tierärztin vermutet, dass sie vielleicht auch schon älter war, als sie hierhergekommen ist. Wir wissen nicht viel über ihre Hintergrundgeschichte, Eltern oder Geschwister. Sie wurde wohl eines Nachts einfach über die Tierheimmauer geworfen und von den Mitarbeitern dort am nächsten Morgen im Auslauf gefunden. Das klingt zwar schlimm, doch dadurch wurde sie letztendlich gerettet, weil sie sich als junger Hund nicht alleine hätte durchschlagen können in Spanien.“
Ist Kira ihr erster Hund?
„Ja, das ist mein erster Hund. Damals hat mich eine Kollegin auf Kira angesetzt. Die hatte selbst einen Hund aus dem Tierschutz und meinte zu mir: ‚Mach das doch auch!‘ Und Kira ist auch ein ganz lieber Hund, allerdings unheimlich krank. Als sie nach Deutschland kam, hatte sie schon Darmparasiten und deswegen ständig mit dem Magen Probleme. Das hatten wir aber irgendwann in den Griff bekommen, doch vor einem Jahr ist dann bei ihr diese Krankheit ausgebrochen, die zur Erblindung geführt hat.“
Was ist da genau passiert?
„Kira hat eines Tages immer mehr beide Augen zusammengekniffen. Irgendwann wurde ein Auge trüb und verkleinerte sich – da sind wir sofort zum Tierarzt. Der vermutete zunächst eine Entzündung. Als es aber eher schlimmer als besser wurde, schickte er uns zu einer Augenklinik für Hunde. Dort sagte mir die Spezialistin, das Kira ein Glaukom im Auge hätte.“
„Für Kira war es eine riesige Umstellung“
Ein Glaukom kennt man beim Menschen als „Grüner Star“. Meist kann er aber gut behandelt werden. Warum ist ihr Hund daran erblindet?
„Für Kira haben wir auch zunächst Tropfen bekommen, mit denen man die Krankheit eigentlich gut in den Griff bekommen kann. Aber die Erkrankung ist bei ihr sehr schnell fortgeschritten, sodass auch das zweite Auge betroffen war. Innerhalb weniger Tage ist sie fast blind geworden. Zudem hatte sie starke Schmerzen, denn beim Glaukom baut sich von Innen ein Druck auf. Also standen wir vor der Entscheidung, ob wir weiter behandeln oder die Augen herausnehmen lassen.
Die Tierärztin meinte, wir müssen dem Hund die Schmerzen nehmen und die Tropfen halfen auch nicht mehr. Zudem bestand die Gefahr, dass die Entzündung im Auge in eine Sepsis umschlägt. Da habe ich überlegt, was das Beste für das Tier ist und mich schließlich für die OP entschieden.“
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Die meisten Hunde erblinden langsam. Durch die Operation wurde Kira schlagartig blind. Wie verliefen die ersten Tage danach?
„Für Kira war es eine riesige Umstellung. Als sie aus der OP aufwachte, konnte sie nichts sehen und ihren Zustand überhaupt nicht einordnen. Sie war verständlicherweise panisch. Aber die Augenärztin hatte mir zuvor zum Glück erklärt, was ich tun kann: ‚Reden Sie mit dem Hund. Er verlässt sich jetzt darauf, dass sie da sind und er ihre Stimme hört.‘ Auch viele Berührungen sind wichtig, um zu signalisieren ‚Ich bin da, es ist alles gut‘ und damit sich eine gewisse Ruhe einstellt.
Trotzdem ist es nicht einfach gewesen. Der Hund kann ja nicht mehr einschätzen, ob es morgens, mittags oder abends ist. Kira wollte loslaufen, wusste aber gar nicht wohin. Das war am Anfang ein 24-Stunden-Job und ich hatte mir dafür extra Urlaub genommen. Alleine hätte ich es aber nicht geschafft. Daher haben wir mit der Familie und Freunden eine Gruppe gebildet, damit Kira den ganzen Tag betreut war. Mein Papa hat das alles ganz tapfer mit mir gemacht und gesagt: ‚Wir ziehen das jetzt durch, wir lassen die nicht einschläfern – das ist überhaupt keine Option.‘“
„Anfangs wusste ich nicht, ob sie nicht aufgibt“
Stand denn das Einschläfern als Option im Raum?
„Kira musste sich ja komplett neu orientieren und vieles neu lernen. Und anfangs wusste ich nicht, ob sie überhaupt noch bereit ist zu sagen ‚Okay, wir leben das Leben weiter!‘ oder ob sie nicht aufgibt. Ich habe nur gewusst, dass ich generell ein positiv eingestellter Mensch bin und mir gedacht, wenn der Hund merkt, dass das Leben immer noch schön ist und es immer noch Spaß macht zusammen, dann haben wir da vielleicht eine Chance.“
Wie haben Sie geschafft, dass sich Kira im Alltag wieder zurechtfindet?
„Als ehemaliger Straßenhund ist Kira unglaublich essensfixiert. Ich habe dann mithilfe von Leckerchen Kommandos mit ihr geübt, die sie eigentlich schon kannte wie ‚Sitz‘ oder ‚Pfote geben‘. Da konnte sie sich dann erinnern und hat gemerkt: Hey, das ist ja wie früher.‘ Also, so glaube ich das zumindest. Als es ihr besser ging, haben wir dann mit dem Training begonnen und quasi ganz neue Kommandos etabliert. Ganz wichtig waren Signalwörter, wenn es den Bürgersteig hoch oder runter geht, denn das sieht sie ja nicht mehr und läuft sonst dagegen. Oder auch das Signalwort ‚Vorsicht‘, wenn sie auf irgendwas zuläuft, damit sie ein wenig langsamer läuft. Das hat sich tatsächlich sehr gut bewährt.“
Hatten Sie dabei Hilfe von einer Hundetrainerin?
„Ich habe mir das tatsächlich alles selbst beigebracht, denn ich hatte damals niemanden gefunden, der mir mit einem plötzlich erblindeten Hund irgendwie helfen konnte. Deswegen habe auch meinen Facebook-Account wieder reaktiviert und bin in Gruppen gegangen, um mir Tipps für das Training zu holen. Aber ich denke, das ist immer eine ganz individuelle Sache und hängt auch stark davon ab, wie gut der Hund Kommandos lernt oder lernen will.“
„Meine Mutter ist überhaupt nicht damit zurechtgekommen“
Wie verlaufen die Hundebegegnungen? Haben andere Hunde gemerkt, dass Kira erblindet ist?
„Kira war schon immer ein vorsichtiger Hund. Seit sie blind ist, geht sie noch bedächtiger bei anderen Hunden vor. Sie bleibt erst einmal stehen und schnuppert, um zu schauen, wer der andere Hund ist. Wir gehen dabei oft an Plätze mit vielen Hunden, die sie eh schon kennt. Da habe ich ein gutes Gefühl, denn man weiß nie, wie fremde Hunde auf Kira reagieren.
In der Regel wollen Hunde sie erstmal begrüßen und spielen, bremsen dann aber schnell ab, weil sie merken, dass Kira nicht auf ihre Körpersprache reagiert und sind dann ganz vorsichtig. Wir haben aber auch schon erlebt, dass Kira zum ‚Opfer‘ wird. Wenn andere Hunde nicht so gut sozialisiert sind, denken die: ‚Okay, du bist das Opfer, dich mobben wir jetzt‘. Aber das ist zum Glück selten der Fall.“
Wie reagieren denn die anderen Hundehalter auf Kira?
„Für die meisten, die uns vorher kannten, war das anfangs unheimlich schwer. Wenn der Mensch hört, dem Hund werden die Augäpfel entnommen, ist das für viele eine Horrorvorstellung. Meine Mutter zum Beispiel ist überhaupt nicht damit zurechtgekommen. Die hat gesagt, sie könne das nicht sehen, sie breche
Wie reagieren denn die anderen Hundehalter auf Kira?
„Für die meisten, die uns vorher kannten, war das anfangs unheimlich schwer. Wenn der Mensch hört, dem Hund werden die Augäpfel entnommen, ist das für viele eine Horrorvorstellung. Meine Mutter zum Beispiel ist überhaupt nicht damit zurechtgekommen. Die hat gesagt, sie könne das nicht sehen, sie breche sofort in Tränen aus.
Andere bewundern Kira, dass sie weitergemacht hat und ich muss unheimlich viele Fragen dazu beantworten, weil es auch ja nicht alltäglich ist, dass ein Hund blind ist und sich trotzdem unter die anderen Hunde mischt. Tatsächlich hatte ich mich vor Kiras Krankheit auch nie damit befasst oder einen blinden Hund gesehen. Daher verstehe ich, dass die Leute das unheimlich faszinierend finden.“
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„Mittlerweile fällt es nicht mehr auf, dass der Hund blind ist“
Haben Sie Tipps für Halter, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?
„Generell möchte ich sagen, dass Blindheit bei einem Hund nicht unbedingt ein Grund ist, das Tier einzuschläfern. Wenn man sich die Zeit nimmt, kann das gut funktionieren. Aber das ist natürlich immer sehr individuell. Ansonsten finde ich wichtig, dass man auf sein Tier eingeht. Dann hat man auch eine Chance, dass das wirklich klappen kann. Wir haben am Anfang mit einem Glöckchen gearbeitet, damit Kira immer hört, wo ich gerade bin. Aber das hat sie gar nicht interessiert. Wir haben auch versucht, bestimmte Orte mit Gerüchen zu markieren. Aber das fand mein Hund auch nicht so gut. Vielleicht hilft es aber anderen. Ich denke, das ist einfach was Individuelles, das man einfach ausprobieren muss.“
Wie lange hat es gedauert, bis Kira wieder „ganz die Alte“ war?
„Ich meine, das hat mindestens ein halbes Jahr gedauert. Dann sah man auch nichts mehr von der OP. Als die Augen herausgenommen wurden, wurden die Höhlen zugenäht. Die Fäden hatten sich aber irgendwann aufgelöst und es sah nicht mehr so gruselig aus. Insgesamt war das ein schleichender Prozess aber irgendwann dachte ich: ‚Wow, sie ist ja fast wie früher‘. Und jetzt, nach einem Jahr kann ich sagen, sie macht das ganz toll. Sie läuft selbst in den Garten, findet die Wege und läuft auch wieder schnurstracks in die Küche, sobald sie die Kühlschranktür hört (lacht). Mittlerweile fällt es gar nicht mehr auf, dass sie blind ist.“
Gibt es etwas, das Kira heute gar nicht mehr kann?
„Treppen sind tatsächlich immer noch ein Problem, weil sie ja quasi ins Leere tritt. Daher läuft sie partout keine Treppen runter. Außer es ist die Treppe beim Tierarzt und sie möchte da schnell weg. Die schafft sie irgendwie immer.“