19. Juli 2024, 11:52 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
„Wer ist hier der Boss?“ Das ist nicht nur der Name einer beliebten Sitcom aus den 1980er-Jahren, sondern eine Frage, die im Zweifelsfall je nach Hund-Mensch-Konstellation beide Enden der Leine unterschiedlich beantworten würden. So gibt es tatsächlich Hunde, die ihre Halter ständig maßregeln – und das oft sogar unbemerkt …
Es dürfte außer Frage stehen, dass in einem Hund-Mensch-Team der Halter stets die Führung beibehalten sollte. Alleine schon aus Gründen der Sicherheit für alle Beteiligten. Doch was vielen Haltern gar nicht bewusst ist, ist, dass ihr Vierbeiner sie ständig maßregelt und damit versucht, den Ton anzugeben. Das ist ein Phänomen, das Hundetrainer regelmäßig beobachten. So auch Andrea Stelzig von der Hundeschule „HundeASS“ in Salzburg. Sie ist Spezialistin für Familien- und Gebrauchshunde und sieht, dass viele Halter ihre Hunde nicht richtig lesen können und daher oft Situationen falsch einschätzen. Teils mit verheerenden Folgen.
Interaktionen zwischen Hund und Mensch werden oft falsch eingeschätzt
„Hauptsächlich lesen sie ihre Hunde in Bezug auf Hundekontakt falsch und interpretieren Spiel und Freude hinein, wo ihre Vierbeiner aber kontrollieren, mobben oder dominieren“, erklärt die Hundetrainerin gegenüber PETBOOK. „Auch die Interaktion zwischen Hund und Mensch wird oft falsch eingeschätzt, etwa wenn der Hund den Besitzer immer durch die Wohnung verfolgt, sich auf der Couch provokant zwischen Partner und Frauchen oder Herrchen legt oder den Besuch verfolgt, wenn dieser das WC aufsucht.“
Wenn der eigene Hund den Halter, den neuen Partner, das Kind oder den Besuch verfolgt und ständig beobachtet, könne dies schon die Vorstufe einer Maßregelung sein. Auch wenn sich der Vierbeiner bewusst und provokant in den Weg stellt, den Weg versperrt, sei dies bereits eine Kontrolle und somit eine Maßregelung, erklärt Stelzig. „Das sind alles Beispiele dafür, dass mich der Hund zurechtweist und mich korrigiert, für mein Verhalten, was ihm nicht passt.“
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Viele Hunde korrigieren aus Unsicherheit heraus
Daraus könne dann ein Knurren, Verbellen oder sogar Schnappen entstehen. Der Hund sei dabei von der Körperhaltung mit samt seiner Rute eher steif bzw. angespannt. Vor einem Biss komme oft ein langsames, steifes Absenken des Kopfes mit Blick von unten nach oben dazu, vor allem, wenn der Hund aus der Unsicherheit heraus wegkorrigiere.
Auch Katharina Marioth von „Stadthundetraining“ beobachtet in ihrer Arbeit als Hundetrainerin regelmäßig das Phänomen des Maßregelns. Allerdings stellt sie gegenüber PETBOOK klar: „Kein Hund ‚maßregelt‘ so schlicht, wie es das Wort vorgibt. Hier herrscht regelmäßig eine vollkommene Fehlinterpretation vor sowie gleichzeitig eine moralische Interpretation von gezeigtem Verhalten.“ Der Mensch neige dazu, Verhaltensweisen möglichst einfach in Kategorien verpacken zu wollen.
Steckt hinter übergriffigem Verhalten eine toxische Beziehung?
„Ich sehe zum Beispiel einen Hund, der sich vor seine Besitzer stellt, wenn man sich begrüßt oder einen Hund, der im Richtungswechsel seinen Besitzer anspringt oder abschnappt“, führt Marioth aus. „Auch Bellen aus Frust bei Nichtbeachtung gehört zu den Klassikern. Hier haben wir schon drei bzw. vier mögliche Ursachen für sogenanntes ‚maßregelndes‘ Verhalten.“
Im ersten Beispiel könne fehlgelenktes Hüteverhalten oder eine Ressourcenproblematik stecken. Hinter dem Anspringen – wie im zweiten Beispiel geschildert – könnte eine mangelnde Grunderziehung oder ein häufig durch strafbasiertes Training ausgelöstes übertriebenes Beschwichtigungs- oder Aggressionsverhalten stecken, erklärt Marioth.
Nicht erteilte Aufmerksamkeit und daraus resultierendes übergriffiges Verhalten des Hundes zeige sich häufig in einer übermäßig toxischen Beziehung des Besitzers zum Hund.
Persönliche Grenzen sollten respektiert werden
Dennoch sei es wichtig, zu differenzieren und dem Hund nicht seine berechtigten Grenzen abzusprechen, stellt Andrea Stelzig klar. „Manches davon kann ich als seine Grenze respektieren, etwa wenn er auf seinem Platz liegt und schläft. Da muss ich nicht unbedingt alle zehn Minuten hingreifen und ihn durchknutschen, wenn er gern seine Ruhe hat, oder dass Fremde ihn nicht anfassen, wenn er eher schüchtern und ängstlich ist.“
Diese Rassen neigen vermehrt zum Maßregeln
Welche Hunderassen vermehrt zu diesem maßregelnden Verhalten neigten, könne man zwar nicht pauschal sagen, doch sehe sie in diesen Fällen oft Rassen, die entweder einen Hüte- oder Jagdhintergrund haben, erklärt Hundetrainerin Katharina Marioth im Gespräch mit PETBOOK. „Ich sehe diese Verhaltensweisen durch alle Rassen hinweg, aber den Typ Mensch dahinter, der zum Beispiel unausgesprochene Aufgaben an seinen Hund überträgt, der ist fast immer gleich.“
Doch wie kommen Hunde eigentlich dazu, ihre Menschen maßregeln zu wollen? „Hunde lernen durch Erfolg“, erklärt Katharina Marioth. „Meist erfolgt ja eine Reaktion des Halters auf das unerwünschte Verhalten und damit hat der Hund schon wieder einen weiteren Strich auf der ‚Aufmerksamkeitsliste‘. Beim Hüten einer Ressource – hier meist der Besitzer – wird es häufig erst viel zu spät erkannt und dann hat sich das Verhalten bereits längere Zeit eingeschlichen.“
Betroffene Halter reagieren oft viel zu spät
„Nach meiner Erfahrung reagieren die Menschen oft viel zu spät, wenn sich ein Verhalten schon länger etabliert hat, anstatt beim ersten Ansatz professionelle Hilfe aufzusuchen“, weiß die Expertin zu berichten. „Da werden dann lieber Internetratschläge angenommen, statt Fachartikel oder Fachleute aufzusuchen.“
Dieses Verhalten sollte man jedoch nicht auf die leichte Schulter nehmen, mahnt die Expertin. „Vom Gefahrenpotential durch Anspringen oder Bissverletzungen einmal abgesehen, ist es auch für den Hund psychischer Stress. Er bedient ja eine Rolle, die er normalerweise gar nicht haben will. Er hütet seinen Besitzer und ordert permanent Aufmerksamkeit ein – das ist ja ein 16-Stunden-Tag, also mehr als ein Vollzeitjob.“
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Die Sache mit dem Dauerstress
Habe der Hund nicht gelernt, mit Frust umzugehen, dann stehe er am Ende unter Dauerstress. „Vor allem zeigt es aber eine emotionale Schieflage hinsichtlich der Beziehung und das ist schlicht ungesund und in einigen Fällen eben auch sehr gefährlich“, mahnt die Expertin. Um dem eigenen Vierbeiner dieses Verhalten abzugewöhnen, müssten Halter offen und ehrlich ihr Verhalten, ihre Bindung sowie die Beziehung mit ihrem Hund hinterfragen, sagt Marioth. Zudem müsse man sich die Frage stellen, ob man seinen Hund wirklich artgerecht auslaste oder eventuell mit Aktivitäten überlade.
Im Zweifelsfall sollten sich betroffene Halter nicht davor scheuen, einen qualifizierten Trainer zurate zu ziehen. „Das wichtigste: Bleiben Sie souverän und geduldig. Wer souverän führt, dem folgt Hund gern“, erklärt Katharina Marioth abschließend.