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Bei Expertin nachgefragt

Können Hunde im Notfall wirklich Hilfe holen?

Hunde Hilfe holen
Hunde gelten als die besten Freunde des Menschen. Doch können sie erkennen, wenn ihre Halter in Gefahr sind, und Hilfe holen? Foto: Getty Images
Sonja Jordans

2. Juli 2024, 7:11 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Die Meldung begeisterte Hundeliebhaber weltweit: In den USA hat laut Polizeibericht kürzlich ein Hund seinem Herrchen das Leben gerettet, indem das Tier nach einem Autounfall nach Hause zurücklief und dort „Hilfe holte“. Doch hat der Vierbeiner wirklich planvoll gehandelt und seinen Halter gerettet? Oder lief es einfach einen ihm bekannten Weg zurück zu seinem Heim? Können Hunde tatsächlich Hilfe holen, oder interpretieren wir Menschen etwas in das Verhalten der Tiere hinein, was wir gerne sehen möchten? PETBOOK hat eine Expertin gefragt.

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Spätestens seit Fernseh-Collie Lassie die Zuschauerherzen begeistert, sind sich viele sicher: Hunde können Hilfe holen. So finden sich in den Medien immer wieder Berichte von tapferen Vierbeinern, die ihrem Herrchen das Leben gerettet haben, indem sie losgingen, um Hilfe zu holen. Erst kürzlich machte ein Fall aus den USA die Runde durch die internationale Presse. Dabei soll ein Autofahrer aus dem US-Bundesstaat Oregon sein Leben seinem Hund verdanken.

Laut einer Mitteilung des örtlichen Sheriff-Büros war der Mann mit seinem Auto von der Straße abgekommen, über eine Böschung gestürzt und in einem Bach gelandet. Dabei war er schwer verletzt worden und konnte nicht selbst Hilfe holen. Mit im Auto waren auch die vier Hunde des Mannes. Eines der Tiere machte sich nach dem Unfall auf einen sechs Kilometer langen Weg zurück zu dem Camp, von dem aus der Mann mit seinen Tieren aufgebrochen war und wo Familienmitglieder warteten.

Dort machte der Hund „die übrigen Mitglieder der Gruppe darauf aufmerksam, dass etwas nicht stimmte“, wie das Sheriff-Büro auf Facebook mitteilt.1 Die Familie folgte dem Hund und gelangte so zu der Stelle, an der ihr Verwandter verunglückt war. Sie fand den zur Seite gekippten Geländewagen und alarmierte die Rettungskräfte. Diese zogen den Mann aus der unwegsamen Schlucht und brachten ihn per Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus. Die drei anderen Hunde des Unfallopfers wurden ebenfalls lebend gefunden. Ohne den Hund, da sind sich die Kommentatoren und dem Facebook-Eintrag einig, wäre der Verunglückte nie gefunden worden. Das Tier hat offensichtlich Hilfe geholt. Oder? 

Hunde wollen tatsächlich helfen

Immer wieder wird von Hunden berichtet, die Brände bemerken und ihre Halter alarmieren. Oder etwa Hunde, die bellend auf sich aufmerksam machen, nachdem jemand bewusstlos geworden ist. Von Rettungs- und Assistenzhunden ganz zu schweigen – sie haben das Helfen zu ihrem Beruf gemacht. Warum also sollten Hunde nicht tatsächlich selbstständig Hilfe holen können?  

„Weil es dazu zwei Voraussetzungen braucht“, erläutert Dr. Juliane Bräuer, Geoanthropologin und Leiterin der Hundestudien am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. „Erstens: Man muss verstehen können, was gerade passiert ist. Zweitens: Man muss motiviert sein, zu helfen.“ Beim zweiten Punkt sieht Bräuer keine Probleme. „Hunde wollen helfen, mit dem Menschen zusammenarbeiten, ihm gefallen.“ Diese Eigenschaft, auch den „will to please“ genannt, zeigen Hunde auch dauerhaft und nicht nur, wenn sie mit Futter belohnt werden, wie Bräuer betont. „Sie sind wirklich motiviert.“ Am Willen, Menschen in irgendeiner Art „helfen“ zu wollen, mangelt es einem Hund in der Regel daher nicht.  

Hunde können Notlagen nicht erkennen

Schwieriger allerdings gestalte sich das Verstehen, so Bräuer. Denn selbst dann, wenn es sich um eine echte Gefahrensituation wie etwa einen Unfall handelt, verstünden Hunde nicht, dass ein Problem vorliegt. „Die typische ‚Lassie-Situation‘ erkennen sie nicht.“ Der Rettungshund reagiert auf die Signale des Menschen, wenn er mit der Arbeit beginnt. „Er weiß aber nicht, oh, da war ein Erdbeben und nun rette ich verschüttete Menschen“, sagt Bräuer.

Dafür fehle Hunden schlichtweg die Erkenntnis. „Und Hunde wissen auch nicht von sich aus, was sie in einer ‚Lassie-Situation‘ unternehmen sollen.“ Die für Hundeliebhaber vermutlich ernüchternde Erkenntnis: Hunde erfassen Notsituationen als solche nicht und können daher auch nicht überlegt handeln. „Hunde stellen nämlich keine kausalen Zusammenhänge her.“ Daher sei auch der Glaube, das Tier hole selbstständig Hilfe, wenn etwas passiert ist, ein Irrglaube.  

Hunde wissen nicht, was zu tun ist

Das bestätigten unter anderem Tests des kanadischen Psychologen William A. Roberts. Er hat untersucht, ob Hunde Hilfe holen, wenn ihr Halter in Not ist. Dazu ließ er Hundebesitzer einen Herzinfarkt vortäuschen. In Sichtweite der Halter saßen unbeteiligte Personen, die Bücher lasen. Doch als die Halter der Hunde vermeintlich bewusstlos umkippten, passierte nichts. Keiner der Hunde machte die lesenden Personen auf die Situation aufmerksam.

Das gleiche Ergebnis lieferte ein weiterer Versuch, bei dem Hundebesitzer unter einem umgekippten Regal lagen und um Hilfe riefen. Auch hier reagierten die Tiere nicht. Ähnliches haben auch Bräuer und ihr Team bei eigenen Versuchen beobachtet. Zwar würden Hunde, deren Halter ihren Schlüssel suchen, eine verschlossene Tür mithilfe eines Knopfs, den sie drücken, öffnen und dadurch „helfen“. Das aber funktioniere nur, weil die Halter ihren Tieren entsprechende Signale geben. „Dass Hunde also nach einem Unfall heimlaufen und dort aktiv Hilfe holen, weil sie wissen, dass ihrem Halter so das Leben gerettet wird? Nein!“, fasst Bräuer zusammen.  

Auch interessant: Hunde sind gestresst, weil wir ihre Körpersprache nicht verstehen

Hunde sind selbst aufgeregt

Warum der Hund aus Oregon dennoch sechs Kilometer gelaufen und seine Familie „alarmiert“ hat, habe laut Bräuer andere Gründe. „Hunde merken durchaus, wenn etwas nicht stimmt“, so Bräuer. Die Tiere nehmen wahr, wenn ihre Halter gestresst sind, verängstigt oder wenn sie weinen. Sie spüren, dass nicht alles so ist wie immer. „Und darauf reagieren sie mit Verunsicherung oder Aufgeregtheit.“

Wie, das ist typabhängig. Je nach Charakter bellen sie, bleiben sitzen oder laufen aus der Situation weg, so wie der Hund aus Oregon. Das Tier war aufgeregt und wusste vermutlich nicht mit der Situation umzugehen. Daher machte es das, was ihm am sinnvollsten erschien. Es lief weg und nahm dazu den Weg, den es kannte – zu den Menschen im Camp.

Hunde laufen nach Hause zurück

Solch ein Verhalten dürfte Hundehaltern bekannt vorkommen: Ist das Tier unterwegs mal abhandengekommen, etwa weil es sich erschreckt und losgerissen hat, findet es ebenfalls oft den Weg nach Hause und steht meist noch vor Eintreffen von Herrchen oder Frauchen an der Haustür. Mitunter flankiert von aufgeregten Familienmitgliedern, die sich sorgen.

„Der Hund steht plötzlich alleine vor der Tür, bellt womöglich noch und läuft aufgeregt hin und her, da ist doch bestimmt etwas passiert“, beschreibt Bräuer, wie Unbeteiligte eine solche Situation dann erleben. Und genau das sei es auch, was zu der Annahme führe, Hunde wie das Exemplar aus Oregon würden Hilfe holen. „Den Menschen ist ja meist klar, dass etwas nicht stimmt, wenn jemand mit seinem Hund weggegangen ist, das Tier aber plötzlich alleine zurückkommt.“

Läuft der Hund dann auch noch bellend durch den Vorgarten oder wendet sich Nachbarn zu, könne das als Hilfesuche interpretiert werden. Jedoch teile das Tier in dem Moment seine Aufgeregtheit mit und bitte nicht bewusst um Hilfe. Diese Gedankengänge stelle nur der Mensch an, nicht der Hund.  

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Hunde „helfen“ durch Zufall

Zwar könne es sein, dass Hunde mitunter Menschen retten, indem sie bellen oder aufgeregt sind, schlussfolgerte auch Psychologe Roberts nach seinen Experimenten. „Aber ich glaube nicht, dass sie das mit Absicht tun.“ Zu solchen Situationen komme es wohl eher durch Zufall. Zudem seien spektakuläre Rettungen eher einen Bericht wert, als die deutlich höher einzuschätzende Zahl von Fällen, in denen Hunde keine Heldentaten vollbracht hätten.

Dennoch: „Hunde wollen helfen, sie sind motiviert und zeigen das auch“, betont Bräuer. Und zwar auch dann, wenn sie keine Belohnung dafür erhalten. Darin unterscheiden sie sich von Menschenaffen, wie Experimente verdeutlicht hätten: Zwar hätten die Affen Menschen in bestimmten Situationen geholfen, indem sie etwa gezeigt hätten, wo sich ein bestimmtes Werkzeug befindet. Allerdings hätten sie die Hilfe sehr schnell wieder eingestellt, wenn sie nicht dafür belohnt und am Erfolg beteiligt wurden.23  

Themen Hundeverhalten

Quellen

  1. facebook.com, „Baker County Sheriff's Office“ (aufgerufen am 02.07.2024) ↩︎
  2. landtiere.de, „Hund läuft sechs Kilometer nach Autounfall: Können die Vierbeiner wirklich Hilfe holen?“ (aufgerufen am 02.07.2024) ↩︎
  3. fr.de, „Einfalt auf vier Pfoten“ (aufgerufen am 02.07.2024) ↩︎
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