
7. März 2024, 6:38 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
„Trockenfutter ist Abfallverwertung“, „Barf ist der größte Unsinn“, „zu viel Fleisch löst Allergien aus“ – was das Thema Hundeernährung betrifft, gibt es viele Behauptungen. Wie die richtige Ernährung für Hunde aussieht, ob es sie überhaupt gibt und ob die Futtermittelindustrie wirklich so schlecht ist, wie viele behaupten, beantwortet Tierärztin Dr. Julia Fritz im Interview mit PETBOOK.
Früher bekam der Hund Essensreste vom Tisch. Mittlerweile ist das Thema zu einer Wissenschaft an sich gewachsen – mit mehr und leider auch weniger seriösen Mitspielern. Mittlerweile ranken sich viele Mythen um die Hundeernährung wie, dass Trockenfutter minderwertig sei, Getreide im Hundefutter schlecht oder eine Ernährung mit rohem Fleisch das Beste für Hunde sei.
Ernährungsberater für Hunde scheinen wie Pilze aus dem Boden zu schießen – dabei ist die Berufsbezeichnung nicht einmal geschützt. Es gibt aber auch Tierärzte, die sich auf Ernährung spezialisiert haben. Dr. Julia Fritz ist promovierte Fachtierärztin für Tierernährung, international anerkannte Spezialistin und Inhaberin von „napfcheck“, einer Praxis für tierärztliche Ernährungsberatung und -medizin mit entsprechender Expertise. PETBOOK-Autorin Manuela Lieflaender hat mit Junghund Elvis schon einiges im Hinblick auf Ernährung durchgemacht (mehr davon lesen Sie hier: „Erfahrung mit Hunde-Ernährungsberaterin“). Sie wollte von der Fachtierärztin wissen, wie die richtige Ernährung für Hunde denn nun aussieht und ob die Futtermittelindustrie wirklich so schlecht ist, wie viele behaupten.
„Lange Zeit war man dankbar für das Fertigfutter“
PETBOOK: Frau Dr. Fritz, um das Thema Hundeernährung ranken sich viele Mythen. Wenn man etwa Bücher wie „Katzen würden Mäuse kaufen“ liest, in der die Futtermittelindustrie aufs Schärfste kritisiert wird, könnte man denken, Fertigfutter ist Gift für Hunde. Wie sehen Sie das?
Dr. Julia Fritz: „Das Fertigfutter ist sicher nicht schlechter geworden. Warum sollten wir Rückschritte machen? Möglichst naturnah füttern zu wollen, ist ein Trend, der mit dem Barfen begann und teilweise auf cleverem Marketing basiert. Lange Zeit war man dankbar für die Industrialisierung und damit für Fertigfutter. Das war die Zeit, als der Hund eher noch Kooperationspartner war und Aufgaben zu erfüllen hatte. Heute ist der Hund ein Familienmitglied.
Je wichtiger der Hund wurde, desto mehr rückte in den Fokus, wie er durch die Ernährung unterstützt werden kann. So gab es Anfangs Diätfutter nur beim Tierarzt. Heute gibt‘s das in jedem Zoogeschäft. Das ist ein Spiegelbild dessen, wie die Gesellschaft zum Hund steht. Es gibt mittlerweile genaue Bedarfszahlen für Tiere. Die sind zwar nicht in Stein gemeißelt. Trotzdem bieten sie uns eine komfortable Situation, denn so gibt es Richtlinien, an die man sich halten kann und die sicher sind.“
Trotzdem ist die Verunsicherung unter Hundehaltern groß. Viele fragen sich, was denn nun ein gutes Futter auszeichnet und ob man nicht doch Barfen muss. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
„Ich denke, das Problem ist zum Teil die Deklaration. Für viele Tierhalter ist sie verwirrend und lässt Spielraum zur Interpretation. Was die Zusammensetzung betrifft, kann der Hersteller bezüglich der Angaben zu den verwendeten Zutaten sich für die Einzeldeklaration oder für die Gruppendeklaration entscheiden. Bei der Einzeldeklaration muss er jede Zutat, so wie sie ist, auflisten. Bei der Gruppendeklaration werden mehrere Zutaten in Kategorien zusammengefasst. Das steht auf dem Etikett dann zum Beispiel ‚Fleisch und tierische Nebenerzeugnisse‘. Der Verbraucher denkt dann: ‚Oh Gott, was ist denn das?‘ Dadurch ist eine Verunsicherung entstanden.“
„Heute wollen viele Verbraucher genau wissen, was im Futter drin ist“
Zu den Mythen in der Hundeernährung gehört auch, dass viele denken, dass hinter Begriffen wie Nebenerzeugnissen tatsächlich Abfälle stecken.
„Heute wollen viele Verbraucher genau wissen, was im Futter drin ist. Das heißt, dass heute schon ein Hersteller unten durch sein kann, wenn er diese Gruppendeklaration verwendet. Das hat aber nichts mit Verschleierung zu tun, sondern etwa mit Flexibilität. Rohstoffe müssen entsprechend kalkuliert werden und sind auch nicht immer gleichermaßen verfügbar. So könnte ein Hersteller zum Beispiel mehr Herz statt Muskelfleisch einsetzen, ohne dass er sein Etikett ändern muss. Das ist dann von Vorteil.
Ernährungsphysiologisch macht das keinen Unterschied, wenn man Zutaten mit ähnlichen Eigenschaften und Nährstoffprofilen verwendet. Man kann auch Schwein statt Rind nehmen. Damit kann man verschiedene Tierarten verwenden. Wenn‘s nicht gerade ein Allergiker-Hund ist, ist das wurscht.“
„Es gibt Hersteller, die auch ohne viel Fachwissen Futter machen“
Es gibt also kein schlechtes Hundefutter?
„Na ja. Es gibt Hersteller, die auch ohne viel Fachwissen Futter machen und bei denen das Marketing mehr im Vordergrund steht als die Inhaltsstoffe. Deshalb kann man nicht sagen, es ist alles besser geworden.
Bei Futter aus dem Supermarkt kann man davon ausgehen, dass es sich um ein Basic-Futter handelt, was vielleicht keine ‚fancy‘ Inhaltsstoffe wie Kräuter oder Nachtkerzenöl enthält. Die schneiden bei Stiftung Warentest aber trotzdem gut ab, weil alle Anforderungen – vor allem auch die an die Nährstoffprofile – erfüllen. Jedoch kann es sein, dass die Verdaulichkeit etwas schlechter ist und der Hund mehr Kot absetzt. Aber nur weil der Hund mehr Kot absetzt, muss das für die Gesundheit kein Problem sein.“
Viele Hersteller setzen auf getreidefreies Futter. Ist das Marketing oder für den Hund wirklich gesünder?
„Dass Getreide für Hunde nicht verdaubar wäre, ist lächerlich.“
Kaltgepresstes Trockenfutter ist nicht höherwertiger – im Gegenteil
Kritiker behaupten, Trockenfutter ist ein reines Abfallprodukt, vollgepumpt mit Chemie. Gehört das auch zu den Mythen in der Hundeernährung?
„Trockenfutter ist im Prinzip wie ein Schnellbackverfahren. So ist das zu sehen. Man vermahlt Zutaten, wie beim Brot backen. Da wird ein Teig draus gemacht, der mit Wasserdampf und Druck kurz erhitzt und so gegart wird. Allein durch den Wasserentzug wird das Trockenfutter schon haltbar gemacht. Man braucht deshalb keine zusätzlichen Konservierungsstoffe.“
Ist kaltgepresstes Trockenfutter höherwertiger?
„Im Gegenteil. Die Kaltpressung ist ein günstigeres Herstellungsverfahren! Die Zutaten müssen dafür vorher schon aufgeschlossen sein. Das bedeutet: alles, was da drin ist, muss vorher schon erhitzt worden sein. Keiner kann rohe Stärke verdauen, sie muss daher bereits aufgeschlossen sein – anders kann auch der Hund das Futter nicht verdauen. Und durch den Druck und die Reibung entsteht auch Wärme. Den Begriff ‚kaltpressen‘ kennt man von Olivenöl. Wir denken dann automatisch, das ist hochwertig.“
„Keine Chemie, keine Zusatzstoffe – das sind Marketingphrasen“
Wie stehen Sie zu Futter, das vermeintlich ohne Zusatzstoffe auskommt?
„Begriffe wie ‚keine Chemie‘ oder ‚keine Zusatzstoffe‘ – das sind ebenfalls Marketingphrasen, die teilweise mangelndes Fachwissen widerspiegeln. Ein Alleinfutter ohne Zusatzstoffe, welches den kompletten täglichen Nährstoffbedarf decken muss, bedeutet, dass relevante Nährstoffe fehlen müssen, denn Spurenelemente und Vitamine gehören je nach Rezeptur ergänzt und definitionsgemäß sind dies Zusatzstoffe.
Bei solchen Produkten geht es mehr darum, den Verbraucher zu bedienen als das Tier ordentlich zu ernähren. Heute ist auch jeder Ernährungsexperte, hinterfragt wird das wenig. Das gab es früher in dem Ausmaß nicht.“
Die Wahrscheinlichkeit, dass Verhaltensauffälligkeiten vom Futter kommen, ist eher gering
Können Hunde vom Futter Verhaltensauffälligkeiten entwickeln?
„Von Verhaltensauffälligkeiten höre ich immer öfter. Ich glaube aber, es gibt viele Verhaltensauffälligkeiten, die unbewusst entstehen oder auch durch falsche Signale anerzogen werden. Zum Beispiel dadurch, dass der Hund zu wenig schläft und deshalb überdreht.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das am Futter liegt, ist eher gering. Oftmals reagieren wir auf unerwünschtes Verhalten des Hundes und trainieren ihm so eine bestimmte Reaktion an. Dieser Bereich hat definitiv zugenommen. Und da stellt sich die Frage, ob wir unseren Hunden überhaupt gerecht werden?“

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Rohstoffe allein liefern nicht alles in ausreichenden Mengen
Bei den ganzen Mythen, die sich um die Hundeernährung ranken – wie finde ich denn nun das richtige Futter für meinen Hund?
„Das ist davon abhängig, wie es für einen selbst am besten passt und was für einen Hund ich habe. Ich kann Barf-Pläne erstellen oder Pläne zum Selbstkochen, aber auch Fertigfutter empfehlen. Alles hat seine Vor- und Nachteile und die gilt es abzuwiegen.
Nicht jeder Hundehalter hat die Zeit, ständig selbst zu kochen. Zudem kann rohes Fleisch mit Keimen belastet sein – dies muss berücksichtigt werden. Was Barfen angeht, ist also auch die Fleischqualität entscheidend, ebenso Dinge wie das Einhalten der Kühlkette, Aufbewahrung, Handling etc.“
Die meisten Hundehalter wählen Fertigfutter. Worauf sollte ich da achten?
„Bei Fertigfutter ist es wichtig, darauf zu achten, dass alle wichtigen Nährstoffe enthalten sind. Die Rohstoffe allein liefern nicht alles in ausreichenden Mengen. Daher müssen wichtige Nährstoffe zugesetzt werden, die sogenannten ‚ernährungsphysiologischen Zusatzstoffe‘, die auch als solche deklariert gehören. Hierzu zählen alle Spurenelemente, also Kupfer, Eisen, Jod, Mangan, Zink, Selen, sowie Vitamine, und auch Aminosäuren.
Hat man sich entschieden, empfehle ich dann über drei bis vier Wochen auszuprobieren, ob der Hund das gewählte Futter verträgt und mag. Das ist individuell verschieden.“