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Erfahrungsbericht

Der Alltag mit meinem Angsthund Jasper ist eine Herausforderung

Viele Tiere haben mit kleinen Ängsten zu tun. Wenn aber nahezu jede alltägliche Situation zur Panik des Tieres führt, muss aktiv gegen die Angst vorgegangen werden.
Viele Tiere haben mit kleinen Ängsten zu tun. Wenn aber nahezu jede alltägliche Situation zur Panik des Tieres führt, muss aktiv gegen die Angst vorgegangen werden. Foto: Getty Images
Beke Enderstein
Freie Autorin

16. November 2023, 6:08 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten

Tierschutzhund Jasper stellt PETBOOK-Autorin Beke Enderstein mit seinen Angstattacken jeden Tag vor neue Herausforderungen. Hier erzählt sie, wie sie versucht, die Situationen so gut es geht zu meistern und wie es Besitzern gelingen kann, die Angst Schritt für Schritt in Vertrauen umzuwandeln. 

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In Leben eines jeden Hundebesitzers wird es früher oder später Situationen geben, in denen der Hund Angst hat. In der Regel fürchten sich viele Hunde etwa vor Gewitter oder Feuerwerk. Viele zittern auch schon an der Tür zur Tierarztpraxis. Es gibt aber auch Hunde, die in vielen Alltagssituationen ängstlich sind und mit totalem Rückzug oder Aggression reagieren, wenn sie nicht vor dem Furcht einflößenden Objekt flüchten können und die wir umgangssprachlich als „Angsthund“ bezeichnen.

Jasper kam aus einem griechischen Shelter nach Berlin

Seit Jasper vor gut einem Jahr aus Griechenland zu mir kam, war er ungefähr ein halbes Jahr alt. Er zeigte sich von Anfang sehr scheu und war völlig verunsichert durch die ganzen ungewohnten Geräusche von Berlin.  

So suchte Jasper bei unseren ersten Spaziergängen immer direkt Schutz unter einem Gebüsch und ich musste ihn die meiste Zeit tragen. Für einen jungen Hund aus dem Shelter, der zuvor nur ländliche Regionen und das Leben mit seinen Geschwistern fernab einer Großstadt kannte, vermutlich kein ungewöhnliches Verhalten. 

Die wirklichen Schwierigkeiten begannen erst später

Glücklicherweise vertraute Jasper mir von Anfang an und unsere Wohnung gab ihm Schutz vor den ungewohnten Geräuschen und Gerüchen der Großstadt. Bereits zu Beginn liebte er es, auf dem Rücken zu liegen. Ein Verhalten, das Vertrauen und Entspannung symbolisiert.

Sobald es jedoch nach draußen ging, zeigte Jasper auch die nächsten Monate Unbehagen. Angekommen in seinem Lieblingspark – und von seinen Dackel-Freunden Ellie und Lotti begrüßt, fiel der Stress glücklicherweise ab. 

Die wirklichen Schwierigkeiten begannen erst später und gehen sicher zum größten Teil auf die traumatischen Erfahrungen zu Beginn seines Lebens zurück. 

Zu aufgeregt, um sich draußen zu lösen

Die ersten Monate löste Jasper nie an der Straße. Erst wenn wir in einem ruhigen Park waren, verrichtete er manchmal sein Geschäft. Meist aber nicht, denn es gab nahezu immer irgendetwas, das ihn irritierte oder ängstigte.

Da ich mir dachte, dass sein Verhalten sicher darauf zurückgeht, dass er sich draußen nicht ausreichend entspannen konnte, um sich zu lösen, bin ich auf „Puppypads“ für die Wohnung bzw. den Balkon umgestiegen. So hat es dann zumindest Zuhause geklappt, dass Jasper sich löste.

Was praktisch klingt, hat allerdings auch seine Tücken, da Jasper glaubt, meine Teppiche sind auch eine Art Pipi-Unterlage. Dennoch kommt es immer seltener zu diesen Zwischenfällen und ich bin zuversichtlich, dass Jasper lernen wird, sich eines Tages nur noch draußen zu lösen – und ich wieder unbesorgt Teppiche auslegen kann. 

Ein kleines Rasenstück auf dem Balkon, um Jasper die Pads abzugewöhnen, hat leider nur kurzfristig geklappt. Dennoch würde ich dies jedem von Anfang an empfehlen, der eine Hundetoilette auf dem Balkon oder der Terrasse für Notfälle errichten möchte: Erde und Gras symbolisieren „Draußen“ und so kommt es gar nicht erst zur „Teppichproblematik“. 

Das A und O beim Umgang mit Angsthund: Alles braucht seine Zeit!

Viele Angsthunde konnten in den ersten Monaten seines Lebens kein Vertrauen aufbauen oder sind sogar traumatisiert. Sie brauchen daher länger, um selbstbewusst zu werden und Ängste zu überwinden. 

Die Spaziergänge mit Jasper sind nach wie vor eine Herausforderung: Zwar versteckt er sich nicht mehr unter einem Gebüsch, aber er schaut sich permanent nervös um, um die Lage in seiner Umgebung zu checken. So richtig zur Ruhe kommt er nur in der Natur oder auf Spaziergängen im (möglichst nicht überfüllten) Park – und natürlich in seinen geliebten „eigenen vier Wänden“. 

Einfach mal kurz zum Pieseln vor die Tür? Das funktioniert noch immer nicht. Vor allem dann nicht, wenn es gerade besonders turbulent zugeht: Kinder auf Rollern, die Müllabfuhr oder Bauarbeiten irritieren Jasper noch immer so sehr, dass er am liebsten direkt wieder in den Schutz unserer Wohnung flüchten würde.  

Auch die Dämmerung und die vielen Lichter der Stadt sind nach wie vor herausfordernd. Gleiches gilt für schnell vorbeifahrende Fahrradfahrer, oder rennende Kinder, die plötzlich neben uns auftauchen. 

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Aggressivität gegenüber Männern ist unser Hauptproblem

Das Hauptproblem, das jeden Tag präsent ist, betrifft jedoch das Aufeinandertreffen mit Männern. Bereits in den ersten Monaten nach seiner Ankunft hat Jasper einige Männer angebellt, die ihm zu nah gekommen sind. Meine Dogwalkerin und ich führen das darauf zurück, dass Jasper von Männern eingefangen und in die Tötungsstation gebracht wurde.  

Ungefähr mit Beginn der Pubertät wurde aus dem Bellen zunehmend aggressives Verhalten und mittlerweile schnappt Jasper leider auch zu. Während er beim Spazierengehen Personen, die ihm ungeheuer erscheinen, stets aus dem Weg geht, läuft er auf Männer laut bellend zu und würde auch beißen, wenn wir beispielsweise auf einer Bank oder im Park sitzen. 

Werden gewisse Grenzen überschritten, reagiert er aggressiv

Von unserer Hundetrainerin weiß ich, dass Hunde „in Räumen denken” und sobald wir uns irgendwo hinsetzen, steckt Jasper seinen Raum genau ab. Werden gewisse Grenzen überschritten, reagiert er aggressiv. Ich vermute, dass er zum einen selbst Angst verspürt, wenn ihm jemand zu nahe kommt und gleichzeitig möchte er mich beschützen. 

Auch der Gang durch unser Treppenhaus ist schwierig: Sobald Jasper auf engem Raum nicht die Möglichkeit zur Flucht hat, reagiert er angespannt, ängstlich und auch aggressiv, wenn unbekannte Personen plötzlich die Hand nach ihm ausstrecken.  

Distanz bewahren: „Bitte nicht streicheln!“

Zahlreiche Personen, die das richtige Verhalten gegenüber Hunden nicht kennen, neigen dazu, Jasper ungefragt streicheln zu wollen. Leider führt das „Über den Hund beugen“, gefolgt von einem Anfassen von oben dazu, dass insbesondere Angsthunde sich bedroht fühlen. Allerdings erzeugt dieses Verhalten auch bei anderen Hunden Unbehagen. 

Dass ungefragte „Streicheln wollen” ist eine echte Herausforderung, die sicher auch andere Hundebesitzer kennen. Da Jasper auf den ersten Blick so niedlich, ängstlich und schutzbedürftig wirkt, ist die Irritation oft groß, wenn er plötzlich zu schnappen versucht. 

Einige Personen reagieren mit großem Unverständnis. Es gibt glücklicherweise aber auch viele, die sich Jasper ganz vorsichtig nähern – meistens werden sie dann auch liebevoll begrüßt und einfach aus der nötigen Ferne beobachtet. Mittlerweile kennt Jasper ganz viele Personen hier im Kiez. Viele sind ganz gerührt, wenn er voller Wiedersehensfreude auf sie reagiert und gestreichelt werden möchte. 

Lektion 1: Nicht mehr ohne Leine!

Wenn Jasper frei im Park läuft und beispielsweise aus der Ferne jemanden sieht, der ihn triggert, passiert das gleiche Szenario, wie oben beschrieben. Ich kann also leider nicht ausschließen, dass er beißen würde. Daher kann ich Jasper nicht mehr wie zu Beginn frei laufen lassen, sondern nur noch angeleint – oder eben mit Maulkorb. Eine Schleppleine sorgt für etwas mehr Freiraum.  

Zusätzlich fährt Jasper zweimal pro Woche samt anderer Hunde mit seiner Dogwalkerin ins Grüne, um sich ausreichend zu bewegen und Schritt für Schritt an Sicherheit und Selbstvertrauen zu gewinnen. Zum Glück ist sie Profi im Umgang mit Angsthunden und auf den Bereich der Hundekommunikation spezialisiert. 

Lektion 2: Die Signale seines Hundes erkennen

Während ich selbst ein hohes Maß an Empathie besitze und ich die nonverbale Sprache unter Menschen leicht lesen kann, muss ich nach wie vor lernen, welche Signale Jasper aussendet. Das ist jedoch essenziell, da ich erkennen muss, wann Jasper Angst hat und meinen Schutz benötigt. Gleichzeitig kann ich so brenzlige Situationen vorausschauend erfassen, um rechtzeitig zu handeln. 

Ich habe gelernt, dass es besonders herausfordernd für Hundebesitzer sein kann, wenn der eigene Hund angeleint ist und ein dominanter Hund ohne Leine entgegenkommt. Ist der Besitzer des fordernden Hundes nicht befähigt, die Körpersprache seines Hundes zu lesen oder lässt ihn unbeobachtet in den Raum des angeleinten Hundes laufen, ist ein unterwürfiges oder aggressives Verhalten des Angsthundes vorprogrammiert.  

Daher ist es gerade für Besitzer mit Angsthunden – oder mit komplizierten bzw. schwierigen Vierbeinern so wichtig –, dass man genau lernt, die Signale seines Hundes zu deuten und rechtzeitig zu reagieren.  

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Lektion 3: Dem Hund Vertrauen vermitteln

Aus Büchern oder Dokumentationen über Hundeerziehung und insbesondere dank Gesprächen mit unserer Dogwalkerin, die auf Angsthunde spezialisiert ist, weiß ich, dass meine Hauptaufgabe darin liegt, Jasper Vertrauen zu vermitteln. Trotz des schwierigen Starts in sein Leben kann er so Schritt für Schritt an Sicherheit gewinnen und sein Angstverhalten in einigen Bereichen ablegen oder zumindest verringern. 

Das funktioniert aber nur, wenn ich die Verantwortung in der Situation übernehme und Jasper Sicherheit vermittle. Anbei ein paar Beispiele, wie ich versuche, den Alltag mit Jasper zu meistern.  

Unsere Anti-Angst-Strategien zum Umgang mit Jasper: 

Ich gebe Sicherheit

Ich muss jeden Tag lernen, mich darauf zu fokussieren, dass ich Jasper souverän durch schwierigen Situationen führe. Mittlerweile ist es nicht mehr Jasper, der mich spazieren führt, sondern ich bestimme, wo wir lang gehen. Dadurch vermittle ich ihm Sicherheit: Liebevoll, aber konsequent und „wegweisend“ – im wahrsten Sinne des Wortes. Müssen wir eine laute Baustelle passieren, nehme ich ihn an die andere Seite und signalisiere ihm so, dass ich alles im Griff habe. 

Routinen geben Sicherheit

Gleichzeitig sind Routinen so wichtig, da es Angsthunden Sicherheit vermittelt. Wir gehen morgens beispielsweise fast immer eine bestimmte Strecke. Während ich mich davor anziehe, wartet Jasper angeleint an der Tür. Als wegweisender Part unseres „Rudels“, verlasse ich zuerst die Tür. Das Anleinen erfüllt allerdings noch einen weiteren Zweck: Ohne Leine könnte Jasper unbeobachtet entwischen und entspannt in meine Wohnung pieseln.

Beim Überqueren der Straße achte ich immer auf den gleichen Ablauf: „Bleib!“ und „Rüber!“. Die wichtigste Routine ist Jaspers Rudellauf, auf dem er sich zweimal pro Woche für ein paar Stunden viel bewegt und mit seinen Kumpels, die fast alle Angsthunde sind, Übungen macht. Dort lernt er auch Hundebegegnungen und gewinnt an Vertrauen. Seitdem er ins Grüne fährt, macht Jasper große Fortschritte und springt mittlerweile voller Freude ins Auto, wenn er abgeholt wird. Anfangs zitterte er immer wie Espenlaub. 

Schwierige Situationen üben

Auch wenn ich ehrlich gesagt nicht wirklich entspannt auf einer Bank, im Restaurant oder im Park sitzen kann. Es ist wichtig, diese Situationen regelmäßig in den Alltag zu integrieren. Laut meiner Trainerin wäre es am besten, wenn Männer, die er normalerweise „angreifen” würde, ihm Leckerlies geben. Leider haben wir bisher noch niemanden finden können, der sich das zutraut ;)  

Besuch einladen

Neue Gäste oder Handwerker muss vorab anleiten, Jasper weder anzusprechen noch anzuschauen. Die Gefahr ist noch zu groß, dass er sich gegenüber unbekannten Männern aggressiv verhalten könnte. Vor allem, wenn diese auch noch in seine Schutzhöhle (Wohnung) eindringen. Ich habe ihn daher an der Leine und konzentriere mich auf den Besuch, damit ich ihm signalisiere, dass ich die Situation unter Kontrolle habe. 

Unterwegs Schutzräume schaffen

Damit ich auch mal ins Restaurant gehen kann, hat Jasper eine große Tasche, die sich zusätzlich perfekt für Reisen eignet. Sobald er sich dort hineinlegt, ist er entspannt und ich muss nicht befürchten, dass der Kellner vor Schreck die Gläser fallen lässt, wenn Jasper unter dem Tisch hervorschießt – also eine entspannte Situation für alle ;) 

Mehr zum Thema

Mit Kauspielzeug den Stress einfach „wegkauen”

Das Herumkauen auf Knochen und Spielzeug löst zunächst physiologischen und in Folge emotionalen Stress. Mittlerweile habe ich eine facettenreiche Ausführung zu Hause. Zudem nutze ich Schleckmatten, auf denen ich Nassfutter, Erdnussbutter und andere Leckereien verteile. Das Ablecken bzw. Schlecken führt ebenfalls zur Entspannung und löst Stress bei Hunden.

Zudem hat mir meine Dogwalkerin Leberwurst für besonders schwierige Situationen für unterwegs empfohlen, da das Schlecken Jasper zusätzlich an das extrem beruhigende Säugen als Welpe erinnert. 

Fortschritte sofort bestätigen

Sobald eine schwierige Situation gut gelingt, lobe ich Jasper sofort. Wenn etwas nicht so klappt, ignoriere ich es, damit er das „richtige“ bzw. gewünschte Verhalten mit etwas Positivem verknüpft. Zum Loben eignet sich übrigens am besten Aufmerksamkeit. Etwa ein liebevolles Streicheln. Das ist genauso gut wie Leckerlis, wie ich gelernt habe. 

Gezielter Stressabbau

„Last but not least“ wird unser Anti-Stress-Programm mit Meditations- und Entspannungsmusik, Lavendelöl sowie Entspannungsmassagen kompletiert. Als Ökotrophologin setze ich zudem auf Nahrungsergänzungsmitteln auf Basis von Baldrian, Melisse und Co.  

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