6. Oktober 2023, 6:01 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
„Der beißt nicht“ – und plötzlich passiert es doch. Hunde sind Lebewesen, die auf Stress oder wenn sie starke Schmerzen haben, anders als erwartet reagieren können. Welche Situationen Sie Ihrem Hund zuliebe vermeiden sollten, hat PETBOOK-Autorin Nina Ponath eine Hundetrainerin verraten. Denn so kann man dem Hund unnötigen Stress und damit verbundene Stressreaktionen ersparen.
Vor ein paar Jahren endete eine Party für meinen guten Freund Florian nachts beim Notarzt. Seine Lippe war komplett gerissen und musste um 3 Uhr morgens in der Notaufnahme eines Krankenhauses mit mehreren Stichen genäht werden. Der Übeltäter? „Enzo“, könnte man jetzt vorschnell antworten und dem Hund der Gastgeber, einem freundlichen, mittelgroßen Mischling, den Florian zu Beginn des Abends noch hinter dem Ohr gekrault hatte, die Schuld geben.
Das wäre aber eine ziemlich oberflächliche Antwort, die den Umständen so nicht wirklich gerecht würde. Die korrekte Antwort müsste eigentlich lauten: „Florians Freunde, die Gastgeber, die versäumt hatten, Enzo an diesem Abend einen sicheren Rückzugsort vor all dem Lärm, dem Geruch nach betrunkenen Menschen und dem Gewusel einzurichten.
Der beißt nicht! – Kann man mit Sicherheit sagen, dass ein Hund nicht beißt?
„Man kann nicht mit absoluter Sicherheit sagen, dass ein Hund nicht beißen wird“, sagt Hundetrainerin Anna Flügge von der „Hundehalterschule Karsten Schmiel & Anna Flügge“. Hunde sind Lebewesen mit eigenen Gefühlen und eigenen Verhaltensweisen. Genau wie wir fühlen Hunde Stress, Angst und können mal ängstlich, mal aggressiv reagieren. Das Verhalten kann durch Faktoren wie die Erziehung, die Rasse und die Erfahrungen, die ein Hund gemacht hat, beeinflusst werden. Dazu kommen weitere Faktoren wie Gesundheitszustand, Tagesform und die Umgebung.
Zu 100 Prozent lässt sich deshalb nie voraussagen, wie ein Hund in einer bestimmten Situation reagieren wird. Auch normalerweise freundliche Hunde können unter bestimmten Umständen aggressiv reagieren oder beißen. „Jeder Hund muss als Individuum betrachtet werden und reagiert aufgrund seiner rassetypischen Genetik, seiner Lebens- und Lernerfahrung anders“, sagt Hundetrainerin Anna Flügge.
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Stressreaktionen beim Hund
Nehmen wir noch mal das Beispiel meines Kumpels Florian. Enzo, der Hund, der ihm in seine Lippe gebissen hat, ist eigentlich ein sehr verträglicher, freundlicher Hund, der vorher noch nie gebissen hat. Mag sein, dass Enzo manchmal etwas scheu ist und unbekanntes mal ankläfft, mal erst skeptisch ist. In der Regel kriegt er sich aber nach wenigen Minuten wieder ein. An dem Abend, als Enzo meinem Kumpel in die Lippe biss, war er anfangs bei der Party mit dabei. Seine Besitzer wollten ihm damit einen Gefallen tun.
Mit der Zeit wurde er aber immer hektischer und so sperrten sie Enzo in das Schlafzimmer, in dem die Gäste am Anfang des Abends die Jacken auf das Bett abgelegt hatten. Danach war das Schlafzimmer erst mal eine ganze Weile zu – bis Florian im Dunkeln hineinkam, seine Jacke holen wollte und sich dabei – ohne ihn zu sehen – über Enzo beugte und ihm so vermutlich den ultimativen Schrecken einjagte. Das vermutet auch Hundetrainerin Anna Flügge: „Es kann Situationen geben, in denen ein Hund Angst hat und der Situation nicht aus dem Weg gehen kann, weil er zum Beispiel angebunden ist oder in die Ecke gedrängt wurde. Da kann es passieren, dass ein sonst freundlicher Hund im Zweifel auch beißt.“
Auch wenn ein Hund wichtige Ressourcen wie Spielzeug oder Futter hat und er nicht gelernt hat, diese wieder abzugeben, kann es passieren, dass er beißt, so die Hundetrainerin. Gleiches gälte auch bei körperliche Beschwerden: „Auch starke Schmerzen können dazu führen, dass ein Hund beißt.“
7 Situationen, die Sie ihrem Hund zuliebe vermeiden sollten
Damit sich Ihr Hund nicht überfordert fühlt und es zu einer ungewohnten Reaktion kommt, sollten Sie Ihren Hund gar nicht erst in gewisse Situationen bringen. Hierzu zählen die folgenden sieben Situationen:
- Fassen Sie Ihren Hund nicht an, wenn er Schmerzen hat
Hat ein Hund starke Schmerzen oder gar Panik (zum Beispiel nach einem Verkehrsunfall) sollten Sie ihn mit einem Maulkorb sichern, bevor Sie ihn anfassen.
- Lassen Sie Ihren Hund nicht von fremden Menschen anfassen
Von fremden Menschen angefasst oder gar auf den Arm genommen zu werden, ist für die wenigsten Hunde eine schöne Situation. Auch Kinder sollten Sie Ihren Hund nur unter Ihrer Aufsicht streicheln lassen, um sicherzugehen, dass Ihr Hund nicht unangenehm im Gesicht, oder an anderen sensiblen Stellen, angefasst wird.
- Nicht in den Arm nehmen
Die meisten Hunde fühlen sich bedrängt, wenn sie in den Arm genommen werden. Natürlich gibt es hier auch Ausnahmen.
- Beim Fressen nicht streicheln
Wenn Ihr Hund frisst, sollten Sie ihn fressen lassen.
- Nicht im Schlaf anfassen
Streicheln Sie Ihren Hund nicht, während er schläft. Es kann sein, dass Sie ihn dabei erschrecken.
- Partys und laute Menschenmengen
Sorgen Sie dafür, dass Ihr Hund bei Feiern einen Rückzugsort hat. Große Menschenmengen sollten Sie mit Ihrem Tier vermeiden. Denn die könnten bei Ihrem Hund unnötigen Stress erzeugen.
- Zu intensives Spielen mit Stock oder Ball
Spielen ist eine tolle Möglichkeit, um die Bindung zwischen Hund und Halter zu festigen. Einige Hunde überdrehen jedoch im Spiel. Beobachten Sie, wie Spielen auf Ihren Hund wirkt und stellen Sie es im Zweifelsfall ein.
Der Besuch einer kompetenten Hundeschule kann helfen
Hundehalter können mit einigen Tricks und Kniffen vorbeugen, dass ihr Hund in Stressreaktionen beißt. „Es ist wichtig, sich eine kompetente Hundeschule zu suchen, um zu lernen, den Hund richtig zu lesen und einzuschätzen“, sagt Hundetrainerin Anna Flügge. Als Hundetrainerin zeigt sie ihren Kunden zudem, wie man seinem Hund beibringen kann, sich in Stress oder Angstsituationen an seinen Menschen zu wenden und nicht eigenständig zu entscheiden. So hat man als Halter weiterhin die Kontrolle. Im Zweifelsfall ist Vorsicht immer die beste Methode:
„Wenn der Hund schon einmal gebissen hat, ist es wichtig einen gut sitzenden Maulkorb zu kaufen und ein Maulkorb Training zu machen“, sagt Anna Flügge.
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Das hat sich durch den Vorfall verändert
Mein Freund Florian war nach dem Vorfall weder sauer auf Enzo, noch hat er seitdem auch nur in irgendeiner Weise Angst vor Hunden entwickelt. „Das war ein Unfall“, meint er. Alles beim Alten bei ihm. Bei den Besitzern von Enzo hingegen, hat sich etwas geändert. Zum Glück.
Sie sorgen heute dafür, dass ihr Hund auf Partys und anderen lauten Veranstaltungen seinen eigenen Raum und Rückzugsort hat. Wenn sie ihn heute – ihm zuliebe, damit er nicht gestresst zwischen den Gästen herumläuft – ins Schlafzimmer sperren, in dem er Ruhe hat, tragen sie dafür Sorge, dass den restlichen Abend auch wirklich niemand mehr das Zimmer betritt.
Mein Fazit
„Hunde sind keine Maschinen, sondern Lebewesen mit ganz eigenen Gefühlen, Reaktionen und Verhaltensweisen. Wie ein Hund reagiert, ist eine Frage der Erziehung, der Rasse und einer Menge weiterer Faktoren wie dem Gesundheitszustand des Hundes, der Umstände und der Situation. Auch Hunde, die für gewöhnlich immer freundlich sind, können aggressiv reagieren und sogar beißen, wenn sie sich stark bedroht fühlen und sie Angst haben. Damit es nicht dazu kommt, sollten Sie als Halter:in verantwortungsbewusst mit Ihrem Hund umgehen und ihn nicht überfordern. Steht eine stressige Situation (wie zum Beispiel eine Party) an, tun Sie Ihrem Hund einen Gefallen und streichen Sie ihn von der Gästeliste. Er wird es Ihnen danken. “– Nina Ponath