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Thomas Baumann im Interview

Hundetrainer über Rüden in der Pubertät: »Hyperaktive Hunde werden häufig von ihren Haltern bestärkt

Kollage aus rennendem Hund und Porträtbild von Hundetrainer Thomas Baumann
In der Pubertät begehen viele Halter den Fehler, ihren Rüden auspowern zu wollen – und machen den Hund damit nur noch nervöser Foto: Getty Images/Manuela Lieflaender
Porträtaufnahme von Autorin Manuela Lieflaender mit Hund Elvis
Freie Autorin

12. April 2024, 11:51 Uhr | Lesezeit: 17 Minuten

Wenn Hunde in der Pubertät sind, zeigen sie plötzlich Verhaltensweisen, mit denen ihre Halter überfordert sind. Sie hören nicht mehr auf Kommandos, verteidigen vielleicht ihren Futternapf, sind mal ängstlich oder sogar aggressiv. Wie verhält man sich in solchen Situationen richtig? Darüber sprach PETBOOK-Autorin Manuela Lieflaender mit Hundetrainer Thomas Baumann.

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Noch vor der Vollendung des ersten Lebensjahres kommen die meisten Hunde in die Pubertät. In dieser Phase findet nicht nur die körperliche, sondern auch geistige Reifung statt. Viele Strukturen im Gehirn sind im Umbau. Das führt nicht selten dazu, dass unsere Hunde plötzlich mit den einfachsten Kommandos oder Sinneseindrücken überfordert sind – und ihre Besitzer verzweifeln lassen. Vor allem Rüden können in der Pubertät Verhaltensweisen entwickeln, die Ihre Menschen schlicht überfordern.

PETBOOK-Autorin Manuela Lieflaender kann ein Lied davon singen. Mit ihrem Australian-Shepherd Elvis hat sie einiges durchgemacht (mehr dazu lesen Sie in der PETBOOK-Kolumne „Unser Welpe Elvis“). Der Junghund beißt in die Leine, ist hyperaktiv und bekommt auch schon mal Wutanfälle, wenn er nicht genug Aufmerksamkeit erhält. Wie geht man mit so einem „Pubertier“ richtig um? Das fragte Manuela Lieflaender den erfahrenen Hundetrainer und Buchautoren Thomas Baumann im Interview.

Auch interessant: Darum sind Hunde in der „Pubertät“ so anstrengend und das hilft dagegen 

„Bei einem pubertierenden, ängstlichen Hund würde ich fragen, wie die Mutterhündin war“

PETBOOK: Thomas, in der Pubertät zeigen Hunde und vor allem Rüden plötzlich Verhaltensweisen, die man von ihnen als Welpe noch nicht kannte …
Thomas Baumann: „Zunächst mal sollte man Hundeverhalten nicht herunterbrechen auf die Pubertät. Sie ist nur ein Baustein. Im Zeitraum der Pubertät gibt es Umbauprozesse im Gehirn. Diese Prozesse bedeuten unter anderem hormonelle Veränderungen, die wiederum auch das Verhalten ändern.“

Du willst damit sagen, man sollte nicht alles auf die Pubertät schieben?
„Bei einem pubertierenden, ängstlichen Hund würde ich mich erst mal fragen, wie viele Wurfgeschwister er hatte, woher er kommt und wie die Mutterhündin war. Wie verhielt sie sich, bevor der Welpe auf die Welt kam? Wie ist die Mutter aufgewachsen? Das heißt, hier spielt neben der eigentlichen Genetik auch die Epigenetik eine Rolle.“

Ich glaube, die wenigsten Welpenkäufer wissen, wie die Mutter ihres Welpen wirklich ist.
„Diese Informationen sollte man haben. Denn es sind genau diese kognitiven Vermächtnisse, die als genetische Bausteine weiter transportiert werden. Nehmen wir als Beispiel einen Australian Shepherd Welpen mit zehn Wurfgeschwistern. Die Mutter ist instabil, der Züchter hat nicht die besten Bedingungen bei der Aufzucht. Er hat mehrere Zuchthündinnen, ist ein Vermehrer. Da haben wir schon mal die Grundlage für Verhaltensauffälligkeiten. Das ist unabhängig von der Pubertät.“

„Ein Unruhe-Geist muss erst mal lernen, zur Ruhe zu kommen“

Während Thomas Baumann spricht, läuft plötzlich mein Rüde Elvis durch den Seminarraum, der gerade in der Pubertät ist. Er hatte sich von seiner Leine befreit. 
Thomas interveniert: „Lass ihn mal nicht durch den Raum laufen, sondern halt ihn bei dir. Wenn wir ihn hin und her laufen lassen, fördert das die Unruhe des Hundes. Was ich schon sehe, ist: Er ist ein Unruhe-Geist. Ein Unruhe-Geist muss erst mal lernen, zur Ruhe zu kommen. Dazu üben wir unter anderem das Decken-Training. Der Platz auf der Decke wird dadurch ein verpflichtender Ruhebereich. Dann gibt’s Ruhe und kein Aufstehen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt.“

Was machen die Umbauprozesse im Gehirn mit einem Rüden in der Pubertät?
„Neben der Genetik haben wir in der Pubertät Verhaltensverschiebungen. Bei dem Rüden schießt das Testosteron ein. Das Sexualhormon ist der Gegenspieler von Cortisol, dem Stresshormon. Es bringt den unsicheren Hund in einen Zwiespalt. Das Testosteron macht ihn ‚mutiger‘ und aktiver, das Cortisol hemmt ihn. Das führt dazu, dass der Rüde hektisch und unruhig wird. In dieser Phase der Pubertät ist es wichtig, den Hund nicht zu überfordern.“

„Hunde, die hyperaktiv wirken, werden häufig von ihren Haltern bestärkt“

Was braucht der Hund in dieser Zeit?
„Er muss viel Ruhe haben und Planungssicherheit. Sein Bestreben, Action zu haben, sollte nicht bedient werden. Von der Ernährung angefangen bis hin zur Beschäftigung, müssen wir an allen Stellschrauben drehen, um den Hund die Pubertät möglichst optimal überstehen zu lassen. Vor allem Hunde, die hyperaktiv wirken, werden häufig von ihren Haltern darin bestärkt. Man hilft ihnen dabei, sich möglichst viel auspowern zu können. Dann wird ihnen gar nicht so selten ADHS diagnostiziert, obwohl diese Diagnose überhaupt nicht richtig ist. Diese Hunde sind nur übermüdet. Sie bekommen nicht die Ruhephasen, die sie brauchen.“

Thomas Baumann blickt auf Elvis: „Er liegt nun schon eine ganze Weile ruhig auf seiner Decke. Bei mir bekommt ein Hund keine Zuwendung, wenn er hektisch ist, sondern wenn er ruhig ist. Wenn er liegt, streichle ich ihn mit der flachen Hand, um ihm etwas Gutes zu geben. Wir neigen immer zum Korrigieren, wenn Hunde Fehler machen. Und wenn sie etwas richtig machen, warten wir auf den nächsten Fehler, um wieder einzuwirken. Sag ihm ein ruhiges ‚gut‘ oder ‚easy‘. Ein Wort, das sich warm anhört.“ 

Während der Pubertät kommt es bei manchen Hunden und vor allem Rüden gelegentlich zu Unsicherheiten. Wie geht man damit um?
„Das Aushalten von Stress muss der Hund lernen, und zwar im Zusammenwirken mit dem Sozialpartner. Das ist das Effektivste, was es überhaupt gibt.“

Manuela Lieflaender und Thomas Baumann vor einem Hauseingang
PETBOOK-Autorin Manuela Lieflaender besuchte Hundetrainer Thomas Baumann zusammen mit „Pubertier“ Elvis Foto: Manuela Lieflaender

Wenn der Hund zur Ruhe kommt, sollte man das positiv verstärken

Wie trainierst du das?
„Wenn der Hund eine negative Erwartungshaltung hat, nehme ich ihn an meinen Körper und halte ihn ganz ruhig fest. Jetzt kommt ein Hund oder ein Mensch auf uns zu oder an ihm vorbei. Mein Hund wird unruhig. Ich stoppe ihn, zeige ihm, dass ich eine Komfortzone für ihn habe, in der ihm nichts passiert. Aber die Erfahrung, dass ihm nichts passiert, die muss er machen. Wir wiederholen das Ganze mehrfach im Training und achten darauf, dass die negative Erwartungshaltung des Hundes nie erfüllt wird. Auf diese Weise wird der Hund immer stabiler und sicherer. Ist der Mensch vorbei, erhält mein Vierbeiner ein ruhiges Lob“

Mit welchen Hilfsmitteln arbeitest du in der Situation?
„Wir arbeiten mit einer Futtertube, die wir zuvor im Zusammenhang mit Entspannung konditioniert haben. Die Futtertube bekommt er erst, NACHDEM der Mensch oder der andere Hund weg ist. Erst dann gibt es die Belohnung, weil es dann keine Ablenkung mehr ist. Dass der Hund zur Ruhe kommt, ist ein erwünschtes Verhalten, dass wir positiv verstärken. So vermitteln wir den Hunden ein neues Gefühl für Stress und Konfliktverhalten. Aber die Futtertube einfach nur hinzuhalten, angesichts des Menschen, der da kommt, das wäre falsch. Denn es gibt Hunde, die retten sich dann ‚in die Tube‘. In dem Moment schaffe ich eine Abhängigkeit davon und das ist nicht das, was ich will.“

Bei futteraggressiven Welpen, war fast immer der Züchter beteiligt

Futter ist eine wichtige Ressource. Während der Pubertät kann es passieren, dass der Rüde plötzlich ein Spielzeug oder seinen Futternapf verteidigt. Wie sieht die richtige Reaktion des Menschen in dem Fall aus?
„Wenn ich in der Welpengruppe futteraggressive Hunde sehe, war fast immer der Züchter beteiligt. Er hat die Welpen alle an einen Napf gesetzt und nur wer sich durchgesetzt hat, bekam die größte Portion. Wenn es erst zu einem späteren Zeitpunkt, zum Beispiel in der Pubertät, dazu kommt, kann es unter anderem mit dem Wachstum der Persönlichkeits-Reife zusammenhängen. Der Hund probiert einfach mal was aus. Er lässt seinen Halter dann mal nicht so einfach an das Futter heran.

Hunde in der Pubertät testen und versuchen, zu expandieren. Die erzieherischen Grenzen werden hinterfragt! Da kann es sein, dass er mal knurrt, nur um zu sehen, was passiert. Das ist erst mal gar nicht schlimm. Nur wenn der Mensch entsprechend zurückhaltend oder – gegenteilig – maßlos auf den Hund einwirkt, dann kann das in die falsche Richtung gehen.“

Das heißt, man sollte das Verhalten ignorieren und sich trotzdem den Napf nehmen?
„Man sollte den Hund nicht für das Knurren bestrafen. Bei fast allen Hunden in der Pubertät kann man trotzdem ganz ruhig an den Futternapf gehen und die Schüssel hochnehmen. Und ihn dann, wenn er hochschaut – dann knurrt er auch nicht mehr – freundlich sagen: ‚Genauso, jawoll.‘ Anschließend stellt man den Napf wieder hin. Manche legen auch noch zusätzlich etwas in den Napf hinein, damit der Hund deutlicher lernt, dass man ihm das Futter nicht streitig machen möchte.“

„Je mehr Frustration da ist, desto schneller kommt dieser Hebel in Richtung Aggression“

Viele erschrecken sich erst mal und sind enttäuscht, wenn sie von ihrem eigenen Hund angeknurrt werden …
„Ein Hund kommt nicht mit einer Ressourcenaggression auf die Welt. Er kommt auf die Welt mit einer hohen Affinität gegenüber Futter. Wenn ihm dies dann möglicherweise weggenommen wird, erzeugt das erst mal keine Aggression, sondern Frustration. Je mehr Frustration vorhanden ist, desto schneller kommt dieser Hebel in Richtung Aggression. Wird die aus Sicht des Hundes positiv belegt, weil der Mensch sich zurückzieht, sogar erschreckt, dann manifestiert sich das Verhalten schnell. Jeder Mensch, der befürchtet, dass sein Hund ihn beißen könnte, sollte nicht bei einer erkennbaren Ressourcenaggression selbst einschreiten, sondern sich fachkompetente Hilfe holen.“

Wie sollte man bis dahin vorgehen, wenn man befürchtet, gebissen zu werden?
„Man kann vorübergehend Tauschgeschäfte machen, um zu deeskalieren. Man sollte aber auch wissen, Tauschgeschäfte haben nichts mit Erziehung zu tun. Tauschgeschäfte sind Deals, denn ich biete dem Hund etwas anderes an für das, was er hat. Das ist ein materieller Deal und das macht der Junkie mit dem Drogendealer genauso. Stoff gegen Geld und dann wird eben getauscht.“

„Ich würde einem Hund nie verbieten, dass er bellt“

Manchmal ist es nicht das Futter, das verteidigt wird, sondern Haus und Hof. Natürlich sollte ein Hund anschlagen. Aber wie sollte man sich verhalten, wenn der Hund nicht mehr aufhört, zu bellen?
„Klar, eine territoriale Ausprägung in der Pubertät ist bekannt. Das beginnt teilweise schon in der Welpenzeit. In dem Punkt bin ich meinen Hunden gegenüber immer sehr kooperativ. Ich würde einem Hund nie verbieten, dass er bellt, da bin ich kompromissbereit. Wenn er mir durch das Bellen ankündigt, dass Besuch kommt, ist das völlig in Ordnung, aber dann muss er auf mein Kommando hin auch wieder ruhig sein. Das schaffen viele Halter aber nicht. Da fehlt das häusliche Management. Dann könnte das territoriale Verhalten des Hundes dadurch bestärkt werden, dass er eben keine souveränen Hundebesitzer zu Hause hat. Wenn jetzt noch dazu kommt, dass der Mensch den Hund ignoriert oder ihn anschreit und selbst erregt ist, dann gießt man Öl ins Feuer und es wird schlimmer statt besser.“

Wie sollte das häusliche Management aussehen, damit mein Hund nicht zum Kläffer wird, wenn Besuch kommt?
„Man muss trainieren, dass der Hund einen Rückzugsbereich hat und in diesen Rückzugsbereich bringe ich ihn. Es kann sich um eine Box handeln oder eine Anbindevorrichtung. Bei der Box geht es nicht darum, den Hund permanent einzusperren, sondern darum dem Besuch, die Gelegenheit zu geben, ins Haus zu kommen, sich hinzusetzen und dem Vierbeiner schließlich die Gelegenheit zu geben, freundlich Kontakt aufzunehmen. Dann kann ich den Hund mittels Hausleine, – oder bei kritischen Hunden mit Hausleine und Maulkorb – zum Besuch führen.“

„Man muss immer die Rassedisposition mit bedenken“

 Und wenn er trotzdem noch bellt?
„Entweder hört er auf, wenn ich ihm sage ‚lass es‘, oder er ist noch nicht so weit. In dem Fall muss er noch mal in die Box. Wenn der Besuch da ist, brauchen manche Hunde ungefähr vier bis fünf Minuten, um sich zu beruhigen. Natürlich dürfen Hunde nicht in der Box gehalten werden, das ist tierschutzrechtlich verboten. Aber für ein paar Minuten, und für das Besuchermanagement, ist das in Ordnung. Territorialität ist also immer sehr stark davon abhängig, was ich zulasse als Mensch. Und auch hier geht es wieder um die genetische Disposition. Es gibt viele Hunderassen, die für territoriales Verhalten gezüchtet wurden. Herdenschutzhunde zum Beispiel, auch Hütehunde neigen natürlich immer wieder dazu, territoriale Aktivitäten zu zeigen. Man muss immer die Rassedisposition mit bedenken. Viele Terrierrassen wie Westhighland Terrier, Norfolk Terrier und was es da alles an kleinen Terriern gibt, sind häufig vergleichsweise extrem.“

Wenn man Besuch hat und der Hund bellt permanent in der Box weiter, wird’s für alle Seiten anstrengend. Hast du einen Tipp für Halter, die nicht so erfahren sind und lieber mit Hilfsmitteln arbeiten statt mit Autorität? Letztere hat nun mal nicht jeder.
„Man kann eine ganz neue Verknüpfung schaffen. Es klingelt an der Tür, Hund bellt und du sagst: ‚Habe ich gehört, jetzt bekommst du eine Futterbelohnung‘. Das kann man üben. Da kann man sich mit Nachbarn oder Bekannten absprechen, die dann immer um eine vereinbarte Uhrzeit klingeln. Damit will ich die Verknüpfung schaffen, dass Besuch etwas Positives ist, weil’s dann Futter gibt. Solche Sachen sind aber immer Plan B, weil es nichts mit Erziehung zu tun hat, sondern eine Art Bestechung ist. Aber bevor man zu emotional oder zu druckvoll agiert und mit dem Hund in eine Diskussion geht, ist Plan B besser.“

„Ich habe keine Zweifel mehr, dass eine fleischlastige Ernährung das Stresssystem bei Hunden negativ beeinflussen kann“

In die Diskussion gehe ich mit Elvis auch in diesem Moment. Er beißt unter dem Tisch gerade in die Leine und fiept. Dieses Problem habe ich auch, wenn ich draußen auf dem Spaziergang jemanden treffe und bei der Person eine Weile stehen bleibe.
„In dem Fall sollte man sich zunächst fragen, ob der Rüde ausreichend Ruhe hatte – also 16 bis 18 Stunden. Die muss er haben. Dann frage ich mich, was füttere ich den Hund? Füttere ich noch immer fleischlastig? Bekommt er Rindfleisch? Oder füttere ich proteinreiche Nahrung mit 70 Prozent Fleischanteil? Dann trage ich zu dieser Unruhe bei.“

Durch die fleischreiche Ernährung?
„Ja. Wir haben sehr viele Erfahrungen in dem Bereich gemacht. Ich habe hier in den vergangenen 40 Berufsjahren schon mit Tausenden von Hunden zu tun gehabt. Mittlerweile habe ich überhaupt keine Zweifel mehr, dass eine fleischlastige Ernährung – vor allem Rindfleisch– das Stresssystem bei verhaltensauffälligen Hunden negativ beeinflussen kann.

Dieses Verhalten beobachten meine Frau und ich auch bei unserem zweijährigen Russischen Terrier-Rüden, wenn er zu viel Rindfleisch bekommt. Unser Terrier ist bereits seit seiner Welpenzeit außerordentlich statusbezogen. Wir haben ihm eine Zeit lang versuchsweise Trockenfutter mit Rind gegeben und in der Phase sind seine Status-Bestrebungen erkennbar schlimmer geworden.“

„Verhaltensauffällige Hunden mit nur einer Proteinquelle füttert“

Was fütterst du deinem Jungrüden heute?
„Wir geben und empfehlen mittlerweile ein bestimmtes Trockenfutter mit Ente und Kartoffel. Durch Zufütterung von Gemüse, Obst, Frischkäse und diverse Kräuter und Öle wird der Fleischanteil nochmals reduziert. Die Hunde kommen bei dieser Fütterung besser zur Ruhe. Wichtig ist dabei auch, dass man verhaltensauffälligen Hunden mit nur einer Proteinquelle füttert und keinen Mix aus unterschiedlichen Proteinquellen anbietet. Also nur Ente und nicht Ente und Rind oder Ähnliches.“

Abgesehen von der Ernährung, woraus sollte man sonst noch achten, wenn einem der Junghund auf der Nase herumtanzt?
„Wenn ich den erzieherischen Zugriff auf den Hund nicht habe, dann verzichte ich bei der Beschäftigung auf alles, was auf Augenhöhe passiert. Außer Schmusen beziehungsweise soziale Zuwendung.“

»Sobald ich Raufspiele mache, bewege ich mich auf Augenhöhe mit dem Junghund

Du meinst Zerrspiele?
„Man kann mit einem Zergel spielen und den Hund mal gewinnen lassen, wer man ihn im Griff hat. Ist das erzieherisch nicht der Fall, dann ist das Gift. Solche Hunde sollten die Kumpelebene erst mal nicht wahrnehmen. Stattdessen ist es ratsam, in der Position des Anführers zu bleiben und alles, was man macht, aus einer ruhigen und soliden Position herauszutun. Sobald ich körperbetonte Rennspiele und Raufspiele mache und mich auf Augenhöhe mit dem Junghund bewege, sinkt für entsprechend auffällige Hunde meine Autorität. Man sieht das auch bei Hunden untereinander. Autoritäre, vierbeinige „Persönlichkeiten“ spielen mal für einen kleinen Moment. Aber überwiegend sieht man diese Hunde sozial kommunizieren, aber nicht sozial exzessiv interagieren. Das bedeutet, Rennspiele sieht man bei souveränen Anführer-Hunden vergleichsweise selten.“

„Wir finden es süß, wenn Welpen Menschen manipulieren“

In der Pubertät ist der andere Hund für Rüden besonders spannend. Der Frust ist groß, wenn keine Kommunikation zwischen den Hunden stattfinden darf, weil sie zum Beispiel angeleint sind. Was tun, wenn man einen Hund an der Leine hat, der winselt und bellt, weil er zum Artgenossen möchte?  
„Man sollte sich zunächst fragen:  Was sind die Auslöser für dieses Verhalten? Es gibt das Titanic-Syndrom. Es gab, meines Wissens nach, sieben verschiedene Ursachen in der Gesamtheit, die es ermöglicht haben, dass das Schiff gesunken ist. Wenn wir Deinen Hund als Beispiel nehmen: Er hat eine genetische Disposition für ein solches Verhalten, also sich aufzuregen und zum anderen Hund hin zu wollen. Noch dazu ist er ein sehr geselliger Hund. Er will unbedingt Gesellschaft haben. Noch dazu hat er das vermutlich in einer schlecht geführten Welpengruppe gelernt.

Vielleicht hat er das Beute-Fang-Verhalten auch schon beim Züchter gelernt. Diesen Wunsch nach Geselligkeit haben zudem fremde Leute bedient. Er hat sie als Welpe angesprungen und sie fanden das süß. Das sind Lernprozesse, die die Begierde, zu fremden Menschen hinzukommen erhöhen. Elvis hat keine schlechten Erfahrungen gemacht. Im Gegenteil. Er hat sehr gute Erfahrungen gemacht. Aber die guten, die hätte er in dieser Form gar nicht machen dürfen.“

Warum hätte er die guten Erfahrungen nicht machen dürfen?
„Er ist manipulativ, das sieht man ja. Erst gibt er die linke Pfote, dann die rechte. Weil man dadurch auf ihn eingegangen ist, hat das seine Gehirnstrukturen nachhaltig beeinflusst. Wir finden es süß, wenn Welpen Menschen manipulieren, wodurch der Nährboden für soziale Distanzlosigkeit geschaffen werden kann.“

„Fröhliche Menschen haben fröhliche Hunde“

Du sagst, hyperaktive Hunde sollten nicht ständig Action haben. Welche Beschäftigungsmöglichkeiten favorisierst du für sie stattdessen?
„Solche Hunde brauchen eine Beschäftigung, bei der sie sich konzentrieren müssen. In erster Linie ist die Nasenarbeit sehr hilfreich. Außerdem Konzentrationsspiele wie Trickdog, in denen dem Hund nicht Aktionismus vermittelt wird, sondern, bei denen er einfach zur Ruhe kommt und trotzdem noch Spaß hat. Und wir sind immer als souveräne und ruhige Partner mit dabei. Zu Hause knuddelt man natürlich auch. Dorit Feddersen-Petersen (eine renommierte Wissenschaftlerin für Hundeverhalten, Anm. d. Red.) hat den Satz geprägt: ‚Fröhliche Menschen haben fröhliche Hunde‘ – und genauso ist das.“

Was bedeutet das konkret für Rüden in der Pubertät?
„Wir haben viele verhaltensauffällige Hunde, deren Menschen nicht mehr fröhlich sind. Diese Menschen sind depressiv anmutend, widmen sich dem Hund sorgenvoll. Beobachten ihn mit strengem und ernstem Blick. Machen sich Gedanken, warum etwas so oder so ist. Da kommt keine Lockerheit mehr auf und keine Fröhlichkeit. Ruhe und Entspanntheit heißt aber nicht, dass wir dem Hund nur mit Ernsthaftigkeit begegnen, sondern auch mit Lockerheit.“

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„Der Mensch ist zu einer großen Herausforderung für Hundetrainer geworden.“

Was macht das mit dem Hund, wenn der Mensch nur noch ernst ist?
„Der Hund muss mit dem Stress, den der Mensch hat, umgehen. Er hat ein Anpassungssystem und zeigt dann bestimmte Verhaltensweisen, wie zum Beispiel Aggressionen gegen Artgenossen. Wir müssen bedenken, es gibt zwar Stressoren, aber Stress findet nur in unserem Kopf statt. Deshalb ist es wichtig, dass trotz aller Krisen in unserem Kopf immer Frieden herrscht.

Es ist erstaunlich, wie groß der Zusammenhang zwischen hektischen, unruhigen Hunden und ihren gestressten Menschen ist. Deshalb sind Hundetrainer mehr denn je heutzutage Menschentrainer. Denn Hunde sind fast immer easy. Der Mensch ist zu einer großen Herausforderung für Hundetrainer geworden. Und dann wäre da noch letztlich der Gedanke eines Hundes: ‚Als ich in die Pubertät kam, wurden meine Besitzer schwierig!‘ Da ist schon einiges dran!“

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