12. Mai 2023, 6:03 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Die Erziehung eines jungen Hundes sollte direkt in Angriff genommen werden – denn die Sozialisierung, zum Beispiel in einer Welpenspielgruppe ist wichtig. Denn immer wieder können die Ursachen von Leinen-Aggression und Spiel-Sucht auf schlechte Gruppenführung zurückgeführt werden.
Es ist Freitagabend. In der Hundeschule findet die Welpenspielgruppe statt. Sechs Welpen spielen abwechselnd miteinander auf dem Hundeplatz. Das Spiel ist zunächst harmonisch. Nach ungefähr 15 Minuten liegt der Cane Corso Welpe Henri auf dem Rücken, auf ihm Golden Retriever Welpe Milow. Beide deuten immer wieder einen Schnauzenbiss an. Die Trainerin ahnt, dass Gefahr im Verzug ist und bittet die Hundehalterinnen einen Kreis um die beiden Hunde zu bilden und die anderen Welpen bei sich zu behalten. Dann fordert sie die Besitzerinnen von Henri und Milow auf, die beiden Streithähne zu rufen und dabei in die Hände zu klatschen. Das laute Rufen und Klatschen der beiden Besitzerinnen ist aus 30 Metern Distanz gut zu hören. Der Erfolg hingegen bleibt aus. Schließlich greift die Trainerin ein und trennt die Welpen. War die Vorgehensweise richtig?
„Der erste Eindruck zählt und der letzte Eindruck bleibt“
Leinenaggressionen und immer mehr „spielsüchtige“ Hunde. Wenn Welpenspielgruppen schlecht geführt werden, kann das Hundebaby schnell zum Problemhund werden. PETBOOK sprach mit Hundeexperte Thomas Baumann über die Probleme in Welpengruppen und worauf Hundebesitzer bei der Auswahl achten sollten.
Der Fachbuchautor kennt die obige Situation: „Wenn beide Hunde auffallend häufig einen Schnauzenbiss andeuten, dann ist das meistens kein Spiel mehr, sondern ein Streit, der das Stressempfinden erhöhen kann. So weit sollte man es nicht kommen lassen. Wenn es so entgleist ist wie bei Milow und Henri, kann man nur hingehen und beide Welpen gleichzeitig aus der Situation nehmen.“ Baumann rät, beiden Hunden zunächst eine Pause zu gönnen und ihnen später andere Spielpartner zuzuweisen, die besser passen. „Wichtig ist, wenn die Welpen getrennt werden, nicht den Platz zu verlassen. Der erste Eindruck zählt und der letzte Eindruck bleibt.“
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Welpenspielgruppen müssen gut geführt werden
Milows Besitzerin hat nach dem Vorfall mit ihrem Welpen den Platz verlassen. Beim nächsten Spieltermin weigert sich der junge Golden Retriever, seinem Frauchen auf den Hundeplatz zu folgen. Die Interaktion mit Henri und die Aufgeregtheit seines Menschen hat den Welpen verunsichert. Frauchen ist ratlos. Ab wann hätte sie selbst oder die Trainerin die Auseinandersetzung der beiden Hunde unterbrechen müssen?
„Das ist eine Frage des Bauchgefühls“, sagt Thomas Baumann. „Wenn es bei beiden Welpen noch ein sozialer Austausch im Sinne von ‚Geben‘ und ‚Nehmen‘ ist und sie ansprechbar sind, ist alles okay. Wenn wir jedoch merken, es wird hektisch und einer von beiden Welpen fühlt sich nicht mehr wohl, dann ist es Zeit, zu reagieren. Das kann man aber nicht nur nach der Lerntheorie beurteilen, sondern muss ein Gefühl dafür entwickeln.“
Der „spielsüchtige“ Hund
Mit Sorge beobachtet Thomas Baumann eine andere Entwicklung, nämlich, dass immer mehr junge Familienhunde nur noch spielen wollen, aber nicht mehr mit anderen Hunden kommunizieren können. Sie seien auf „exzessive Rennspiele“ aus, die Glückshormone im Gehirn freisetzen.
Warum ist das bedenklich? „Weil es immer mehr „spielsüchtige“ Hunde gibt, die keine Sozialkompetenz haben. Das sind Hunde, die bei Hundebegegnungen an der Leine wimmern, zittern und schreien, weil sie nicht schnell genug zu ihrem Artgenossen können. Das Problem verschärft sich, wenn die erzieherische Kontrolle unzureichend ist – was häufig der Fall ist. Solche Hunde können an der Leine zunehmend aggressiv oder sogar bissig sein, auch ihrem Besitzer gegenüber, weil sie unter den sozialen Entbehrungen leiden. Sie kommen nicht in den Rauschzustand, nach dem sie süchtig sind. Dadurch entsteht Frustration. Das wiederum bildet den Nährboden für Aggression.“
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Daran erkennt man eine gute Welpenspielgruppe
Damit weder Ängstlichkeit, Aggressionen oder Spielsucht zum Problem werden, im folgenden beantwortet Thomas Baumann die wichtigsten Fragen rund um die Welpenspielgruppe.
PETBOOK: Wie groß darf die Welpenspielgruppe sein?
Thomas Baumann: „Nicht mehr als 5 bis 6 Welpen pro Hundetrainer sollte eine Welpenspielgruppe haben. Das sind Erfahrungswerte mit wissenschaftlichem Background. In der Säugetierforschung hat man Gruppenmechanismen untersucht. Übertragen auf Hunde deckt sich die Wissenschaft mit der Praxis: Gruppen mit mehr als 10 Hunden sind unruhiger, weil es mehr sozialdynamische Prozesse gibt. Für Welpen, die grade erst anfangen, eine Sozialkompetenz zu entwickeln, ist das zu viel. Es sollten grundsätzlich nicht mehr als 5 Hunde gleichzeitig agieren und selbst in dem Fall sollten erst Einzelkontakte zugelassen werden.
Die Wissenschaft besagt, wenn wir zu Zweit kommunizieren, brauchen wir beispielsweise 5 Minuten, um bestimmte Infos zu bekommen. Bei drei Partnern dauert es für die gleiche Info bereits 4x so lange. Wenn also zwei Welpen 5 Minuten zu Zweit zusammen spielen, kann sich jeder auf den anderen ohne weitere soziale Ablenkung einstellen. Sie dürfen kontrolliert kommunizieren und interagieren.
Dann pausieren sie und die nächsten beiden Welpen werden zusammengeführt. Ein dritter Welpe würde immer wieder Störfeuer auslösen, weil er auch mitspielen möchte und damit auch die Kommunikation der anderen beiden unterbricht. Mit mehreren fremden Artgenossen gleichzeitig kommunizieren, ist für sozial bereits gefestigte Hunde kein Problem, wohl aber für Welpen, die sich ja sozial erst noch entwickeln müssen. Nach etwa 30 bis 40 Minuten werden nach Vorauswahl 4 bis 6 Welpen zusammengeführt. Da ist ja das gegenseitige Kennenlernen bereits erfolgt.“
Ist es gefährlich, zum Beispiel Chihuahua Welpen mit Doggen Welpen spielen zu lassen?
Grundsätzlich nicht! Es gibt sensible Doggenwelpen, die vorsichtig sind und ihre Pfoten im Umfang mit kleinen Hunden wie Samtpfoten einsetzen. Wenn ein solcher Welpe mit einem Chihuahua spielt, sehe ich darin kein Problem. Es kann auch sein, dass ein Chihuahua einen Doggenwelpen tyrannisiert. Grade kleinere Hunderassen wie der Jack Russell oder der Westhighland White Terrier neigen zu einem solchen Verhalten. Es gibt Riesen, die lassen sich von viel kleineren Welpen in die Flucht schlagen. Ein draufgängerischer Doggenwelpe hat in einer Welpengruppe gar nichts verloren, der gehört in die Junghunde- oder auch Erwachsenengruppe. Deshalb gibt es bei uns in der Hundeschule keine klar definierten Altersgrenzen sondern Verhaltensgrenzen.
Wie groß sollte der Hundeplatz sein, auf dem die Welpen spielen?
Die Fläche sollte für erste Kontaktaufnahmen nicht mehr als ungefähr 30 Quadratmeter haben, um exzessive und damit ausufernde Rennspiele zu verhindern. Ist der Platz größer, wird das Areal für das Welpenspiel abgesteckt. Bei 30 Quadratmetern kann ich viel konsequenter handeln, als wenn es 1.000 Quadratmeter sind. Derart große Flächen fördern das Beutefangverhalten. Rennt der eine los, jagt der andere auch los. Dann hat man häufig eine Umlenkung vom Sozialverhalten ins Beutefangverhalten. So etwas passiert in einem kleinen Bereich erfahrungsgemäß nicht. Stattdessen kommunizieren sie mehr, tollen sich auf dem Boden, etc. Bei schnellen Bewegungsreizen durch Rennen wird die soziale Partnerschaft oftmals hinten angestellt und das wollen wir nicht. Haben Welpen mit zunehmendem Alter sozialkompetentes Verhalten erst einmal richtig gelernt, sind Rennspiele kein Tabu mehr. Nur beginnen sollte man damit nicht!
Wie geht eine gute Hundeschule mit einem Welpen um, der zum ersten Mal in der Welpenspielgruppe ist?
Der Welpe sollte in der ersten Stunde vor allem beobachten dürfen, anstatt sofort zu spielen. So kann er durch Nachahmung lernen. Er bekommt immer wieder kleinere Kontakte, um kleinschrittig das Gefühl zu bekommen, was er leisten kann und wo er seine Grenzen hat. So entwickelt gleichzeitig auch der Trainer ein Gefühl für jeden einzelnen Welpen. Wenn er sehr unruhig ist in der ersten Stunde, wird er durch ruhiges und konsequentes Festhalten gestoppt. Sobald er wieder ein bisschen ruhiger ist, spricht auch nichts gegen ein Leckerli zwischendurch, damit er die Nähe zu seinem Menschen nicht nur positiv, sondern auch attraktiv empfinden kann.
Wie oft soll man in eine Welpenspielgruppe gehen?
Das hängt von der Qualität der Welpenspielgruppen ab. Bei 3 tollen Welpenspielgruppen in drei verschiedenen Welpenschulen kann man auch dreimal pro Woche hingehen. Ich bezweifle allerdings, dass alle 3 Gruppen wirklich gut sind. Grundsätzlich reicht einmal in der Woche aus. Eine schwierige Frage ist es trotzdem, denn wenn ein Welpe nur im Rahmen einer Spielgruppe auf andere Hunde trifft, kann das zu einseitig sein. Möglicherweise ist er im Alltag trotzdem überfordert im sozialen Umgang mit anderen Hunden. Deshalb ist es gut, wenn man zusätzlich andere Hundehalter kennt, die zum Beispiel einen gut sozialisierten erwachsenen Hund haben, der gut mit Welpen umgehen kann.
Wie sinnvoll sind Leckerlis bei der Erziehung eines Welpen?
Wenn man immer nur Leckerlis gibt, dann ist das der erste Weg in die Entfremdung. Man wird zum Futterautomaten und die soziale Wertigkeit wird in den Hintergrund gerückt. Das bedeutet, die Bereitschaft des Hundes, ohne Leckerlis mit dem Menschen zu kooperieren, sinkt. Der inflationäre Gebrauch von Leckerlis ist schädlich, der komplette Verzicht auch, weil man so seine Möglichkeiten selbst einschränkt. Leckerlis können am Anfang eine Brücke sein, um ein gewünschtes Verhalten zu bekommen. Es sollte aber nach dem Spielautomatenprinzip gegeben werden, das heißt, das Leckerchen ist das Sahnehäubchen zusätzlich zu dem Lob und der Streicheleinheit. Es gibt übrigens auch Hunde, die sind sozial so stark mit ihren Menschen verbunden, dass eine Erziehung ohne Leckerlis denkbar ist. Dann wiederum gibt es Hunde, die sind gegenüber ihren Menschen zurückhaltend und sozial distanziert. In dem Fall nehme ich das Leckerli als Brückenglied.
Sollten Welpen am Ende der Welpen-Spielstunde noch mal toben dürfen?
Nein. Eine Ruheübung zum Schluss und anschließende, mehrstündige Pause zu Hause ist deutlich sinnvoller, damit der Welpe das Gelernte verarbeiten kann. Man weiß aus der Hirnforschung, dass wir nach dem Lernen ungefähr 4 Stunden Pause benötigen, damit das Erlernte im Gehirn optimal gefestigt werden kann. Deshalb ist es fatal, Welpen Lerninhalte zu vermitteln und sie dann noch mal rennen zu lassen. Sie werden sich vor allem daran erinnern, was besonders viel Spaß gemacht hat und da hat ein abschließendes Rennen eine höhere Priorität als ein zuvor erlerntes „Sitz“, „Platz“, „Bleib“.