
3. März 2025, 17:46 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Eine Gehirnoperation beim Menschen ist einer der kompliziertesten Eingriffe. Bei Hunden kommt das Verfahren vor allem bei Tumorerkrankungen zum Einsatz – ist aber oft nicht erfolgreich. Nun schrieb ein Team aus Spezialisten der University of Pennsylvania medizinische Geschichte. Sie setzen erstmals ein spezielles Verfahren ein und retteten einer Hündin dadurch das Leben.
Es war im September 2024, als bei Terrier-Mischling Geddy ein Gehirntumor entdeckt wurde. Wegen schwerer Anfälle kam die achtjährige Hündin ins Penn Vet’s Ryan Hospital, einer Tierklinik der University of Pennsylvania. Dort entdeckten die Fachärzte eine Masse im rechten Frontallappen. Bei Menschen würde man solche Tumore normalerweise mit einer Gehirnoperation entfernen, doch dieses Verfahren gilt beim Hund als wenig erfolgversprechend. Oft bleibt Tumorgewebe zurück, und der Krebs kehrt wieder.
Geddys Besitzer wollte jedoch alle Möglichkeiten ausschöpfen und so schloss sich ein Team von Experten zusammen, um erstmals ein spezielles Verfahren zur Tumorentfernung im Gehirn eines Hundes einzusetzen. Dabei wird ein Hologramm erstellt und während der Operation auf das eigentliche Gehirn projiziert.
Hätte ohne OP nicht überlebt
In einem MRT untersuchten die Tierärzte zunächst das Gehirn von Geddy. Die Untersuchungsergebnisse deuteten auf ein sogenanntes Gliom hin. Das ist ein aggressiver Gehirntumor, der auch bei Menschen vorkommt. Je nach Lokalisation des Tumors kommt es zu verschiedenen neurologischen Ausfällen – bei Geddy waren es Anfälle. Ohne eine Behandlung überleben Hunde normalerweise etwa ein paar Monate. Allerdings besteht die gängige Therapie größtenteils aus aggressiver Bestrahlung und hat viele Nebenwirkungen. Die operative Entfernung ist zwar möglich, aber sehr risikoreich und oft nicht erfolgreich.
Könnte man es jedoch dank des Einsatzes neuester Technologie schaffen, das Gewebe restlos zu entfernen, würde man dem Hund mit einer Gehirnoperation das Leben retten. Zudem würde sie auch eine Biopsie des Tumors ermöglichen, um eine genauere Diagnose zu stellen und weitere Therapiemöglichkeiten für Geddy festzulegen.1
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Hochspezialisiertes Team aus Humanmedizinern und Veterinären
Für das neue Verfahren bei der Gehirnoperation an einem Hund kam ein hochspezialisiertes Team aus Experten zusammen. Diese kamen sowohl aus der Veterinär- als auch aus der Humanmedizin. Darunter Veterinärneurochirurgen, ein Radiologe, ein Anästhesist, ein Pathologe, Krankenschwestern und OP-Techniker. Für die Entfernung setzten sie neueste Technologie ein. Denn das Hauptziel der Tumorentfernung war, „saubere Ränder“ zu erzielen. Bleiben nur kleinste Reste oder einzelne Zellen des Krebsgewebes zurück, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Tumor wieder auftritt.
Um eine möglichst komplette Entfernung zu gewährleisten, kombinierten die Spezialisten unterschiedliche Werkzeuge und Techniken. Darunter die Augmented-Reality-Technologie. Bei der Augmented Reality werden in die reale Welt digitale Elemente eingefügt – direkt auf einem Bildschirm oder in einer Brille. Also vor den Augen des Betrachters (mehr dazu erfahren Sie bei den Kollegen von TECHBOOK).
Diese Technologie erlaubt es, ein Hologramm von Geddys Gehirn aus dem anfänglichen MRT zu erstellen, wie Wojciech Panek, Assistenzprofessor für Neurologie und Neurochirurgie am Department of Clinical Sciences and Advanced Medicine, in einem Artikel des Campusmagazins „Penn Today“ erklärte. Das sei für die Planung des Eingriffs und die Navigation in schwer einsehbaren Bereichen sehr hilfreich gewesen.
Tumor wurde zuvor angefärbt
Einen Tag vor der Operation erhielt die Hündin eine Injektion mit einem speziellen Farbstoff, der unter Infrarotlicht leuchtet und sich in Krebszellen anreichert. Am nächsten Tag wurde Geddy unter Vollnarkose gesetzt. Das Team öffnete vorsichtig den vorderen Teil des Schädels, um an das Gehirn von Geddy zu gelangen. Dabei nutzten sie spezielle Instrumente zur genauen Orientierung. Mithilfe von Geddys MRT-Bildern, die direkt auf den Schädel der Hündin projiziert wurden, konnten die Chirurgen den exakten Sitz des Tumors sehen. Zunächst entnahmen sie eine Probe des Materials und entfernten den Tumor dann.
Kein erneutes Tumorwachstum
Geddy überstand die Operation und verließ die Tierklinik bereits nach einer Woche als wahre Pionierin. Sie ist der weltweit erste Hund, der sich erfolgreich einer Gehirnoperation mit neuester Technologie unterzogen hat. Eine Nachuntersuchung einige Wochen später zeigte, dass die Wundheilung gut verlief, und eine MRT-Untersuchung im November ergab keine radiologischen Anzeichen für ein erneutes Tumorwachstum.
Durch die Operation konnte aber nicht nur Geddys Leben gerettet werden. Der Eingriff könnte auch für kommende tierische Patienten und sogar für Menschen wichtige Erkenntnisse bieten. „Faszinierend ist, dass Hunde Gliome entwickeln, die denen beim Menschen fast identisch sind“, erklärt Panek in der Pressemitteilung der Tierklinik PennVet. „Die Immunlandschaft ist ähnlich und die Prognose ist nahezu dieselbe. Das macht Fälle wie den von Geddy für die Veterinär- und Humanmedizin unglaublich wertvoll, um die Versorgung gemeinsam voranzutreiben.“
Durch die Untersuchung von Gliomen bei Hunden können Forscher die Tumore in einer natürlichen Umgebung untersuchen, in der sie sich spontan entwickeln. Dadurch könnte man die Erkrankung sehr viel genauer darstellen als bei den herkömmlichen Mausmodellen der Fall ist. Denn meist können diese die Komplexität menschlicher Krebserkrankungen nicht erfassen. Daher wird der Fall auch als „Durchbruch in der Veterinärmedizin“ bezeichnet. 2
Geddy wird im März im Ryan Hospital erneut untersucht. Das Team der Klinik hofft, dann die endgültigen Ergebnisse der Biopsie des Tumorgewebes zu haben.