19. September 2024, 11:43 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Eine neue Studie enthüllt, dass Hunde ihre Gehirnaktivität mit Menschen synchronisieren. Es ist der weltweit erste Nachweis einer Gehirnsynchronisation zwischen zwei Arten. Doch was heißt das für das Zusammenleben mit dem Vierbeiner? PETBOOK stellt die spannenden Studienergebnisse vor.
Viele Menschen spüren eine ganz besondere Verbindung zu ihrem Hund. Dass dies auf Gegenseitigkeit beruht, zeigt nun eine neue Studie des Instituts für Genetik und Entwicklungsbiologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking. Dort gelang jetzt der erste Nachweis, dass Hunde ihr Gehirn mit dem von uns Menschen synchronisieren. Doch was bedeutet das genau? PETBOOK erklärt die Hintergründe zu den spannenden Studienergebnissen.
Was bedeutet Gehirnsynchronisation?
Das menschliche Gehirn ist für ein Leben in der Gruppe geschaffen. Wissenschaftler fanden bereits heraus, dass Menschen in der Lage sind, ihre Gehirne zu synchronisieren. Tun sie gemeinsam Dinge wie miteinander sprechen oder spielen, schwingen ihre Hirnwellen synchron.
Besonders deutlich ist dieser Effekt beim gemeinsamen Musizieren. Etwa, wenn zwei Musiker im Duett spielen, wie die Forschungen der Neuropsychologin Daniela Sammler vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik zeigten. 1
Forscher in China haben jetzt zum ersten Mal in Experimenten zeigen können, dass sich die neuronale Aktivität von Gehirnen auch zwischen zwei verschiedenen Spezies synchronisiert: bei Menschen und Hunden. Ihre Ergebnisse wurden am 11. September 2024 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Advanced Science“ veröffentlicht und von unabhängigen Forschern überprüft.
Bindung zwischen Hund und Mensch ist einzigartig
„Während der langen Geschichte der Domestizierung haben Hunde intime und effektive soziale Interaktionen mit Menschen entwickelt“, erklärt Studienautor Yong Zhang den Ansatz für seine Forschung. Zhang ist Professor an der Universität Hubei und am Institut für Genetik und Entwicklungsbiologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften tätig.
„Hunde haben sich so entwickelt, dass sie eine Vielzahl von menschlichen emotionalen Zuständen und kommunikativen Signalen durch Verhaltensweisen, Gesichtsausdrücke und sogar Stimmtöne lesen, verstehen und darauf reagieren können“, so Zhang weiter. Dies biete ein außergewöhnliches Maß an aktiver Kameradschaft, das bei anderen Haustieren nicht oft zu sehen sei.
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Synchronisiert sich das Gehirn auch zwischen Hund und Mensch?
Zhang und seine Kollegen wollten herausfinden, ob sich diese besondere Verbindung auch im Gehirn von Menschen und Hunden widerspiegelt. Würde auch zwischen ihnen eine Synchronisation der Gehirnwellen stattfinden, wenn sie unterschiedliche soziale Interaktionen ausüben?
Um diese Frage zu beantworten, maßen die Forscher die Gehirnaktivität bei Menschen und Hunden, indem sie Elektroden am Schädel platzierten. Dabei stellten sie je zehn junge Beagle mit einem ihnen unbekannten Menschen zu Paaren zusammen. Das Experiment umfasste einen Zeitraum von fünf Tagen. In dieser Zeit kommunizierten die Mensch-Hund-Paare nonverbal, also ohne zu sprechen. Die Interaktionen beschränkten sich auf gegenseitiges Ansehen und Streicheln.
Gehirnwellen synchronisieren sich bei Blickkontakt und Streicheln
Die Synchronisation von Gehirnwellen zwischen zwei Individuen findet meist in bestimmten Gehirnarealen statt. Tatsächlich konnten die Forscher eine „dramatische Zunahme“ der Korrelationen zwischen den Gehirnen von Hund und Mensch in den frontalen und parietalen Regionen beobachten, heißt es in der Studie. Und zwar beim gegenseitigen in die Augen schauen.
Als die menschlichen Teilnehmer die Hunde hingegen streichelten, beobachtete das Team zwar ähnliche Synchronisationsmuster, in diesem Fall war die Aktivität aber in der parietalen Hirnregion stärker. Je vertrauter Mensch und Hund wurden, desto stärker war auch die Synchronisation in den Gehirnen, stellten die Forscher fest. Dies wurde auch bei Mensch-Mensch-Interaktionen nachgewiesen. Dort nahm die Synchronisation der Gehirnwellen umso mehr zu, je wohler sich zwei Menschen miteinander fühlten.
Beim Menschen ist die Aktivität sowohl in der frontalen als auch in der parietalen Hirnregion mit der gemeinsamen Aufmerksamkeit verbunden. Frühere Studien hatten bereits belegen können, dass die Frontallappenaktivität bei Menschen steigt, wenn diese ihre Hunde streicheln. Das deutet darauf hin, dass sie ihrem Haustier große Aufmerksamkeit schenken und emotional engagiert sind. Bisher war jedoch nicht klar, ob sich diese Aktivität auch im Gehirn des Hundes widerspiegelt.
Autistische Hunde zeigen weniger Gehirnsynchronisation
Die Forscher gingen aber noch weiter: Sie wollten wissen, wie sich die Synchronisation im Gehirn von Mensch und Hund zeigen würde, wenn die Tiere in ihrer Fähigkeit, soziale Bindungen einzugehen, eingeschränkt sind. Dafür führten sie das gleiche Experiment noch einmal durch. Doch dieses Mal mit neun Hunden, die ähnliche Eigenschaften wie Menschen mit einer sogenannten Autismus-Spektrum-Störung (ASS) zeigen.
Bei einer ASS handelt es sich um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die unter anderem durch ein reduziertes Interesse an sozialen Kontakten sowie ein reduziertes Verständnis sozialer Situationen gekennzeichnet ist.2 Einige Wissenschaftler vermuten, dass diese Defizite in der sozialen Kognition durch eine verminderte Synchronisation des Gehirns mit anderen Individuen verursacht werden. Diese Hypothese wollten die Forscher prüfen – allerdings mit Hunden.
LSD verbessert die Synchronisation von Gehirnwellen
Tatsächlich zeigten die Paare aus Mensch und ASS-Hunden eine geringere Synchronisation zwischen den Gehirnen, was auf eine verminderte gemeinsame Aufmerksamkeit hindeutet. Aber es wird noch verrückter: Da frühere Studien gezeigt hatten, dass die psychoaktive Droge LSD das Sozialverhalten von Mäusen verbessert, verabreichten die Forscher den Hunden mit ASS-Merkmalen eine Einzeldosis dieses Psychedelikums. Wie vermutet, verbesserte das LSD die Synchronisation der Gehirnwellen des Hundes mit seinem gepaarten Menschen.
Laut Zhang seien Hunde aufgrund ihrer engen Bindung zum Menschen ideale Tiermodelle für Autismus. „Unsere Ergebnisse deuten auf potenzielle Biomarker für die Inter-Hirn-Aktivität für die ASS-Diagnose und die Entwicklung von technisch hergestellten nicht halluzinogenen Analoga von LSD hin, um soziale Defizite zu korrigieren“, sagt er. Denn obwohl Zhang und seine Kollegen in ihrer Pilotstudie die halluzinogene Form von LSD verwendeten, schlagen sie vor, nicht halluzinogene Analoga von LSD für therapeutische Zwecke zu entwickeln.
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Weitere Forschung mit nicht-halluzinogenem LSD in Planung
Insgesamt war die Zahl der Hunde im Experiment relativ gering, betonen die Forscher selbst in ihrer Studie. Zudem fanden die Untersuchungen in einer unnatürlichen Umgebung wie dem Labor statt. Doch auch wenn eine natürlichere Umgebung mit freiem Spiel zwischen den Hunden und ihren menschlichen Partnern ideal wäre, stören große Bewegungen die EEG-Daten und würden zu keinen verlässlichen Ergebnissen führen.
Dazu kommt, dass ausschließlich Beagle untersucht wurden. Daher könne man nicht mit Sicherheit sagen, ob die Rasse eine Rolle bei der Synchronisation zwischen dem Gehirn von Mensch und Hund spielt, merken die Forscher an. Doch die Ergebnisse liefern eine erste wissenschaftliche Grundlage für die engen Bindungen zwischen Mensch und Hund und deuten darauf hin, dass wir uns auf einer tieferen neurologischen Ebene wirklich mit unseren Haustieren verbinden können.
Der nächste Schritt ihrer Forschung solle darin bestehen, zu verstehen, wie genau LSD die Synchronisation der Gehirne von Mensch und ASS-Hunden verbessert, verriet Zhang dem wissenschaftlichen Nachrichtenmagazin „Advanced Science News“. Dafür wollen er und sein Team in der nächsten Phase die Wirkung von nicht halluzinogenen LSD-Analoga auf Hunde untersuchen. Die Hoffnung ist, eine Grundlage zu schaffen, um Menschen mit ASS zu helfen. Aber auch verhaltensauffällige Hunde werden schon heute mit Psychopharmaka erfolgreich behandelt.