
17. März 2025, 18:11 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Physiotherapie gibt es nicht nur für uns Menschen, sondern auch für Tiere. Sie kann zum Beispiel Hunden mit chronischen Muskelerkrankungen oder neurologischen Störungen helfen. Aber auch nach Operationen oder bei Schmerzen kann sie zum Einsatz kommen. PETBOOK sprach mit Hundephysiotherapeutin Vanessa Heß.
„Ich schubse meine Hunde!“ Das erklärt Hundephysiotherapeutin Vanessa Heß in einem viralen TikTok-Video. Das tue sie aber nicht aus Boshaftigkeit, sondern, um die Gesundheit der Vierbeiner zu fördern. Konkret gehe es um die Hinterhandmuskulatur, die vor allem bei älteren Hunden verkümmere, so die Expertin. Um das zu verhindern, könne man die Tiere gegen einen Widerstand arbeiten lassen. Doch das ist nicht der einzige Tipp, den die Hundephysiotherapeutin in den sozialen Medien mit ihren Followern teilt. PETBOOK sprach mit Vanessa Heß von der Hundephysiotherapie Vogelsberg über Sinn und Nutzen von Physiotherapie für Haustiere.
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„Physiotherapie ist nicht nur bei akuten Beschwerden sinnvoll, sondern auch vorbeugend!“
PETBOOK: Was sind die häufigsten Beschwerden oder Erkrankungen, mit denen Hunde in die Physiotherapie kommen?
Vanessa Heß: „Die Beschwerden und Erkrankungen, mit denen Hunde in meine Praxis kommen, sind sehr unterschiedlich. Häufig sind es Seniorenhunde, die unter Arthrose oder Hüftproblemen wie Hüftdysplasie leiden. Ebenso oft treten Knieprobleme auf, etwa nach Kreuzbandrissen, Kreuzbandriss-Operationen oder bei Patellaluxationen. Sehr häufig sind aber auch Rückenbeschwerden, insbesondere Verspannungen oder Ausweichreaktionen im Rückenbereich.
Oft habe ich zudem Hunde nach Bandscheibenoperationen in Behandlung, die unterstützt werden, um wieder mobil zu werden und den Bewegungsablauf bestmöglich wiederherzustellen. Neben akuten Beschwerden kommen viele Hunde auch zur Physiotherapie, um den Bewegungsapparat frühzeitig überprüfen zu lassen, etwa um Fehlstellungen oder Bewegungseinschränkungen rechtzeitig zu erkennen. Auch sportlich geführte Hunde profitieren von regelmäßigen Check-ups oder gezieltem Training zur Unterstützung im Wettkampf.“
Ab wann lohnt sich Physiotherapie für Hunde? Nur bei akuten Problemen oder
auch vorbeugend?
„Physiotherapie ist nicht nur bei akuten Beschwerden sinnvoll, sondern auch vorbeugend äußerst wertvoll. Bereits im jungen Alter können leichte Verspannungen oder Fehlstellungen erkannt und gezielt behandelt werden, um spätere Probleme zu vermeiden. Durch gezielte Übungen und Entspannungstechniken kann man frühzeitig unterstützen, sodass Beschwerden gar nicht erst akut werden. Zudem hilft die regelmäßige physiotherapeutische Betreuung, Hunde an Berührungen zu gewöhnen. Das lässt sie entspannter werden für zukünftige Behandlungen – beispielsweise nach Operationen. Natürlich spielt die Physiotherapie auch bei akuten Problemen eine entscheidende Rolle.“
„Grundsätzlich ähneln sich viele physiotherapeutische Methoden von Menschen und Hund“
Wie unterscheidet sich Hundephysiotherapie von einer Physiotherapie beim Menschen?
„Grundsätzlich ähneln sich viele physiotherapeutische Methoden von Menschen und Hund. Der wesentliche Unterschied liegt jedoch in der Kommunikation: Während Menschen ihre Beschwerden äußern können, muss der Physiotherapeut beim Hund auf Körpersprache, Bewegungsabläufe und Reaktionen achten, um Probleme zu erkennen. Daher erfordert die Behandlung von Hunden eine besonders einfühlsame Herangehensweise. Die angewandten Techniken sind stets auf die anatomischen Gegebenheiten des Hundes abgestimmt.“
Im Netz sieht man häufig Hunde auf einem Unterwasserlaufband. Welche Rolle spielt die Wassertherapie in der Hundephysiotherapie?
„Wassertherapie und das Unterwasserlaufband werden häufig eingesetzt, da sie die Gelenke entlasten und gezieltes Training ermöglichen. Die individuell einstellbare Wasserhöhe erlaubt es, die Belastung exakt an den jeweiligen Hund anzupassen. In meiner Praxis biete ich derzeit kein Unterwasserlaufband an, dafür liegt mein Fokus auf gezieltem Hundefitnesstraining und individuell abgestimmten Übungen, die Hundebesitzer auch zu Hause umsetzen können.“
Darum kann sich ein wöchentlicher Massage- und Dehnungstag für den Hund lohnen
Gibt es manuelle Techniken oder Massagen, die Hundebesitzer zu Hause anwenden können?
„Ja, es gibt eine Vielzahl an Techniken, die Hundebesitzer unter fachlicher Anleitung erlernen und zu Hause anwenden können. Besonders Massagetechniken und Dehnungsübungen sind gut geeignet, um die Muskulatur zu lockern und Verspannungen zu lösen. Ein Massage- und Dehnungstag kann eine wertvolle Ergänzung im Alltag sein. Auch gezielte Fitnessübungen, die Kraft, Koordination und Gleichgewicht fördern, tragen dazu bei, die Muskulatur zu stärken und Verletzungen vorzubeugen. Wichtig ist, dass bei bestehenden Erkrankungen vorher eine fachliche Einschätzung erfolgt, um sicherzustellen, dass die Übungen geeignet sind.“
Wann ist Bewegungstherapie sinnvoll und welche Übungen sind besonders effektiv?
„Bewegungstherapie – oder in meinem Fall Hundefitnesstraining – ist in nahezu jeder Lebensphase und für jeden Hund sinnvoll. Ob zur Vorbeugung, zur Rehabilitation nach Verletzungen oder zur gezielten Unterstützung bei bestimmten Erkrankungen – mit individuell angepassten Übungen können Muskelgruppen gestärkt, die Koordination verbessert und das Verletzungsrisiko im Alltag minimiert werden.“
In einem Video sagen Sie, dass Sie Ihren Hund „schubsen“ – was hat es damit auf sich?
„Natürlich schubse ich meine Hunde nicht im eigentlichen Sinne. Der Begriff entstand aus einer humorvollen Unterhaltung mit einer Kundin, als ich ihr das isometrische Training erklärte. Dabei geht es darum, dass der Hund durch sanften Druck gegen die Hand des Besitzers seine Muskulatur aktiv einsetzt – vergleichbar mit dem Armdrücken beim Menschen. Diese Technik ist besonders effektiv, um die Muskulatur
gelenkschonend zu trainieren.“
„Eine ausgewogene Ernährung spielt eine essenzielle Rolle für die Gesundheit des Bewegungsapparates“
Welche einfachen Übungen kann ich zu Hause machen, um die Beweglichkeit meines Hundes zu fördern?
„Es gibt zahlreiche alltagstaugliche Übungen, die leicht umzusetzen sind und an das Tricktraining erinnern. Dazu zählen zum Beispiel das Pfötchen geben oder verschiedene Positionswechsel wie ‚Sitz-Steh‘ oder ‚Platz-Steh‘. Auch isometrische Übungen oder Cavaletti-Training lassen sich problemlos zu Hause durchführen. Hierbei müssen keine speziellen Geräte angeschafft werden – Alltagsgegenstände oder natürliche
Gegebenheiten wie Baumstämme oder unterschiedliche Untergründe können sinnvoll in das Training integriert werden. Auf meiner Instagram-Seite teile ich regelmäßig Anleitungen und Inspirationen für einfache Übungen.“
Wie wichtig ist die richtige Ernährung für den Bewegungsapparat meines Hundes?
„Eine ausgewogene Ernährung spielt eine essenzielle Rolle für die Gesundheit des Bewegungsapparates. Genau wie bei uns Menschen beeinflussen Nährstoffe die Muskulatur, Gelenke und das Wohlbefinden. Eine bedarfsdeckende Fütterung, die individuell auf den Hund abgestimmt ist, bildet die Basis. Zusätzlich gibt es spezifische Nahrungsergänzungsmittel, die gezielt Gelenke und Bänder unterstützen können.“
Unüberlegte Ballspiele können die Gelenke enorm belasten
Gibt es typische Fehler, die Hundebesitzer beim Thema Bewegung und Gesundheit machen?
„Ein häufiger Fehler ist die plötzliche, hohe Belastung ohne vorheriges Aufwärmen. Viele Hunde werden aus dem Ruhezustand direkt in intensive Aktivitäten geschickt – beispielsweise durch abruptes Bällchen werfen. Diese Start-Stopp-Bewegungen belasten die Gelenke enorm. Ein gezieltes Warm-up kann helfen, Verletzungen und Überlastungen zu vermeiden. Auch auf eine gelenkschonende Alltagsgestaltung sollte
geachtet werden.“
Welche Rassen sind besonders anfällig für Gelenk- und Muskelprobleme?
„Besonders große Hunderassen wie der Deutsche Schäferhund oder der Labrador Retriever neigen zu Gelenkerkrankungen. Auch kleine Rassen wie der Dackel sind aufgrund ihrer Körperproportionen anfällig, insbesondere für Rücken- und Gelenkprobleme.“
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Welche physiotherapeutischen Maßnahmen helfen älteren Hunden mit Arthrose oder Hüftdysplasie?
„Seniorenhunde mit Arthrose profitieren besonders von Massagen, passiver Bewegungstherapie und aktiver Bewegungstherapie zum gezieltem Muskelaufbau, um einer weiteren Versteifung der Gelenke entgegenzuwirken. Regelmäßige Bewegungstherapie trägt dazu bei, die Gelenkfunktion zu erhalten und den Teufelskreis aus Schmerz und Bewegungsmangel zu durchbrechen.
Bei Hüftdysplasie ist neben schmerzlindernden Maßnahmen, wie Thermotherapie und Massagen, vor allem der gezielte Muskelaufbau durch aktiver Bewegungstherapie und das Erhalten der Beweglichkeit durch eine passive Bewegungstherapie essenziell, um die betroffenen Strukturen zu entlasten und zusätzlich Fehlbelastungen vorzubeugen.“
Können auch übergewichtige Hunde zur Physiotherapie gehen?
„Ja, Physiotherapie kann übergewichtigen Hunden sogar helfen, durch gelenkschonende Bewegungen den Stoffwechsel anzukurbeln und den Muskelaufbau zu fördern. So kann das Gewicht langfristig reduziert werden, ohne die Gelenke zusätzlich zu belasten.“
Kann Physiotherapie helfen, Operationen und Schmerzmittel langfristig zu vermeiden?
„Physiotherapie ist eine wertvolle, unterstützende Maßnahme, die präventiv und rehabilitativ eingesetzt werden kann. Durch gezielte Übungen lassen sich Fehlbelastungen vermeiden, Verspannungen lösen und die Muskulatur stärken – was langfristig Schmerzen reduzieren, Bewegungsabläufe optimieren und in manchen Fällen sogar Operationen hinauszögern oder vermeiden kann. Besonders in Kombination mit der tierärztlichen Betreuung kann Physiotherapie dazu beitragen, die Lebensqualität von Hunden nachhaltig zu verbessern.“