28. Mai 2024, 6:16 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Sie sind mit Ihrem Hund im Wald und plötzlich kommt ein ungemütlich dreinblickender Hund, womöglich unangeleint, auf Sie zu? Wie soll man reagieren, wenn man es mit der Angst zu tun bekommt? Sollte man fremde Hundehalter ansprechen? Muss man das am Ende sogar? PETBOOK-Autorin Nina Ponath hat dazu einige Erfahrungen gemacht und sprach mit Hundetrainer Steven Kaye.
Eigentlich sagt man ja, wer selbst einen Hund hat, der habe keine Angst vor anderen Hunden. Aber ich habe ein Geständnis abzulegen: Vor manchen Hunden habe ich Angst – und das, obwohl ich selbst einen Hund habe. Ich bin sogar mit einem Hund aufgewachsen. Trotzdem war es mir damals wie heute nicht geheuer, wenn mir beim Joggen allein im Wald, ein großer Hund entgegenkommt oder ein Hund mich anbellt.
Ich kann mich noch allzu gut an die Klavierstunden als Kind erinnern, in denen ich die erste Viertelstunde von der Hündin meiner Klavierlehrerin regelmäßig angekläfft wurde. Ich versuchte mit einem Lächeln zu überspielen, dass ich mir still und heimlich wünschte, das Tier würde sich endlich ins Körbchen legen und mich in Ruhe lassen. Auch später erschrak ich mich so manches Mal, wenn mir plötzlich allein im Wald ein unangeleinter Hund in Größe einer ausgewachsenen Kuh entgegenkam. Ein wenig ärgerte ich mich dann sogar, warum so viele Hundehalter ihren Hund wie selbstverständlich ohne Leine herumlaufen ließen, ganz ohne daran zu denken, dass nicht jeder Mensch ein Hundefreund ist. Für Kinder zum Beispiel ist es ohnehin nicht lustig, einem Tier in ihrer eigenen Körpergröße gegenüberzustehen.
»Könnten Sie Ihren Hund bitte an die Leine nehmen?
Seit elf Jahren habe ich einen eigenen Hund und auch heute zucke ich mitunter noch zusammen, wenn wir einem anderen Hund begegnen. Neulich zum Beispiel: Mein Hund Rudi und ich waren im Wald spazieren, als uns ein riesiger Hund ohne Leine entgegenkam. Ich möchte hier kein Rassen-Bashing betreiben, deshalb lasse ich die diese unerwähnt. Sagen wir, es war ein ziemlich großer Hund, der sich–grundsätzlich zum Personenschutz eignet. Mein Hund wiegt knapp zwölf Kilogramm und ist inzwischen recht alt. Wird er von einem jungen, sehr großen Hund, angesprungen, kann das schnell unschön enden.
„Entschuldigen Sie, könnten Sie Ihren Hund bitte an die Leine nehmen?“, fragte ich deshalb aus sicherer Entfernung. Der Hund, der sich uns weiter näherte, wurde nicht angeleint. Verglichen mit seinem Halter wirkte der angespannte Hund, dessen Ohren scharf angelegt waren, aber regelrecht freundlich. Mit bösem Blick schleuderte mir das besagte Herrchen ein patziges „Warum?“ entgegen. „Na ja, weil mein Hund alt ist, und ich nicht will, dass ihr Hund auf meinen Hund raufspringt“, sagte ich und dachte: „Weil ich Angst habe.“
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Angst thematisieren
Warum tun wir uns so schwer damit, zu sagen, dass wir Angst haben? Ich denke, es liegt daran, wie in der Gesellschaft mit Angst umgegangen wird. Im Kindergarten bezeichnen Kinder sich untereinander als „Angsthase“, als Jugendliche versuchen wir uns mit Mutproben à la „Wer trinkt am meisten Korn?“, „Wer springt vom 5-Meter-Brett?“ und „Wer fährt am schnellsten Auto?“, gegenseitig in den Schatten zu stellen. Mut ist gut, Angst ist out. Das führt dazu, dass wir auch später nicht gern zugeben, wenn wir vor etwas Angst haben.
Eigentlich wäre das Bekenntnis zur Angst, aber ein völlig legitimer Grund, einen Hund anzuleinen, wie ich finde. Wenn sich ein Hundehalter deshalb angegriffen fühlt, hat er streng genommen keinen Grund dazu. Angst ist ein Gefühl und subjektiv, deshalb sagt Angst eigentlich auch nichts darüber aus, ob der Hund nun wirklich gefährlich ist oder nicht. In dem Moment, in dem wir kommunizieren, dass wir Angst haben, sagen wir nichts über den Hund auf der anderen Seite, sondern in erster Linie über uns.
Manchmal kann es trotzdem die bessere Lösung sein, einen anderen Grund vorzuschieben. In dem Fall des unfreundlichen Herrchens zum Beispiel, weiß ich nicht, ob ich mit der Begründung, dass ich Angst habe, zum Ziel gekommen wäre. Ich kann hier nur Mutmaßungen anstellen, aber so wie ich den Herren einschätze, hätte er darauf wohl eher keine Rücksicht genommen. So aber leinte er seinen Hund widerwillig an, und zischte mir im Vorbeigehen patzig zu, auch alte Hunde seien nicht aus Zucker.
Darf man Hundehalter „gefährlich“ aussehender Hunde ansprechen? Das sagt der Hundetrainer
„Die Frage, wie man mit ‚gefährlich‘ aussehenden Hunden umgehen soll, begegnet mir jeden Tag“, sagt Steve Kaye. Laut dem Hundetrainer ist die Frage aber gar nicht mal so einfach zu beantworten, denn „es kommt immer ganz auf das Gegenüber an.“ Hat der Hundehalter seinen Hund in Griff? Wirkt er souverän, extrovertiert und umgänglich?
„Pauschal kann ich nur sagen, dass es hilft, ein wenig ‚Hundesprache‘ zu lernen“, rät Steve Kaye. Gerade, wenn man öfter in Gegenden unterwegs sei, wo einem häufiger andere Hunde begegnen, sei es von Vorteil, einschätzen zu können, was für ein Verhalten der entgegenkommende Hund zeigt. Das gilt auch für den eigenen Hund. „Wenn man einen eigenen Hund dabeihat, hilft es enorm zu sehen, was der eigene Hund sieht: eine Bedrohung, Imponierverhalten. Im Idealfall geht man, wenn man keinen Kontakt möchte, einfach weiter und signalisiert mit der Körpersprache, dass man keinen Kontakt will.“ Wenn das nicht weiterhilft, könne eine offene Kommunikation weiterhelfen.
So sieht ein bedrohlicher Hund aus
Steif wirkende Hunde, angelegte Ohren und eine steife Rute sind typische bedrohliche Körpersignale. Auch wenn ein Hund sich sehr vorsichtig anpirscht, kann das ein Warnsignal sein. Sind solche Körpersignale nicht zu sehen, hören Sie auf Ihr Bauchgefühl. Angst ist nichts, wofür man sich schämen sollte.
Angst ist keine Einbahnstraße
Neulich musste ich übrigens mal die andere Seite kennenlernen. Mein Freund und ich waren in einem Café zum Frühstücken, in dem Hunde erlaubt sind. Rudi war als waschechtes Familienmitglied natürlich mit dabei, als uns von hinten ein Mann erschrocken ansprach. „Können Sie Ihren Hund bitte von mir wegnehmen?“ Rudi hatte offenbar, ohne, dass wir es bemerkt hatten, an seinem Hosenbein geschnüffelt. Keine Ahnung, warum der Mann Rudi nicht in seiner Nähe haben wollte. Ob er Angst hatte oder eine Hundehaarallergie, ob er Hunde einfach nicht mag, oder ein neues Outfit anhatte?
Angegriffen gefühlt habe ich mich davon jedenfalls nicht. Im Zweifel gilt für mich immer noch der Spruch: „Ich kenn‘ dich nicht, ich weiß dich nicht.“ Soll heißen: Ich weiß von Menschen, denen ich begegne, immer nur das, was ich in dem Augenblick sehe und nichts von ihren Sorgen, Problemen und Ängsten. Trauen wir uns, zu sagen, warum wir etwas nicht wollen – eben weil wir beispielsweise Angst haben – ist das nicht nur mutig. Es macht dem Gegenüber auch deutlich, wie es in uns aussieht. Mit dem Aussehen des Hundes muss das am Ende gar nicht so viel zu tun haben.
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Fazit
Wenn Sie vor einem Hund Angst haben, sollten Sie für sich einstehen und Ihrem Gegenüber sagen, wie Sie sich fühlen. Achten Sie dabei auf eine Ich-Botschaft, die Ihnen niemand übel nehmen kann. Die Angst sagt in dem Fall vor allem etwas über Sie und nicht über eine konkrete Gefahr aus. Vor Angst vor bedrohlich wirkenden Hunden können Sie sich überdies schützen, wenn Sie sich mit Hundesprache auseinandersetzen. So sehen Sie besser, was ein Hund Ihnen signalisieren will und ob tatsächlich ein Anlass zur Angst besteht.