Direkt zum Inhalt wechseln
logo Das Magazin für alle Tierbesitzer und -liebhaber
Dr. Juliane Kaminski im Interview

Hundeforscherin: „Es gibt keine Rassen, die schlauer sind als andere“

Dr. Juliane Kaminski
Dr. Juliane Kaminski ist Hunde-Forscherin und beschäftigt sich mit sozialer Kognition, Kommunikation und Zusammenarbeit bei Säuglingen, Primaten und Hunden. Foto: Getty Images / Dr. Juliane Kaminski
Porträtaufnahme von Autorin Manuela Lieflaender mit Hund Elvis
Freie Autorin

18. Oktober 2024, 7:09 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten

„Hierarchie hat nichts mit nach unten treten zu tun. Wenn man das in der Hund-Mensch-Beziehung anwendet, wird es gruselig“, sagt Dr. Juliane Kaminski. Die bekannte Hunde-Forscherin beschäftigt sich mit dem Lernen und Denken von Hunden. PETBOOK-Autorin Manuela Lieflaender wollte von ihr wissen, ob Hunde heute anders sind als vor 20 Jahren und was sie wirklich von uns brauchen.

Artikel teilen

Dr. Juliane Kaminski ist Mitbegründerin und Leiterin des Studienzentrums für Hundekognition des Max-Planck-Instituts. Heute ist sie Direktorin des Dog Cognition Centre Portsmouth. Ihre Forschungsinteressen umfassen soziale Kognition, Kommunikation und Zusammenarbeit bei Säuglingen, Primaten und Hunden. Dr. Juliane Kaminski hat als Erste gezeigt, dass ein Hund namens Rico Wörter auf ähnliche Weise lernt wie menschliche Säuglinge.

„Zuchtauflagen haben sich zunehmend auf äußere Merkmale konzentriert“

PETBOOK: Es gibt Hundeexperten, die behaupten, dass sich Hundeverhalten in den letzten 10 bis 20 Jahren verändert hat. Heute gibt es beispielsweise Hunde, die ihre Menschen anlächeln. Wie sehen Sie das?
Dr. Juliane Kaminski: „20 Jahre sind ein zu kurzer Zeitraum, um genetisch etwas zu verändern. Da kann man nur von Unterschieden zwischen den Individuen sprechen. Aber das ist nicht zwingend eine Veränderung der letzten 20 Jahre. Das Einzige, was wir sagen können, ist, dass Zuchtauflagen sich in den letzten 100 Jahren zunehmend auf äußere Merkmale konzentriert haben. Vor allem bei Standard-Rassen, die einem äußerlichen Standard entsprechen müssen. Die Verhaltenskomponente ist da deutlich zu kurz gekommen. Das merken wir bei Moderassen.

Der Border, der Labrador, die sehr populär sind, wo Zuchtziele außen vor sind. Wenn überhaupt sind sie nur äußerlich. Da spielen selten Verhalten oder Temperament eine Rolle. Da haben wir problematische Entwicklungen, Verhaltensschwierigkeiten, die genetisch veranlagt sind.“

„Wir müssen wegkommen von den alten Methoden“

Mein Eindruck ist, dass wir mit Erziehungsmethoden, die nach Schema F funktionieren, nicht weiterkommen. Stattdessen müssen wir uns die Mühe machen, die Bedürfnisse unseres Hundes zu verstehen und unseren eigenen Weg finden, der zum Ziel führt. Wie sehen Sie das?
„Das ist nicht gezielt mein Forschungsthema. Aber verhaltensbiologisch stimme ich zu – Hundesprache muss man lesen lernen, bevor man sich einen Hund anschafft. Manche Hunde zeigen Signale subtiler als andere. Das hat oftmals mit der Anatomie zu tun. Aber was Training oder Lernen angeht, das ist schon sehr standardisiert. Da gibt es bestimmte Schemata. Es gibt Unterschiede im Temperament und in der Sensibilität. Darauf muss man das Training abstimmen.“

Welche Lernmethode bevorzugen Sie als Wissenschaftlerin?
„Ich finde positive Lernmethoden wichtig. Wir müssen wegkommen von den alten Methoden und stattdessen positiv und kooperativ mit dem Hund umgehen. Dominanz und Hierarchie haben in der Hundeerziehung nichts zu suchen. Gleichzeitig denke ich, die Entwicklung in der Hundewelt folgt der Kindererziehungswelt und das ist ebenfalls übertrieben.“

Auch interessant: Wie Hunde uns zeigen, dass sie etwas nicht mögen

Dr. Juliane Kaminski: „Hierarchie hat nichts mit nach unten treten zu tun. Wenn man das in der Hund-Mensch-Beziehung anwendet, wird es gruselig.“

Trotzdem leben Hunde in Hirachien.
„Natürlich. Hierarchien gibt es in jeder Säugetiergruppe. Wir wissen das von freilebenden Hunden. Es gibt ein paar wenige Gruppen, die tatsächlich gar nichts mit dem Menschen zu tun haben, da gibt es auch kein Zufüttern. Wenn man sich diese Hunde anschaut, sieht man auch da, dass Hierarchien entstehen. Mein Problem mit dem Begriff ist diese Fehlinterpretation von menschlicher Seite. Der Mensch setzt Hierarchie mit Unterdrückung gleich, aber das existiert in Hierarchiesystemen gar nicht. Diese Systeme funktionieren nicht über Gewalt. Teilweise involvieren sie nicht mal physische Auseinandersetzungen, sondern werden über das Alter geregelt. Und auch die Mensch-Hund-Beziehung ist auf Kooperation und Zusammenspiel angelegt und nicht auf Dominanz.“

Wissen wir noch zu wenig über den Umgang mit Hunden?
„In vielen Ländern ist es ein riesiges Problem, dass der Beruf des Hundetrainers überhaupt nicht reguliert ist. Man weiß nicht, welcher Trainer sich wirklich auskennt. Das muss sich ändern. Es kursieren nach wie vor zu viele veraltete Methoden. Vor allem diese verzerrte Wahrnehmung, was Hierarchie eigentlich ist. Hierarchie hat nichts mit nach unten treten zu tun. Wenn man das in der Hund-Mensch-Beziehung anwendet, wird es gruselig. Das ist nicht mit Tierwohl vereinbar.“

„Gewaltsame Unterdrückung ist fehl am Platz“

Die Situation freilebender Hunde lässt sich nicht auf unser Zusammenleben mit dem Hund oder auf Mehrhunde-Haltung übertragen. Da ist nicht der Älteste der Chef. Im Gegenteil, in der Mehrhundehaltung kann es so knallen, dass die Konstellation nicht mehr funktioniert.  
„Im Gruppenleben wird es immer mal Stress geben. Trotzdem tritt kein Hund von oben nach unten. Das ist verhaltensbiologisch nicht das, was in Gruppen abläuft. Die Aufgabe von Hierarchien ist, Struktur zu geben und einen Kontext. Kein Tier ist den ganzen Tag damit beschäftigt, auf den anderen drauf zu dreschen. Hierarchien werden nicht durch körperliche Gewalt etabliert, sondern ganz oft über die Stellung der Mutter innerhalb des Rudels. Also, wenn sie einen hohen Rang hat. In diesem Punkt gibt es verschiedene Kombinationen, denn oft sind die Tiere miteinander verwandt.“

Also sollte man ausschließlich über positive Verstärkung und mit Leckerlis arbeiten?
„Ich sehe das nicht antiautoritär. Was wir wissen, ist, dass der Hund sich an uns angepasst hat. Er ist immer kooperativer geworden. Vom Temperament her ist er empfänglicher für die Kooperation mit uns geworden. Er hat über tausende von Jahren gelernt, mit uns und mit dem Zusammenleben zurechtzukommen. In dieser Konstellation ist er auf unsere Kommunikation eingestellt, uns zu lesen und zu interpretieren. Das sind unsere Forschungsergebnisse. Gewaltsame Unterdrückung ist fehl am Platz.  Der Umgang mit dem Hund muss positiv stattfinden. Sicherlich mit Grenzen, die körperlich besetzt werden können. Aber körperlich kommunikativ.“

Bestseller Box

„Menschen haben falsche Vorstellungen von Hunden“

Wenn sich der Hund so gut an uns angepasst hat, wie erklären Sie sich dann, dass die Tierheime überfüllt sind und es so viele Hundetrainer gibt?
„Das erkläre ich mir durch die unkontrollierte Produktion von Welpen. Die Leute kaufen im Internet und das ist ein riesiges Problem. Außerdem spielt die zunehmende Vermenschlichung eine Rolle. Man sieht das an den Beiträgen auf Instagram: der Hund als Statussymbol des perfekten Familienmitglieds. Er macht alles mit, küsst das Baby, tanzt mit den Kindern. Alles, was einem da vorgespielt wird, kreiert Druck auf die Hunde und führt zu Überforderung. Menschen haben falsche Vorstellungen von Hunden. Damit der Hund vieles mitmacht, ist harte Arbeit erforderlich. Die Stresssignale, die Hunde aussenden, wenn sie zum Beispiel Umarmungen nicht mögen, werden gar nicht wahrgenommen. Die Leute erkennen die Grenzen ihrer Hunde nicht.

Grenzen sind etwas Individuelles: Nicht jeden Hund kann man überall mithinnehmen und nicht jeder Hund kann mit Kindern umgehen. Diese Grenzen muss man akzeptieren. Leider werden Hunde auch nur nach der Optik gekauft. Mein vorletzter Hund war ein Ridgeback. Auf einem Spaziergang traf ich mal eine Frau mit einem Labrador, die zu mir sagte: ‚Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich einen Labrador oder einen Ridgeback nehme, die sind beide so süß.‘ Man kann diese Hunde aber von ihrem Wesen und dafür, wofür sie gezüchtet worden sind, überhaupt nicht miteinander vergleichen. Und das meine ich damit – den Leuten sind die Bedürfnisse ihrer Hunde oftmals völlig egal.“

Dr. Juliane Kaminski: „Den Leuten sind die Bedürfnisse Ihrer Hunde oftmals völlig egal.“

Welche Bedürfnisse haben Hunde aus Ihrer Sicht? Und wie sollte unsere Antwort darauf aussehen?
„Das ist individuell unterschiedlich. Es kommt auf die Rasse an. Wir müssen uns fragen, wozu ist mein Hund gezüchtet worden? Damit muss man sich auseinandersetzen. Die einen möchten viel schnüffeln, die anderen wollen an etwas zerren, wieder andere möchten buddeln. Man muss sich schon die ursprüngliche Arbeitsfunktion anschauen und diesem Bedürfnis Raum geben. Möchte ein Hund Beute greifen, muss ich ihm die Chance geben, an etwas zu zerren oder etwas kaputtzumachen. Möchte er einer Spur folgen, sollte ich mit ihm Nasenarbeit machen.

Die mentale Stimulation ist wichtig. Manche Hunde mögen den Spaziergang gar nicht so sehr. Dann gibt man ihm im Haus etwas zu tun: Schnüffelspiele, Sachen verstecken, Geruchserfahrungen machen lassen. Futter im Haus verstecken, Gegenstände verstecken. Futter unter Töpfchen verstecken. Das kann man gut in den Alltag integrieren. Schnüffelteppiche finde ich großartig. Man kann auch einfach eine Handvoll Futter in den Garten werfen. Allerdings sollte man es auch nicht übetreiben. Hunde sollten 16 Stunden schlafen, manche sogar noch mehr.“

„Mein Verdacht war von Anfang an, dass manche Hunde so etwas können“

Kommen wir zurück zu Ihrer Forschung. Was ist Ihr Lieblingsprojekt?
„Der Border Collie Rico fasziniert mich am meisten. Denn was ich gelernt habe, ist, dass das nicht viele Hunde können und man es nicht jedem beibringen kann. Als ich Rico zum ersten Mal im Fernsehen gesehen habe, konnte ich nicht glauben, dass er 250 Spielzeuge voneinander unterscheiden konnte. Ich dachte, er macht eigentlich was ganz anderes, nämlich die Körpersignale seiner Besitzerin zu lesen. Ich hätte nicht gedacht, dass er auf die Wörter achtet.

In meiner Karriere ist das für mich nach wie vor das Spannendste, weil ich das so nicht erwartet hätte. Mein Verdacht war von Anfang an, dass manche Hunde so etwas können und andere nicht. Ich wollte aber wissen, die kognitiv die Unterschiede sind. Also haben wir einen Aufruf gestartet, um die ‚Rico-Hunde‘ zu finden und haben weltweit eine Gruppe aus 12 Hunden gefunden. Mit denen arbeiten wir aktuell.“

Dr. Juliane Kaminski: „Es gibt keine Rassen, die schlauer sind als andere“

Um welche Rassen handelt es sich dabei? Um die üblichen Verdächtigen Border Collies, Aussies …?
„Nein. Genau diese Denkweise ärgert mich, dann das sind Züchtersprüche. Eine Zeitlang galt der Pudel als besonders intelligent, dann war es der Border Collie. In unserer Arbeit haben wir dafür keinen Beleg gefunden. Die Rico-Hunde zum Beispiel, die Gegenstände nach Namen unterscheiden, da ist auch ein Mops und ein Dobermann dabei. Natürlich sind solche Rassen wie de Border oder der Australian Shepherd überrepräsentiert. Das liegt aber daran, dass sie eine hohe Arbeitsmotivation haben, für die sie gezüchtet worden sind. Sie sind grundsätzlich eher dazu bereit, sich einen Job zu suchen, wenn sie sonst keinen haben. Daher kommt diese Wahrnehmung.“

Dann sind diese Rassen gar nicht so intelligent?
„Ich sage nicht, dass die nicht intelligent sind, ich sage nur, es gibt keine bedeutsamen Unterschiede bei den kognitiven Fähigkeiten. Sie sind einfach nur besonders arbeitswütig und darauf gezüchtet, auf besonders auf unsere Signale zu achten.“

Wie arbeiten Sie mit diesen 12 Hunden?
„Es geht darum, herauszufinden, in welchem Bereich sie besondere Fähigkeiten zeigen. Ob sie sich bestimmte Sachen besonders gut merken können. Wir haben einen kleinen Intelligenz-Test für Hunde kreiert, um herauszufinden, wo die Unterschiede zu anderen Hunden sind, die nicht so viele Begriffe unterscheiden können.“

„Ich bin kein Freund davon zu denken, dass Hunde nur über Konditionierung funktionieren“

Was hat Ihre Forschungen bei Ihnen in Bezug auf Hundehaltung bewirkt?
„Ich habe erst mal festgestellt, dass ich viele Mythen in meinem Kopf hatte. Anstatt stundenlang spazieren zu gehen, mache ich Zuhause mentale Spiele mit meinem Hund. Da kommt mir meine Forschung zugute. Ich habe immer schon eher positiv trainiert. So gut ich kann, versuche ich alles positiv zu trainieren.“

Arbeiten Sie ausschließlich über die klassische Konditionierung?
„Es gibt verschiedene Lernmechanismen, Konditionierung gehört auf jeden Fall dazu. Soziales Lernen. Hunde imitieren zwar nicht, sie profitieren aber davon, wenn sie einen Ablauf mal gesehen haben. Mit positiv meine ich, wie kann ich meinem Hund verständlich machen, was ich von ihm möchte? Wie erreiche ich das? Da muss man oft in viel kleineren Schritten vorgehen, als man denkt. Ich bin kein Freund davon zu denken, dass Hunde nur über Konditionierung funktionieren. Meine Forschung hat gezeigt: Hunde können flexibel denken. Nicht alles muss, wie beim Roboter, konditioniert werden. Es geht erst mal darum, dass der Hund verstehen muss, was von ihm erwartet wird und das läuft über Wiederholungen und positive Mechanismen.“

Mehr zum Thema

„Die westliche Wahrnehmung von Hunden ist eine Extremform “

Ich lese immer häufiger, dass Hunde nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, sozusagen eine Zwischenart zwischen Tier und Mensch sind. Was sagen Sie dazu?
„Ich glaube, da geht in der Presse viel Wahrheit verloren. Hunde sind domestizierte Tiere. Sie sind stark an das Leben mit uns angepasst. Das ist erkennbar an ihrem Verhalten, ihrem Temperament und ihrer Anatomie. Sie sind nicht die Wildform. Man kann vielleicht sagen, sie sind irgendwas zwischen Wolf und Mensch, aber das trifft nicht den Kern. Trotzdem sind sie ein Lebewesen, das an vielen Stellen andere Bedürfnisse hat als der Mensch. Es ist nicht zwingend hilfreich, das zu negieren.

Wenn wir uns alle Hunde angucken, dann leben 85 Prozent in der ganzen Welt als Straßenhunde, Dorfhunde oder wildlebende Hunde. Diese westliche Wahrnehmung von Hunden ist eine Extremform von Hundehaltung, die nicht der Norm entspricht. Das ist nichts Schlechtes, ich halte meinen Hund ja auch so. Aber wenn man ihn als Art betrachtet, dann ist diese Lebensweise nicht an diese Art angepasst, sondern ein Extrem. Unsere Art der Hundehaltung ist eine Nische. Die gibt es ja auch erst seit 100 oder 200 Jahren. Das ist eine moderne Sache. Man kann also nicht sagen, der Hund ist gar nicht so richtig ein Hund.“

Themen #platinum
Deine Datensicherheit bei der Nutzung der Teilen-Funktion
Um diesen Artikel oder andere Inhalte über Soziale- Netzwerke zu teilen, brauchen wir deine Zustimmung für diesen .
Sie haben erfolgreich Ihre Einwilligung in die Nutzung dieser Webseite mit Tracking und Cookies widerrufen. Sie können sich jetzt erneut zwischen dem Pur-Abo und der Nutzung mit personalisierter Werbung, Cookies und Tracking entscheiden.