18. Juni 2024, 14:53 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Hundetrainerin Andrea Stelzig machte in letzter Zeit vor allem in den sozialen Netzwerken von sich reden. So kritisierte sie öffentlich Topmodel Heidi Klum und ihren Mann für die Wahl ihrer Hunderasse. Im Gespräch mit PETBOOK erklärt die Hundetrainerin mit Jagdhundeausbildung, weshalb Jagdhunde eigentlich nur von Jägern gehalten werden sollten.
Oft suchen sich Menschen die Hunderasse nach der Optik aus. Dabei werden auch Jagdhunde wie Deutsch Drahthaar immer beliebter, da ihr Fell eine ungewöhnliche Optik aufweist und die Statur der Rasse als elegant und sportlich gilt. Aber ist es eine gute Idee, wenn man sich eine Rasse hält, die hoch spezialisiert auf die Jagd ist? Von Hundetrainerin Andrea Stelzig gibt es darauf ein klares „Nein“ als Antwort.
Erst kürzlich sorgte die Wahl-Österreicherin mit einem kontroversen Video für viel Aufsehen. Darin kritisierte sie Heidi Klum für die Wahl zweier Deutsch Kurzhaar-Hunde. Ihrer Meinung nach sollten solche leistungsorientierten Jagdhundrassen ausschließlich von Menschen mit einem Jagdhintergrund gehalten werden. Warum, erklärt sie im Gespräch mit PETBOOK.
»Ich beobachte fast täglich, dass sich Hundeliebhaber den falschen Hund für sich und ihr Leben ausgesucht haben
PETBOOK: Frau Stelzig, Sie haben in einem Video auf TikTok gesagt, dass Heidi Klum und ihr Mann ein Paradebeispiel für Menschen wären, die die falsche Rasse für ihren Lifestyle wählen. Warum?
Andrea Stelzig: „Als hauptberufliche Hundetrainerin beobachte ich es fast täglich, dass sich Hundeliebhaber den falschen Hund für sich und ihr Leben ausgesucht haben. Sei es hinsichtlich der Rasse oder des Charakters. Das ist dann meist auch der Grund, warum sie zu mir ins Training kommen, weil ihnen der Hund vielleicht zu stark wird oder er dann – genetisch vorgegebene – Verhaltensweisen zeigt, die nicht zu ihrem Leben passen. Ich soll es dann richten, obwohl dies teils Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte durch Selektion reingezüchtet wurde. Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass die Auswahl des Hundes meist aufgrund der Optik erfolgt und nicht danach, ob der Hund genetisch und rassetypisch zum Lebensstil der Besitzer passt.“
So wie etwa Heidi Klum und ihr Mann?
„Ja, in meinem Videobeispiel mit Heidi Klum trifft es das ganz gut. Wobei ich klarstellen möchte, dass es mir hier nicht um die Person Frau Klum oder Tom Kaulitz geht. Die Rasse Deutsch Kurzhaar hat ihren Ursprung Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts. Das heißt seit gut 200 Jahren wird diese Rasse durch gezielte Zucht genetisch selektiert, um ihre jagdlichen Fähigkeiten zu verbessern. Wenn man sich das Leben eines Jägers oder Berufsjägers ansieht, die mehrmals wöchentlich bis täglich im Revier unterwegs sind – stets mit ihren Hunden – kann man sich vorstellen, wie viel Bewegung die Tiere dabei haben. Sie können im Jagdgebrauch also nicht nur ihrem Bewegungsdrang, sondern eben auch ihrer genetischen Veranlagung nachgehen.“
»Eine Business-Frau wie Frau Klum, die so viel unterwegs ist, braucht keinen Vollgebrauchs-Jagdhund
Soviel Bewegung und Auslastung wird im Berufsalltag natürlich schwer umsetzbar sein, wenn man nicht gerade als Jäger tätig ist …
„Eine Business-Frau wie Frau Klum, die viel unterwegs ist, um die Welt jettet, von TV-Produktion zu TV-Produktion, oder ihr Mann, ein erfolgreicher Musiker, ebenfalls viel unterwegs, brauchen – wenn wir ehrlich sind – keinen Vollgebrauchs-Jagdhund. Würde ein Paar mit einem solchen Hintergrund mich um meinen professionellen Rat fragen, was ich von einem Deutsch Kurzhaar für sie halte, würde ich davon abraten. Für ein solches Leben gibt es genug andere Rassen, die hier besser passen würden.“
In ihren Video sagen sie, dass ihnen die Hunde bei Heidi Klum leidtun. Warum?
„Ich bin mir sicher, dass es diesen Hunden Uschi und Jäger gut geht und es ihnen an nichts fehlt. Sei es durch das Paar selbst oder vielleicht auch durch Angestellte, die sich in ihrer Abwesenheit um die Tiere kümmern. Leid tun sie mir deswegen, weil sie höchstwahrscheinlich nicht ihrer genetischen Passion nachgehen können, zumindest nicht so wie bei einem ‚Vollblutjäger‘. Denn wenn man mal einen wirklichen Arbeitshund in seiner Arbeit gesehen hat, wie diese Hunde darin aufgehen und am Abend müde und zufrieden in ihrem Bett liegen, kann man meinen Ansatz verstehen, dass wirkliche Arbeitshunderassen auch nur so gehalten werden sollten, wie es ihre genetische Veranlagung mitbringt.“
»Ich würde aber nicht sagen, dass jede Jagdhunderasse nur von Jägern gehalten werden sollte
Warum gehören Jagdhunde nicht in die Hand von Normalos, also Hundehaltern ohne Jagdhintergrund?
„Artgerechte Haltung eines Hundes bedeutet für mich nicht nur regelmäßiges Spazierengehen, gutes Futter, Liebe, Spiel und Kopfarbeit, sondern den Hund im Sinne seiner genetischen Passion und Veranlagung auszulasten. Man muss wissen, dass bei den meisten Jagdhunderassen, die derzeit beim Jagdgebrauch im Einsatz sind, bei der Zucht so selektiert wird, dass ohne viel jagdlicher Ausbildung noch im ersten Lebensjahr die genetischen Anlagen geprüft werden. Das ist die sogenannte Anlagenprüfung und nur wenn diese bestanden wird, darf der Hund für die Zucht verwendet werden. Das bedeutet also, dass die Arbeitsbereitschaft und der Jagdtrieb dieser Rassen genetisch sehr hoch sind.“
Gibt es da nicht irgendwelche Hürden, die es Menschen ohne Jagdhintergrund erschweren, an solch einen Hund zu kommen?
„Soweit ich weiß, werden diese Jagdhunderassen in Österreich nur an Personen mit Jagdschein oder Reviernachweis abgegeben und das finde ich absolut richtig. Das bedeutet ebenfalls, dass es auch am Züchter liegt, an wen er die Hunde abgibt. Ich würde aber nicht sagen, dass jede Jagdhunderasse nur von Jägern gehalten werden sollte. Es gibt durchaus einige dieser Rassen, die auch für einen Nicht-Jäger geeignet sind. Zudem es mittlerweile auch schon einige Rassen gibt, die in Leistungs- und Showlinie gezüchtet werden. Dabei hat die Showlinie dann meist weniger Jagd- und Arbeitspassion und ist auch nicht so willensstark. Garantieren kann man das damit aber natürlich nicht.“
»Vor etwa 15 Jahren, war es ganz üblich, den passenden Hund basierend auf seiner Genetik auszuwählen
Sie sprechen sich klar gegen die Haltung von Jagdhunden mit einem „Deutsch“ vor dem Rassenamen aus. Was raten sie Menschen, die sagen: „Mei, ich mag halt die Optik“?
„Genau diese Jagdhunderassen mit einem ‚Deutsch‘ im Namen meine ich, die wahnsinnig viel
Jagdpassion, Willensstärke und Arbeitsbereitschaft mitbringen. Und auch wenn einige Rassen wirklich schön sind, sollte man für ein leichteres und angenehmeres Leben doch optisch Kompromisse eingehen und einen Hund zu sich holen, der besser zum eigenen Lebensstil passt. Früher, noch vor etwa 15 Jahren, war es ganz üblich, den passenden Hund basierend auf seiner Genetik auszuwählen. Aber in den letzten Jahren sehe ich den Trend, theoretisch jede Rasse nehmen zu können. Aber nur weil man vielleicht einen Hund in dieser Rasse kennt, der unkompliziert ist, heißt das nicht, dass das für jeden Hund dieser Rasse gilt. Oft ist es auch einfach Glück, dass es so gut passt.“
Gibt es denn Alternativrassen, die ähnlich aussehen, aber nicht diese Jagdleidenschaft haben?
„Ja, Rassen wie etwa Retriever, Magyar Vizsla, der Kleine und Große Münsterländer, Weimaraner, manche Setter-Rassen, Glatthaar und Langhaar Dackel, Jack und Parson Russel Terrier, um nur ein paar zu nennen. Diese können in der Regel auch von Nicht-Jägern gehalten werden. Allerdings möchte ich für diese Rassen pauschal keinen Freifahrtschein aussprechen. Denn auch hier sollte man sich unbedingt über den Züchter, die Elterntiere und den Stammbaum informieren: wie viel Jagdpassion steck da noch drinnen? Zudem kann ich eher Hündinnen empfehlen, weil diese oft sensibler und daher leichter zu führen sind.“
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»Natürlich gibt es auch Jagdhunde, die im Tierheim landen und einen geeigneten Platz finden müssen
Angenommen, man hat jetzt so einen Jagdhund bei sich, aber man ist kein Jäger. Gibt es alternative Beschäftigungen, die man mit seinem Hund unternehmen kann?
„Natürlich gibt es auch Hunde dieser Rassen, die im Tierheim landen, die doch nicht für die Jagd geeignet sind oder durch andere Umstände einen geeigneten Platz finden müssen. Und ja, man kann diese Hunde auch anderweitig auslasten. Ich kenne beispielsweise Deutsch Kurzhaar, Münsterländer und Terrier, die beim Zoll oder beim Roten Kreuz als Suchhunde eingesetzt und dort auch super ausgelastet werden. Alles was mit Suchen zu tun hat – egal ob als Sport oder Hobby – ist neben genügend Auslauf für solche Hunde als Auslastung gut geeignet.“
„Als Hundeanfänger kann ich einen Galgo nicht unbedingt empfehlen“
Was wäre das zum Beispiel?
„Beispiele dafür sind Mantrailing, Dummy-Sport, Futterbeuteltraining, klassisches Fährtentraining, Canicross, Agility oder auch Obedience, um nur ein paar zu nennen.
Aber wenn man ein Couch-Potato ist, wenig draußen unterwegs, eher unsportlich, mitten in der Stadt wohnt, sollte man sich keine Arbeitshunderasse zulegen. Auch hier gibt’s einige Rassen, die weniger Bewegung brauchen und auch gemütlicher bzw. eher arbeitsfaul sind.“
Wie stehen Sie zur Haltung von Galgos? Das sind ja auch Jagdhunde, die dann meist ohne diese Beschäftigung aber mit Jagdvergangenheit bei Menschen landen …
„Galgos, generell Windhunderassen, sind vom Wesen her um einiges sensibler als Rassen wie Kurzhaar, Retriever, Terrier & Co. und daher auch leichtführiger. Hier gibt es ja das Problem, dass diese in Spanien oft unter miserabelsten Verhältnissen leben, auf Jagd getrimmt und dann ausgesetzt oder umgebracht werden. Tierorganisationen setzen sich dafür ein, diese
möglichst zu retten und natürlich müssen diese dann einen guten Platz finden. In diesen Fällen ist der Jagdtrieb durchaus ausgeprägter und das muss einem auch klar sein, wenn man sich dann so einem Hund annimmt.
Windhunde, die aber bei uns gezüchtet werden, werden schon seit mehreren Generationen nicht mehr zur Jagd verwendet. Die Jagdpassion wird also weniger verankert sein, als beispielsweise bei einem Deutsch Kurzhaar. Auslastung brauchen diese Hunde aber dennoch. Als Anfänger in der Hundehaltung kann ich einen Galgo daher nicht unbedingt empfehlen.“
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»Gegenwind bin ich gewohnt, da ich meine Meinung immer sehr direkt sage
Sie haben für ihre Kritik zu Heidi Klum und der Wahl ihrer Rasse viel Gegenwind bekommen, oder?
„Ja, das kann man wohl sagen. Ich bin das aber gewohnt, da ich meine Meinung immer sehr direkt äußere. Ich habe aber ein dickes Fell, wobei ich offen gesagt bei diesem Video gar nicht so stark damit gerechnet habe. Viele kamen mit dem Argument, ich hätte einen Australian Shepherd, aber keine Schafsherde zu Hause. Oder Leute haben geschrieben, sie hätten einen Labrador, Münsterländer, Dackel und so weiter, seien aber kein Jäger und dürften diese Rasse dann eigentlich auch nicht halten.
Wie bereits erwähnt, gibt es bei vielen Rassen, die zur Jagd eingesetzt wurden, aber seit mehreren Generationen eine Showlinie und man kann sie einfach aufgrund der Zuchtselektion nicht mit einem Deutsch Kurz-/Draht-/Langhaar vergleichen. Ich glaube, viele haben auch nicht verstanden, dass es mir nicht um Heidi Klum persönlich ging, sondern um eine Jet-Set-Business-Frau, die eigentlich keinen Deutsch Kurzhaar braucht. Es hätte auch Frau Müller ohne Jagdhintergrund aus dem 1. Bezirk Wien sein können und ich hätte die gleiche Kritik geäußert.“
Gibt es etwas, dass sie diese Kritiker gerne wissen lassen möchten?
„Ich selbst würde mir keinen Jagdgebrauchshund zulegen, obwohl ich einen Jagdschein habe. Allerdings gehe ich nicht regelmäßig jagen und könnte diesem Hund somit nicht das bieten, wofür er genetisch gesehen lebt. Ich kaufe mir auch keinen Ferrari oder SUV, wenn ich in einer Großstadt wohne und nur dort unterwegs bin. Klar kann man das machen, aber von Notwendigkeit kann man dabei nicht sprechen.
Abschließend möchte ich noch anmerken, dass ich diese Einstellung nicht nur bei Jagdgebrauchshunden habe, sondern auch bei anderen Arbeitshunderassen, wie etwa Herdenschutzhunde, Hütehunde oder auch Schutzhunde. Die stärksten Rassen aus diesen Sparten gehören meiner Meinung nach nur in erfahrene Hände mit entsprechender Auslastung.“