
24. April 2025, 15:48 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Jeder kennt die Szenen im Park: Eltern, die ihren Nachwuchs im Kinderwagen herumschieben und dabei ständig auf ihr Handy starren. Oder Hundebesitzer, die beim Gassigehen am Telefon hängen, als hänge ihr Leben davon ab. Das Phänomen nennt sich „Phubbing“ und kann für alle Beteiligten nachhaltige Folgen haben, vor denen Experten inzwischen warnen. Doch auch auf unsere Vierbeiner wirkt sich die übermäßige Smartphonenutzung aus, wie Hundetrainerin Katharina im Interview mit PETBOOK erklärt.
Das Wort „Phubbing“ setzt sich aus den beiden Wörtern „phone“ (Telefon) und „snubbing“ (ignorieren) zusammen und beschreibt ein Verhalten, vor dem Experten inzwischen warnen. So hat wohl jeder schon einmal erlebt, dass man mit einer Person unterwegs war und diese mehr mit ihrem Telefon beschäftigt gewesen ist, anstatt sich mit einem zu unterhalten.
Auf Dauer kann ein solches Verhalten eine Beziehung belasten – auch die zwischen Mensch und Hund. Denn auch hier kommt es immer wieder vor, dass Herrchen oder Frauchen ihrem Handy und den sozialen Netzwerken deutlich mehr Aufmerksamkeit schenken als ihrem Vierbeiner. Hundetrainerin Katharina Marioth von „Stadthundetraining“ warnt im Gespräch mit PETBOOK vor diesem wachsenden Phänomen.
„Phubbing kann dazu führen, dass Hunde Strategien entwickeln, um Aufmerksamkeit zu bekommen“
PETBOOK: Was beobachten Sie als Hundetrainerin konkret, wenn Hunde erleben, dass ihr Mensch ständig aufs Smartphone schaut – statt mit ihnen zu interagieren?
Katharina Marioth: „Wenn der Mensch nur noch aufs Handy starrt, passiert beim Hund oft genau das Gegenteil – er fängt an zu fühlen. Und zwar Unsicherheit, Frust oder schlicht Langeweile. Ich sehe dann häufig, wie Hunde unruhig werden, anfangen zu bellen, an der Leine ziehen oder sich zurückziehen. Es ist ein bisschen, als würde man gemeinsam essen gehen und der andere ist die ganze Zeit mit dem Handy beschäftigt – es macht etwas mit der Beziehung. Und Hunde sind da sehr feinfühlig.“
Gibt es typische Verhaltensauffälligkeiten, die durch „Phubbing“ entstehen können?
„Ja, und leider nicht zu knapp. Phubbing – also das bewusste oder unbewusste Ignorieren des Hundes durch Technik – kann dazu führen, dass Hunde Strategien entwickeln, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Manche bellen, springen, zupfen an der Leine, manche ziehen sich zurück, werden unsicher, und bei manchen kippt’s irgendwann in Frust oder Aggression. Nicht, weil sie ‚böse‘ sind, sondern weil sie sich schlicht nicht gesehen fühlen.“
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„Wenn wir emotional nicht präsent sind, merkt der Hund das sofort“
Wie sensibel sind Hunde Ihrer Erfahrung nach gegenüber dem Phänomen bei ihrer Bezugsperson?
„Extrem sensibel. Hunde kommunizieren über Körpersprache, Mimik, Energie – nicht über Worte. Wenn wir emotional nicht präsent sind, merkt der Hund das sofort. Und es ist für ihn verwirrend: Die Bezugsperson ist körperlich da, aber innerlich weg. Das kann beim Hund zu einer Art innerem Vakuum führen. Für viele Tiere ist das der Anfang von Bindungsproblemen.“
Was bedeutet das konkret für die Bindung Hund-Mensch?
„Bindung entsteht durch gemeinsame, geteilte Erlebnisse – nicht durch nebeneinander her leben. Wenn ich im Wald spazieren gehe und der Hund erlebt mit mir zusammen spannende Dinge, dann wächst Vertrauen. Wenn ich hingegen im Wald spazieren gehe und der Hund erlebt mich hauptsächlich mit gesenktem Kopf und Handy in der Hand – dann wird er sich irgendwann fragen: ‚Bin ich dir eigentlich wichtig?‘ Und das macht etwas mit der Bindung. Sie leidet leise, aber stetig.“
Wie wirkt sich die Smartphonenutzung auf das Training aus – zum Beispiel beim Rückruf oder in stressigen Alltagssituationen?
„Training ist Kommunikation. Und wenn ich im entscheidenden Moment abwesend bin – also nicht reagiere, zu spät reagiere oder unklar bin – dann verliere ich im Zweifel nicht nur den Rückruf, sondern auch das Vertrauen des Hundes. Besonders in stressigen Situationen brauchen Hunde eine klare, zugewandte Führung. Wer da aufs Handy schaut, ist wie ein Fluglotse mit Funkstille: Keiner weiß mehr, wo’s langgeht.“
Diese Hunderassen leiden besonders unter Phubbing
Gibt es Hunderassen oder Hundetypen, die besonders sensibel auf fehlende Aufmerksamkeit durch den Menschen reagieren?
„Absolut. Vor allem sehr menschenbezogene Rassen wie Hütehunde, Retriever oder viele Begleithunde reagieren empfindlich auf emotionale Abwesenheit. Aber es ist weniger eine Frage der Rasse als der individuellen Persönlichkeit. Auch der ehemalige Straßenhund, der endlich Vertrauen gefasst hat, kann durch mangelnde Aufmerksamkeit wieder verunsichert werden. Hunde sind soziale Wesen – und Bindung ist keine Einbahnstraße.“
Welche Situationen im Alltag sind besonders kritisch, wenn es um das Thema Phubbing geht?
„Die Klassiker: Im Café, wenn der Hund brav neben dem Tisch liegt und der Mensch sich nicht einen Blick schenkt. Beim Gassigehen, wenn alle fünf Minuten stehen geblieben wird, um Insta zu checken. Und auf dem Hundeplatz, wenn’s ums Lernen geht – da ist Aufmerksamkeit keine Kür, sondern Pflicht. Kritisch sind auch Begegnungen mit anderen Hunden oder Menschen – da braucht es Führung, nicht Facebook.“
Was können Hundehalter tun, um ein gesundes Maß im Umgang mit Smartphone & Hund zu finden?
„Ich arbeite oft mit dem Bild der ‚Hunde-Zeit‘ als Insel im Alltag. Eine Stunde, in der das Handy in der Tasche bleibt. Wer merkt, wie viel intensiver die Verbindung wird, wenn man wirklich präsent ist, will oft gar nicht mehr zurück in den alten Trott. Ich sage immer: ‚Dein Hund ist die beste Achtsamkeitsübung, die du je machen wirst – er fordert nichts, er wartet nur auf dich.‘“

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„Mein Hund ist nicht die Kulisse für meine Story, er ist mein echter Partner“
Was wären einfache, alltagstaugliche Strategien, um bewusste Qualitätszeit mit dem Hund zu gestalten – trotz moderner Ablenkung?
„Zum Beispiel: feste ‚Offline-Gassi-Zeiten‘, bei denen das Handy im Flugmodus bleibt. Oder kurze, aber intensive Spiel- oder Trainingsphasen, bei denen der Fokus voll beim Hund liegt. Auch kleine Rituale helfen – etwa das tägliche Fünf-Minuten-Kuschelritual, das gemeinsame Suchen nach Leckerchen im Garten oder bewusstes ‚Einchecken‘ beim Hund, bevor man das Haus verlässt.“
Würden Sie sagen, dass das Thema „digitale Achtsamkeit“ auch im Hundetraining eine größere Rolle spielen sollte – und wenn ja, wie?
„Unbedingt. Es ist kein ‚nice to have‘, sondern essenziell. Digitale Achtsamkeit im Hundetraining bedeutet, sich bewusst zu entscheiden, wann ich erreichbar bin – und für wen. Mein Hund ist nicht die Kulisse für meine Story, er ist mein echter Partner. Ich finde: Hundetraining darf auch ein Raum sein, in dem Mensch und Hund wieder lernen, sich wirklich zu begegnen. Ganz analog. Ganz echt. Bei mir herrscht in den Stunden aus gutem Grund absolutes Smartphoneverbot. Diese Stunden gehören dem Hund und seinem Menschen.“