28. Mai 2024, 18:10 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Mit ihren Videos, in denen sie locker und authentisch Hundeverhalten erklärt, mauserte sich Désirée Scheller zu den bekanntesten Hundetrainern in den deutschsprachigen sozialen Medien. Seit 13 Jahren ist die Kölnerin als Verhaltensexpertin tätig und bezeichnet sich selbst als Hunde-Dolmetscherin. PETBOOK sprach mit ihr über diesen Titel und die Verständnisprobleme zwischen Hunden und ihren Haltern.
Können Hunde eigentlich lachen? Gibt es Hundeküsse? Und warum mag mein Hund keine anderen Hunde? Das sind allesamt Fragen, die Hundetrainerin Désirée Scheller in ihren Clips in den Sozialen Netzwerken kurz und verständlich erklärt. Mehrere hunderttausend Menschen haben sich die Erklärvideos der Kölnerin bereits angesehen. Mit PETBOOK hat sich Désirée Scheller über Missverständnisse zwischen Mensch und Hund, häufige Fehler bei der Adoption von Tierschutzhunden und falsch verstandene Sorgenkinder unterhalten.
Désirée Scheller: „Hunde werden sehr oft missverstanden und deshalb unfair behandelt“
PETBOOK: Auf deiner Visitenkarte steht Hunde-Dolmetscherin – wie wird man das?
Désirée Scheller: „Indem ich mir zur Aufgabe gemacht habe, für die Hunde zu übersetzen und ihnen eine Sprache zu geben. Mir ist schon sehr früh nach meiner Ausbildung aufgefallen, dass Hunde sehr missverstanden sind und daraufhin dann auch oft sehr unfair behandelt werden. Deswegen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, die Sprache der Hunde für die Halter zu übersetzen.“
Was sind die klassischen Missverständnisse und Hürden, die du am häufigsten in der Kommunikation zwischen Mensch und Hund siehst?
„Alteingefahrenes Denken! Viele Menschen glauben noch immer, dass der Hund sich freut, wenn er mit der Rute wedelt. Das ist absolut nicht so. Ein Hund kann sogar Aggressionsverhalten oder Abwehrverhalten darüber andeuten und das ist wichtig zu wissen. Besonders als Hundehalter sollte man offen sein, um seinen Hund verstehen zu lernen.
„Wir pressen unsere Hunde oft in eine Welt, von der wir annehmen, dass sie ihnen gefällt“
Dann ist da noch die Vermenschlichung. Also, dass Hunden menschliche Züge zugesprochen werden, denen sie gar nicht gerecht werden können. Wir haben irgendwie so eine verklärte Vorstellung von unseren Hunden, dass immer alles toll ist, dass Hunde immer Spaß haben und immer spielen wollen. Dabei übersehen wir aber die wahren Anzeichen, mit denen Hunde eigentlich tatsächlich kommunizieren. Beispielsweise dass viele Hunde einfach mit ihren täglichen Aufgaben, die wir ihnen übertragen, total überfordert sind. Wir pressen sie in eine Welt rein, von der wir annehmen, dass Hunde sie toll finden.“
Hast du ein Beispiel dafür?
„Ja, Spielwiesen! Alleine schon, dass man sie so bezeichnet. Das sind manchmal echt katastrophale Umstände. Die Hunde sind dort oft maßlos überfordert, werden von anderen gemobbt und zeigen dann auch irgendwann, wie anstrengend und schlimm das für sie ist – beispielsweise mit einem Artgenossenproblem oder ähnlichem. Das ist nicht zu unterschätzen. Ich versuche, die Menschen zu sensibilisieren, ihre Hunde aufmerksam zu beobachten. Dabei den Vierbeiner mal aus einer anderen Perspektive sehen und zu schauen, ob da vielleicht doch was dran sein könnte. So kann man dementsprechend mehr lernen, auf den Hund zu hören, anstatt immer am alten Denken festzuhalten.“
Lass uns auf die hohen Erwartungen von Haltern zu sprechen kommen. Was siehst du da in deinem Berufsalltag?
„Jeder Hund muss zu jedem nett sein, soll jeden Menschen toll finden und jeden anderen Hund auch. Er muss alleine bleiben können, gut Auto fahren können, der muss mit ins Restaurant genommen werden können und auch zum Stadtbummel. Das sind echt viele Sachen, die unsere Hunde da leisten müssen und viele können das gar nicht. Allerdings fehlt den meisten Haltern auch das Verständnis dafür, dass man auch Abstriche machen muss, dass nicht jeder Hund auch für die eigenen Ansprüche geeignet ist. Diese Probleme kommen jetzt vermehrt, da die Menschen früher eine ganz andere Erwartungshaltung ihren Hunden gegenüber hatten.“
„Unsere Hunde geben sich vom ersten Tag an alle Mühe, uns zu verstehen, aber wir tun es nicht“
Mit welchen Anliegen kommen die Menschen in der Regel zu dir?
„Es geht um Probleme mit dem Hund, da viele ihr Tier einfach nicht verstehen. Ganz oft bekomme ich dann ein Problem geschildert und dann kommt die Frage: ‚Hast du einen Tipp für mich?‘ Alleine schon, dass diese Frage gestellt wird … Als ob man mit einem pauschalen Tipp einfach nebenbei dieses große Problem lösen könnte … Das ist schon der allergrößte Denkfehler, den sehr viele Hundehalter haben. Es ist wirklich selten, dass ich mal mit einem kleinen Tipp nebenbei den Menschen helfen kann. Zuerst sollte ein Mensch versuchen, seinen Hund zu verstehen und sich fragen: ‚Was kann ich ändern, damit mein Hund etwas ändern kann?‘
Den Hund zu verstehen, ist das A und O und kein Hundehalter kommt darum herum, wenn er mit seinem Vierbeiner harmonisch zusammenleben möchte. Man muss sich das so vorstellen: Zwei Menschen leben zusammen, die absolut nicht dieselbe Sprache sprechen. Das wird auf Dauer immer anstrengender und komplizierter. Missverständnisse und Frustration sind die Folge. Unsere Hunde geben sich vom ersten Tag an alle Mühe, uns zu verstehen, aber wir tun es nicht. Wir denken, wir wissen alles, aber das ist oft nicht der Fall.“
Halter sollten ihrem Hund vom ersten Tag an Sicherheit und Führung geben
Was rätst du Menschen, die sich einen neuen Hund holen, um eine gute Beziehung aufzubauen? Gerade, wenn der Hund vielleicht aus dem Tierschutz kommt. Worauf sollte man dann gleich zu Beginn achten?
„Dem Hund vom ersten Tag an Sicherheit und Führung zu geben. Anstatt dem Hund gegenüber so unfair zu sein und erst einmal alles aus dem Ruder laufen zu lassen, um dann erst nach zwei, drei Wochen mit der Durchsetzung der Regeln zu beginnen! Klare Regeln vom ersten Tag an. Bevor der Hund nach Hause kommt, sollte man schon wissen: ‚Was darf mein Hund? Was darf mein Hund nicht?‘ und sich auch wirklich konsequent daran halten. Gerade Hunde, die wirklich schon so viele Strapazen hinter sich haben und buchstäblich in eine neue Welt gebracht werden, müssen von Anfang an Führung und Sicherheit bekommen und dürfen nicht sich selbst überlassen werden. Aber diesen Fehler machen viele.“
Hast du da ein konkretes Beispiel?
„Viele sagen dann: ‚Der Hund soll erstmal ankommen dürfen. Training können wir alles später machen.‘ Dann checkt der Hund alles ab, macht dann natürlich auch Fehler und die müssen dann nachher alle wieder aufwendig repariert bzw. rückgängig gemacht werden. Beispielsweise, wenn der Hund Sachen kaputtmacht oder auf die Couch geht. Der Mensch fängt meist viel zu spät an, die Führung in den Alltag zu integrieren und das sollte so nicht sein.“
„Eigentlich hat jeder Hundetrainer die Pflicht, sich zusätzlich intensiv mit der Gesundheit der Hunde auseinanderzusetzen“
Warum ist Konsequenz in der Erziehung so wichtig?
„Wir sprechen einfach verschiedene Sprachen. Deshalb sind die Hunde darauf angewiesen, dass wir möglichst klar und deutlich sind in dem, was wir sagen. Wenn ich immer nur um ihn ‚herumhadere‘ und ständig fünfe gerade sein lasse, wird es schwierig. Wenn ich zum Beispiel meinen Hund zu mir rufe und er soll ‚Sitz‘ machen und er macht ‚Platz‘ und ich sage: ‚Okay, das ist auch in Ordnung‘, dann ist das ein Zeichen meiner Inkonsequenz. Irgendwann kommt die Situation, in der du wirklich willst, dass dein Hund Sitz macht. Und er macht es nicht und dann wirst du sauer. Und das ist die größte Ungerechtigkeit, die wir unseren Hunden gegenüber zeigen. Wenn wir konsequent sind in dem, was wir unseren Hunden vermitteln wollen, dann ist es wichtig, dass wir da so klar wie möglich sind. Das schafft man nur, wenn man konsequent ist.
Dann gibt es aber auch die Kandidaten, die einen immer wieder infrage stellen. Es gibt ja auch bei den Hunden die unterschiedlichsten Charaktere und wenn man dann so einen hat, der schon so ein Alphatier ist, dann ist es wirklich kein Zuckerschlecken mit ihm. Da muss man konsequent sein, denn sonst das wird das eine unendliche Geschichte. Grundsätzlich ist es auch viel entspannter, wenn der Hund weiß, was er darf und was er nicht darf. Dann kommt er auch nicht ständig in Versuchung, seine Rechte einzufordern, anstatt danach zu fragen. Da ist Konsequenz super wichtig, allein schon, damit die Erziehung schneller vorankommt und der Hund verstehen lernt.“
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Désirée Scheller: „Oft haben Verhaltensauffälligkeiten eine gesundheitliche Ursache“
Was war dein bisher herausfordernder Fall?
„Herausforderungen hatte ich einige und sehr oft ist es die Gesundheit. Ich habe nach meiner Ausbildung sehr schnell gelernt, dass eigentlich jeder Hundetrainer die Pflicht hat, sich zusätzlich intensiv mit der Gesundheit der Hunde auseinanderzusetzen, weil sehr oft Verhaltensauffälligkeiten eine gesundheitliche Ursache haben. Das muss man verstehen lernen. Das Unfairste, was man machen kann, ist einen Hund noch mit irgendeinem Training zu quälen, obwohl er vielleicht Bauchschmerzen hat, das Futter nicht verträgt oder was auch immer. Jeder Hund zeigt das anders und da muss man als Hundetrainer ein sehr feines Gespür entwickeln, wenn man da wirklich helfen will.“
Kannst du uns ein Beispiel geben?
„Ich bin mal zu einem Magyar-Vizsla-Rüden – einem ungarischen Jagdhund – gerufen worden. Der konnte einfach nicht ruhen. Der war außer Rand und Band und war echt die reinste Katastrophe. Er war erst sechs Monate alt und hat alles kaputt gemacht. Man konnte mit ihm nicht trainieren, er kam einfach nicht runter. Da habe ich direkt gemerkt: Hier bringt Training überhaupt nichts. Hier muss erst mal abgecheckt werden, was gesundheitlich im Argen ist. Ich habe damals mit einer Tierheilpraktikerin zusammengearbeitet und die hat einen Impfschaden bei ihm festgestellt. Die haben dann die Impfung ausgeleitet und dann war keine weitere Hilfe mehr von mir nötig und danach war Ruhe.“
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Die Hormonchips sollten nicht unterschätzt werden
Das ist ja spannend …
„Ja, auch Hormone bei Rüden zum Beispiel. Das darf man auch nicht außer Acht lassen, dass auf einmal aggressives Verhalten entstehen kann – beispielsweise durch Hormonchips. Viele Tierärzte pflanzen sie den Hunden recht wahllos unter die Haut, weil der Halter ausprobieren möchte, ob sich das Verhalten des Vierbeiners dadurch bessert. Kaum ein Tierarzt klärt darüber auf, was für ein Hormonchaos in so einem Hund entsteht – beim Einsetzen, aber auch nachher beim Auslaufen dieses Medikaments. Das ist nicht zu unterschätzen. Ich habe damals einen Hund bei meiner Mutter gehabt, der auch diesen Hormonchip hatte. Den konnte ich drei Monate lang nicht betreuen, bis sich das alles wieder akklimatisiert hat, weil er uns angegangen ist. Er ist hochgradig aggressiv geworden.“
Lass uns mal über diese Hormonchips sprechen. Was ist das besondere an denen?
„Na ja, das ist so eine Art Kastrations-Chip, der dem Hund unter die Haut gepflanzt wird und das ist quasi eine chemische Kastration. Er wirkt ungefähr drei Monate und dann ist der Hund wie kastriert und dann kann man damit ausprobieren, ob sich am Verhalten des Hundes etwas ändert oder nicht. Wenn man eine Kastration in Erwägung zieht, dann bieten das die Tierärzte an.“
Wenn man mit seinem Hund unterwegs ist, hört man ganz oft so Sätze von fremden Menschen: „Ja, dein Hund riecht an mir, weil er riecht, dass ich einen Hund oder eine Katze zu Hause habe …“ Ist das wirklich so – beziehungsweise interessiert ihn das wirklich?
„Hunde kommunizieren ja olfaktorisch, also über den Geruchssinn. Dass sie bei einem Begrüßungsritual in erster Linie die Nase benutzen, hat nicht viel damit zu tun, dass man selbst einen Hund hat, sondern weil das einfach die Kommunikation bei Hunden ist. Wir haben gelernt, dem Hund zuerst die Hand hinzuhalten und ihn schnuppern zu lassen. Und das ist eben, wenn der Hund uns beschnuppert. Wenn der letzte Hund, der sich an unserem Hosenbein gerieben hat, noch einen interessanten Geruch hatte, dann riecht der fremde Hund das und kann den anderen Hund daran abchecken. Quasi über mein Hosenbein. Inwiefern den Hund das gerade interessant oder er es für sich relevant findet, kommt immer ganz auf den Hund an.“