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PETBOOK-Interview

Listenhunde-Forscher: »Eine simple Abschaffung der Rasseliste sehen wir kritisch

kollage aus Foto von zwei Pitbulls auf einer Wiese und Porträtbild von Corinna Höppner
In Deutschland gelten bestimmte Hunderassen als sogenannte Listenhunde und dürfen nur unter bestimmten Auflagen gehalten werden. Foto: Getty Images, Kreis: Antje Beyer-Wittkamp/fellnasenphotography.de
Dennis Agyemang
Redakteur

21. Juni 2024, 14:38 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

Einige Hunderassen gelten in Deutschland als potenziell gefährlich und dürfen daher nur unter bestimmten Auflagen gehalten werden. Besitzer sogenannter Listenhunde beklagen seit Jahren das gesellschaftliche Stigma sowie bürokratische Hürden. Der Verein Institut Forschung Listenhunde setzt sich für die Belange der Vierbeiner und ihrer Halter ein. Im PETBOOK-Interview erklärt Vorsitzende Corinna Höppner, warum sie den von so vielen geforderten Wegfall der Liste, eher kritisch sieht.

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American Staffordshire Terrier, Cane Corso und Rottweiler haben eine Sache gemeinsam: sie gelten in den meisten Bundesländern als Listenhunde und dürfen daher nur unter bestimmen Auflagen gehalten werden. Halter beklagen neben dem Stigma die hohe Hundesteuer, die viele Bundesländer für Listenhunde veranschlagen, sowie die hohen Kosten zur Erfüllung der Auflagen.

PETBOOK sprach mit Corinna Höppner, der ersten Vorsitzenden vom Institut Forschung Listenhunde e.V. über die Arbeit des Vereins, den angekündigten Wegfall der Listen in Brandenburg sowie die Hürden von Listenhundehaltern im Alltag. Neben der Vermittlung von Tieren hat sich der Verein auch der Forschung zum Thema Listenhunde verschrieben.

Aktuell sind DNA-Tests für Listenhunde bundesweit nicht anerkannt

PETBOOK: Frau Höppner, Ihr Verein forscht an relevanten Themen rund um Listenhunde in Deutschland. Ein großes Problem ist die eindeutige Zuordnung, die heute immer noch rein nach optischen Kriterien der Hunde erfolgt. Ihr Verein macht aber auch DNA-Analysen. Wie aussichtsreich sind diese für die Bestimmung bestimmter Rassen oder Rassemixe?
Corinna Höppner: „Aktuell sind DNA-Tests bundesweit nicht anerkannt. Sie werden zwar oft in die Phänotypisierung einbezogen, aber der Genpool ist noch viel zu gering. Es gibt zu wenige Rassen, und gerade bei den vielen Pseudo-Rassen wird es besonders spannend. Daher nehmen wir von jedem Hund, der hereinkommt – beispielsweise von American Bullies, nicht anerkannten Rassen und auch den ganzen Pseudo-Rassen – DNA-Proben und lassen diese von verschiedenen Laboren auswerten. Die Ergebnisse werden dann in einer Statistik zusammengeführt. Die Dauer der ganzen Projekte beträgt drei bis fünf Jahre, bis wirkliche Ergebnisse kommen.“

Das ist ja eine beachtliche Zeit. Können Sie bereits erkennen, ob es einen Trend gibt, der darauf hinweist, dass DNA-Tests ungenaue oder genaue Ergebnisse liefern?
„Wir haben zum Beispiel einen Hund getestet, bei drei verschiedenen DNA-Laboren, und überall kamen unterschiedliche Ergebnisse heraus. Selbst als wir denselben Hund erneut an dasselbe Labor geschickt haben, bekamen wir unterschiedliche Resultate. Um aussagekräftige Statistiken zu erhalten, benötigt man mindestens 500 getestete Hunde. Wir arbeiten daran, Kooperationen mit Laboren zu finden, um Freitests zu erhalten und die passenden Hunde zu testen.“

Institut Forschung Listenhunde: „Wir möchten keine einfache Abschaffung der Rasselisten“

Was sind Ihre Forderungen an die Politik bezüglich der Listenhunde und deren Halter?
„Wir fordern ein bundeseinheitliches, sinnvolles Landeshundegesetz, das sich auf alle Rassen bezieht und nicht nur einzelne Rassen trennt. Wir möchten keine einfache Abschaffung der Rasselisten, weil wir die Probleme in Bundesländern ohne Rasseliste sehen. Dort wird oft nicht darauf geachtet, was der Mensch mit dem Hund macht, was andere Probleme verursacht. Deswegen fordern wir eine bundeseinheitliche und sinnvolle Regelung für alle Rassen.“

Was für Probleme sind das konkret in den Bundesländern ohne Rasselisten?
„Nehmen wir Niedersachsen als Beispiel. Dort gibt es keine Rasseliste und man muss nur einen kleinen Hundehalterschein machen, wenn man in den letzten fünf Jahren keinen Hund gehalten hat. Aber dort sitzen viele Vermehrer, denen es egal ist. Sie können züchten und tun, was sie wollen. Ein aktuelles Beispiel ist unser Welpe Joey, der aus NRW nach Niedersachsen verkauft wurde.

Die Käuferin hat beim Kauf nicht gewusst, dass das illegal ist. Der Welpe war weder gechippt, geimpft noch entwurmt. Als sie in NRW zum Tierarzt ging, wurde das Veterinäramt eingeschaltet. Daraufhin wollte sie den Hund schnell loswerden, als sie erkannte, dass sie den Hund in NRW nicht halten durfte und der Verkauf illegal gewesen wäre. Zum Glück hat sie sich überzeugen lassen, den Hund an uns zu übergeben, um sich nicht strafbar zu machen.“

„Vermehrer bekommen mehr Möglichkeiten, unerlaubt zu züchten“

Brandenburg hat angekündigt, die Listen abzuschaffen. Wie überraschend kam das für sie und was bedeutet das?
„Das war schon überraschend, besonders weil Brandenburg vorher diese Rassen komplett verboten hatte. Es ist erfreulich, dass sich etwas bewegt, aber es gibt auch Bedenken. Menschen könnten allein gelassen werden und Vermehrer bekommen mehr Möglichkeiten, unerlaubt zu züchten. Eine simple Abschaffung der Listen ohne begleitende Maßnahmen sehen wir kritisch.“

Könnte das nicht auch eine Chance sein, das Image dieser Hunde zu verbessern?
„Das wäre großartig, wenn es ähnlich wie in NRW oder Rheinland-Pfalz geregelt wäre, wo Hunde aus Tierheimen und Tierschutz übernommen werden dürfen. Die Tierheime leisten bereits Aufklärungsarbeit. Aber ohne solche Regelungen befürchten wir, dass der illegale Handel auf Online-Plattformen zunimmt, da die Leute denken, sie könnten jetzt einfach Hunde kaufen.“

Auch interessant: Nächstes Bundesland schafft Listenhunde-Verbot ab! Expertin: „Längst überfällig“

„Viele Menschen erwarten, dass der Hund sofort perfekt integriert ist“

Was muss man beachten, wenn man einen Listenhund aus dem Tierheim adoptiert?
„Wichtig ist, den Hund ankommen zu lassen und ihm Zeit und Ruhe zu geben. Viele Menschen erwarten, dass der Hund sofort perfekt integriert ist, aber oft kommen sie aus stressigen Situationen und brauchen Zeit zur Anpassung. Einige Tierheime arbeiten sehr gut mit den Hunden und haben geschultes Personal. Andere, besonders kleinere Tierheime, haben aber finanzielle Schwierigkeiten und können nicht immer die nötige Unterstützung bieten.“

Corinna Höppner vom Institut Forschung Listenhunde e.V.
Corinna Höppner vom Institut Forschung Listenhunde e.V. mit Hund Loui. Foto: Antje Beyer-Wittkamp

Gibt es denn spezielle Programme oder Unterstützung für Menschen, die zum ersten Mal einen Listenhund adoptieren?
„Ja, wir haben eine Vermittlung, die sehr intensiv arbeitet. Unsere Hunde sind entweder in Pflegefamilien oder in unseren speziellen Hundehäusern. Wir bieten Interessenten an, zehn Tage vor Ort zu verbringen, um den Hund und das Training kennenzulernen. Das gilt für ’schwierige‘, verhaltensauffällige Hunde – also unsere ‚Langzeitsitzer‘. Bei den nicht auffälligen Hunden ist die Vermittlung meist über ein Wochenende. Nach der Vermittlung bleiben wir in engem Kontakt, bieten eine Gruppe mit Trainern, Anwälten und Tierärzten zur Unterstützung an. Wir lassen niemanden allein. Zum Beispiel haben wir kürzlich eine dreibeinige Hündin namens Tilda vermittelt und unterstützen die neuen Besitzer weiterhin medizinisch und verhaltenstechnisch.“

Warum musste Tildas Bein amputiert werden?
„Tilda wurde mit einem verkrüppelten Bein geboren und sollte trotz ihrer Behinderung teuer verkauft werden. Wir haben sie übernommen, ihr Bein wurde amputiert und wir haben die medizinischen Kosten übernommen. Sie wurde erfolgreich vermittelt und wird weiterhin von uns und den Pflegepersonen unterstützt.“

»Die Medien tragen eine große Verantwortung am schlechten Image von Listenhunden

Das Image von Listenhunden ist vielerorts nicht sehr positiv. Viele denken noch an die Kampfhund-Ära der 90er. Was denken Sie, woran das liegt, und was könnte unternommen werden, um das Image bei Politik und Gesellschaft zu verändern?
„Die Medien tragen hier eine große Verantwortung. Oft wird bei Biss-Vorfällen ein Bild eines Kampfhundes gezeigt, auch wenn dieser gar nicht beteiligt war. Das vermittelt den Eindruck, dass immer Kampfhunde die Täter sind. Illegale Aktivitäten, ob Waffen, Drogen oder eben Kampfhunde, ziehen Aufmerksamkeit auf sich. Verbote helfen da nicht weiter, wie die letzten 24 Jahre gezeigt haben. Die Problematik wird durch kreierte Pseudo-Rassen, die nicht auf den Listen stehen, noch verschärft.“

Können Sie den Begriff „Pseudo-Rassen“ genauer erklären?
„Pseudo-Rassen sind Mischungen, die von Vermehrern kreiert werden, um die Rasselisten zu umgehen. Beispiele sind der Old English Bulldog oder der American Bully in verschiedenen Variationen wie Micro, Pocket oder Exotic. Diese neuen ‚Rassen‘ machen es den Behörden schwer, da die Beamten oft nicht geschult sind und diese Rassen nicht kennen. Dies führt zu uneinheitlichen Entscheidungen bei der Registrierung und der Bewertung der Hunde.“

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Institut Forschung Listenhunde: „Wir brauchen eine Vereinheitlichung der Regeln und Wesenstests deutschlandweit“

Es gibt also einen Bedarf an Aufklärung und Vereinheitlichung der Regeln. Wie könnte das in der Umsetzung konkret aussehen?
„Wir brauchen eine Vereinheitlichung der Regeln und Wesenstests deutschlandweit, und das gilt nicht nur für Listenhunde. Jeder, der sich einen Hund anschafft, sollte über die Rasse, ihre Bedürfnisse und ihren Ursprung informiert werden. Es gibt viele Ideen und bereits Gespräche mit Fachleuten. Wir würden gerne mit Politikern zusammenarbeiten, um Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen.“

Sie sind selbst Halterin eines Listenhundes. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede und Herausforderungen im Leben mit einem Listenhund im Vergleich zu anderen Hunden?
„Ein Listenhund zu haben, bedeutet viele Einschränkungen, besonders beim Reisen. Viele Länder erlauben keine Listenhunde, und wenn ein Vorfall gemeldet wird, kann der Hund beschlagnahmt und eingeschläfert werden, wie es zum Beispiel in Dänemark der Fall ist. Das ist eine große Belastung für Halter von diesen Rassen. Das ist eine harte Realität, die vielen nicht bewusst ist und ein weiteres Argument für umfassende Aufklärung und bessere Regelungen.“

Lassen Sie uns zum Schluss noch mal auf die Forschung Ihres Vereins zu sprechen kommen. Was genau wird untersucht?
„Wir haben aktuell drei Forschungsprojekte, an denen wir arbeiten. Das sind einmal Hund-Halter-Teams mit verschiedenen Rassen, welche in Verbindung mit Hundetrainern deutschlandweit begutachtet werden. Dann haben wir einen Sozialtest entwickelt, der an den normalen Wesenstest angelehnt ist. Dabei geht es darum, Hunde mit Jobs im Arbeitskontext zu testen – zum Beispiel in Jugendgruppen, in Altenheimen oder im Büro.

Das ist nach der Coronazeit entstanden, woraufhin wir den Bundesverband ‚Dogs in Jobs‘ gegründet haben. Als Drittes beschäftigt uns das Thema DNA-Tests. Aktuell sind wir noch dringend auf der Suche nach Menschen wie etwa Studenten, Professoren und Fachleuten, die an der Forschung mitarbeiten möchten. Die können sich gerne direkt bei uns melden.“

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