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Hundeexperte gibt Tipps

Hund wurde gebissen – so habe ich meine Angst vor weiteren Angriffen in den Griff bekommen 

Nach einem Vorfall, bei dem ein Hund gebissen wurde, kann die Angst beim Halter tief sitzen (Symbolbild)
Nach einem Vorfall, bei dem ein Hund gebissen wurde, kann die Angst beim Halter tief sitzen (Symbolbild) Foto: Getty Images
Porträtaufnahme von Autorin Manuela Lieflaender mit Hund Elvis
Freie Autorin

2. Juni 2023, 6:10 Uhr | Lesezeit: 12 Minuten

Man denkt an nichts Böses, geht mit dem Hund an der Leine im Feld spazieren, als plötzlich ein frei laufender Hund kommt und scheinbar aus dem Nichts das eigene Tier attackiert. PETBOOK-Redakteurin Manuela Liefländer fragt sich, was man dagegen tun kann und zieht dafür den Hundeverhaltensexperten und Fachbuchautor Thomas Baumann zurate. 

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Es war ein ganz normaler Spaziergang: Mein Hund Samy lief hinter mir an der Schleppleine, als plötzlich ein Terrier und weiter hinter ihm ein Schäferhund auf mich und meinen Kleinspitz zuliefen. Noch bevor ich richtig reagieren konnte, war es schon passiert. Der Terrier stürzte sich auf meinen damals sechs Monate alten Rüden. Ich hörte Samy schreien, aber hatte keine Chance, ihn wegzuziehen. Zum Glück erholte sich Samy von dem Vorfall schnell wieder. Ich hingegen zitterte immer noch, als ich nach dem Spaziergang zu Hause auf dem Sofa saß. Schließlich musste ich zusehen, wie mein Hund von anderen gebissen wurde.

Seitdem habe ich mehrere Fortbildungen zum Thema Hundeverhalten besucht und war mir sicher, die Kommunikation unter Hunden deuten und voraussagen zu können. Doch Jahre später passierte ein zweiter Vorfall, bei dem es dieses Mal Australian-Shepherd-Hündin Hailey traf, als ich mit meiner Bekannten und ihrer Ridgeback-Hündin spazieren ging. Zwar ging auch diese Geschichte am Ende glimpflich aus, es tat mir aber so leid, dass meine Seniorin diese Erfahrung machen musste.  Ich ging danach mit meiner Hündin fast gar nicht mehr an Orten spazieren, an denen wir auf frei laufende Hunde treffen könnten oder bin geflüchtet, wenn ich in der Ferne Hunde sah.  

Mir war klar, ich muss diese Panik, dass mein Hund gebissen wird, in den Griff bekommen. Aber wie? Es war mir erst mal unfassbar peinlich, als Hundejournalistin und – viel schlimmer noch – als ehemalige Hundetrainerin zuzugeben, dass ich so ängstlich und inkompetent bin. Was werden die Kollegen von mir denken? Doch letztendlich habe ich entschieden ich: Da muss ich jetzt durch. Ich frage daher den Hundeverhaltensexperten und Fachbuchautor Thomas Baumann um Rat.  

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„Wer behauptet, er könne Hundeverhalten immer voraussagen, kennt Hunde viel zu wenig.“  

PETBOOK: Herr Baumann, ist die Angst, dass mein Hund von anderen gebissen wird, berechtigt oder habe ich einfach nur Pech gehabt und mache mir jetzt zu viele Sorgen?
Thomas Baumann: „Auch wenn Angst grundsätzlich ein schlechter Ratgeber ist, kann sie in bestimmten Situationen durchaus berechtigt sein“, sagt Baumann. Ich traute meinen Ohren kaum. Meine Angst, dass mein Hund gebissen wird, ist also berechtigt? „Ja. Hunde sind in ihrem Verhalten nicht immer vorhersehbar, sodass man häufig nicht voraussagen kann, ob sie sich in freundlicher oder feindlicher Absicht nähern. Es gibt Hunde, die tun so, als würden sie sich freuen und packen im nächsten Moment zu. Umgekehrt gibt es welche, die kommen bellend und aggressiv angestürmt und wollen plötzlich spielen. Wer behauptet, er könne Hundeverhalten immer voraussagen, kennt Hunde viel zu wenig.“  

Wie löse ich nun mein Problem? Gibt es überhaupt noch Hoffnung?  
„Es kommt auf das richtige Management an. Wenn ich mit meinem angeleinten Hund spazieren gehe, lasse ich zunächst keinen anderen Hund zu ihm hin. Auf diese Weise übertrage ich ihm das Management nicht, sondern gebe ihm Planungssicherheit. Ich entscheide, ob es Kontakt zu dem anderen Hund gibt oder nicht. Meine Frau und ich, wir stoppen fremde Hunde grundsätzlich. So machen wir das seit 26 Jahren, das ist bei uns ritualisiert.“

Was halten Sie von Hilfsmitteln wie dem Pet Corrector – eine Sprühflasche, aus der ein lautes Zisch-Geräusch wie von einem Schwan entweicht, wenn man den Auslöseknopf drückt –, um fremde Hunde zu vertreiben?
„Mit dem Pet Corrector arbeite ich im Training nur gelegentlich. Wenn man seinem eigenen Hund im Vorfeld beibringt, dass von dem Geräusch keine Gefahr ausgeht, kann man die Flasche zur Abwehr von Hunde-Attacken auch verwenden. Aber Vorsicht: Ich hatte eine Kundin, die nahm eine kleine Wassersprühflasche beim Gassigehen mit, um ihren Vierbeiner vor annähernden Hunden zu schützen. Sie hat damit einen distanz- bzw. respektlos heranlaufenden Hund besprüht. Der Besitzer reagierte darauf aggressiv, wurde handgreiflich und packte sie am Kragen. Wenn man solche Hilfsmittel einsetzt, muss man immer mit dem Echo des anderen Hundebesitzers rechnen.“  

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Bei Hundebegegnungen gibt es keine Patentrezepte

Wie kann es zunächst erst mal gelingen, dass ich selbst nicht mehr in Panik verfalle, sondern souverän reagiere, wenn mir ein fremder Hund begegnet?  
„Zunächst muss einem klar sein, dass man mit derart schlechten Erfahrungen kaum souverän reagieren kann. Derartige Übergriffe mit mehr oder weniger schweren Verletzungen bleiben natürlich in Erinnerung und sorgen für eine entsprechende mentale Anspannung und auch Verunsicherung. Hinzu kommt ja auch, dass es bei Hundebegegnungen KEINE Patentrezepte geben kann, da wir ja im Vorfeld die genaue Intention eines frei laufenden, fremden Hundes nie genau beurteilen können. Und dennoch sollte man für sich selbst ein Konzept erarbeiten können, um in möglicherweise kritischen Situationen etwas Planungssicherheit zu bekommen.“ 

Wie kann dieses Konzept aussehen?
„Den eigenen Hund entweder hinter oder auch direkt neben einem zu positionieren gehört sicher dazu. Ist der andere Hundebesitzer in Ruf- bzw. Sichtweite, sollte dieser sofort aufgefordert werden, seinen Vierbeiner zurückzurufen oder einfach zurückzuholen. Was auch hilft, ist die auf Erfahrung beruhende Erkenntnis, dass die allermeisten frei laufenden Hunde keine bissig aggressiven Übergriffe auf andere Hunde durchführen. Solche Hunde sind meist nur völlig unerzogen und aus unterschiedlichsten Gründen extrem kontaktfreudig.

Hinter diesen Hunden befinden sich leider fast immer Hundehalter mit einem fehlenden Verantwortungsbewusstsein. Kommt der frei laufende Hund näher, ist tatsächlich ein „Wegschicken“ über Körper- und Lautsprache überwiegend effektiv. Sollte es aber erkennbar werden, dass der entgegenlaufende Hund in eine aggressive Stimmung verfällt – etwa Knurren, Drohen, Zähne zeigen, Körper stark angespannt –, ist es völlig legitim, zur Verhinderung eines Übergriffes mit Folgen auch Hilfsmittel einzusetzen. Hierzu zählen eben die Wasserflasche, der Pet Corrector, ein mitgeführter Regenschirm, Spazierstock oder Ähnliches.“ 

Hunde werden nur selten ohne Ankündigungen von anderen gebissen

Sollte mein Hund die Auseinandersetzung grundsätzlich nicht regeln oder gibt es Ausnahmen? 
„Hat man selbst einen gesunden, stabilen und auch wehrfähigen Hund, der nicht bissig ist, kann man auch ein OK geben und den Streit quasi die Hunde selbst austragen lassen. Auch hier passiert nur selten etwas, vor allem wenn der entgegenlaufende Hund – wie so häufig – nur ein „Großmaul“ ist. Man sieht bereits an dieser Stelle, dass es nicht nur auf den heran laufenden Hund ankommt, auch die Fähigkeiten und Grenzen, Stärken und Schwächen des eigenen Hundes müssen berücksichtigt werden.  

In seltenen Fällen kann es aber zu direkten Angriffen und Beißhandlungen ohne jegliche Ankündigung kommen. Ein frei laufender Hund beispielsweise, der in hoher Geschwindigkeit angerannt kommt und sofort zupackt. Hier kann ich als ehemaliger Polizeibeamter mit entsprechenden Erfahrungen nur davon abraten, mit den Händen dazwischen zugreifen oder die Hunde mit den Händen auseinanderzuziehen. Spätestens jetzt drohen auch dem, der eingreift, Verletzungen, die im Einzelfall auch folgenschwer und sogar dauerhafte Schädigungen hinterlassen können.“ 

„Wenn man Hundebegegnungen nur aus dem Weg geht, wird man die Angst nicht los.“

Wie selten oder wie häufig werden Hunden überhaupt von anderen gebissen?  
„Nochmals, derart extreme Situationen kommen Gott sei Dank vergleichsweise selten vor, deshalb muss man bei dem Entgegenkommen frei laufender Hunde tatsächlich kaum mit solchen Szenarien planen. Es gilt somit, den eigenen Kopf etwas frei zu machen von schlimmen Szenarien; da kann auch der Vergleich mit dem Straßenverkehr gut helfen. Täglich gibt es tödliche Verkehrsunfälle und dennoch bewegen wir uns als Verkehrsteilnehmer auf der Straße, weil wir davon ausgehen, dass das Risiko, in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt zu werden, vergleichsweise gering ist.

Mit dieser Einstellung wissen wir im übertragenen Sinn auch, dass Hundebegegnungen grundsätzlich ohne schlimme Folgen ablaufen. Wird man allerdings Opfer einer Ausnahme-Situation, belastet das verständlicherweise enorm und die Angst vor einer Wiederholung begleitet einen bei Spaziergängen. Die Schwierigkeit besteht somit immer darin, den eigenen Kopf wieder etwas freier zu bekommen.“ 

Das ist sicherlich der schwierigste Part, die Arbeit an sich selbst. Wo findet man dazu Unterstützung?  
„Wir bieten auf Anfrage eine Konfrontationstherapie für verunsicherte Hundebesitzer an, die schlechte Erfahrungen gemacht haben. Dazu muss ich sagen – wenn man Hundebegegnungen nur noch aus dem Weg geht, wird man die Angst und Unsicherheit nicht los. Wir raten dazu, dass Hundebesitzer konstruktiven Streit und Auseinandersetzung zwischen Hunden erleben, um mehr Sicherheit zu bekommen. Wir haben eine Hundegruppe, in der insbesondere streitlustige Vierbeiner resozialisiert werden. Da kann es dann auch mal etwas lauter zugehen, allerdings tragen sozial kritische Hunde in dieser Gruppe generell einen Maulkorb. So bekommt man zunehmend eine höhere Reizschwelle und vor allem mehr Gelassenheit.“  

Richtiges Verhalten über positive Verstärkung und viele Wiederholungen trainieren

Sie sprachen bereits an, dass ein entsprechendes Training ebenfalls wichtig ist, um Hundebegegnungen managen zu können. Wie sehen die Trainingsschritte aus, damit ich meinen Hund innerhalb kürzester Zeit hinter mir platziere und sicher sein kann, dass ich die Hundebegegnung regeln kann?  
„Das Training muss zunächst außerhalb von Hundebegegnungen stattfinden und in einem weitgehend stressfreien Raum. Dazu wird der Hund hinter mir oder seitlich positioniert, wir bezeichnen das als Komfortzone. Das Kommando dazu lautet ‚Hinten‘ oder ‚Seite‘. Der Hund lernt auch, nach hinten zu rutschen, wenn ich rückwärts gehe. Aufgebaut wird dieses Training über positive Verstärkung mit vielen Wiederholungen.

Will der Hund nach vorn, statt seitlich oder hinten zu bleiben, wird er gestoppt. Ist er wieder hinten, gibt es neben sozialem Lob auch mal ein Leckerli. Wenn das im Haus und Garten funktioniert, wird es auf dem Spaziergang – ohne Hundebegegnungen – ebenfalls geübt. Mit Hundebegegnungen kann man das gut in der Hundeschule an der Umzäunung üben oder mit Hundebesitzern, die man kennt. Erst ganz zuletzt, wenn es schon gut funktioniert, wird es im Alltag angewendet.“   

Was ist denn besser – den Hund hinter oder seitlich zu haben?  
„Man muss schauen, welche Option zum jeweiligen Hund passt. Hinten ist nicht der Königsweg, denn viele Hundebesitzer drehen sich bei der Hundebegegnung zu ihrem Hund nach hinten, wenn dieser unruhig wird. So kann ich die Begegnung nicht optimal managen, sondern die Situation wird unruhiger oder gar unübersichtlich. Das wird individuell an den einzelnen Hund angepasst. Je nachdem, wo sich der Hund wohler fühlt bzw. ruhiger wirkt.  Seitlich bedeutet, die Schulter des Hundes ist auf meiner Kniehöhe und bleibt dort.“  

„Ich regle die Begegnung, indem ich einen oder zwei Schritte nach vorn gehe“

Ich nehme an, das übt man schon mit einem Welpen? 
„Ja, das mache ich schon vor der Leinenführigkeit. Dazu ist der Welpe auf Kniehöhe mit der Schulter. Ich sage „Seite“, wenn ich vorwärts oder rückwärts gehe. Außerdem bringe ich ihm das ‚Pause-Hörzeichen‘ bei. Mit ‚Okay‘ oder ‚Lauf‘ entscheiden wir, ob der Welpe zu dem Hund darf. Kommt der fremde Hund angelaufen, gehe ich vor meinen Welpen, stoppe den anderen, bremse ihn durch meine Körpersprache aus.  Es ist grade für Welpen wichtig, dass nicht ein beispielsweise zweijähriger Labrador distanzlos angestürzt kommt, sonst kann das bei sensiblen Welpen Folgen haben.“ 

Was heißt „regeln“ überhaupt? Wie sollte ich mit dem anderen Hund umgehen, damit er sich meinem nicht nähert?  
„Ich regle die Begegnung, indem ich einen oder zwei Schritte nach vorn gehe, den fremden Hund blockiere und theatralisch laut werde. Man muss den Körper groß und damit präsent machen, damit der fremde Hund gar nicht erst weiter auf uns zukommt. Aber auch das Körpergroßmachen muss geübt werden, bevor man in die Hundebegegnung geht. Sitzt mein Hund beim Üben hinter mir, gehe ich einen Schritt nach vorn, mache meinen Körper präsent und sage etwa energisch ‚Hau ab‘, auch wenn da kein anderer Hund ist.

Es sind lediglich vorbereitende Übungen für die Alltagspraxis! Dann drehe ich mich um und gebe meinem Hund soziales Lob und ein Leckerli. Dann gehen im späteren Alltag die Hunde auch deutlich gelassener hinter dem Hundebesitzer, wenn das zuvor in stressfreier Atmosphäre geübt wurde.“ 

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„Natürlich kann im Einzelfall ein Hund zu Tode kommen, aber das ist selten.“

Und wenn es doch passiert? Sollte ich meinen Hund dann freilassen?  
„Da kann es keine pauschalen Ratschläge geben. Ich kenne die Intention des anderen Hundes nicht. Das heißt, ich versuche, ihn abzuwehren. Kommt es zur Kollision, habe ich keine andere Möglichkeit, als meinen Hund entscheiden zu lassen. Wenn der entgegenkommende Hund überdreht ist und nur spielen will, halte ich ihn einfach an Halsband oder Geschirr fest und warte, bis der Hundebesitzer ihn in Empfang nimmt. Ist er aggressiv, müssen wir abwägen. Wir schützen unseren Hund bis zu dem Punkt, an dem wir nicht selbst in Gefahr in geraten.

Es können im Einzelfall gravierende Sachen passieren. Wenn ich mir nicht mehr zu helfen weiß, dann kann ich nur einen Schritt zurückgehen und aus der Eskalationsspirale austreten, in der Hoffnung, dass der andere Hund nachlässt. Natürlich kann im Einzelfall ein Hund zu Tode kommen, aber das ist selten. Man kann in derartigen Situationen oft nur noch reflexartig zu handeln. Es gibt keine Patentlösung. Kommt auch auf den eigenen Hund an, manchmal muss man auch gar nichts managen. Ich hatte eine Malinois-Hündin, die hat das grundsätzlich selbst geregelt, da gab es nie ernsthafte Probleme. Und weil sie es wirklich gut gemacht hatte, musste ich selbst selten eingreifen.“   

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