26. August 2024, 11:42 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Nikolaos Rizidis ist Influencer. Dabei spricht er aber nicht über Mode, Sport oder teure Möbelstücke, sondern über sein Leben und die Herausforderungen mit einem Blindenführhund. Denn Niko ist blind. Bei TikTok und Co. verfolgt ein Millionenpublikum seinen Alltag mit seinem Hund Orlando. Mit PETBOOK sprach er über seinen ganz besonderen Servicehund und die Frage, wie es weitergeht, wenn Orlando mal in Rente geht.
Bis zu seinem achten Lebensjahr konnte Nikolaos Rizidis „ganz normal sehen“, wie er selbst sagt. Doch dann wurde bei ihm eine progressive Augenerkrankung festgestellt, die dazu führte, dass er kurz vor seinen Abiturprüfungen erblindete. „Seitdem bin ich gesetzlich blind und sehe nur noch Hell-Dunkel-Kontraste und Schatten“, erklärt der TikToker im Gespräch mit PETBOOK.
Damit er sich besser in seinem Alltag zurechtfinden kann, hat Niko mit Orlando einen Blindenführhund an die Seite gestellt bekommen, der ihn Tag für Tag unterstützt. Auf TikTok gibt er Einblick in sein Leben mit Blindheit und Rüde Orlando. Das Ergebnis sind Videos, mit denen er mittlerweile ein Millionenpublikum begeistert.
Nikolaos Rizidis: „Es dauerte ein Jahr, bis ich den Hund bekam“
PETBOOK: Nikolaos, wie bist du an Orlando gekommen?
Nikolaos Rizidis: „Ich hatte im Internet recherchiert und drei Schulen gefunden, die Blindenführhunde ausbilden. Schließlich entschied ich mich dann für eine von ihnen und nahm an einem Infoabend teil. Dort ging es um Vor- und Nachteile, geeignete Rassen, Verantwortlichkeiten und vieles mehr. Nach einem Monat Bedenkzeit habe ich mich entschieden, den Hund bei der Krankenkasse zu beantragen. Dafür musste ich zuerst ein Rezept vom Augenarzt holen und es zusammen mit anderen Unterlagen einreichen.“
Wie ging es dann weiter?
„Es dauerte ein Jahr, bis ich den Hund bekam. In der Zwischenzeit stand ich immer wieder mit dem Hundetrainer in Kontakt, der den passenden Hund für mich suchte. Schließlich habe ich Orlando das erste Mal mit zehn Monaten gesehen, als er noch bei seiner Patenfamilie war. Der Trainer meinte, er passe gut zu mir, da ich sportlich bin und einen belastbaren Hund wollte. Nachdem seine Ausbildung abgeschlossen war, konnte ich ihn endlich zu mir nehmen.“
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„Orlando schützt mich vor alltäglichen Hindernissen und Gefahren“
In welchen Alltagssituationen unterstützt dich Orlando?
„Vor allem im Straßenverkehr. Er führt mich sicher von A nach B und schützt mich vor alltäglichen Hindernissen und Gefahren. Wenn zum Beispiel Mülltonnen oder parkende Autos den Gehweg blockieren, führt er mich um diese Hindernisse herum – auch wenn er dafür den Gehweg verlassen muss. Er zeigt mir Bordsteine und signalisiert mir, wenn wir auf die Straße ausweichen müssen.“
Welche Kommandos kann Orlando?
„Er kennt viele Kommandos, wie etwa ‚Bord‘. Da zeigt er mir den Bordstein an. Außerdem kann er ‚Voran‘ – das steht für loslaufen. Er kann mir aber auch helfen, Dinge wie Ampeln, Geldautomaten, Briefkasten, Aufzüge oder auch Treppen oder Sitzgelegenheiten zu suchen. Er kann auch ‚Stopp‘ und einige selbst beigebrachte Kommandos wie ‚Suche Info‘, also eine Infotafel suchen, was besonders hilfreich ist. Mit dem Kommando ‚Passieren‘ hilft er mir, die Straße sicher zu überqueren.“
»Mit meinen Videos möchte ich über den richtigen Umgang mit Assistenzhunden aufklären
Wie kam es dazu, dass du dein Leben mit Blindenführhund auf TikTok geteilt hast?
„Es begann, als ich einmal unterwegs war und eine Frau Orlando etwas zu essen hingehalten hat. Das hat mich so verärgert, dass ich mit meiner Frau beschlossen habe, Videos zu machen, um über den richtigen Umgang mit Assistenzhunden aufzuklären. Unser erstes Video hatte über Nacht viele Aufrufe, und so haben wir weitergemacht. Eines unserer Videos ging dann mit 900.000 Views viral, und das war der Start unserer TikTok- und Instagram-Präsenz.“
Du hast schon erwähnt, dass die Gesellschaft dich oft behindert. Bist du schon mal in eine gefährliche Situation mit Orlando geraten?
„Ja, besonders gefährlich wird es, wenn ich die Straße ohne Zebrastreifen überqueren muss und ein Elektroauto kommt, das ich nicht hören kann. Einmal wurden wir fast angefahren, aber zum Glück ist nichts passiert.“
„Da ich blind bin, hebe ich sein Geschäft nicht auf“
Wie läuft es mit dem Geschäft von Orlando ab? Macht er dich darauf aufmerksam, wenn er mal muss, und wie handhabst du das Aufheben?
„Orlando hat gelernt, nur auf Grünflächen zu machen. Wenn er muss, zieht er mich automatisch auf eine Wiese. Ist er im Freilauf, entfernt er sich, um sein Geschäft zu verrichten und kommt dann zurück. Da ich blind bin, hebe ich sein Geschäft nicht auf, weil es für mich praktisch unmöglich ist. Es gibt Hundeschulen, die lehren Blinde, den Haufen zu ertasten, aber das halte ich für unnötig und unpraktisch.“
Kommt es vor, dass Leute dir anbieten, den Haufen von Orlando aufzuheben?
„Nein, das ist tatsächlich noch nicht vorgekommen. (lacht)“
Wie reagieren andere Hunde auf euch und wie sollten deren Halter am besten reagieren?
„Es wäre hilfreich, wenn Halter sich kurz bemerkbar machen und Bescheid geben, dass sie mit einem Hund kommen. Idealerweise ignorieren sie uns und lassen ihren Hund nicht an meinen Hund ran. Orlando braucht seine volle Konzentration, um mich sicher zu führen. Ablenkungen können gefährlich sein, weil mein Leben buchstäblich in seinen Pfoten liegt.“
„Orlando wurde innerhalb kurzer Zeit gleich dreimal attackiert“
Hattest du schon mal die Situation, dass Orlando von einem anderen Hund angegriffen wurde?
„Ja, Orlando wurde vor anderthalb Jahren innerhalb kurzer Zeit gleich dreimal attackiert, während er mich geführt hat. Glücklicherweise wurde er nicht gebissen, aber das war sehr traumatisch. Seitdem ist er bei manchen Hunden angespannt und reagiert manchmal ängstlich oder aggressiv.“
Hat Orlando eine Nachschulung bekommen, um mit diesem Trauma umzugehen?
„Ich habe eine Nachschulung beantragt, aber sie wurde nicht genehmigt, weil Orlando als zu alt angesehen wurde. Die Krankenkasse hat mir stattdessen einen neuen Hund angeboten.“
Das ist ja heftig. Orlando ist doch ein Lebewesen und kein Gegenstand.
„Leider wird er per Gesetz als Hilfsmittel eingestuft und entsprechend behandelt. Deshalb wurde die Nachschulung abgelehnt.“
„Wenn Orlando in zwei Jahren in Rente geht, habe ich keinen Hund mehr“
Orlando ist jetzt in einem Alter, indem er in ungefähr zwei Jahren in Rente gehen sollte. Wie geht es dann weiter?
„Das ist die große Frage und ein Thema, das ich auf Social Media schon einmal aufgegriffen habe. Vor knapp einem Monat gab es deswegen einen kleinen Shitstorm in meine Richtung, weil ich gesagt habe, dass ich nicht weiß, was ich mit Orlando mache. Ich möchte ihn definitiv behalten, aber ich muss mir auch unangenehme Fragen stellen.
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Wenn Orlando in zwei Jahren in Rente geht, habe ich keinen Hund mehr und muss einen Stock benutzen, bis ein neuer Hund kommt. Aber die Frage ist, ob Orlando damit klarkommt, wenn ein neuer Hund ihn ersetzt und ich täglich mit dem neuen Hund rausgehe, während er zu Hause bleiben muss.“
Das ist wirklich eine verzwickte Situation …
„Außerdem haben wir noch einen kleinen Hund, den Hund meiner Frau, der sich super mit Orlando versteht. Ob der neue Hund sich mit beiden versteht, ist auch eine Frage. Und dann ist da noch die Platzfrage in unserem Zuhause. Ich will Orlando nicht abgeben, weil ich das ihm gegenüber unfair finde, aber es gibt viele Blinde, die ihren Hund zur Rente abgeben und einen neuen Hund holen. Das muss jeder für sich entscheiden, aber ich könnte das nicht.“
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„Es gibt Fälle, bei denen der alte Hund aggressiv gegenüber dem neuen Hund wird“
Ich kann mir gut vorstellen, dass du sehr an ihm hängst. Gerade bei all dem, was ihr tagtäglich zusammen erlebt …
„Ja, total. Ich hänge sehr an ihm. Der Hundetrainer meinte jedoch, es wäre besser für Orlando, wenn er in eine Familie kommt, die sich rund um die Uhr um ihn kümmern kann. Vielleicht auf einem Bauernhof oder mit einem großen Garten.“
Du bist ja sicher im Austausch mit anderen Personen, die auch einen Blindenführhund haben. Weißt du, wie das normalerweise abläuft, wenn ein neuer Hund zu dem alten dazukommt?
„Das ist ganz individuell. Es gibt Fälle, in denen sich die Hunde gut verstehen und sich ergänzen, aber es gibt auch Fälle, bei denen der alte Hund aggressiv gegenüber dem neuen Hund wird, weil er seinen Platz einnimmt. Der alte Hund will weiterhin die Führung haben, und das kann problematisch sein.“
Wie grenzt ihr Arbeit und Freizeit für Orlando ab?
„Wenn Orlando an der kurzen Leine bei mir läuft, weiß er, dass es keine Freizeit ist. Sobald ich ihm das Führgeschirr abnehme, weiß er, dass jetzt Freizeit ist. Wenn ich ihm dann noch den Befehl ‚Lauf‘ gebe, ist für ihn klar, dass er schnüffeln, spielen, ins Wasser gehen und Spaß haben kann.“
Nikolaos Rizidis und sein Blindenführhund Orlando sind am 31.08. um 20:15 Uhr in „Die große Maus-Show“ im Ersten zu Gast.