1. Oktober 2024, 15:09 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Keine Frage: Möpse, Französiche Bulldoggen und Dackel sind unglaublich süß und daher extrem in Mode. Allerdings haben alle drei Rassen eine Sache gemeinsam: Sie gelten als Qualzuchten. Das heißt, sie leiden aufgrund angezüchteter Merkmale oft ein ganzes Hundeleben lang. Petfluencerin „Mops_Aktivismus“ kämpft gegen Qualzuchten und will darüber informieren – und zwar weil sie selbst einen solchen Hund hat.
Platte Nasen, zu kurze Beine, Glubschaugen oder Knautschgesichter – viele Hunderassen gelten als überzüchtet. Im Extremfall spricht man hier von Qualzuchten. Durch diese durch Zucht verstärkten Merkmale, die wir Menschen oft „süß“ oder „knuffig“ finden, leiden die betroffenen Tiere oft ein ganzes Leben. So können beispielsweise Hunde mit zu kurzen Schnauzen – wie beispielsweise der Mops – meist nicht richtig atmen, während Dackel durch ihre zu kurzen Beinchen und den zu langen Rücken oft zu schmerzhaften Bandscheibenvorfällen neigen.
Petfluencerin Carina Wingender hat mit ihrer Hündin Henriette – einem Mops – einen solchen Hund und informiert auf ihrem Instagram-Kanal „Mops_Aktivismus“ über Qualzuchten und das Leben mit Hunden, die davon betroffen sind. Für ihre Aufklärungsarbeit wurde sie nun auch mit dem deutschen Petfluencer Award ausgezeichnet.
Mops_Aktivismus: „Ich mache das Ganze ja nicht für einen Preis“
PETBOOK: Du hast jetzt mit „Mops_Aktivismus“ den Petfluencer Award in der Kategorie „Purpose“ gewonnen. Was bedeutet dir diese Auszeichnung?
Carina: „Ich sag’ mal so, ich mache das Ganze ja nicht für einen Preis. Aber es ist schon schön, weil das die einzige Art und Weise für uns Petfluencer ist, überhaupt eine Anerkennung zu bekommen. Bei Film und Fernsehen gibt es viele verschiedene Preise, die man gewinnen kann, aber in unserer Branche gibt es eigentlich nichts – außer den Petfluencer Award. Deshalb ist es ein wirklich schönes Gefühl, ausgezeichnet zu werden. Aber das ist nicht der Grund, warum ich im Bereich der Qualzucht-Aufklärung aktiv bin.“
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„Ich will Menschen zum Nachdenken anzuregen“
Dein großes Thema ist ja Qualzucht. Wie passt das mit Petfluencing zusammen?
„Ich würde mich gar nicht wirklich als Petfluencerin beschreiben. Ich mache kaum Werbung auf meinem Account, und wenn doch, dann unentgeltlich, für Shops, bei denen ich das Konzept gut finde – zum Beispiel für die Futtermarke ‚Strayz‘, die einen tollen Tierschutzgedanken hat.
Mein Einfluss liegt eher darin, Menschen zum Nachdenken anzuregen. Mein Ziel ist es, dass sie nach meinem Content reflektieren und vielleicht von der Anschaffung einer Qualzuchtrasse absehen oder, falls sie bereits eine besitzen, Maßnahmen ergreifen, um die Lebensqualität ihres Tieres zu verbessern.“
Du bist ja eher zufällig auf das Thema Qualzucht gestoßen, oder?
„Ja, genau. Vor über zehn Jahren habe ich mir meinen ersten Hund angeschafft, die Henriette, einen Mops. Es war lange mein Traum, einen Mops zu haben, weil ich die Optik sehr niedlich fand. Ich gehörte zu den Menschen, die das Kindchenschema lieben, ohne die gesundheitlichen Probleme der Rasse zu reflektieren. Erst nach einigen Jahren habe ich realisiert, dass Henriette unter den typischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen einer Qualzuchtrasse leidet. Das war ein langer Erkenntnisprozess, den ich dann öffentlich geteilt habe, in der Hoffnung, dass andere aus meinen Fehlern lernen können.“
»Den Mops gibt es in keiner gesunden Form – weder in der Standardzucht noch in sogenannten Rückzüchtungen
Kannst du den Moment beschreiben, der dir die Augen geöffnet hat?
„Es war ungefähr anderthalb bis zwei Jahre nach der Anschaffung. Ich war mit Henriette spazieren, es war warm und sie ist plötzlich kollabiert. Möpse können nämlich ihre Körpertemperatur nicht gut regulieren. Glücklicherweise kam gerade eine Joggerin vorbei und leistete Erste Hilfe, bevor wir in die Tierklinik gefahren sind. Das war der erste Moment, der den Prozess der Bewusstwerdung angestoßen hat. Es dauerte Jahre, bis ich schließlich akzeptieren musste, dass es den Mops in einer gesunden Form nicht gibt – weder in der Standardzucht noch in sogenannten Rückzüchtungen.“
Apropos Rückzüchtungen: Viele glauben ja, dass es gesunde Alternativen gibt …
„Ja, das wird oft gehofft, aber leider gibt es diese gesunde Variante vom Mops nicht. Auch bei anderen Rassen, wie dem Dackel, der für Rückenprobleme bekannt ist, versuchen Züchter, Verbesserungen zu erreichen. Aber es gibt eine Onlineplattform namens Quen – das steht für ‚Qualzucht Evidenznetzwerk‘ – von der Bundestierärztekammer. Dort kann man sich über rassetypische Krankheiten informieren und sehen, welche Rassen betroffen sind.“
„Ich möchte niemanden verurteilen, weil ich selbst diesen Fehler gemacht habe“
Das Thema Qualzucht ist in den letzten Jahren immer präsenter geworden. Was möchtest du Leuten sagen, die sich trotzdem für solche Tiere entscheiden, obwohl die gesundheitlichen Probleme mittlerweile bekannt sind?
„Zuerst möchte ich niemanden verurteilen, weil ich selbst diesen Fehler gemacht habe. Ich glaube, das Problem liegt viel tiefer. Es fehlt an Aufklärung. Diese Tiere werden in Werbung, Film und Fernsehen als ‚normal‘ dargestellt, und viele Menschen hinterfragen das nicht weiter. Sie informieren sich vielleicht über Züchter, aber selten über die gesundheitlichen Aspekte der Rassen.
Sobald sich jemand in so ein Tier verliebt, wollen sie oft keine negativen Informationen mehr aufnehmen – das nennt man kognitive Dissonanz. Es ist daher wichtig, dass die Aufklärung früher ansetzt, bevor dieser Wunsch nach einem bestimmten Tier entsteht. Idealerweise sollte schon in sozialen Medien oder im öffentlichen Raum deutlich gemacht werden, wenn es sich um eine Qualzucht handelt, damit die Menschen bewusster mit der Entscheidung umgehen.“
Wie stehst du zum Konzept, solche Tiere trotzdem zu adoptieren – aber aus dem Tierschutz?
„Ich finde, dass Tiere, die bereits existieren, natürlich ein schönes Zuhause verdient haben. Sie sollten genauso geliebt werden wie andere Hunde. Wenn man also unbedingt einen solchen Hund möchte, dann sollte man ihn aus dem Tierschutz holen. Aber man muss sich bewusst sein, dass diese Tiere oft krank sind und hohe medizinische Kosten verursachen können. Ab einem gewissen Alter sind sie auch nicht mehr versicherbar. Wer einem solchen Hund eine zweite Chance gibt, muss die Verantwortung übernehmen, ihn medizinisch gut zu versorgen und seine Lebensqualität zu verbessern.“
„Ich bin nicht per se gegen Rassehunde“
Man hört immer wieder, dass einige Leute mit Rassehunden auf der Straße angesprochen und kritisiert werden, warum sie sich für einen solchen Hund entschieden haben, besonders wenn es sich um eine Qualzucht handelt. Hast du das auch schon erlebt?
„Tatsächlich noch nie. Ich gehe aber auch offen damit um. Wenn jemand sagt, dass ich einen Qualzuchthund habe, stimme ich der Person zu und sage, dass ich einen Fehler gemacht habe. Aber der Hund ist nun mal da, und ich kümmere mich gut um ihn. Ich glaube, solche Konfrontationen entstehen oft, wenn man selbst noch nicht bereit ist, die Wahrheit anzuerkennen.
Zu Rassehunden allgemein: Ich bin nicht per se gegen Rassehunde. Einige Rassen haben durchaus ihre Berechtigung, zum Beispiel als Assistenzhunde, die bestimmte Eigenschaften mitbringen. Aber als Privatperson, ohne speziellen Nutzen für den Hund, braucht man nicht unbedingt einen Rassehund. Hunde aus dem Tierschutz sind oft eine tolle Alternative. Viele denken, dass Hunde im Tierschutz alle ‚Probleme‘ haben, aber das stimmt nicht. Es gibt viele wunderbare und familientaugliche Hunde im Tierschutz. Ich kann das bestätigen, da ich selbst schon oft Pflegestelle für Tierschutzhunde war.“
„Man kann brachyzephale Hunde nicht ‚gesund‘ operieren – das ist ein Mythos“
Du hast dich ja intensiv mit Qualzuchtmerkmalen beschäftigt. Wie ist deine Erfahrung mit den Operationen, die zum Beispiel bei Hunden mit kurzen Schnauzen wie Französischen Bulldoggen durchgeführt werden? Kann man ihnen wirklich helfen oder ist das eher minimal?
„Das kommt darauf an, wie stark das Tier von den Qualzuchtmerkmalen betroffen ist. Bei Rassen wie Französischen und Englischen Bulldoggen oder Boxern ist eine Operation der oberen Atemwege oft sinnvoll und auch notwendig. Man sollte sich da auf jeden Fall ärztlich beraten lassen. Allerdings kann man betroffene Hunde nicht ‚gesund‘ operieren – das ist ein Mythos – aber man kann ihnen mehr Lebensqualität verschaffen. Als Halter ist man da definitiv in der Verantwortung, wenn man so ein Tier hat.“
Du hattest mal in einem Posting von Tier-OP-Kosten von über 23.000 Euro gesprochen …
„Ja, das war ein älteres Posting. Die Tierarztkosten haben sich seitdem etwas erhöht. Diese 23.000 Euro bezogen sich auf die reinen Operationskosten für Henriette. Mittlerweile sind es bestimmt 25.000 Euro. Die normalen Tierarztkosten habe ich nie zusammengerechnet, aber sie dürften in einer ähnlichen Höhe liegen. Henriette musste viele Operationen durchmachen, und sie ist jetzt zehn Jahre alt. Aktuell hat sie nichts Akutes, aber ich beobachte sie täglich sehr kritisch, denn es könnte sich jederzeit wieder etwas ändern. Ich rechne ständig mit der nächsten Hiobsbotschaft.“
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Mops_Aktivismus: „Es bringt nichts, Leute zu diffamieren oder an den Pranger zu stellen“
Würdest du nach all deinen Erfahrungen noch einmal einen Hund mit Qualzuchtmerkmalen aus dem Tierschutz adoptieren?
„Das ist eine schwierige Frage. Letztes Wochenende war ich auf einem Workshop und habe mich in einen Boston-Terrier-Welpen verliebt, den eine Kollegin als Pflegestelle hatte. Ich liebe diese Rassen, besonders ihre Charaktere und ihre enge Bindung zu Menschen. Mein Mann und ich haben darüber gesprochen, ob wir wieder so einen Hund aufnehmen würden. Aber aktuell haben wir drei Hunde, und da kommt kein weiterer hinzu, außer vielleicht als Pflegehund. Ob ich mir irgendwann wieder so einen Hund holen würde, weiß ich nicht. Henriette könnte dieser „Once-in-a-lifetime-Dog“ sein, der unersetzbar ist. Die emotionale Belastung ist auch groß, weil man weiß, dass der Hund von Anfang an krank sein wird. Wenn ich mich doch entscheiden würde, wäre es definitiv ein Hund aus dem Tierschutz.“
Das Thema Qualzucht ist ein sehr emotionales Thema. Gibt es etwas, das du am Ende des Interviews noch loswerden möchtest?
„Ja, ich möchte einen Appell an die Menschen richten, die Kritik an Qualzucht üben. Kritik sollte immer sachlich, höflich und konstruktiv geäußert werden. Es bringt nichts, Leute zu diffamieren oder an den Pranger zu stellen. Viele Menschen sind sich der Problematik nicht bewusst, und mit Vorwürfen erreicht man nur, dass sie sich verschließen. Wenn man hingegen sachlich bleibt und seine Aussagen mit Fakten untermauert, kann man viel eher Bewusstsein schaffen.“