9. Juli 2023, 9:20 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
„Ein Australian Shepherd? Na dann, viel Spaß! Die brauchen viel Beschäftigung.“ Wie oft unsere Petbook-Redakteurin diese und ähnliche Sätze gehört hat, kann sie längst nicht mehr zählen. Mindestens genauso häufig wurde sie gefragt, wie sie ihren Aussie auslastet. Trotz guter Vorbereitung und Recherche stellte auch sie diese Rasse zu Beginn vor die ein oder andere Herausforderung. Ein Erfahrungsbericht.
Als ich zum ersten Mal einen Australian Shepherd gesehen habe, war ich ausgerechnet bei einer Katzenzüchterin Zuhause und überlegte eigentlich, zu meinem Kleinspitz eine Ragdoll kaufen. Ganz schön verrückt, denn ab da hatte ich nur noch Augen für diesen bunten Hund, der auf der Terrasse des Hauses stand und die Ragdoll war Geschichte. Das ist 17 Jahre her. Seitdem konnte ich einige Erfahrungen mit dem Australien Shepherd sammeln.
Zu dem Zeitpunkt wusste ich jedoch noch nichts über Aussies. Doch schon als ich Zuhause war, ging die Recherche los. Berufskrankheit. Wenn mich erst mal etwas interessiert, dann will ich alles darüber wissen. Das ging so weit, dass ich irgendwann alle Zuchtlinien kannte.
Vor über zehn Jahren gab es noch nicht so viele Züchter wie heute und die, die es gab, überlegten sehr genau, wem sie einen Welpen gaben. In Telefonaten warnten sie davor, dass der Aussie kein Couch-Potato sei, sondern aktiv und sehr intelligent.
„Einen überdrehten Aussie wollte ich auf gar keinen Fall“
Hyperaktiv traf es mehr, stellte ich fest, als ich einen Rassevertreter zufällig auf dem Platz eines Hundesportvereins bei dem Training mit seinem Besitzer beobachtete. Er war nervös, kläffte fortwährend. Schlimm. Kurzum – nichts für mich. Einen überdrehten Aussie wollte ich auf gar keinen Fall. Ich bin eher ein ruhiger Typ und so ein Hund würde mich komplett wahnsinnig machen. Doch ich wusste, es geht auch anders.
Ich recherchierte weiter, besuchte Rasseaustellungen von Australian Shepherds, kam mit weiteren Züchtern in Kontakt und hörte schließlich das, was ich hören wollte: „Es gibt Aussies mit moderatem Temperament“.
Insgesamt drei Jahre gingen ins Land, bis ich für mich den passenden Hund, noch dazu mit besagtem „moderaten Temperament“ gefunden hatte. Hailey, eine Hündin in der Farbe „Blue-Merle“ mit einem hellblauen und einem braunen Auge. Damals acht Wochen alt, als ich sie von ihrer Züchterin abholte. Ich dachte, ich wüsste, worauf ich mich einlasse. Na ja, weit gefehlt.
Immerhin, das Hundekind zeigte sich sehr gelehrig. Sie lief innerhalb kürzester Zeit perfekt an der Leine. Tja, und stellte im Freilauf im Alter von sieben Monaten einen Mann, der den Gehweg neben einer Wiese passieren wollte. Der Mann war sichtlich beeindruckt von dem kläffenden Hund, der ihm den Weg abgeschnitten hatte, drehte sich um und wollte zurückgehen. Schwups, war Hailey erneut vor ihm und ließ ihn keinen Schritt weitergehen. Das war kein Spaß. Dieses Verhalten musste ich in andere Bahnen lenken.
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„Aussies sind Farmhunde mit Verhaltensweisen, die die Leute häufig nicht erwarten“
Wenn ich heute mit Hütehundexperte Normen Mrozinski über meine Erfahrungen mit meinem ersten Australien Shepherd spreche, kann er nur müde lächeln: „Aussies sind Farmhunde mit Verhaltensweisen, die die Leute häufig nicht erwarten. Sie sind skeptisch gegenüber Fremden. Sie neigen zur Eigenständigkeit und stellen Leute infrage, die was von ihnen wollen. Außerdem sind sie bellfreudig.“ Dann wird er noch deutlicher: „Wenn ein Hund Passanten stellt, dann ist das mangelnde Erziehung. Die Hunde reagieren auf Bewegungsreize. Man muss ihnen zeigen, dass sie keine Menschen zu treiben haben.“
Mit Hailey hatte ich damals viele Aufmerksamkeitsübungen gemacht. Jeder Blickkontakt wurde zu Anfang mit Leckerli bestätigt. Der Vorteil dabei war, sie fraß unheimlich gerne. Die Aufmerksamkeit und den Blickkontakt schulte ich erst im Haus und später draußen unter Ablenkung. Sie lernte schnell, dass sich für ihre Aufmerksamkeit eine Belohnung bekam, sobald sich ein fremder Mensch näherte.
Kinder hätte der sensible Aussie sie am liebsten gemaßregelt
Das Misstrauen gegenüber Fremden blieb jedoch. Von unbekannten Menschen angesprochen zu werden, noch dazu, wenn diese sich über sie beugten, war meistens ein No-Go und wurde mit Bellen quittiert. Wenn etwa Besuch nach Hause kam und die Person ihr unsympathisch war oder nur selten zu uns kam, durfte dieser sich nicht bewegen und manchmal nicht mal sprechen, denn dann wurde gebellt. Auch Kinder, die beim Restaurantbesuch wild und laut hin und her liefen, hätte der sensible Aussie sie am liebsten gemaßregelt.
Ein Problemhund?
Mir war schnell klar, dass Hailey mein Spiegel war. Sie tat, was ich dachte. Denn auch ich, nicht der größte Menschenfreund, fühle mich mit manchem Besuch nicht wohl und lärmende, tobende Kinder im Restaurant stressen mich ebenfalls. Ich kenne keine andere Hunderasse, die so empathisch ist wie der Australian Shepherd.
Wenn Hailey nicht zu mir, sondern in die Hände einer anderen Person gekommen wäre, der gleiche Hund hätte sich anders entwickelt. Zwar ist das Misstrauen gegenüber Fremden, die Territorialität und die hohe Sensibilität typisch für diese Rasse. Trotzdem ist es immer eine Frage dessen, wie man seinen Welpen formt.
Fehler habe ich einige gemacht. Einer davon ist die Ausbildung zum Problemhundetherapeuten, die ich gemacht habe, als Hailey ein knappes Jahr alt war. Die Ausbilder vermittelten mir, Hailey dürfe keine eigenen Entscheidungen mehr treffen, sie müsse permanent kontrolliert werden, solle sogar im Haus eine Leine tragen.
Mein Hund war schnell mal zwei Schritte voraus
Mir tut es bis heute leid, dass ich das eine Zeit lang so durchgezogen habe, denn am Ende haben wir uns gegenseitig kontrolliert und waren beide unglücklich. Erst als ich die Leine draußen wieder gelöst habe und der Hund wieder Hund sein durfte, platzte der Knoten und Hailey kam wieder freudig angelaufen, als ich sie rief. Das ist nämlich auch eine Eigenschaft des Aussies – er lebt von und für die positiven Emotionen seines Menschen. Er möchte gefallen.
Ja, es hat gedauert, bis Hailey und ich unseren gemeinsamen Weg gefunden haben. Ich musste erst lernen, wie es ist, einen Hund zu haben, der einem schnell mal zwei Schritte voraus ist. Irgendwann waren wir so weit, dass ein Blick meinerseits ausreichte, um unerwünschtes Verhalten zu stoppen oder sie über meine Augenbewegung ins „Sitz“ oder „Platz“ zu bringen.
Als erwachsene Hündin kannte sie ihre Aufgaben genau: Wenn ich mit ihr und meinem Kleinspitz spazieren ging und ein fremder Hund angelaufen kam, fing sie diesen ab und wirkte deeskalierend auf ihn ein. Wenn der Kleinspitz zu viel draußen bellte, sprang sie kurz vor ihn, kläffte ihn einmal an und schon war Ruhe. In meiner Hundeschule zeigte sie den Junghunden Grenzen auf. Und bei meinen Reise-Reportagen für Hunde-Reisende war sie das Model, das jede Situation angstfrei meisterte – egal, ob auf dem Schiff, in der Gondel in Tausend Meter Höhe, zwischen irgendwelchen Felsen oder in Hotels. Ich konnte mich auf sie verlassen.
Viele Aussies reagieren empfindlich auf Geräusche
Nach meinen Erfahrungen mit dem Australien Shepherd, ist jedoch genauso wichtig, dass die Hunde ihre Ruhephasen bekommen. Wenn sie diese nicht bekam, biss sie in die Leine, rammelte ihr Kissen oder ließ ihren Frust an anderen Objekten oder Lebewesen aus. Das war anstrengend, wenn man auf einer Pressereise war, ein straffes Programm vor sich hatte und einen Hund, der grade mit sich und der Welt so gar nicht klarkam.
Normen erklärt das so: „Für Hütehunde im Allgemeinen ist es eine große Aufgabe, überall mit hingenommen zu werden. Diese Hunde reagieren stark auf Reize, auf Stimmungen und sind häufig geräuschempfindlich. Viele von ihnen jagen Radfahrer, Autos oder Kinder, weil sie zu viel gepusht werden und nicht zur Ruhe kommen. Ruhe lernen heißt, überlege dir, welche Anforderungen der Schäfer an den Aussie hat. Der macht nicht viel mit ihm. Da wird kurzfristig mal das Vieh getrieben, ansonsten hat der Hund nicht aufzufallen. Wer sich einen Aussie in die Familie holt, darf ihn nicht in Watte packen, sondern muss mit ihm an seiner Frustrationstoleranz arbeiten und daran, dass er Stress aushalten kann.“
Wenn der Hund in der Familie nicht ständig im Mittelpunkt stehe, gäbe es seltener Probleme. Auch Welpen müssen lernen, zurückzustecken. Wenn man jedes fordernde Verhalten erfülle, sei das ein Fehler. Wer seinen Erziehungsauftrag nicht annehme, bekäme mit diesem Charakterhund ein Problem.
In den USA, wo die Rasse herkommt, sollen das nicht die netten Familienhunde sein
Hailey ist mit acht Jahren ungefähr ruhiger geworden. Viele andere Aussies haben bis zu dem Alter längst den Besitzer gewechselt, wie Normen mir erzählt, der in letzter Zeit besonders viele Australian Shepherds im Training hat. „Die Leute überlegen nicht, was sie sich mit dem Aussie für einen Hund ins Haus holen. In den USA, wo die Rasse herkommt, sollen das nicht die netten Familienhunde sein. Die sollen Fremde ankläffen, das ist so gewollt. Deshalb ist es nicht schlau, sich als Familie einen amerikanischen Hofhund zu holen, wenn ich viel Besuch habe. Man arbeitet dann gegen die Genetik an.“ Dass man nicht alle Aussies über einen Kamm scheren kann, sagt auch der Hundetrainer, aber das hänge davon ab, aus welcher Zucht er komme und ob ich meinen Erziehungsauftrag wahrnehme.
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Für den Hundesport gibt es keine Notwendigkeit
Nach seinen Erfahrungen mit der Rasse Australien Shepherd rät Normen dazu, sich im Vorfeld genau über die Zucht und die Elterntiere zu informieren. Zudem stellt der Hundetrainer klar: „Für Hundesport gibt es keine Notwendigkeit! Der ganz normale Alltag ist für solche Hunde oft Herausforderung genug. Anregende Spaziergänge sind deutlich sinnvoller. Man muss nicht obendrein irgendwas machen, das ist genau der Irrglaube!“
Leider musste ich meine Hündin im Alter von fast 14 Jahren einschläfern lassen. Nach meinen Erfahrungen, die ich mit Hailey gemacht habe, ist für mich jedoch klar, es wird wieder ein Australian Shepherd bei mir einziehen.