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PETBOOK-Interview

Wie ein Therapiehund einer Wachkoma-Patientin zurück ins Leben half

Therapiehund
Arzthelferin Dominique Sophie Sewing besucht regelmäßig mit ihren Therapiehunden Pflegeeinrichtungen. Foto: Dominique Sophie Sewing
Porträtaufnahme von Autorin Manuela Lieflaender mit Hund Elvis
Freie Autorin

12. September 2024, 6:57 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

Die Anwesenheit eines Hundes kann manchmal Wunder bewirken. Ein ganz besonderes Einsatzgebiet ist die Arbeit mit Koma-Patienten. Dabei genügt es schon, wenn sich die Therapiehunde neben sie legen und ihnen Gesellschaft leisten.

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„Mein schönstes Erlebnis war, als eine Wachkoma-Patientin plötzlich langsam wieder anfing zu sprechen“, sagt Dominique Sophie Sewing.  Die gelernte Arzthelferin bietet seit über zehn Jahren tiergestützte Intervention an. Mit ihren drei Australian Shepherds besucht sie Pflegeeinrichtungen, Kindergärten und Behinderten-Einrichtungen. PETBOOK-Autorin Manuela Lieflaender wollte wissen, wie der Alltag eines Therapiehunde-Teams aussieht und welche Voraussetzungen die Tiere dafür erfüllen müssen. 

„Der Mensch lernt sich wieder selbst spüren“

PETBOOOK: Dominique, du besuchst mit deinen Hunden richtig schwere Fälle, wie zum Beispiel Wachkoma-Patienten. Wie hilfst du diesen Menschen? 
Dominique Sophie Sewing: „Das kommt auf das Stadium des Wachkomas an. Mein Ziel ist es, den Menschen wieder seine Umwelt spüren zu lassen. Dazu lege ich den Hund zum Beispiel mit einer speziellen Decke zu dem Patienten ins Bett oder ein Stück weit auf den Menschen.“

Du legst die Hunde aufs Bett? 
„Ja, sie müssen ein gewisses Gewicht haben, damit die Patienten den Körper des Tieres spüren. Je größer der Hund, desto größer die Fläche, die ich an den Körper des Betroffenen legen kann. Auf diese Weise lernt der Mensch, sich wieder selbst zu spüren. Das kann man auch mit kleinen Hunden machen, aber meine Arbeitsweise ist eine andere.“

Was kann der Hund sonst noch für den Wachkoma-Patienten tun? 
„Ich lasse ihn zum Beispiel Paste von der Hand ablecken. Es gibt sogar Wachkoma-Patienten, die fangen an, den Hund zu streicheln.“

Auch interessant: So hilft Assistenzhündin Audrey Alzheimer-Patienten im Alltag

„Mein Beruf als Arzthelferin war mir zu lieblos geworden“

Von wem wirst Du engagiert? 
„Das sind in der Regel die Pflegeheime. Sie wissen es zu schätzen, dass die Hunde zum Beispiel eine beruhigende Wirkung auf die Bewohner haben.“

Du hast Dich mit Deinem Therapiehunde-Team selbstständig gemacht. Wie kam es dazu? 
„Mein Beruf als Arzthelferin war mir zu technisch und zu lieblos geworden. Es bleibt keine Zeit mehr für den Menschen. Du musst dir vorstellen, da ist zum Beispiel eine ältere Dame, die gerade ein EKG bekommt und eine schlechte Diagnose erhalten hat. Dir bleibt keine Zeit auf sie einzugehen und sie zu trösten. Stattdessen muss alles schnell gehen, damit der nächste Patient drankommt. Unser ganzes Gesundheitssystem geht bergab. Über die Hunde kann ich den Menschen Wärme und einen Hauch Selbstständigkeit geben.“

Wie ging es dann weiter? 
„Ich habe beim Deutschen Berufsverband für Therapie- und Behindertenbegleithunde nebenberuflich eine Ausbildung gemacht. Mein Ziel war es, Mensch und Tier zusammenzubringen. Ich bilde meine Hunde selbst aus. Anschließend werden sie vom Berufsverband geprüft.“

Wie lange dauert die Ausbildung? 
„Sie dauert ein Jahr und besteht aus mehreren Teilprüfungen. Meine Hunde nehme ich schon als Welpe mit und bilde sie aus. Sie müssen bei der Prüfung jedoch mindestens 24 Monate alt sein.“

Wie wird der Hund geprüft? 
„Man muss eine Eingangsprüfung machen. Da wird geschaut, ob er sich überhaupt zum Therapiehund eignet. Ähnlich wie beim Wesenstest wird darauf geachtet, wie der Hund reagiert. Der darf zurückweichen, aber nicht nach vorn gehen. Extreme Ängstlichkeit ist ein No-Go. Die Prüfer testen zum Beispiel, ob der Hund sich in den Arm nehmen lässt, wie er auf laute Geräusche oder komisch laufende Personen reagiert. Wenn der Hund diese Prüfung bestanden hat, kann er an der Abschlussprüfung im Pflegeheim teilnehmen. “

Porträt von Dominique Sophie Sewing mit zwei Hunden
Dominique Sophie Sewing ist gelernte Arzthelferin und bietet seit über zehn Jahren tiergestützte Intervention an Foto: Dominique Sophie Sewing

„Es gibt keine Therapiehund-Linien“

Wie muss ein Hund charakterlich sein, damit er diesen Job machen kann? 
„Er muss offen sein, gerne mit Menschen agieren. Außerdem muss er das psychisch verpacken können. Ich suche mir aus meiner Zucht lieber Welpen aus, die etwas lebendiger sind. Lieber bremse ich einen Hund, als dass er zurückhaltend ist. Es ist mir wichtig, dass er intrinsisch gerne zum Menschen geht und gerne was mit ihm zu tun hat. Wenn er sich nicht gerne mit dem Menschen beschäftigt, sind das nicht gerade ideale Voraussetzungen. Man muss im Blick haben, was man mit welchem Hund machen kann. Der eine spielt gerne, der andere lässt sich lieber kuscheln. Diese Bedürfnisse muss man bei der Wahl welcher Hund zu welchem Bewohner oder Patient kommt, berücksichtigen.  

Hast du Interessenten, die aus deiner Australian Shepherd Zucht einen Therapiehund kaufen möchten? 
„Ja, aber ich sage meinen Interessenten sofort, dass es keine Therapiehund-Linien gibt. Das ist Quatsch. Man hat keine Garantie dafür, dass sich der Welpe als Therapiehund eignet. Da muss man sich geeignetere Rasse wie etwa den Labrador, Pudel oder Ähnliche suchen. Der Aussie ist auch nicht der perfekte Therapiehund, denn es kann es immer sein, dass er plötzlich mit ein oder zwei Jahren Fremde nicht mehr so toll findet. Dessen muss man sich bewusst sein. Aber für meine Zwecke ist er genau richtig. Denn Aussies bringen eine gewisse Energie mit und das holt die Leute aus ihrem Trott raus. Da wird auch viel gelacht. Gleichzeitig verfügen meine Hunde über einen hohen Grundgehorsam, sodass sie artig neben dem Rollator oder Rollstuhl herlaufen.“

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Du hast dich mit der tiergestützten Intervention selbstständig gemacht. Für wen ist dieser Job geeignet? 
„Man muss empathisch und resilient sein. Mir erzählen Leute Sachen, die nicht mal die Pfleger aus dem Menschen herausbekommen. Es gibt Schicksale, da braucht man ein dickes Fell.“

Nimmst du solche Geschichten manchmal mit nach Hause? 
„Selten. Ich nehme eher mit nach Hause, dass unsere Gesundheitspolitik versagt und viele Menschen sehr darunter zu leiden haben.“

Kannst du von deiner Arbeit leben? 
„Wenn man einen therapeutischen Hintergrund und den Hund gut einbinden kann, funktioniert das. Ergotherapeuten können das zum Beispiel gut. Ansonsten ist das eher ein Beruf, der sich als Nebenselbstständigkeit eignet.“

„Eine Sterbende wollte meine Hündin und mich noch mal sehen“

Was waren deine schönsten Erlebnisse? 
„Auf jeden Fall die Wachkoma-Patientin, die plötzlich wieder langsam anfing zu sprechen. Damit hatte niemand gerechnet. Man muss dazu sagen, dass das eine absolute Ausnahme ist. Ich bin mit meinen Hunden nicht Jesus und kann keine Wunder bewirken.“

Welche Geschichten fandest du sonst noch besonders ergreifend?   
„Nach der Corona-Zeit war es so, dass mich ein dementer Senior nach einem dreiviertel Jahr wieder erkannt hat, obwohl er seinen eigenen Namen nicht mehr wusste. Das war auch sehr ergreifend. Oder eine Sterbende, die meine Hündin und mich noch mal sehen wollte und zwei Tage später friedlich eingeschlafen ist.“

Du betreust Sterbende? 
„Ja. Sterben ist nichts Schlimmes. Das kann sehr viel Ruhe haben. Wir grenzen das Sterben immer aus, es findet hinter verschlossenen Türen statt. Aber das ist falsch. Das Sterben gehört dazu und die meisten sterben friedlich.“

Betreust du die Heimbewohner grundsätzlich bis zu ihrem Tod? 
„Ich betreue sie so lange, wie sie mich brauchen.“

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„Mal eben den Hund mit ins Altenheim nehmen, davon rate ich ab!“

Einfach mal mit dem Hund im Altenheim alte Menschen glücklich machen. Geht das so einfach? 
„Das ist rechtlich eine Grauzone, wenn der Hund kein ausgebildeter Therapie-Begleithund oder Therapiehund ist. Denn sollte einem fremden Menschen im Heim durch den Hundebesuch etwas passieren, kann es sein, dass die Haftpflichtversicherung nicht zahlt. Für diese Zwecke muss man eine Berufshaftpflichtversicherung haben.“

Was kann passieren, wenn ich mit meinem Hund einfach mal zum Spaß ins Altenheim gehe und ihn von alten Menschen durchknuddeln lasse? 
„Wenn der Hund nicht optimal trainiert ist, kann es sein, dass er die Senioren verletzt. Alte Menschen haben eine dünne Haut. Wenn der Hund sie kratzt oder zu grob ist, kann es sein, dass sie stark anfangen zu bluten. Was immer wieder vorkommt ist, dass Tabletten herunterfallen oder bereits auf dem Boden liegen. Nimmt der Hund sie auf, kann das tödlich enden!

Außerdem kann es passieren, dass alte Menschen dem Hund Lebensmittel füttern, die dieser nicht fressen darf. Vorsicht ist auch bei Keimen geboten. Hier muss man sich auskennen. Welche Krankheiten sind vom Menschen auf dem Hund übertragbar und umgekehrt, das muss man wissen. Es gibt viele Dinge, die eine Rolle spielen. Mal eben den Hund mit ins Altenheim nehmen, davon rate ich ab!

Ganz davon abgesehen, dass die Hunde einen hohen Grundgehorsam und eine hohe Frustrationstoleranz haben müssen. Sie müssen resilient sein, wenn sie gröber angefasst werden und dürfen kein aggressives Verhalten zeigen. All das setzt voraus, dass man seinen Hund sehr gut lesen kann, um ihn gegebenenfalls frühzeitig aus einer Situation herausnehmen zu können.“

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