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Coast Salish Woolly Dog

Diese Hunde konnte man wie Schafe für ihre Wolle scheren

Rekonstruktion des Aussehens des Coast Salish Woolly Dog, des Wolle tragenden Hundes
Das Aussehen des Coast Salish Woolly Dog lässt sich heute nur noch rekonstruieren, denn die indigene Hunderasse gilt schon lange als ausgestorben Foto: Karen Carr
Louisa Stoeffler
Redakteurin

5. Februar 2024, 15:51 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Mit der Eroberung Amerikas gingen viele Traditionen und Volksstämme unwiederbringlich verloren. Auch der Coast Salish Woolly Dog, der für seine Wolle geschoren werden konnte, fiel der Expansionswut der Europäer zum Opfer. Doch vielleicht nicht für immer …

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Als die Europäer sich aufmachten, den nordamerikanischen Kontinent zu erobern, ging vieles unwiederbringlich verloren. Ganze Völkerstämme und auch die Tiere, mit denen sie sich ihren Lebensraum teilten, verschwanden für immer. Während sich die Bestände des amerikanischen Bisons jedoch erholten, starb der Coast Salish Woolly Dog aus. Oder doch nicht? Der Hund, der für seine Wolle geschoren werden konnte, war in den heutigen Gebieten von British Columbia in Kanada und Washington State in den USA heimisch. Gleichzeitig war er spiritueller Begleiter der Coast Salish.

In einer bahnbrechenden anthropologischen und gentechnischen Untersuchung arbeiteten Indigene und Wissenschaftler des Smithsonian Museums of Natural History zusammen, um die Geschichte dieser Hunderasse zu rekonstruieren. Es gibt sogar Bestrebungen, den Hund und die Wolle-Tradition wiederzubeleben.

Wolle-Hund hatte eine besondere Bedeutung für die indigenen Amerikaner

Doch wie kam es dazu, dass in Nordamerika Hunde anstatt Schafe Wolle produzierten? In Europa und Asien wurden schon sehr früh Schafe domestiziert und geschoren. Berichten zufolge begleiten Schafe den Menschen bereits seit 8000 Jahren. Auf dem amerikanischen Doppelkontinent dagegen sind die dort lebenden Wildschafe nie domestiziert worden. Allerdings gab es auch dort Tiere, die vor allem für ihre Wolle gehalten wurden.

Im heutigen Norden des US-Bundesstaats Washington und British Columbia in Kanada befindet sich das Stammesgebiet der Coast Salish People. Viele Jahrtausende lang züchteten sie Hunde, die ganz spezielle Eigenschaften hatten. Der Coast Salish Woolly Dog lebte Berichten zufolge isoliert auf Inseln, wo er von den Frauen der Stämme versorgt und auch geschoren wurde. Doch auch in der spirituellen Vorstellung nahmen die Wollhunde einen hohen Stellenwert ein und wurden gleichzeitig als Familienmitglieder angesehen.

Wolle wurde zu Decken mit traditionsreichen Mustern verarbeitet

Denn das Fell der Wolle-Hunde weist einzigartige Strukturen auf, die wie die Vliese von Schafen geschoren werden konnten. Aufgrund ihrer einzigartigen Merkmale wurden die Tiere isoliert, damit sie sich nicht mit anderen Hunden paaren und über Generationen hinweg dieselben genetischen Eigenschaften besaßen.

War die Wolle der Hunde einmal geschoren, drehten die Coast Salish People aus der Schur zunächst Wollfäden, die sie anschließend zu Decken mit traditionsreichen Mustern verarbeiteten. Diese gewebten Stücke wurden dann in Geschenk-Zeremonien (Potlach) weitergegeben und bedeuteten soziale Anerkennung und Reichtum für die Coast Salish und andere Stämme, die diese Zeremonie abhielten. Wer mehr Wolle-Hunde hatte, der konnte auch mehr Geschenke verteilen und hatte entsprechend einen höheren sozialen Status.

Wollhund gilt seit Mitte des 19. Jahrhunderts als ausgestorben

Lange Zeit glaubte man, dass diese Tradition mit dem Aufkommen von Webmaschinen und der größeren Verbreitung von Schafen an Bedeutung verlor. Doch die Coast Salish erzählen eine andere Geschichte, die nun in der anthropologischen Untersuchung endlich Gehör findet. Denn durch die Ankunft der Europäer wurden die Coast Salish aus ihren angestammten Gebieten vertrieben, durch Krankheiten dezimiert und in Schulen der Siedler gesteckt, um sie ihrer Sprache und Kultur zu berauben. Die Potlach-Zeremonien wurden 1884 verboten.

Durch diese Eroberungstaktiken der Siedler gab es immer weniger Coast Salish, die sich um die Wollhunde auf ihren Inseln kümmern konnten. Lange dachten Anthropologen daher, dass die Tiere bereits Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestorben waren. Es existieren jedoch Berichte, dass manche Hunde auch in den 1940er-Jahren noch Ähnlichkeit mit den Coast-Salish-Wollhunden aufwiesen. Noch heute berichten Bewohner British Columbias, dass ihre Tiere den Rekonstruktionen des sagenumwobenen Wolle-Hundes ähneln.

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Genanalyse könnte helfen, Wolle-Hunde wieder zu züchten

Das Vlies von einem Hund namens Mutton bietet jetzt Aufschluss über die Coast Salish Woolly Dogs. Mutton lebte in den 1850er-Jahren und wurde nach seiner Aufzucht bei den Coast Salish von Naturforscher und Ethnograf Geroge Gibbs gepflegt.

Nach dem Tod des Tieres sendete er sein Fell an das Smithsonian Museum. Das Vlies lag anschließend über 150 Jahre unbeachtet im Archiv, bis Anthropologin Audrey Lin es 2021 entdeckt und studierte. Muttons Pelz erlaubt heute einzigartige Einblicke in die Entwicklung der Hunderasse und Muttons Leben.

So konnten die Anthropologen mit einer Strontiumisotopen- und DNA-Analyse nachweisen, dass die Coast Salish Woolly Dogs sich vor 5000 Jahren genetisch von anderen Hunderassen getrennt haben.

85 Prozent von Muttons DNA geht sogar auf Tiere vor der Kolonisation zurück, was bedeutet, dass die Coast Salish auch lange nach der Eroberung noch versuchten, ihre Wollhunde so traditionell zu halten, wie sie es immer getan hatten. Die Forscher fanden 28 Gene, die für das besondere Fell des Hundes verantwortlich sind.

Das Vlies des Coast Salish Woolly Dogs Mutton, dem wohl letzten Wolle tragenden Hund
Muttons Vlies erzählt viel über die Geschichte der Coast Salish Woolly Dogs, was bislang nur vermutet oder durch Geschichten weitergegeben wurde Foto: Brittany M. Hance, Smithsonian
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„Tausende von Jahren sorgfältiger Pflege gingen innerhalb weniger Generationen verloren“

Hauptautorin Audrey Lin gibt eine traurige Einschätzung zu den Ergebnissen in einer Mitteilung der Universität Utah: „Tausende von Jahren sorgfältiger Pflege gingen innerhalb weniger Generationen verloren“. Doch die Untersuchung von Lin und ihren Kollegen könnte nun helfen, die verloren gegangene Hunderasse wiederzubeleben.

Denn Mutton kann eine Blaupause dafür geben, der alten Tradition wieder Leben einzuhauchen. In der Isotopenanalyse zeigte sich auch, wie die Coast Salish ihre Hunde ernährten. Vor seiner Übergabe an Gibbs bekam Mutton reichlich Fisch und maritimen Lebensmitteln zu fressen. Was den Berichten nach den Sinn hatte, dass ihr Fell seidig und glänzend wird.

Nachdem Mutton von den Siedlern übernommen wurde, wurde das Tier jedoch größtenteils mit Mais gefüttert. Doch das Getreide kam in seiner Heimat an der Westküste des nordamerikanischen Kontinents gar nicht vor. Stattdessen wurde von den Siedlern auf ihren Eroberungszügen als Proviant genutzt.

Auch wenn das Ende von Muttons Geschichte nicht besonders artgerecht klingt, haben die Analyse seines Fells und die anthropologische Forschung den Coast Salish ein Stück ihrer Geschichte wiedergegeben – und den genetischen Code entschlüsselt, um den legendären Wolle-Hund erneut zu züchten.

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