2. September 2023, 16:13 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Beim Wort „Assistenzhund“ dürften die Meisten an Blindenführhunde oder vielleicht Therapiehunde denken. Aber dass es auch Hunde gibt, die Blutzuckerschwankungen bei Menschen mit Diabetes riechen können, wissen die wenigsten.
Die Zwergspitz-Dame von Lynn Johansson ist besonders. Die zehn-jährige Åsa ist nämlich ein ausgebildeter Diabetikerwarnhund, der nicht nur das Leben ihrer Halterin bereichert, sondern im Zweifelsfall sogar ihr Leben retten könnte. Lynn ist Diabetikerin und muss dadurch immer ihren Blutzuckerspiegel genau im Blick behalten, um rasch reagieren zu können, wenn sich etwas verändert. Sonst könnte sie im Über- oder Unterzucker landen, was im Zweifelsfall fatale Folgen haben kann.
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„Auf Åsas Geruchssinn kann ich mich blind verlassen!“
Mit Åsa hat die Hamburgerin einen aufmerksameren Team-Partner an der Seite, der sie darauf aufmerksam macht, sobald sie etwas essen oder sich Insulin spritzen muss. Das erleichtert nicht nur ihr Leben, sondern gibt ihr auch mehr Sicherheit im Alltag. Im beruflichen Trubel kann es nämlich durchaus mal vorkommen, dass Lynn so vertieft in die Arbeit ist, dass sie gar nicht zum Essen kommt oder es einfach vergisst. Genau in diesen Momenten meldet sich ihr Zwergspitz. „Auf Åsas Geruchssinn kann ich mich blind verlassen. Sie schlägt immer an, sobald es wieder Zeit ist und sie hört auch nicht auf, bevor ich nicht etwas gegessen habe“, verrät Lynn im Gespräch mit PETBOOK.
Eigentlich sei es ein totaler Zufall gewesen, dass ihre Hündin zum Diabetikerwarnhund wurde. Erst nachdem Åsa bei ihr gewohnt hatte, brachte sie jemand aus ihrem Umfeld auf die Idee: „Eine Bekannte von mir meinte ‚Mensch, es gibt auch diese Diabetikerwarnhunde. Wär das nicht was?‘ Weil Åsa ist doch so aufgeweckt ist super schnell lernt und so wissbegierig ist.“ Von dieser Idee beflügelt habe sie sich im Netz weiter über das Thema informiert und schließlich eine gute Trainerin gefunden. „Und dann ging alles ganz schnell!“
So lief das Diabetikerwarnhunde-Training ab
Da die Arbeit eines Diabetikerwarnhunds im Zweifelsfall über Leben und Tod entscheiden kann, ist ein gutes und richtiges Training essenziell, damit sich die betroffenen Halter auch auf den Hund verlassen können. Daher muss der extrem feine Geruchssinn des Tieres sowie die richtige Kommunikation zwischen Hund und Halter verlässlich trainiert werden. Dafür wurden mehrere Geruchsproben benötigt, damit der Assistenzhund verlässlich die zu hohen oder zu niedrigen Werte anzeigen kann. Dennoch wolle man dafür nicht extra einen schlechten Wert hervorrufen, erklärt Lynn Johansson.
„Bei mir war das oft so, dass ich nachts schlechte Werte hatte, also oft unterzuckert war. Wenn man unterzuckert ist, dann schwitzt man ziemlich doll. Dieses Shirt habe ich dann in ganz kleine Stücke geschnitten und mit einem Vakuumiergerät die Luft herausgenommen und diese Tüten dann eingefroren. Das war meine Geruchsprobe, mit der ich gearbeitet habe.“ Man habe dann die Neugier an dieser Geruchsprobe aktiviert sowie gleichzeitig ein Kommando aufgebaut. „Da Spitze gerne bellen, ist bellen dann nicht so ein gutes Kommando“, erklärt Lynn lachend. Weshalb Åsa sie nun immer am Bein kratzt, wenn es etwas zu melden gibt.
Das Assistenzhunde-Training schloss Åsa in Rekordzeit ab
„Irgendwann haben wir das so zusammengefügt, dass sie dann nur die Belohnung bekommen hat, wenn sie an der Geruchsprobe, die ich dann am Körper versteckt habe, gekratzt hat.“ Um die Nase des Vierbeiners noch besser auf den Unterzuckerungsgeruch zu gewöhnen, habe sie dann im Ausbildungsprozess gelegentlich Waschmittel, Deo und Parfum gewechselt, um Åsas Spürsinn weiter zu fördern. Das beuge auch vor, dass der Hund nicht aus Versehen auf etwas anderes trainiert wird.
Insgesamt habe sie sich in den knapp fünf Monaten, die das Training gegangen sei, viermal mit der Trainerin getroffen. „Das ist aber nicht der Normalfall. Normalerweise brauchen die Hunde ein bisschen länger, um das alles zu verarbeiten.“ Åsas habe das alles sehr schnell verinnerlicht – was möglicherweise auch an ihrem jungen Alter von nur sechs Monaten lag.
Machen Diabetiswarnhunde auch Fehler?
Die Kosten für die Ausbildung seien nicht von der Krankenkasse übernommen worden, sagt Lynn. Was unterschiedliche Gründe habe. Zum einen wurden Diabetikerwarnhunde lange nicht wirklich ernst genommen und als irgendwas „alternatives“ gesehen. „Man sagt auch immer, wenn der Hund anzeigt, dass der Wert nicht in Ordnung ist, dann solle man trotzdem noch mal das gegenprüfen. Aber das brauche ich bei Åsa nicht, weil sie hatte immer recht.“
Vor allem in den ersten Jahren gab es mehrfach wöchentlich Momente, in denen die Spitzhunde-Dame Lynn auf ihre Diabetiswerte aufmerksam machen musste. Doch in der Zwischenzeit habe sich die Medizin so rasant weiterentwickelt, dass es nun auch Sensoren und Pumpen gebe, die weitestgehend automatisch arbeiteten. Das sorge auch dafür, dass Åsa weniger zu tun habe. Dennoch gäbe es gelegentlich Momente, in denen der wache Spürsinn ihrer Hündin schon angeschlagen habe – noch vor der Maschine.
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„Diesen Abfall vom Zuckerwert riecht sie besonders krass“
„Einmal hat mir Åsa Bescheid gesagt und ich habe gemessen, weil ich mich gut gefühlt habe – der Wert war in Ordnung. Und ich dachte: ‚Na gut, das hat wohl nicht so gut funktioniert.‘ 15 bis 20 Minuten später ist mein Wert so richtig abgerauscht. Ich war dann richtig unterzuckert und sie hat es einfach gerochen. Diesen Abfall vom Zuckerwert, den riecht sie halt besonders krass. Ich kann mich wirklich auf sie verlassen.“ Das hat die zehn-jährige Zwergspitz-Dame schon mehrfach bewiesen, so auch vor Jahren bei einem Praktikum, dass Lynn absolvieren musste.
„Ich wollte da natürlich einen guten Eindruck hinterlassen und war super in die Arbeit vertieft“, erinnert sich Lynn zurück. „Åsa hatte einen Lieblingskollegen, bei dem sie ganz oft dann im Büro war. Es gab eine Situation, da saß sie bei dem auf dem Schoss und war total unruhig, ist zur Tür gerannt, hin und her, hat an der Tür gekratzt und der Kollege wusste überhaupt nicht, was los war.“ Trotz zwei verschlossener Türen zwischen ihnen, konnte die Hündin riechen, dass etwas nicht mit ihrem Zuckerwert stimmte. „Der Kollege hat Åsa dann zu mir gelassen und sie ist schnurstracks auf mich zustürmt, hat angeschlagen und mein Knie gekratzt. Ich hatte selbst schon gemerkt, dass ich wieder was essen müsste, aber wollte noch etwas schnell fertig machen. Es war dann wirklich allerhöchste Eisenbahn.“
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Quellen
- diabetesstiftung.de, „Diabetes – was ist das eigentlich?“, (aufgerufen am 30.08.2023)
- assistenzhunde-zentrum.de, „Diabetikerwarnhund“, (aufgerufen am 30.08.2023)