27. November 2024, 14:54 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Seit vielen Jahren kämpfen Tierschutzorganisationen gegen das Leid der Streunerkatzen. Auch PETBOOK-Redakteurin Louisa Stoeffler war lange der Meinung, dass nur pauschales Kastrieren den Tieren langfristig helfen kann. Ein Buch von einem französischen Katzenpsychologen brachte sie jedoch zum Umdenken.
„Du bist doch Tierschützerin, wie kannst du so was sagen?“ – diese Reaktion würde ich wahrscheinlich bekommen, wenn ich über dieses Thema mit Freunden reden würde. Vielleicht denken auch Sie so als Leser, nachdem sie die Überschrift dieses Textes gesehen haben. Doch bevor Sie wütend ihr Tab auf dem Handy wieder schließen, lassen Sie mich erklären, warum ich nicht mehr für ein pauschales Kastrieren von Katzen bin.
Sollen wir alles den Produzenten von Scottish Fold und Sphynx überlassen?
Meine Meinung zum allgemeinen Kastrieren von allen Katzen hat sich tatsächlich nach der Lektüre des Buches „Das Große Miezverständnis“ (La Folie des Chats) von dem renommierten französischen Katzenpsychologen und Tierarzt Claude Béata verändert. Dort erklärt er, warum er gegen die Massensterilisationen und Kastrationen aller Hauskatzen ist und seine Argumente erscheinen mir schlüssig.
Er schreibt, dass europäische Gesetzgeber sich dafür aussprächen, dass in Zukunft nur noch Würfe aus Züchtungen oder kastrierte Katzen aus dem Tierheim für Handel und Vermittlung erlaubt seien sollten. Doch was würde dies im Umkehrschluss bedeuten?
Alle Tiere aus dem Tierheim sind kastriert. Im Idealfall schaffen wir es irgendwann, die unkontrollierte Vermehrung von Katzen so zu stoppen. Und dann? Müssen wir dann immer zum Züchter gehen, um ein Haustier zu bekommen? Sollen wir die Zucht von Haustieren denen überlassen, die für die Entstehung von Qualzüchtungen wie Scottish Fold, Manx und Sphynx verantwortlich sind?
Was würde ein absolutes Zuchtverbot für Private bedeuten?
Noch sei es Privatpersonen jedoch erlaubt, Tiere aus einem Wurf ihrer Tiere zu vermitteln, schreibt Béata weiter. Dazu müsse man sich laut dem französischen Tierschutzgesetz jedoch formal als Züchter registrieren lassen, was mit Blick auf das Tierwohl vernünftig erscheine. So kann auch garantiert werden, dass Tierärzte die Katzen während der Schwangerschaft kontrollieren und versorgen, bei der Geburt assistieren.
Dann empfehle sich nach einiger Zeit die Abgabe der Kitten und die Suche nach einem liebevollen Zuhause, führt Béata weiter aus. Anschließend könne die Sterilisation oder das Kastrieren von Katze „Minou oder Mieze“ erfolgen. Für mich persönlich klingt dies nach einer guten Lösung. Denn ich brauche keine nach ästhetischen Kriterien hochgezüchteten Hypertypen einer Katze. Ich möchte ein gesundes Tier, das eine liebevolle Katzenmutter kannte, bereits als Baby optimal versorgt wurde und im besten Fall nicht das Trauma erleben musste, auf der Straße um sein Überleben zu kämpfen.
Doch was geschieht, wenn für private Halter ein absolutes Zuchtverbot erlassen wird und nur noch bereits kastriert vermittelt wird? Bei vielen Rassekatzen sei dies bereits der Fall, schreibt der Katzenpsychologe weiter. Jedoch nicht aufgrund des Tierwohls, sondern, um Konkurrenz auszuschalten.
Das Problem mit den Züchtern …
Ich persönlich halte nämlich sehr wenig von gezielter Zucht bei Katzen. Ich brauche keinen glitzernden Aufkleber eines Züchters in meinem Heimtierpass und keine Bezeichnung wie BKH, die als Rasse darin eingetragen wird. Denn gleichzeitig sind viele Rassebezeichnungen dieser Art auch bereits ein Vorbote dafür, welche Krankheiten später in der Tierarzt-Akte erscheinen werden. Schon allein, dass wir hier immer noch „Rasse“ anstatt den wissenschaftlichen Begriff „Unterart“ verwenden, spielt für mich auf eine Vergangenheit an, in der auch Menschen in solche Schubladen gesteckt wurden.
In meiner Arbeit als Redakteurin lese ich viele Beschreibungen von Zuchtkatzen und wenn ich bei der Manx-Katze so etwas sehe wie: „Bei Rumpy fehlt der Schwanz total mit einem ausprägten Loch am Ende des Rückgrates“ frage ich mich, woher wir als Menschen uns eigentlich die Dreistigkeit nehmen, Tiere so zu züchten, dass sie ihr Leben lang leiden. Ich finde, man sollte alle Defektzuchten kastrieren lassen, damit es solche Katzen nicht mehr gibt!
Ich habe über dieses Thema auch bereits mit Haltern von „Trendrassen“ gesprochen. Als Katzensitterin habe ich das erste Mal Scottish-Fold-Katzen in Natur gesehen. Für mich sahen ihre runden, breiten Köpfe und platten Schnauzen so gar nicht mehr nach Katze aus. Auf die Frage hin, woher der Besitzer die Tiere denn habe, konnte oder wollte er keine klare Antwort geben. Er fände einfach nur die eingeklappten Ohren „witzig“.
Nicht so witzig für mich war, dass beide Tiere bereits im Alter von drei Jahren mehrere Krankheiten hatten. Einer der Kater benötigte Tabletten für hypertrophe Kardiomyopathie, der andere litt an polyzystischer Nierenerkrankung. Beide fraßen, seitdem sie ein halbes Jahr alt waren, Spezialnahrung, um ihre Nieren zu unterstützen. Außerdem musste ich ihnen die Ohren saubermachen, da sie dies aufgrund der geknickten Form nicht allein konnten. Zudem zeigten beide Tiere bereits Osteochondrodysplasien – eine Gruppe erblicher Bindegewebs-, Knochen- oder Knorpelerkrankungen, die auch die geknickten Ohren der Tiere bedingen.
… und den Haltern
Auch mit der Halterin von zwei Britisch-Kurzhaar-Katzen sprach ich darüber. Eigentlich waren es drei Tiere, doch eines verstarb nach nur wenigen Monaten wegen massiven Atemproblemen, verursacht durch angezüchtete Kurzschnäuzigkeit. Von der Züchterin bekam sie dann „Ersatz“ aus dem nächsten Wurf, der nur vier Monate später auf die Welt kam. Der Kater hatte wieder eine hervorstehende Schnauzpartie, wobei der Bereich um seine Nase herum wie eingefallen wirkte. Béata findet dafür die klangvolle Bezeichnung „konkav geknautscht“.
Offensichtlich war in diesem rasch „vermehrten“ Ersatz für die verstorbene Katze mehr als nur ein bisschen Perser, sprich Qualzucht, enthalten. Das Riechorgan des Tieres war winzig. Entsprechend schnarchte auch er ein Leben lang, bewegte sich nie schneller als moderat und litt ebenfalls an Atemnot.
Mit zwei Jahren wurden erhöhte Nierenwerte festgestellt, weshalb das Tier auf Spezialfutter umgestellt werden musste. Im letzten Lebensjahr mussten ihm sämtliche Zähne gezogen werden, weil er an FORL erkrankte. Trotzdem sagte mir diese Halterin, bei einem Tier aus dem Heim wisse man ja nicht, was man da bekommt. Sie wolle lieber etwas flauschiges „nettes“ zum Kuscheln. Ihr Kater wurde nur sieben Jahre alt.
Sollten wir wirklich erst im Tierheim aktiv werden?
Ich persönlich brauche also definitiv keine vom Züchter stammende, perfekt proportionierte Katze, die auf einer Rasseschau ohne Abzüge in der B-Note prämiert wurde. Ich möchte eine gesunde Katze, der nicht bereits durch ihre angezüchtete Genetik die Veranlagung für schlimme Krankheiten mitgegeben wurden.
Doch sollten wir wirklich erst da aktiv werden, wo Katzen im Tierheim landen, weil sie sich weiter im Schatten vermehren und unglaubliches Leid produziert wird? Verstehen Sie mich jetzt nicht falsch: Hinter der Idee, nur noch Tiere aus dem Tierschutz zu vermitteln, stehe ich. Alle meine Katzen kennen Tierheime von innen.
Und ja, man weiß nicht, was man bekommt, wenn man Tiere dort herausholt. Diese Katzen haben Vorgeschichte, haben Leid erfahren müssen. Sie sind als Streuner durchs Land gezogen und hatten niemanden, der sich dauerhaft um sie gekümmert hat. Viele von den verhaltensauffälligen Tieren mit denen Béata in seiner Arbeit konfrontiert ist, hatten keine Mutterkätzin, die ihnen alles beigebracht hat. Später zeigen sie schwere Verhaltensauffälligkeiten und benötigen sogar Psychopharmaka.
Der Mensch kann nie die Mutterkatze ersetzen
Dies nennt sich Schezipathie, also mit Bindungserfahrungen zusammenhängendes Leid. Bei diesen Tieren fehlen grundlegende Fähigkeiten, Bindungen aufzubauen oder Beziehungen zu pflegen. Meist geschieht dies, wenn Kitten nicht ausreichend von ihrer Mutter versorgt wurden. Sei es, dass ihre Schwangerschaft sie so ausgezehrt hatte, dass sie lange brauchte, um sich zu erholen, oder sie durch ihr ungeschütztes Leben als Streunerin gar ums Leben kam.
Findelkätzchen und Handaufzuchten starten so mit schweren kognitiven und seelischen Beeinträchtigungen ins Leben. Sie haben nie gelernt, ihre Impulse zu kontrollieren und können zwar einen Baum hinaufklettern, aber nicht wieder selbst hinunter, weil die Kätzin es ihnen nicht mehr beibringen konnte. Eine Handaufzucht lernt nicht zuerst spielerisch zu jagen und wird von der Katzenmutter auch nicht korrigiert, wenn sie dabei zu grob vorgeht.
Folglich entstehen Verhaltensauffälligkeiten, weil der Mensch in der Erziehung einer Katze zwangsläufig viele Fehler macht. Wer also wäre besser geeignet als eine geliebte Hauskatze, die ihre Jungen mithilfe von Halter und Tierarzt zur Welt bringt, um gut sozialisierte, tolle Katzenkinder in die Welt zu setzen?
Mir ist klar, dass dies eine idealisierte Vorstellung ist
In einer Welt, in der dieses System gut funktioniert, müsste so kein Tier im Tierheim landen und keines würde ohne Schwanz und ohne Schnurrhaare geboren. Die Tiere würden gut vermittelt, in ein Zuhause mit tollen Menschen, die sich ein Leben lang um sie kümmern. Also warum nicht? Warum sollte eine gut sozialisierte Hauskatze nicht ein oder zwei Würfe haben, die zu anhänglichen, liebevollen Haustieren werden?
Weil an dieser Stelle die Probleme mit meiner sehr idealisierten Vorstellung auftreten. Wie will man kontrollieren, dass die Katze wirklich nur einen oder zwei Würfe bekommt und wenn wir nicht kastrieren als „lukrative Einnahmequelle“ missbraucht wird? Denn wir kastrieren unsere Katzen, weil mit der fortlaufenden Läufigkeit natürlich gesundheitliche Probleme verbunden sind. Mehrere Schwangerschaften pro Jahr laugen eine Kätzin auf Dauer komplett aus. Denn unkastrierte Kätzinnen haben nun einmal einen Fortpflanzungsdruck, der sie sehr belastet, wenn sie nicht gedeckt werden.
Das Tierschutzgesetz müsste also entsprechend lückenlos angepasst werden, eine Katzenschutzverordnung müsste in Kraft treten. Und wirksamen Tierschutz zu schaffen, stellt uns in Deutschland ja scheinbar vor unüberwindliche Hürden. Denn wir bräuchten ihn nicht auf der Kommunal- oder Länderebene, sondern bundesweit. Am besten noch auf EU-Ebene, damit niemand in Nachbarländer fährt und sich von Vermehrern „witzige“ Scottish Fold besorgt. Was Béata für das französische Tierschutzgesetz beschreibt, würde in Deutschland in ewiger Bürokratie und Zuständigkeits-Bingo untergehen.
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Denn natürlich soll dies kein Einstieg in eine nicht zu kontrollierende Hobbyzucht und in eine Katzenschwemme werden. Daher müsste in einer idealen Welt komplette Transparenz und vor allem ein allgemeingültiger Tierschutzgedanke bei allen vorherrschen. In Deutschland leben über 15 Millionen Katzen, der Bedarf nach Haustieren ist also hoch. Doch müssen es gezielte Züchtungen oder traumatisierte Streuner sein? Kann es nicht einen idealen, dritten Weg geben?
Ich will auch nicht sagen, dass Katzen, die ihr Leben als Streuner begannen, keine wundervollen Geschöpfe sind. Doch wäre es mir lieber, wenn meine aus einem Inzestwurf stammende Minka nicht so ins Leben gestartet wäre. Als sie mit sieben Monaten zu mir kam, hatte sie bereits einen eigenen Wurf. Ich habe nie herausbekommen, was aus den Kitten geworden ist. Mir wäre es auch lieber, wenn mein Kater Remo nicht bei jedem lauten Geräusch zusammenzucken würde und er nicht vor jeder erhobenen Stimme Angst hätte, was sich für mich nach einem Trauma anfühlt.
Daher muss ich auch noch eine weitere Einschränkung in meine Idealvorstellung geben. Denn alle diese Überlegungen zu einer natürlichen Generationenfolge bei Katzen gilt natürlich nicht für unkastrierte Freigänger! Diese würden dem versteckten Problem der Elendsvermehrung von Katzen mit Fortpflanzungsdrang natürlich überhaupt nicht helfen, sondern die Situation der halterlosen Katzen noch weiter verschlimmern. Allerdings überlege ich auch, wie es wäre, wenn ich Minkas Kitten gekannt hätte und ob Remo nicht ein toller Katzenpapa geworden wäre.
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