21. September 2023, 13:57 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Vom verwahrlosten Streunerkitten, dem die Ärzte keine Chance gaben, zum gefeierten Social Media-Star auf TikTok: Es klingt wie eine Geschichte aus einem tierischen Familienfilm, doch sie ist wirklich so passiert. Es ist die Geschichte von Kater Schnurrbert und seiner Halterin Laura.
Niemals hätte es Katzenhalterin Laura für möglich gehalten, dass der junge Kater mit den extrem verformten Vorderbeinen, den sie im Straßengraben gefunden hat, es zum Social-Media-Star schaffen würde. So werden die Videos, die den Alltag von Kater Schnurrbert und ihr zeigen, mittlerweile millionenfach geklickt – vor allem bei der Videoplattform TikTok. PETBOOK sprach mit der jungen Tierschützerin.
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PETBOOK: Wie bist Du an Schnurrbert gekommen?
Laura: „Ich arbeite im Wechselschichtdienst und habe Schnurrbert in meinem Nachtdienst gefunden. Wir waren mit dem Auto unterwegs und ich habe ihn dort am Straßenrand kauern sehen. Zunächst dachte ich mir: ‚Er gehört schon irgendwo hin – sicher ist die Mutterkatze irgendwo.‘ Es hat mir dann aber keine Ruhe gelassen und ich bin etwa zwei Stunden später erneut vorbeigefahren. Da saß er immer noch dort, zu einem kleinen Knäuel zusammengekauert. Er war super verängstigt, aber schon zu schwach, um wegzulaufen.
Wir haben ihn dann erst mal im Fußraum mitgenommen, später aber einen Katzenkorb organisiert bekommen. Eigentlich wäre er dann ins Tierheim gegangen. Er war logischerweise nicht gechippt und so wie er aussah, wurde er anscheinend auch nicht vermisst. Er muss schon tagelang allein unterwegs gewesen sein. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihn im Tierheim in eine Notfallbox zu setzen. Also haben wir ihn als Fundtier gemeldet, ich habe früher Feierabend gemacht und ihn mit nach Hause genommen.“
Der Tierarzt riet zum Einschläfern
In welchem Zustand war Schnurrbert als du ihn gefunden hast? Warum wollte der erste Tierarzt ihn einschläfern?
„Sein Zustand war schlecht. Er war schwach, dehydriert und abgemagert. Außerdem hatte er entzündete Augen und war voller Flöhe, Milben und anderem Viehzeug. Dass seine Beine so stark deformiert sind, ist mir tatsächlich erst am nächsten Morgen aufgefallen. Ich habe natürlich nachts nichts mehr auftreiben können und konnte ihm nur etwas verdünnte, laktosefreie Milch anbieten. Am nächsten Morgen bin ich dann sofort losgezogen und habe Aufzuchtsmilch und Co. besorgt. Tatsächlich habe ich früher schon meine erste Katze mit der Flasche aufgezogen. Die hatte ich damals in unserem Vorgarten gefunden. Irgendwie finden die Tiere mich, nicht umgekehrt.“
Wie ging es dann weiter?
Am zweiten Tag hatte ich einen Termin bei einem Tierarzt im Nachbarort. Das war der Horror. Er kam in den Behandlungsraum, hat ihn ziemlich grob angefasst und ist sofort mit den Worten ‚Oh, das sieht böse aus‘ zum Röntgen weg. Ich kam gar nicht richtig zu Wort. Als er wieder zurückkam, erklärte er mir, dass es sich dabei um eine starke Deformierung handle und man da ‚nichts machen‘ könne. Er riet mir zum Einschläfern und meinte, dass es verlängertes Leid wäre, ihn so zu lassen.
„Er hat uns jeden Tag gezeigt, dass er leben will“
Warum habt ihr euch dagegen entschieden, ihn einschläfern zu lassen?
Ich war dann etwas ungehalten, muss ich sagen und angemerkt, dass man doch irgendetwas versuchen muss, bevor man ihn einschläfert. Er meinte dann, man könne ihn für einige Zeit schienen, das wäre ‚zumindest ein Versuch‘. Er machte dabei aber deutlich, dass er der Meinung sei, dass es nichts bringe. Schnurrbert wurde geschient und ich habe am nächsten Morgen direkt in der Klinik angerufen, in der ich mit meiner ersten Katze auch war. Die waren sowohl fachlich als auch menschlich super und auf dem neusten Stand der Technik.
Die Zeit bis zu dem Termin haben wir genutzt, um ihn aufzupäppeln. Es war viel Arbeit, sein Immunsystem war im Keller, seine Verdauung schlecht. Der Kampf gegen die Flöhe war hartnäckig. Aber er hat uns jeden Tag gezeigt, dass er leben will. Hat uns von Anfang an die Haare vom Kopf gefressen und ist nach und nach aufgetaut. Anfangs war er natürlich sehr scheu, das hat dann aber schnell nachgelassen.“
Woher kommt die Deformation bei Schnurrbarts Beinen?
„Die Fehlbildung ist wohl angeboren. Sicherlich wegen einer Unterversorgung bereits im Mutterleib.“
Um ihm ein schmerzfreies Leben zu ermöglichen, müsste er operiert werden. Was genau würde da gemacht werden?
„Bei unserem ersten Termin in der Klinik wurden mir verschiedene Vorgehensweisen dargelegt. Es wurde ein CT gemacht und erneut geröntgt. Er wurde von oben bis unten durchgecheckt, inklusive sämtlicher Bluttests. Aber mein Bauchgefühl war richtig, man kann ihm sehr wohl helfen! Der Spezialist hat ihn angeschaut und mir wurde ein Kostenvoranschlag gemacht. Natürlich war das eine ordentliche Summe, die so ziemlich keiner einfach zu Hause herumliegen hat für ein Tier, welches er ein paar Tage zuvor auf der Landstraße gefunden hat. Normalerweise sind meine Tiere gut krankenversichert. Das kann ich bei den Beträgen, die tierärztliche Behandlungen mittlerweile kosten, auch nur jedem ans Herz legen. Wir sind nach dem CT dann erst einmal wieder nach Hause. Die Bilder mussten ausgewertet werden und wir sollten Bescheid bekommen.
„Er kommt bislang gut mit der Fehlbildung klar“
Habt ihr die Ergebnisse der Untersuchung schon erhalten?
„Ja, ein paar Wochen später wurde ich dann angerufen und mir wurde mitgeteilt, dass seine Handwurzelgelenke und Pfoten beidseits stark deformiert sind. Weiterhin fehlen ihm an beiden Seiten die Daumen. Man riet mir vom Spezialisten zu einer Versteifung der Handwurzelgelenke, damit sich dort keine Arthrosen bilden können. Diese würden sich ohne OP bei Schnurrbert sehr früh entwickeln und zu großen Schmerzen führen. Er bräuchte dann früh Schmerzmittel und hätte sicher keine lange Lebenszeit.
Die Versteifung könne allerdings erst durchgeführt werden, wenn die Gelenke ausgewachsen sind. Demnach wird die OP erst kommendes Frühjahr stattfinden. Das war zwar überraschend für mich, weil es sich bis dato so angehört hatte, als würde er in den nächsten Wochen operiert werden. Das ist aber gar nicht so schlecht, da er bis dahin hoffentlich komplett fit ist. Er hat immer noch etwas Probleme mit dem Immunsystem, den Augen und der Verdauung.“
Wie geht es ihm jetzt?
„Bis auf seine kleinen Wehwehchen geht es ihm gut! Er ist ein junger, aufgeweckter Kater geworden, der Spaß am Leben hat. Er kommt bislang gut mit der Fehlbildung klar bzw. kompensiert es über seine Ellenbögen. Das ist auf Dauer natürlich auch nicht gut, aber bis zur OP hat er so eine gute Lebensqualität. Er ist sehr anhänglich. Außerdem begleitet er mich schon jetzt immer mal auf kleineren Ausflügen, beispielsweise zur Familie. Im Altenheim war er auch schon. Er ist neuen Situationen super offen gegenüber und hat kein Problem mit wechselnden Umgebungen, was für Katzen ja eher untypisch ist. Er ist da etwas anders. (lacht)“
So schätzen die Ärzte seine Lebenserwartung nach der OP ein
Die OP kostet mehr als 6000 Euro. Konntet ihr das komplett mit Spenden finanzieren?
„Die Summe für die OP ist super schnell zusammengekommen – quasi über Nacht! Ich war total überwältigt über so viel Anteilnahme, das war wirklich emotional. Aber auch eine totale Erleichterung zu wissen, dass wir ihm die bestmögliche medizinische Behandlung bieten können. Das Geld für die OP ist natürlich bis zum OP-Termin im Frühjahr zur Seite gelegt.“
Haben die Ärzte etwas zu seiner Lebenserwartung gesagt? Muss er regelmäßig irgendwelche Medikamente nehmen?
„Nach der OP wird seine Lebenserwartung die von einer ‚normalen‘ Katze sein. Er wird nahezu keine Einschränkungen haben und deswegen auch keine Medikamente brauchen. Das war mir aber auch wichtig. Bei aller Tierliebe – die Lebensqualität muss gegeben sein, das muss an erster Stelle stehen.“
In deinem Haushalt lebt noch ein Hund – wie verstehen Schnurrbert und er sich? Wie lief das mit der Vergesellschaftung?
„Ja, der Frankie! Auch ein früheres Fundtier, aber von meinem Lebensgefährten. Das war etwas schwierig am Anfang. Zwar kennt Frankie Katzen, aber nur draußen, nicht in seinem Revier. Wir haben das ganz langsam gemacht. Wir haben unbedingt vermieden, dass einer von beiden negative Erfahrungen macht. Mit ganz viel Geduld und Rückzugsmöglichkeiten für beide Seiten haben sie sich nach und nach aneinander gewöhnt. Wichtig ist, dass gewisse Dinge klar getrennt werden, zum Beispiel das Futter. Mittlerweile verstehen sie sich zum Glück ganz gut und man kann sie auch mal zusammen alleine lassen.“
„Früher war ich immer total gegen diese Leinen bei Katzen“
Um ihm auch die Möglichkeit zu ermöglichen, die Außenwelt zu erkunden, lässt du ihn mit einem Geschirr in den Garten. Wie funktioniert das? Wie hast du ihn daran gewöhnt?
„Ich war früher immer total gegen diese Leinen bei Katzen, um ehrlich zu sein. Mittlerweile hat sich meine Sicht da etwas geändert. Wie zuvor erwähnt, ist Schnurrbert sehr offen für neue Dinge. So auch für das Geschirr. Das war bei ihm überhaupt kein großer Akt. Ich weiß aber sehr wohl, dass viele Katzen das gar nicht mögen.
Schnurrbert hat das schon am dritten oder vierten Tragen gar nicht mehr interessiert. Mittlerweile weiß er auch, dass das Geschirr bedeutet, dass wir rausgehen. Dann kommt er schon angelaufen. Wir wohnen direkt am Ortseingang, hier wird oft recht schnell gefahren und Schnurrbert gehört nicht unbedingt zu der vorsichtigen Sorte Katze. So kann ich ihm aber trotzdem ermöglichen, dass er die Welt entdecken kann, ohne ihn zu gefährden.“
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„Schnurrbert hat mein Leben in vielerlei Hinsicht bereichert.“
Gibt es eine Anekdote mit Schnurrbert, die du gerne mit uns teilen würdest?
„Schnurrbert kam als verängstigtes, fauchendes und ungepflegtes Kätzchen zu mir. Mittlerweile ist er ein wundervoller Weggefährte und für jedes Abenteuer zu haben. Diese Entwicklung hat nur wenige Monate gedauert. Schaut mal beim Tierschutz oder eurem örtlichen Tierheim vorbei, wenn ihr mit dem Gedanken spielt, eine Katze zu adoptieren. Sie sind so dankbar und haben es verdient.“
Wie hat sich dein Leben durch Schnurrbert verändert?
„Total! Schnurrbert hat mein Leben in vielerlei Hinsicht bereichert. Er ist mittlerweile ein kleiner Social-Media-Star geworden. Wir nehmen unsere immer größer werdende Community täglich in unserem Alltag mit. Das Ganze hat sich schon so weit entwickelt, dass wir gerade an der Planung unseres eigenen Onlineshops sitzen. Ich habe schon seit Jahren den Wunsch, mir selbst etwas aufzubauen. Durch Schnurrbert kann ich es jetzt. Er hat mir den Anstoß dazu gegeben, den ich gebraucht habe. Das hätte ich nie gedacht, als ich das kleine Fellknäul in unseren Fußraum gesetzt habe.“