10. April 2024, 6:11 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Vor allem für Katzen – aber auch für ihre Menschen ist der Besuch beim Tierarzt purer Stress. Viele Praxen werben daher damit, besonders katzenfreundlich zu sein. Doch was steckt hinter dem Zertifikat „Cat Friendly Clinic“ und lohnt sich dafür auch ein weiterer Anfahrtsweg?
Mit der Katze zum Tierarzt – oftmals purer Stress für Mensch und Tier. Vor allem sensible Tiere leiden nicht nur unter dem Transport zur Untersuchung. Die fremden Gerüche, Geräusche und ungewohnte Eindrücke in der Praxis setzen ihnen zu. Um die Untersuchung für Tier, Halter und medizinisches Personal angenehmer zu gestalten, gibt es inzwischen immer mehr Kliniken, deren Tierarztpraxis als besonders katzenfreundlich gilt. Dort wird besonders auf die Bedürfnisse sensibler Haustiere geachtet. Doch um das Zertifikat „Cat Friendly Clinic“ zu erhalten, müssen Praxen bestimmte Voraussetzungen erfüllen. PETBOOK erläutert, worauf es dabei ankommt.
Was ist eine katzenfreundliche Tierarztpraxis?
Tierarztpraxen oder Kliniken können sich unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Label „Cat Friendly“ auszeichnen lassen. Dazu müssen sowohl in den Räumlichkeiten von Praxis oder Klinik als auch hinsichtlich der Mitarbeiter zahlreiche Vorgaben eingehalten und die speziellen Bedürfnisse von Katzen berücksichtigt werden. Tierarztbesuche sollen so für alle Beteiligten, also Halter, Patient und Mediziner, stressfreier ablaufen.
Weltweit werden Tierarztpraxen und -kliniken nach den Standards des „Cat Friendly Practice“-Programms zertifiziert. Praxen, die als katzenfreundlich ausgezeichnet werden wollen, müssen auf die speziellen Bedürfnisse der Tiere ausgerichtet sein. Dazu gehören unter anderem
- reizärmere Warte- und Untersuchungszimmer
- spezifische Fortbildungen für das Praxisteam
- empathischer Umgang mit Katzenwelpen und erwachsenen Tieren
- Kenntnisse der Besonderheiten bei Schmerzbehandlungen und Operationen
- Einhaltung besonderer Standards bei stationärer Aufnahme von Katzen
- Wissen über vorbeugende medizinische Versorgung von Katzen aller Altersgruppen
Wer zeichnet katzenfreundliche Praxen aus?
Die Bezeichnung „Cat Friendly Clinic“ entstand 2012 auf Betreiben der International Society of Feline Medicine (ISFM), also der Internationalen Gesellschaft für Katzenheilkunde, und der American Association of Feline Practitioners (AAFP). Die ISFM ist der Veterinärzweig der Organisation International Cat Care.
Neben den festgelegten Kriterien beinhaltet das Programm unter anderem Lehrmaterialien, Möglichkeiten zu Webinaren, Checklisten und Ratschläge, wie sich die Voraussetzungen im Praxisalltag umsetzen lassen. Auch umfangreiche Tipps, wie sich die Auszeichnung bewerben lässt, sind auf der Web-Seite zu finden.
Wie wird eine Praxis katzenfreundlich?
Zunächst müssen die Betreiber einer Praxis oder Klinik sich für das Programm akkreditieren lassen, also zwecks Zulassung anmelden. Dazu muss unter anderem ein Bogen zur Selbsteinschätzung ausgefüllt werden, in dem auch Angaben zu den Räumlichkeiten gemacht werden. Daraufhin erhalten die Mitarbeiter der Praxis unter anderem Schulungsunterlagen und weitere Materialien, aus dem die Anforderungen für die Cat Friendly Practice hervorgehen.
Wie etwa das Zentrum für Kleintiermedizin aus Lehrte-Ahlten nahe Hannover auf seiner Homepage mitteilt, gibt es drei Kategorien für eine Zertifizierung: Bronze, Silber und Gold. Bronze beinhaltet demnach unter anderem Abtrennungen innerhalb eines Wartezimmers, sodass Hunde und Katzen separate Bereiche zugewiesen sind. In der Kategorie Silber steht Katzen ein eigenes Wartezimmer zur Verfügung.
Um Gold zu erreichen, müssen im Wartezimmer zusätzliche Einrichtungen vorhanden sein, etwa erhöhte Abstellplätze für Transportkörbe. Auch ein extra Sprechzimmer für Katzen und eine Mindestdauer der Untersuchung oder Konsultation von 15 Minuten sind einzuhalten, wenn eine Praxis mit dem Gold-Label zertifiziert werden möchte.
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Anforderungen auch an Mitarbeiter
Um das Label „katzenfreundlich“ zu erhalten, werden zudem alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Klinik oder Praxis in das Programm einbezogen, wie es in den Leitlinien der ISFM zu dem Programm heißt.
Zudem verfügt demnach jede bei dem Programm eingetragen Praxis über einen „Cat Advocate“, der aus dem Kreis der Angestellten stammt. Diese Mitarbeiterin soll die Einhaltung der katzenfreundlichen Standards innerhalb der Praxis, in der sie selbst tätig ist, überwachen, Ansprechpartnerin für Katzenhalter sein und auf spezielle Fragen und Bedürfnisse eingehen können.
Was ist das Ziel einer katzenfreundlichen Tierarztpraxis?
Neben einer reizarmen Umgebung und dem freundlichen Umgang mit Patienten und Haltern soll bei Ärzten und Mitarbeitern auch spezielles Katzenwissen vorliegen. Tierärzte bekommen vermittelt, auf welche Signale sie bei der Behandlung von Katzen besonders achten müssen, wie Katzen „ticken“ und welche Eigenarten sie haben.
Auch auf Mediziner und Mitarbeiter in Kliniken und Praxen geht das Programm ein. So wird unter anderem zu ruhigem Verhalten und sanftem Umgang geraten, um eventuelle Angriffe verängstigter Tiere vermieden zu können. Auf den mitunter in Praxen angewandten Nackengriff sollte dabei ebenso verzichtet werden wie lautes Sprechen und hohe, schrille Töne.
Auch Halter werden einbezogen
Zudem sollten sich Mitarbeiter einer katzenfreundlichen Tierarztpraxis auch intensiver mit den Haltern beschäftigen, um etwa zu erfahren, wie deren Tiere zu Hause leben. Was bekommen sie zu fressen, wie sieht ihr Alltag aus? Wird die Katze mit selbst gemachtem Futter gefüttert, bekommt sie Fleisch, Dosenfutter oder wird sie vielleicht sogar vegetarisch ernährt? Bekommt sie ihr Futter wie ein Hund ein oder zweimal am Tag oder wird sie – wie es ihrer Natur als Jägerin entspricht – mehrmals am Tag mit kleinen Portionen versorgt?
Auf katzenspezifische Probleme achten
Das Programm möchte Tierärzte und Mitarbeiter von Kliniken und Praxen ferner dafür sensibilisieren, katzentypische Probleme rasch zu erkennen und darauf reagieren zu können. Berichten die Halter von Unsauberkeit ihres Tiers, macht es in Ecken oder markiert? Dann sollten Tierärzte im Gespräch mit den Haltern herausfinden, woran das liegen könnte: Vielleicht mag die Katze die Streu in der Toilette nicht, vielleicht ist der Rand des Kistchens für das Tier zu hoch, vielleicht steht es an der falschen Stelle?
Ist dagegen das Fell der Katze spröde, müsse das nicht allein auf unpassendes Futter zurückzuführen sein. Auch könne das ein Zeichen für Zahnprobleme der Katze, eine schlechte Nährstoffverwertung oder Schilddrüsenprobleme sein.
Katzenfreundliche Tierarztpraxis – lohnt sich das?
Schaden wird der Katze die Untersuchung in einer zertifizierten Praxis nicht. Auch für manche Halter dürfte es angenehmer sein, in einem Wartezimmer ohne bellende Hunde sitzen zu können.
Ansonsten kommt es darauf an, welche Art Katze man hat. Ist sie ein Sensibelchen, reagiert sie gestresst oder gar aggressiv, wenn sie zum Tierarzt muss? Ist das Tier verängstigt, wenn es im Wartezimmer mit anderen Tieren und Menschen konfrontiert wird? Dann kann es sinnvoll sein, eine katzenfreundliche Tierarztpraxis auszuprobieren. Denn nicht nur die Räumlichkeiten, sondern auch die Mitarbeiter zeigen besonderes Engagement für Samtpfoten.
Behandlung in katzenfreundlicher Praxis in der Regel teurer
Zudem nehmen sie sich meist mehr Zeit für ihre Patienten und deren Halter, haben auf Katzen ausgelegte Behandlungsmethoden und Untersuchungszimmer. All das erleichtert den Tieren den Besuch und beruhigt auch die Halter.
Allerdings: Tiere sind Privatpatienten, für eine längere Untersuchungsdauer und aufwendigere Behandlungen müssen Halter in der Regel tiefer ins Portemonnaie greifen. Ohnehin sind die Gebühren für Tierarztbesuche gestiegen. Wer also Extras möchte, muss sich bewusst machen, dass sie in der Regel auch extra kosten.
Katzenhalter sollen Stammkunden werden
Wer sich den Leitfaden der zertifizierenden International Society of Feline Medicine (ISFM) ansieht, wird feststellen, dass das Programm zahlreiche Marketing- und Werbetipps für Tierärzte beinhaltet. Ziel ist es nämlich auch, Katzenhalter zu regelmäßigen Besuchen zu motivieren und für Beratungen zu gewinnen. „Wie der Katzenkunde zum Stammkunden wird“, lautet etwa ein Kapitel des Leitfadens der ISFM.
Ein anderes widmet sich „Trends bei Katzenbesitzern“ und schreibt unter anderem, dass „der große und potenziell wohlhabende Anteil der Gesellschaft, der seine Katzen liebt und versorgt“, zum Auf- und Ausbau von Kliniken beitragen könne – wenn „man ihn nur motivieren könne“, sich mit der Gesundheit seiner Samtpfote auseinanderzusetzen. Und dann regelmäßig mit dem Tier zum Arzt zu gehen. An Ärzte und Klinikbetreiber gewandt heißt es zudem, das Programm wolle die „klinischen und finanziellen Vorteile einer katzenfreundlichen Klinik“ vermitteln.
Fazit
Wer sich eventuell anfallende Extra-Ausgaben leisten kann und seinem Tier Stress und Ängste vor und während der Behandlung ersparen möchte, ist in einer zertifizierten, katzenfreundlichen Praxis sicherlich gut aufgehoben. Ist die Katze dagegen unempfindlich und hat weder mit Arztbesuchen noch anderen Tieren im Wartezimmer ein Problem, ist eine katzenfreundliche Tierarztpraxis kein Muss. Erst recht nicht, wenn man mit der bisherigen Behandlung zufrieden ist.
Hat man ein Angsttier, möchte aber nicht in eine zertifizierte Praxis wechseln, kann man außerdem mit der eigenen Tierärztin oder dem Tierarzt sprechen und etwa nach Terminen fragen, zu denen weniger los ist in der Praxis. Auch der Bitte um einen besonders liebevollen Umgang mit dem sensiblen Tier wird bestimmt gerne nachgekommen – auch ohne Zertifikat.
Meine persönliche Erfahrung
Mit meinem Kater Archie gehe ich in eine Tierarztpraxis, die ein „Cat Friendly“ Zertifikat hat. Ich habe mich für diese Praxis entschieden, da ich Archie aus dem Tierheim habe und seine bisherige Vorgeschichte nicht kenne. Dementsprechend wusste ich nicht, wie er sich bei Tierärzten verhält. Zudem ist Archie schwer krank und muss regelmäßig behandelt werden. Daher war es mir besonders wichtig, dass er bei den häufigen Terminen so wenig Stress wie möglich ausgesetzt wird: Dafür sorgen unter anderem ein separater Wartebereich und Behandlungszimmer nur für Katzen. Das geschulte Personal geht intensiv auf seine Probleme ein und nimmt sich besonders viel Zeit für eine behutsame Behandlung. Das erleichtert sowohl ihm als auch mir die Besuche.
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Quellen
- catfriendlyclinic.org, „Cat Friendly? Why is it so important for you and your cat?“ (aufgerufen am 10.04.2024)
- catfriendlyclinic.org, „Leitlinien zur Schaffung einer Cat Friendly Clinic“ (aufgerufen am 10.04.2024)
- zentrum-kleintiermedizin.de, „Cat Friendly Clinic – Katzenmedizin auf höchstem Niveau“ (aufgerufen am 10.04.2024)
- icatcare.org, „International Society of Feline Medicine“ (aufgerufen 10.04.2024)
- vetfocus.royalcanin.com, „Das „Cat Friendly practice“ Programm“ (aufgerufen am 10.04.2024)