23. September 2024, 12:21 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Es müssen nicht immer Hund und Katze sein! Seit Jahren setzt sich der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe mit dem Titel „Heimtier des Jahres“ für Arten ein, die häufig wenig Beachtung erhalten oder falsch gehalten werden. 2025 trägt den Titel daher ein Tier, über das es wohl so viele Vorurteile gibt, wie über wenige andere.
Im Jahr 2023 lebten laut Daten des Zentralverbandes Zoologischer Fachbetriebe (ZZF) 240.000 von ihnen in Haushalten in Deutschland. Doch hegen noch immer viele Menschen unbegründete Vorurteile gegenüber den schlauen Tieren. Die Rede ist von der Farbratte. Einem intelligenten und doch missverstandenem Nagetier, das deswegen zum „Heimtier des Jahres 2025“ bestimmt wurde.
Umbenannte Krankheitsüberträger oder liebevolle Haustiere?
Die Farbratte (Rattus norvegicus domestica) trägt schon in ihrem lateinischen Namen, dass sie ein Haustier ist. Denn sie stammt zwar von der Wanderratte (Rattus norvegicus) ab, wurde aber bereits im 19. Jahrhundert gezielt gezüchtet. Doch noch immer haftet den niedlichen Nagern das Vorurteil an, sie seien unsauber und wären maßgeblich an der Übertragung der Pest im Spätmittelalter beteiligt gewesen.
Auch der Trend zur „Punk-Ratte“ in den 1980er-Jahren machte sie zwar bei vielen als Heimtier beliebt – andere übertrugen jedoch ihre Vorurteile gegenüber Punkern und ihrer unangepassten Lebensweise auf die Tiere. Und doch leben laut dem ZZF rund eine Viertelmillion Farbratten als Heimtiere in Deutschland. Damit belege sie unter den 4,6 Millionen Kleinsäugern den fünften Platz in der Beliebtheitsskala.
Doch scheinbar werden die anhänglichen, anspruchsvollen und verspielten Nager noch immer unterschätzt. „Es ist gar nicht so bekannt, wie bezaubernd Farbratten als Begleiter des Menschen sind: Die Tiere sind nicht nur intelligent und neugierig, sondern sie bauen auch eine Bindung zu ihren Haltern auf. Zudem wird immer noch unterschätzt, wie viel Beschäftigung und Platz die Tiere brauchen“, erklärt ZZF-Präsident Norbert Holthenrich.
Heimtier des Jahres 2025 haftet „Schädlingsimage“ an
Auch wenn eine Zuchtratte nie hinter einer Imbissbude nach Abfällen gestöbert hat, halten sie viele immer noch für unwillkommenes Getier. „Zu Unrecht“, sagt Jessica Link, Tierärztin und Mitglied in der ZZF-Jury „Heimtier des Jahres“: „Leider haftet den Tieren immer noch ein Image an, das geprägt ist durch eine Zeit, in der Ratten vor allem als Schädlinge betrachtet wurden.“
Doch anders als Kleintiere wie Kaninchen oder Meerschweinchen sind Ratten eigentlich die besseren Haustiere. „Während viele andere Kleinsäugerarten nur behutsam an Menschenkontakt gewöhnt werden können, gehören die dämmerungsaktiven, reinlichen Farbratten zu den verschmusten Heimtieren, die für Berufstätige, aber auch für Familien mit Schulkindern geeignet sind.“
Voraussetzung für eine positive Erfahrung mit den niedlichen Nagern sei jedoch eine tiergerechte Haltung: „Farbratten sind hochsoziale, gesellige Tiere und sollten auf keinen Fall allein gehalten werden“, sagt Jessica Link. Die Nagetiere fühlen sich zu dritt oder noch besser in einem Rudel ab vier Tieren wohl.
Agility und Clickertraining? Kein Problem für Farbratten
Farbratten gelten als lernfähig und anpassungsfähig. Sie können sich daran gewöhnen, eine „Toilette“ – also zum Beispiel ein Behältnis mit saugfähigem Einstreumaterial – zu benutzen. Zudem gibt es Hinweise in Studien, dass Ratten ein gutes Gedächtnis besitzen, Gesichtsausdrücke interpretieren können und die Regeln einer Klangfolge verstehen. Außerdem springen sie vor Freude in die Luft, wenn man sie kitzelt und haben eine so starke Vorstellungskraft, dass sie sich auch in virtuellen Räumen bewegen können.
Wie intelligent sie tatsächlich sind, ist jedoch noch lange nicht zu Ende erforscht. „Engagierte Rattenhalter wissen aber schon lange, dass ihre Tiere schlaue Kerlchen sind, die komplexe Tricks lernen können. Sie betreiben mit den Nagern Clickertraining oder Agility oder beschäftigen sie mit Intelligenzspielzeug, das für Katzen und Hunde vorgesehen ist“, erzählt Selina Schlierenkamp, Tierwissenschaftlerin und Referentin für Heimtiere beim ZZF.
Gut erforscht ist auch, dass Ratten nicht nur den Kontakt zu Artgenossen suchen: „Wenn man sich mit ihnen auf den Boden setzt, klettern Farbratten gerne auf Hände, Arme oder Schultern und machen mit bei Versteckspielen“, erzählt Selina Schlierenkamp weiter. Die aktive Interaktion der Halter mit ihren Tieren ist somit ein Teil der sozialen Bereicherung der Ratten. Und ihr Wohlbefinden zeigen die Nager auch. Denn wenn Ratten glücklich sind, jauchzen sie im Ultraschall-Bereich (bis 50 kHz), der für den Menschen nicht hörbar ist.
„Heimtier des Jahres 2025“ richtig halten und pflegen
Wer sich nun für ein Leben mit Ratten interessiert, sollte bedenken, dass die Tiere im Durchschnitt etwa zweieinhalb Jahre alt werden. Einige Rattenfreunde integrieren daher bereits neue Partner, wenn nur noch wenige Rudelmitglieder übriggeblieben sind. Tierärztin Jessica Link warnt zudem vor der Anschaffung von Zuchtformen ohne Fell oder mit gekräuselten Haaren und vor Ratten ohne Schwanz. Das seien Qualzuchten, deren Züchtung und Verbreitung nicht gefördert werden sollte.
Auch geeignete Gehege für ein Rattenrudel sollten wohlüberlegt angeschafft werden. Geeignet sind große Vogel- und Nagervolieren, Streifenhörnchen- oder Chinchillakäfige, Etagenkäfige oder ein Kaskadenturm.
Von einem Nagerkäfig mit nur einem Boden rät Selina Schlierenkamp dagegen ab. „Das Gehege sollte dreidimensional sein und Bereiche zum Schlafen, Erforschen und Klettern umfassen.“ Idealerweise werden drei bis fünf Ebenen eingerichtet, in einem Abstand von ca. 35 cm zueinander, damit sich die Tiere vollständig aufrichten können.
Täglicher Auslauf und artgerechtes Futter müssen sein
Die Einrichtung muss die ganze Höhe der Voliere einbeziehen. Hierzu können Leitern, Kletterstangen, Seile, Nagematerial und vielfältige Versteckmöglichkeiten wie Häuschen oder Röhren eingesetzt werden. Diese findet man sowohl in der Vogelabteilung eines Zoofachmarktes als auch im Kleinsäugerbereich. „Bei der versetzten Anordnung der Ebenen ist zu beachten, dass die Tiere beim versehentlichen Abrutschen nicht zu tief fallen können, damit sie sich nicht verletzen“, rät Schlierenkamp.
Damit die Tiere sich viel bewegen können, ist für Ratten der tägliche Auslauf in einem sicheren und abgegrenzten Bereich wichtig. Laufräder für Kleinsäuger sind für Ratten in der Regel als Bewegungsanreiz ungeeignet. Denn die Nager nehmen darin eine unphysiologische Körperhaltung ein und verletzen sich häufig am Schwanz.
Auch bei der Ernährung von Farbratten sollte man einiges beachten. Sie leben überwiegend vegetarisch und benötigen neben getreide- und gemüsereichem Mischfutter auch einmal täglich Frischfutter wie Gurke, Karotte oder Kräuter. Zusätzlich sollte ein- bis zweimal wöchentlich tierisches Eiweiß in Form von Mehlwürmern oder Protein-Snacks gegeben werden.1
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Warum ein „Heimtier des Jahres“?
Der ZZF setzt sich als Verband der deutschen Heimtierbranche für eine verantwortungsvolle und tiergerechte Haltung ein. Mit der Wahl zum Heimtier des Jahres möchte der Verband auf unterschätzte Tiere aufmerksam machen und ein Bewusstsein für Tierschutzaspekte schaffen. Zudem will der ZZF aufzeigen, dass Nachzucht und Haltung einer bedrohten Tierart zum Artenschutz beitragen können.
Unter den nominierten Tieren stimmt eine Jury aus Biologen, Tierärzten, Zoofachhändlern, Tier- und Branchenexperten sowie Züchtern über die Vorschläge ab. Für das Jahr 2023 ernannte der ZZF die Bartagame und für das Jahr 2024 den Zebraharnischwels als Heimtiere des Jahres.