6. Januar 2023, 10:48 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Menschen sind kitzelig, das weiß jedes Kind. Aber auch gewisse Nagetiere haben beim Kitzeln Spaß – selbst, wenn sie nicht diejenigen sind, die gekitzelt werden. Was das mit Empathie zu tun hat, decken die Ergebnisse einer neuen Studie auf.
Anatomisch und genetisch gesehen haben Ratten vieles mit Menschen gemeinsam. Aber auch in einem anderen Aspekt ähneln uns die Nagetiere: Sie sind sehr soziale Wesen. Sie genießen die Gesellschaft ihrer Artgenossen und können vereinsamen, wenn sie alleine sind. Doch wie steht es um das Mitgefühl von Ratten? Dieser Frage sind Wissenschaftler der Humboldt-Universität zu Berlin und der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz auf den Grund gegangen.
Das Forschungsteam wollte wissen, inwieweit Ratten „affektive Empathie“ verspüren – also die Fähigkeit, das Gleiche wie jemand anderes zu empfinden. Dazu taten die Wissenschaftler das, was alle seriösen Wissenschaftler tun müssen: Sie kitzelten die Nagetiere. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Studienautoren im Fachjournal „iScience“.
So bauten die Forscher die Rattenstudie auf
Für das Kitzel-Experiment teilten die Studienleiterin Lena Kaufmann und ihre Kollegen die Versuchsratten in zwei Gruppen auf: „Beobachter“ und „Demonstratoren“. Jeweils eine Beobachter-Ratte und eine Demonstrator-Ratte wurden in eine Box hingesetzt und mit einer Trennscheibe voneinander ferngehalten. Anschließend wurden den Beobachter-Tieren Elektroden angelegt, um ihre Gehirnaktivität zu messen. Zudem statteten die Forscher die Box mit Mikrofonen aus.
Dann begann das große Kitzeln. Stufe eins: Die Beobachter-Ratten wurden selbst gekitzelt. Stufe zwei: „Luft-Kitzeln“. Hierzu simulierten Kaufmann und ihre Kollegen Kitzel-Bewegungen in der Luft. Stufe drei: Die Wissenschaftler zeigten den Beobachtern eine Aufnahme einer Ratte, die gekitzelt wird. Und zu guter Letzt: Das Team kitzelte eine Demonstrator-Ratte, während eine Beobachter-Ratte zuschaute.
Ratten hüpfen und „lachen“ beim Kitzeln
Wie viel Spaß die Ratten beim Experiment hatten, lässt sich an ihrem Verhalten ablesen. Egal, ob sie selbst gekitzelt wurden, oder beim Kitzeln eines Artgenossen zuschauten – in beiden Fällen machten die Nagetiere Freudensprünge.
Zudem gaben die Ratten freudige Geräusche von sich: Sie vokalisierten beim Kitzeln im Ultraschallbereich. Solche Töne können wir mit dem menschlichen Ohr zwar nicht hören. Sie lassen sich aber mit speziellen Mikrofonen aufzeichnen. Sahen die Beobachter-Ratten wiederum, wie eine Demonstrator-Ratte gekitzelt wurde, machten sie auch für uns Menschen hörbare Geräusche. Die Tiere „lachten“, sozusagen.
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Sogar das „Luft-Kitzeln“ sorgte für große Aufregung. Die Ratten sprangen zwar nicht in die Höhe, es ertönte dafür glückliches Piepen aus der Box. Nur die Aufnahmen gekitzelter Ratten beeinflussten das Verhalten der Beobachter kaum.
Was im Gehirn der Ratten passiert
Aber kann man die Freudensprünge und das „Lachen“ der Ratten als Empathie-Reaktion einordnen? Den Wissenschaftlern zufolge deuten die Gehirnaufnahmen der Nagetiere darauf hin.
Wurde eine Beobachter-Ratte gekitzelt, erhöhte sich die Aktivität in ihrem somatosensorischen Cortex. Dieser Gehirnteil verarbeitet haptische Wahrnehmung, somit ist dies kein erstaunliches Ergebnis. Was dafür aber erstaunlich ist: Das Kitzeln einer Demonstrator-Ratte löste im Gehirn der Beobachter fast die gleiche Reaktion aus. Auch die Kitzel-Bewegungen in der Luft gingen mit einer erhöhten Gehirnaktivität einher.
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Lachen ist ansteckend – auch bei Ratten
Kaufmann und ihre Kollegen führten das Experiment mit neun Ratten durch. Eine relativ kleine Stichprobe, wie die Studienautoren zugeben. Dennoch scheinen die Ergebnisse zu zeigen: Auch unter Ratten ist Lachen wohl ansteckend.
Den Wissenschaftlern zufolge rückt das Thema Empathie immer mehr in den Fokus der Nagetier-Forschung. Oftmals würden sich die Studien in diesem Forschungsgebiet aber mit negativen Emotionen befassen.
Durch ihre Arbeit wollen Kaufmann und ihre Kollegen deshalb den Fokus umlenken. Sie wollen neue Möglichkeiten zur Untersuchung von positiven Emotionen bei Ratten und Co. schaffen – Emotionen, die „in den Neurowissenschaften noch wenig erforscht sind“. Darüber dürften sich Tier und Tierliebhaber freuen.