3. Juni 2024, 17:29 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Der Wolf ist zurück in Deutschland und breitet sich weiter aus. Mit ihm kamen verzweifelte Ansätze, Weidetiere vor Angriffen zu schützen und viele Versuche, andere Tiere für den Schutz der Herden zu nutzen. Warum Experten jedoch eindringlich davor warnen, Tiere wie Esel zum Herdenschutz einzusetzen, berichtet PETBOOK-Redakteurin Louisa Stoeffler.
In Deutschland gab es laut Daten des Bundesamtes für Naturschutz in der Saison 2022/2023 184 Wolfsrudel.1 Die Zahl der ansässigen Tiere steigt darüber hinaus seit Jahren stetig an. Auf vielen wirtschaftlich genutzten Flächen kommt es immer wieder zu Konflikten mit Mensch und Tier. Wirksame Methoden, Herden vor Wölfen zu schützen sind meist sehr teuer oder werden nicht ausreichend gefördert. Erst für bereits gerissene Tiere wird Schadensersatz gezahlt. Viele Halter versuchen sich daher, mit anderen Tieren, die für den Herdenschutz eingesetzt werden sollen, zu helfen. Bei speziell trainierten Hunden mag dies sinnvoll sein, doch können auch Esel für Herdenschutz sorgen? PETBOOK sprach mit mehreren Experten, die eine klare Meinung haben.
Wie Esel leben
Zunächst einmal muss man sich mit den natürlichen Lebensumständen von Eseln näher auseinandersetzen. Denn einen einzelnen Esel einfach zu Schafen zu stellen, entspricht überhaupt nicht den Bedürfnissen der Herdentiere – es widerspricht sogar klar dem Tierschutzgesetz. Luisa Storz, Pressesprecherin der Interessengemeinschaft für Esel und Mulifreunde, sagt PETBOOK dazu: „Esel sind keine Weidetiere. Sie stammen ursprünglich aus Steinwüsten und sind daher die Menge an Gras, die sie bei einer ständigen Beweidung erhalten würden, nicht gewöhnt.“
Der heutige Hausesel stammt vom Afrikanischen Esel ab. Seine Vorfahren stammen aus Eritrea, Somalia und Äthiopien. Dort sind sie ein sehr genügsames Leben gewöhnt, können bis zu drei Tage ohne Wasser auskommen. Außerdem verwerten sie ihre Nahrung sehr effizient. Dazu zählen unter anderem auch bei Dürre gedeihende Pflanzen wie Disteln, Gestrüpp, Äste sowie proteinarme, faserreiche Gräser.
Stellt man also Esel auf Weideland, werden sie nicht artgerecht ernährt, sondern nehmen viel zu proteinreiches Futter zu sich. „Diese Überfütterung würde sehr schnell zur Überfettung oder zu Hufkrankheiten und damit zum Tod führen“, weiß Luisa Storz PETBOOK weiter zu berichten.
Woher kommt der Gedanke, Esel für Herdenschutz einzusetzen?
Der Gedanke, dass sich Esel für den Herdenschutz eignen, ist nicht neu. Er gewinnt immer dann an Fahrt, wenn sich mehr Wölfe in Gebieten ansiedeln, in denen sie bislang noch nicht vorkamen. Uta Over, langjährige Wolfsbeauftragte der Noteselhife e. V. erklärt PETBOOK, woher dies stammt. „Früher sind sie immer mit den Schäfern mitgelaufen.“ Der Esel habe dazu gedient, um Hab und Gut der Wanderhirten zu tragen und habe mit ihnen und den Schafen auf einer Weide gelebt.
Christine Möller, vom Verein Eselfreunde im Havelland e. V., berichtete PETBOOK von einem weiteren Beispiel. „In den Karpaten, wo der Schäfer mit der Herde wandert, Hütehunde dabei sind und der Esel mit der Schafherde aufgewachsen ist, da ruft er, wenn Gefahr droht. Aber eine solche Weidewirtschaft haben wir in Deutschland einfach gar nicht mehr.“
Jetzt überließe man viel Herdenschutz mechanischen Dingen wie einem Zaun oder einem guten Herdenschutzhund, fügt Uta Over hinzu. „Heutzutage sitzen Schäfer nachts vor dem Fernseher, sie würden den Esel also gar nicht rufen hören.“
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Herdenschutz in der Politik
Doch die Möglichkeit, Esel für den Herdenschutz einzusetzen, scheint in der Politik noch immer debattiert zu werden. 2016 berichteten mehrere Medien übereinstimmend darüber, dass der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) ein Projekt unterstützt, bei dem Esel Klaus und Claus in eine Schafherde integriert werden sollten. Seit 2021 läuft sogar eine Machbarkeitsstudie, bezahlt vom Bundesumweltministerium, „mit der die Eignung von Herdenschutzeseln bei der Abwehr von Wolfsangriffen auf Nutztierherden untersucht wird“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete.
Esel stellen selbst potenzielle Beute für Wölfe dar
PETBOOK hat einmal nachgefragt, zu welchen Ergebnissen die jeweiligen Projekte kamen. Zum Stand der Machbarkeitsstudie gab es keine Rückmeldung, aber das niedersächsische Projekt wurde bereits beendet. Korbinian Deuchler, stv. Pressesprecher des niedersächsischen Umweltministeriums, gab dazu an, dass internationale Berichte darauf hinwiesen, dass Esel auf kleineren, offenen Flächen mit einer begrenzten Anzahl von Schafen einen Beitrag zum Herdenschutz – insbesondere gegen einzelne Wölfe – leisten könnten. „Die Anforderungen an eine artgerechte Haltung sind jedoch hoch. Zudem stellen Esel selbst eine potenzielle Beute für Wölfe dar“, gab Deuchler weiter an.
Haltungsbedingungen sprechen klar dagegen
Allerdings spricht die Haltungsempfehlung für Esel (vom NLWKN herausgegeben) eine viel deutlichere Sprache. Dort heißt es, dass Esel als Herdenschutztiere, etwa in der Schafhaltung, nicht geeignet seien. „Die Fähigkeit von Eseln, andere Tierarten vor Angriffen durch Wölfe zu schützen, ist in keiner Weise nachgewiesen“, steht in den Haltungsempfehlungen. Sie könnten durch ihr Abwehrverhalten keine Wölfe vertreiben oder sich selbst als Beutetiere schützen. „Die Haltung eines Esels aus dem Motiv Herdenschutz ist abzulehnen“, heißt es weiter.
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„Esel leiden schweigend“
Luisa Storz berichtet PETBOOK gar, dass Esel allein aufgrund ihres Körperbaus nicht dazu geeignet seien, Gefahren wie einen Wolf abzuwehren. „Tatsächlich hatten wir in den letzten Monaten bereits öfter die Situation, dass wir mitbekommen haben, wie Esel als Herdenschutztiere eingesetzt werden und in dem Zusammenhang stark verletzt oder sogar getötet wurden.“ Sie persönlich kenne kein Beispiel, in dem das Nutzen von Eseln als Herdenschutz erfolgreich verlaufe.
Christine Möller erklärt PETBOOK im Gespräch, was schlimmstenfalls passieren kann, wenn man Esel trotzdem einsetzt und sie nicht artgerecht hält. Bei dauerhaftem Stehen auf zu satten Weiden könnten Esel schwere Leberschäden erleiden. „Sie können in die sogenannte Hyperlipidämie fallen“ – also unter einer dauerhaften Erhöhung der Blutfettwerte leiden. „Wenn die Esel krank sind, dann verteidigen sie gar nichts mehr“. Diese Tiere würden meist nicht artgerecht gehalten und der Schäfer habe mehr Tierarztkosten, als ihm der Esel am Ende nütze. „Dann ist die Idee schnell wieder verworfen und sie werden an Tierschutzvereine weitergereicht“.
Auch Uta Over spricht sich durch ihre langjährige Erfahrung in Eselschutz und -pflege klar gegen den Einsatz im Herdenschutz aus. Sie verweist auf den bindenden Charakter der Haltungsempfehlungen und zeigt sich entsetzt über das Unwissen mancher Halter. Vor allem, weil Tiere, die unter falschen Bedingungen gehalten würden, ihre Schmerzen durch einen gekippten Stoffwechsel oder fortschreitende Hufrehe erst nach ein bis zwei Jahren zeigten. „Besonders Hufrehe ist extrem schmerzhaft, aber Esel leiden halt schweigend“.