7. Juli 2023, 6:11 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Esel werden oft mit Sturheit und Dickköpfigkeit in Verbindung gebracht. Sie haben den Ruf, sich nicht leicht beeinflussen zu lassen und hartnäckig an ihrem eigenen Willen festzuhalten. Aber sind sie wirklich so stur oder vielleicht sogar schlau, wenn sie in manchen Situationen den Gehorsam verweigern?
Hausesel (Equus asinus asinus) gehören zwar derselben Familie wie Pferde an, unterscheiden sich aber in ihrem Verhalten wesentlich von diesen. Sie stammen vom Afrikanischen Esel (Equus asinus) ab, der dort auch heute als Lastentier eingesetzt wird. Wenn ein Esel in Afrika die Arbeit verweigert, bekommt er den Stock zu spüren. Auch in südlichen Ländern des europäischen Kontinents, wie Griechenland oder der Türkei, müssen die Tiere arbeiten. Dort werden sie unter anderem als Packesel oder als Reittiere für Touristen eingesetzt. In Deutschland oder auch in Österreich werden die besonderen Verhaltenseigenschaften der Tiere hingegen so geschätzt, dass sie nicht nur als Therapietiere zum Einsatz kommen, sondern sogar mit Spitzensportlern trainieren. PETBOOK geht der Frage nach, ob Esel wirklich stur sind und verrät mehr über die Tiere.
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Welche Besonderheiten haben Esel?
Immer wieder sieht man Esel alleine auf der Weide stehen und herzzerreißend laut „I-aaah“ rufen. Die Sehnsucht nach einem Kumpel oder einem Partner ist groß. Denn Esel sind Gruppentiere, die Einzelhaltung ist nicht artgerecht. Sind mehrere Esel auf der Weide, sieht man die Tiere aber für sich alleine stehen und grasen, denn sie leben zwar im Herdenverbund, das aber ohne ein Leittier. Dies ist der Grund, warum jeder Esel eigenständig handelt. Pferde hingegen folgen in der Herde ihrem Leittier, deshalb ist eine Gruppe Pferde auch leichter zu dressieren.
Esel sind als ursprüngliche Wüstentiere weder pflegeleicht noch anspruchslos – das Gegenteil ist der Fall. Die Haltung von Eseln in unserer Klimazone, auf fetten Weiden und weichen Böden und ihre artgerechte Versorgung verlangt viel Know-how. Viele Esel-Vereine bieten deshalb Kurse an, wo man einen „Eselführerschein“ erwerben kann. Hier lernen Interessierte, dass die Eselhufe regelmäßig korrigiert werden müssen, da sie zu Strahlenfäule neigen. Bei der Fütterung brauchen die Tiere einen höheren Anteil an Rohfasern (Stroh, Heu, Holz, verholzte Sträucher) als Pferde. Bekommen Esel zu viel Getreide, kommt es zu Übergewicht und Stoffwechselerkrankungen.
Sind Esel wirklich stur?
Vergleicht man das Verhalten von Eseln und Pferden, die beide als Fluchttiere gelten, wird man Folgendes beobachten: Wittert ein Pferd Gefahr oder ein Angreifer taucht auf, wird es panikartig, ohne Rücksicht auf Verluste davon stürmen. Der Esel hingegen bleibt stehen und rührt sich nicht vom Fleck, bis er die Situation analysiert hat. Da er nicht so schnell ist wie ein Pferd, braucht er eine andere Fluchttaktik.
Bei Eselveranstaltungen, bei denen die Grauen einen Parcours auf Zeit meistern müssen, ist dieses Verhalten gut zu beobachten. Die Hindernisse bestehen aus Flatterbändern, Planschbecken, die mit gefährlichem, vier Zentimeter hohem Wasser gefüllt sind, Pylonen, Hängern und vielem mehr. Die Halter, die ihre Esel am Halfter über den Parcours führen, ziehen am Strick, arbeiten eimerweise mit Bestechung, wie Karotten und gutem Zureden. Aber nichts hilft! Erst wenn der Esel begriffen hat, dass keine Gefahr vom Flatterband droht, löst er die Handbremse und trottet brav weiter. Diese Gelassenheit und das genaue Einschätzen von Situationen prädestiniert die zurückhaltenden Zeitgenossen für die therapeutische Arbeit in verschiedenen Bereichen.
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Esel in Therapie und Coaching
In vielen Einrichtungen, wie Kliniken oder speziellen Höfen für tiergestützte Therapie, kommen Esel vermehrt zum Einsatz, denn man weiß ihre vorsichtige und umsichtige Art zu schätzen. Eine Eseltherapie verhilft Menschen, die Schwierigkeiten mit anderen Menschen oder sich selbst haben, zu mehr Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen. Gleichzeitig vertiefen sich aber auch Empathie und Einfühlungsvermögen, denn man muss sehr behutsam mit Eseln umgehen. Sie lassen sich zu nichts zwingen und jede Gewalteinwirkung zerstört nur das Vertrauensverhältnis.
Im Esel-Coaching für Führungskräfte lernen die Teilnehmer, sich selbst besser zu reflektieren. Das Tier spiegelt ihr Verhalten im Umgang mit Stress, Druck oder Widerstand wider. Für manchen Chef sicher eine ganz neue Erfahrung, wenn er mit Unarten konfrontiert wird, von denen er über seine Angestellten vermutlich eher selten erfahren hätte.
Aber auch Spitzensportler, die bei Wettkämpfen unter enormen Druck stehen, profitieren von der Arbeit mit Eseln. Oft fallen Sportler, wenn sie eine schlechte Leistung abgeliefert haben, in ein depressives Loch, weiß der Sportwissenschaftler Dr. Harald Pernitsch, der seit über 25 Jahren Spitzensportler trainiert und seit vielen Jahren auf „sture“ Esel in seiner von ihm entwickelten Methode setzt. Aus seiner Erfahrung sind ausgerechnet Esel dazu in der Lage, Athletinnen und Athleten, die unter einem mental verursachten Leistungstief leiden, wieder zum Erfolg zu verhelfen. Da sage noch einer, die Tiere mit den langen Ohren seien dumm oder stur!
Sprichwörter, die besagen, man sei so „stur“ oder sogar „dumm wie ein Esel“ haben mit den wunderbaren Tieren also in Wirklichkeit so gar nichts gemein und sind ein reines Vorurteil.
Quellen
- Esel-freunde.de, „Artgerechte Eselhaltung“ (aufgerufen am 5.7.2023)
- Eselcoaching.de, „Der Esel fordert Klarheit“ (aufgerufen am 5.7.2023)