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Verehrt und ausgebeutet

Die traurige Wahrheit hinter Indiens heiligen Kühen

Kühe beim Holi Festival in Indien
Ach du heilige Kuh! Foto: Getty Images/Nigel Killeen
Porträt-aufnahme von PETBOOK-Redakteurin Natalie Dekcer mit Katze auf Arm
Freie Autorin

19. Juni 2023, 14:06 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Zebus, auch Buckelrinder genannt, gehören zum Straßenbild indischer Metropolen einfach dazu. Was für uns Westeuropäer befremdlich wirken mag, ist dort ganz normal. Denn Kühe gelten in Indien als heilig. Das bedeutet jedoch nicht, dass auch alle Tiere dort ein schönes Leben haben – ganz im Gegenteil! PETBOOK beleuchtet die spirituelle Bedeutung der Tiere und erklärt, warum Kühe in Indien trotzdem oft unter schlechten Bedingungen leben.

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Welches Bild erscheint in Ihrem Kopf, wenn Sie an indische Großstädte wie Delhi oder Mumbai denken? Vielleicht sehen Sie vor Ihrem geistigen Auge quirlige, bunte Metropolen mit einem chaotisch anmutenden Straßenverkehr, in dem unzählige Lkw, Autorikschas, Motorroller und Pferdegespanne unterwegs sind. Und dazwischen immer wieder – Kühe. Die Tiere bewegen sich gemächlich durch die Gassen, die anderen Verkehrsteilnehmer kurven einfach um sie herum. Manche Kühe sind sogar mit bunten Malen verziert. Allerdings begegnen einem auch immer wieder völlig abgemagerte und schwache Tiere. Wie passt das zusammen? Wir erklären, warum Kühe in Indien zwar als heilig gelten, dort aber meist ein trauriges Leben führen.

Sind in Indien alle Kühe heilig? 

Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Indien ist mit 1,43 Milliarden Einwohnern das bevölkerungsreichste Land der Erde – und nicht alle Inder und Inderinnen verehren die Kuh gleichermaßen. Für die in Indien lebenden Christen und Muslime spielen die Tiere beispielsweise eine weit weniger wichtige Rolle als für gläubige Hindus. Gut zu wissen: Unter dem Begriff „Hinduismus“ werden verschiedene religiöse Traditionen zusammengefasst, die sich in ihren Gottheiten und Ritualen teilweise unterscheiden.  

In vielen hinduistischen Religionen wird die Kuh als heiliges Tier angesehen. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen soll der bedeutsame Gott Krishna als Kuhhirte aufgewachsen sein. Zum anderen sehen viele gläubige Hindus in der Kuh die Mutter des Universums und der Menschen. Es gibt in der indischen Mythologie etwa die Figur der Kamadhenu, einer wunscherfüllenden Kuh, die auch als Mutter aller Kühe gilt. Die Vorstellung von der Kuh als Lebensspenderin zeigt sich auch in den vielfältigen tierischen Produkten, die in Indien Verwendung finden. So sind zum Beispiel Milch, Joghurt und Ghee aus der indischen Küche nicht wegzudenken. Der getrocknete Dung wird als Brennmaterial benutzt, dem Kuh-Urin werden heilende Kräfte zugesprochen. 

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Kühe müssen sich von Abfällen ernähren

Gläubige Hindus sehen in der Kuh ein wichtiges, unantastbares Symbol. Die sprichwörtliche „heilige Kuh“ hat es sogar in unseren Sprachgebrauch geschafft: Wir bezeichnen mit dieser Redensart ein Tabu, an dem es nichts zu rütteln gibt. Aber warum lassen so viele Bauern ihre Kühe frei herumlaufen? Auch hierfür gibt es spirituelle Gründe: In vielen hinduistischen Religionen ist es nicht nur verboten, eine Kuh zu töten – es ist auch oftmals untersagt, die Tiere anzubinden oder einzusperren. 

So kommt es, dass Zebus zu tausenden durch die Straßen indischer Großstädte ziehen. Diese sind nicht gerade „kuhgerecht“. Saftige Weiden oder Wasserstellen gibt es nicht. So müssen sich viele Zebus von den Abfällen am Straßenrand ernähren und sind sie oft abgemagert. Da es in den meisten Regionen Indiens gesetzlich verboten ist, Kühe zu schlachten, wandern die Tiere oftmals so lange umher, bis sie irgendwann völlig entkräftet zusammenbrechen und sterben. Einige alte oder kranke Tiere werden aber auch in einem Tierasyl, einem sogenannten Goshala, bis an ihr Lebensende gepflegt. Leider ist dieses Schicksal vergleichsweise wenigen Kühen vorbehalten. Laut der Tierschutzorganisation Peta geht man mittlerweile von über 5 Millionen streunenden Rindern in ganz Indien aus.

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Indien ist wichtigster Exporteur für Rindfleisch und Leder

Ein gläubiger Hindu würde wohl niemals auf die Idee kommen, Rindfleisch zu essen. Dennoch gilt Indien als einer der wichtigsten Rindfleisch-Exporteure der Welt. Wie passt das zusammen? Einerseits verkaufen viele Bauern ihre Kühe, sobald diese nicht mehr genügend Milch geben – und es ist, wie bereits erwähnt, nicht in allen Bundesstaaten Indiens verboten, Rinder zu schlachten. Andererseits gibt es auch in Indien selbst einen wachsenden Bedarf an Rindfleisch. Denn das Nahrungstabu gilt längst nicht für alle Einwohner. Zu den Menschen, die Rindfleisch verzehren, zählen beispielsweise Christen, Muslime, westlich orientierte Hindus sowie Angehörige der Dalit, der untersten Gruppe der hinduistischen Gesellschaft. 

Zwar gibt es auch immer wieder Übergriffe auf Viehtransporte, weil radikale Hindus Milizen zum Schutz der Kuh gegründet haben. Auch hat die Regierung die Bestimmungen zu Produktion und Verkauf von Fleisch verschärft. Laut Peta gebe es aber weiterhin viele illegale Schlachthöfe. Denn die Tiere sind nicht nur wegen ihres Fleisches begehrt. So ist Indien einer der größten Lederexporteure der Welt. Aufnahmen der Tierschutzorganisation belegen, wie Rinder, Büffel, Schafe und Ziegen im indischen Lederhandel systematisch gequält werden. 

In Indien spielen Kühe also tatsächlich eine wichtige Rolle. Allerdings eher die damit verbundenen Produkte wie Milch, Fleisch und Leder, die ein wertvolles Exportgeschäft für das Land darstellen. Und auch wenn Kühe für einen Teil der Bevölkerung als heilig gelten, führen sie alles andere als ein Leben in Verehrung.

Quellen: 

Themen Kühe
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