22. August 2023, 14:33 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Erst im März dieses Jahres verkündeten die Eigentümer des Miami Seaquariums, ihren Orca Lolita nach 53 Jahren in Gefangenschaft zeitnah in ein Meeresrefugium überführen zu wollen. Vor wenigen Tagen verstarb der weibliche Schwertwal überraschend. Ein Tierschützer und Biologe äußert sich zu den Geschehnissen.
Der weltweit bekannte Orca Lolita ist tot. Sie war jahrzehntelang Hauptattraktion im Miami Seaquarium und lebte dort im kleinsten Becken der USA, das nicht einmal den Vorgaben der US-Behörden entsprach. Nach jahrelangen Bemühungen von Tierschützern und einem Inhaberwechsel des Delfinariums, in dem sie lebte, plante man ihre Umsiedlung in ein Refugium. Vor wenigen Tagen verkündeten die Besitzer ihren Tod. Damit sind die Hoffnungen ihrer Unterstützer, dem Schwertwal ein Leben außerhalb ihres Mini-Beckens zu ermöglichen, begraben. Ulrich Karlowski von der „Deutschen Stiftung Meeresschutz“, der sich seit Jahren für den Schutz von Meerestieren einsetzt, ordnet den Tod von Lolita für PETBOOK ein.
Übersicht
- Gesundheitszustand des Orcas seit Langem instabil
- Orca Lolita nach 53 Jahren in Gefangenschaft gestorben
- War eine geplante Umsiedlung realistisch?
- »Es ist ein Wunder, dass Lolita so lange überlebte
- »Lolita war ein Orca mit unglaublicher Lebenskraft
- Tierschützer hofft, dass Lolitas Schicksal Orcas weltweit helfen wird
Gesundheitszustand des Orcas seit Langem instabil
Mit knapp vier Jahren trennte man Lolita von ihrer Familie, der Orca-Population Southern Residents, die im nordöstlichen Pazifik leben. Seitdem führte sie im Seaquarium Miami täglich Shows auf. Lolita war der Show-Name des Orcas, ein Tierarzt benannte sie zuvor Tokitae oder Toki. Im Jahr 2021 verdeutlichte ein Gutachten des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) ihre alarmierenden Haltungsbedingungen. Zu dem Zeitpunkt war der Schwertwal bereits 51 Jahre lang in Gefangenschaft.
Auf das Gutachten folgten regelmäßige tierärztliche Untersuchungen und eine teilweise Verbesserung der Haltungsbedingungen. Ein Jahr später führte ein Besitzerwechsel dazu, dass der neue Eigentümer keine weitere Erlaubnis erhielt Lolita und den mit ihr im Becken lebende Weißseitendelfin Li’i, in Shows zu zeigen. Denn eine Erneuerung der amtlichen Erlaubnis blieb aus.
Der jahrzehntelange Einsatz von Tierrechts-Aktivisten, Demonstranten und sogar Anwälten schien sich auszuzahlen, eine geforderte Umsiedlung in ein Refugium in fast greifbare Nähe. Aufgrund anhaltender gesundheitlicher Probleme des Tieres war daran zunächst jedoch nicht zu denken. Bis das Seaquarium Ende März dieses Jahres bekannt machte, Lolita innerhalb der nächsten 18 bis 24 Monate umsiedeln zu wollen. Der Gesundheitszustand des Orcas schien sich so weit stabilisiert zu haben.
Auch interessant: Biologe warnt: „Den Orca Lolita auf sich allein gestellt freizulassen, wäre eine Katastrophe“
Orca Lolita nach 53 Jahren in Gefangenschaft gestorben
Nur drei Tage vor Lolitas Tod verkündete das Miami Seaquarium in einer Mitteilung, der Gesundheitszustand des Orcas sei „sehr stabil“ und „gut“. Dann die Nachricht, das Tier sei aufgrund einer vermuteten Nierenerkrankung am Nachmittag des 18. Augusts verstorben. Sie habe wenige Tage zuvor deutliches Unwohlsein gezeigt, woraufhin Tierärzte sofort mit ihrer Behandlung gestartet hätten. Auch die „bestmögliche medizinische Versorgung“ hätte sie jedoch nicht mehr retten können.
Für eine Obduktion transportierte man den Körper des Orcas in das tiermedizinische Department der Universität von Georgia, berichtet die US-Tageszeitung „Miami Herald“. Biologe Ulrich Karlowski merkt an, dass die veterinärmedizinische Untersuchung von Meeressäugetieren deutlich schwieriger sei als die von Menschen. Aufgrund des Vorgehens gehe er von einer objektiven Untersuchung der Todesursache aus, bei der bislang unerkannte Krankheiten noch zum Vorschein kommen könnten.
War eine geplante Umsiedlung realistisch?
Die zum Teil widersprüchliche Berichterstattung über den Gesundheitszustand des Orcas Lolita wirft Fragen auf. Mitte Juli gab die Organisation „Friends of Toki“ an, das Tier sei in seiner besten Verfassung seit Jahren. Der leitende Tierarzt, Dr. Thomas Reidarson, verwies gleichzeitig darauf, dass Toki an einer chronischen Lungeninfektion leide, die täglicher Antibiotika-Behandlung bedürfe. In einer Mitteilung Ende Juli wird ihr Zustand von anderen Tierärzten wiederum als nur „relativ stabil“ eingestuft. Zudem wurden sich bessernde Magenbeschwerden und eine heilende Verletzung ihrer Lunge beschrieben.
Karlowski erklärt in diesem Zusammenhang, die Behandlung bestehender Infektionen hätte die geplante Umsiedlung des Schwertwals nahezu unmöglich gemacht. „Tokitae hätte in einem Zustand, in dem ihre Gesundheit abhängig von Medikamenten ist, gar nicht in die Gewässer ihres geplanten Refugium gebracht werden dürfen. Die US-Behörden haben diesbezüglich sehr strenge Auflagen.“ Das Tier wäre daher höchstwahrscheinlich auch weiterhin dazu verdammt gewesen, in Gefangenschaft zu leben.
»Es ist ein Wunder, dass Lolita so lange überlebte
Tierschützer weltweit kritisierten immer wieder die Haltungsbedingungen, die der Orca Lolita 53 Jahre lang erdulden musste. Karlowski bezeichnet diese im Gespräch mit PETBOOK als „katastrophal“. Das Tier habe sogar mit einer Kieferverletzung weiterhin an Shows teilnehmen müssen. „Es ist ein Trauerspiel, dass diese Haltungsbedingungen vonseiten der Behörden und Betreiber so lange erlaubt und vollzogen wurden.“ Der Biologe und Tierschützer geht davon aus, dass die Haltungsbedingungen im Miami Seaquarium die Krankheiten des Meeressäugetiers verursacht haben könnten. Deswegen beschreibt er es einerseits als „phänomenal“ und andererseits als „extrem traurig“, wie lange das Tier ein solches Leben fristete.
Obwohl er sich sicher sei, dass die Trainer des Orcas es gut mit ihr meinten, sei Lolita über die Dauer ihres Lebens in Gefangenschaft gequält worden. „Es ist ein Wunder, dass Toki so lange unter diesen Bedingungen überlebt hat und nicht schon viel früher gestorben ist“, so Karlowski.
»Lolita war ein Orca mit unglaublicher Lebenskraft
Erst im Juli berichtete die gemeinnützige Organisation „Friends of Toki“ von durchgeführten Verbesserungen in der Haltung des Orcas Lolita. Die Wasserqualität im Becken sei aufgerüstet und „drastisch verbessert“ worden. Auch eine Investition in neue Kühler, Filtermedien und zahlreiche andere Dinge sei erfolgt. „Hätten die Betreiber des Miami Seaquarium ernsthaftes Interesse daran gehabt, die Haltungsbedingungen zu optimieren, wäre das schon viel früher geschehen“, äußert sich Karlowski dazu.
Die Maßnahmen seien wichtig gewesen, allerdings sei weitaus zu wenig und zudem zu spät geschehen. „Dieser Orca muss extrem widerstandsfähig gewesen sein und einen starken Willen gehabt haben. Ihr Tod zeigt deutlich, dass die unglaubliche Lebenskraft, die dieser Orca hatte, am Ende war.“
Seit 52 Jahren in Gefangenschaft Biologe warnt: „Den Orca Lolita auf sich allein gestellt freizulassen, wäre eine Katastrophe“
Nach Missbrauch und Todesfällen Umstrittenes Seeaquarium in Miami muss schließen! Was geschieht mit den Tieren?
Vor der Küste Schottlands Attackieren Orcas jetzt auch Boote in der Nordsee? Das sagt ein Experte
Tierschützer hofft, dass Lolitas Schicksal Orcas weltweit helfen wird
Das Schicksal von Lolita sei von Anfang bis Ende ein tragisches gewesen, so Karlowski im Gespräch mit PETBOOK. Der Tierschützer hofft, dass „Tokis Fall dazu führt, dass die Gefangenschaft von Orcas weltweit beendet wird“. Unzweifelhaft werde ihr Schicksal die Aufmerksamkeit erneut auf die bedrohte Orca-Population der Southern Residents lenken. Der Rückgang dieser Population auf nur 74 Tiere sei einerseits auf den Fang der Orcas für die Delfinarienindustrie zurückzuführen. Von diesem Ereignis haben sie sich nie erholt. Auch der Rückgang ihres Nahrungsangebots mache der Population zu schaffen.
Er hoffe, dass aufgrund Tokis Schicksal mehr Gelder für den Schutz der Orcas bereitgestellt werden können, so der Biologe. „Tokitae wird bei uns Tierschützern, die sich für den Schutz von Meeressäugetieren einsetzen, immer in Erinnerung bleiben. Sie wird uns motivieren, uns auch zukünftig für den Schutz und das Überleben der Spitzen-Prädatoren der Meere einzusetzen.“