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Staatlich verpflichtend

Bundestag beschließt umstrittenes Tierhaltungskennzeichen – das sagen Tierschützer und Landwirte

Glückliches Schweinchen im Stall
So glücklich wie dieses Ferkel leben nicht viele Tiere in Mastbetrieben – das neue, verpflichtende Tierhaltungskennzeichen soll für Aufschluss und Besserung sorgen. Doch steht es bereits jetzt massiv in der Kritik Foto: Getty Images
Louisa Stoeffler
Redakteurin

16. Juni 2023, 14:20 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Ein neues, staatliches Tierhaltungskennzeichen ist im Bundestag beschlossen worden. Dies sieht die Einhaltung von Mindeststandards in der Tierhaltung vor, geht aber weder Tierschützern noch Landwirten weit genug.

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Im Bundestag ist das neue, verpflichtende staatliche Tierhaltungskennzeichen der Bundesregierung beschlossen worden. Dies sieht fünf Kategorien von tierischen Produkten vor, die für alle landwirtschaftlichen Betriebe verbindlich werden sollen. Zunächst beschränkt sich dieses erste Kennzeichen nur auf die Haltung von Schweinen und auf unverarbeitetes Schweinefleisch, das im Supermarkt landet. Tierschützer haben bereits seit Monaten gegen das geplante Label protestiert, da es ihnen nicht weit genug geht. Doch auch landwirtschaftliche Verbände kritisieren das geplante Label als „unzureichend“. Das Gesetz soll am 1. Januar 2024 inkrafttreten.

Tierhaltungskennzeichen soll verbindliche Mindeststandards schaffen

Die Bundesregierung verfolge mit dem nun beschlossenen, verbindlichen Tierhaltungskennzeichen das Ziel, die landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland zukunftsfest zu machen, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Die tierhaltenden Betriebe bräuchten eine verlässliche Perspektive, um Belange des Tier- und Klimaschutzes stärker berücksichtigen, die Ernährung der Bevölkerung zu sichern – und mit ihrer gesellschaftlich wertvollen Arbeit auch ein gutes Einkommen erzielen zu können.

Die Eckpunkte des Gesetzes

  • Lebensmittel müssen verpflichtend gekennzeichnet werden, wenn die Tiere in Deutschland gehalten wurden und die Lebensmittel in Deutschland an Endverbraucherinnen und Endverbraucher verkauft werden.
  • Es werden alle Formen der Abgabe von Lebensmitteln tierischen Ursprungs an die Verbraucherinnen und Verbraucher erfasst, u. a. Einzelhandel, Bedientheke, Onlinehandel, Wochenmarkt.
  • Maßgeblich für die Kennzeichnung ist die Haltungsform der Tiere während des produktiven Lebensabschnittes, bei Fleischgewinnung die Mast der Tiere.
  • Die verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung wird schrittweise eingeführt. Zunächst soll frisches Schweinefleisch, gekühlt oder gefroren, verpackt oder unverpackt, im Lebensmittelhandel, den Fleischereifachgeschäften, dem Online-Handel und anderen Verkaufsstellen das Label tragen.
  • Gastronomie und Außerhaus-Verpflegung oder verarbeitete Produkte sollen nach und nach in die Tierhaltungskennzeichnung aufgenommen werden. Zunächst muss jedoch im ersten Schrittes das Konzept der verpflichtenden Haltungskennzeichnung am Beispiel Schweinefleisch grundsätzlich von der EU-Kommission notifiziert werden. Die EU muss dementsprechend von dem Rechtsakt in Kenntnis gesetzt werden, bevor er geprüft inkrafttreten kann.
  • Gleiches soll perspektivisch für weitere Tierarten wie Rinder, Milchvieh oder Geflügel gelten. Auch sie werden schrittweise in die verpflichtende staatliche Tierhaltungskennzeichnung aufgenommen.

Das Tierhaltungskennzeichen der Bundesregierung sieht fünf Kategorien vor:

  • Stall,
  • Stall+Platz,
  • Frischluftstall,
  • Auslauf/Freiland und
  • Bio.

Das staatliche Label darf nicht mit Farben oder Nummerierungen arbeiten, da dies eine Hierarchie darstellen würde, die von staatlichen Stellen nicht gegeben sein dürfe. Allerdings sind die Labels in einer Reihenfolge von oben nach unten angeordnet, wobei die Biohaltung ganz oben ist. Tatsächlich war bei der Bezeichnung „Stall+Platz“ zunächst 20 Prozent mehr Platz für die Tiere vorgesehen. Dieser ist nun im Gesetz auf 12,5 Prozent geschrumpft. Auch kann bei gemischten Produkten wie Hackfleisch oder großen Packungen mit Fleisch aus verschiedenen Haltungsformen auch Prozentangaben in den kleinen Rechtecken stehen. Zum Beispiel „70 Prozent Stall“ und „30 Prozent Stall+Platz“. 

Das neue, verpflichtende Tierhaltungskennzeichen des BMELs sieht eine 5-Stufen-Regelung, sowie ein Prüfsiegel als QR-Code vor
Das neue, verpflichtende Tierhaltungskennzeichen des BMELs sieht eine 5-Stufen-Regelung, sowie ein Prüfsiegel als QR-Code vor Foto: BMEL

Özdemir: „Kein Landwirt möchte seine Tiere so halten, dass es ihnen schlecht geht“

Die verbindliche staatliche Haltungskennzeichnung sei ein zentraler Baustein einer zukunftsfesten landwirtschaftlichen Tierhaltung. Bundesminister Cem Özdemir äußerte sich dazu in der Pressemitteilung des BMEL: „Kein Landwirt möchte seine Tiere so halten, dass es ihnen schlecht geht.“

Zugleich sei der ökonomische Druck für die Höfe immens. Doch Landwirtinnen und Landwirte könnten gesellschaftlichen Erwartungen nach mehr Tierwohl und Klimaschutz nur dann gerecht werden, wenn die Rahmenbedingungen es ihnen ermöglichten, mit ihrer wertvollen Arbeit auch ein gutes Einkommen für sich und ihre Familien erzielen zu können.

„Ich will, dass auch in Zukunft noch gutes Fleisch aus Deutschland auf den Tisch kommt“, führte der Minister weiter aus. Die tierhaltenden Betriebe bräuchten daher dringend eine verlässliche und langfristige Perspektive, damit sich Investitionen in Tierwohl und Klimaschutz lohnten. Umfragen zeigten, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher bewusster einkaufen möchten, so Özdemir weiter. Mit der Haltungskennzeichnung könnten die Verbraucher klar erkennen, wie ein Tier gehalten wurde und diese Information bei ihren Kaufentscheidungen berücksichtigen. Auch die wertvollen Leistungen der tierhaltenden Betriebe seien für alle sichtbar. Zudem schaffe man mit den klar definierten Haltungsformen dringend notwendige Planungssicherheit.

Mit beschlossenem Tierhaltungskennzeichen sollen auch Subventionen verbunden sein

Das beschlossene Tierhaltungskennzeichen sieht außerdem gesetzlich vor, dass Landwirte, die ihre Ställe für mehr Tierschutz umbauen, Untersützung des Bundes erhalten sollen. „Im Bundeshaushalt ist bereits eine Milliarde Euro für die Startphase des Umbaus eingeplant“. Landwirte leisteten einen unverzichtbaren Beitrag zur Sicherung unserer Ernährung. „[…] entsprechend erwarten sie zu Recht, bei den Investitionen in eine artgerechtere Tierhaltung und mehr Klimaschutz angemessen unterstützt zu werden.“

Das Gesamtvorhaben zukunftsfeste Tierhaltung umfasst vier zentrale Bausteine. Dabei handelt es sich um eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung und ein Förderkonzept für den Umbau der Ställe inkl. einer langfristigen Perspektive für die Betriebe. Des Weiteren seien nun bessere Regelungen im Tierschutzrecht und Anpassungen im Bau- und Genehmigungsrecht möglich.

Auch interessant: Wie viele Tierhaltungskennzeichen braucht Deutschland eigentlich?

Beschlossenes Tierhaltungszeichen massiv in der Kritik

Das nun beschlossene Tierhaltungszeichen war Tierschützern jedoch schon vor einem halben Jahr nicht weitreichend genug. Auch die Initiative Tierwohl und der Bauernverband sehen das Haltungskennzeichen kritisch.

 Der stellvertretende Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Udo Hemmerling, legt in einer Pressemitteilung Folgendes dar: „Der Vorschlag zur Fleischkennzeichnung geht in die richtige Richtung, aber er ist bei weitem nicht ausreichend. Der Bauernverband fordert eine umfassende Herkunftsangabe, beginnend beim Geburtsort der Tiere.“ Eingeschlossen werden müssten auch Wurstwaren und andere Verarbeitungsprodukte. Mittelfristig müsse die Transparenz bei Fleischprodukten auch für Kantinen, Systemgastronomie und Gaststätten gelten.

„Es fehlt auch die Verknüpfung mit der neuen Haltungskennzeichnung nach Tierwohlstufen. Statt Verbrauchertransparenz aus einem Guss liefert das Bundeslandwirtschaftsministerium noch eher Stückwerk. Die angestrebte Einbettung in ein EU-Kennzeichnungssystem muss mit Nachdruck vorangetrieben werden.“

Auch die Initiative Tierwohl (ITW), ein übergreifendes Bündnis aus Landwirtschaft, Fleischwirtschaft, Lebensmittelhandel und Gastronomie, fordert mehr Tierwohl für das beschlossene Tierhaltungskennzeichen. „Für das Tierwohl in Deutschland ist es wichtig, dass die geplante fünfstufige Kennzeichnung des BMEL eine Stufe ‚Stallhaltung + Platz‘ vorsieht, die mehr Tierwohl auch in einem geschlossenen Stallsystem ermöglicht.“ Denn für die überwältigende Mehrheit der Landwirte in Deutschland sei ein Stallumbau mit Auslauf oder mehr offenen Wänden auf absehbare Zeit kaum möglich. Umso wichtiger sei es, dass die Betriebe in der ITW, die in den letzten Jahren erste wichtige Schritte zu mehr Tierwohl gegangen sind, auch in der geplanten staatlichen Tierhaltungskennzeichnung entsprechend zu berücksichtigen. „Das ist ein wichtiges Signal für das Tierwohl für Millionen von Schweinen in Deutschland“, erklärt Robert Römer, ITW-Geschäftsführer, in einer Pressemitteilung.

Kommen nun noch mehr staatliche Kontrollen auf Landwirte zu, die in Tierhaltung investieren?

Auch die zusätzlichen staatlichen Kontrollen und ein langfristiger Plan für die Tierhaltung sieht die Initiative Tierwohl mit dem nun beschlossenen Tierhaltungskennzeichen nicht gegeben. „Ein wesentlicher Punkt ist das Finanzierungskonzept“, kommentiert Dr. Alexander Hinrichs, ebenfalls Geschäftsführer der ITW in der Pressemitteilung weiter. „Derzeit ist eine Kennzeichnung geplant, die den Status Quo abbilden würde.“

Auch ein tragfähiges Finanzierungsmodell zur großflächigen Umgestaltung der Tierhaltung liege noch nicht vor, wobei es nicht nur um die Frage ginge, woher die Politik das Geld nehme. Man müsse auch klären, wie die Finanzierung der tierhaltenden Betriebe erfolgen soll und wie eine Rückkopplung an den Markt sichergestellt werde. „Denn eine gänzlich vom Markt abgekoppelte staatliche Finanzierung erscheint innerhalb des europäischen Binnenmarkts als nicht realistisch. Bislang hat die Wirtschaft hier Verantwortung übernommen: Sie finanziert die ITW und damit 60 Prozent aller Mastschweine und 90 Prozent aller Masthähnchen und Puten in der Stufe 2 der freiwilligen Haltungsform-Kennzeichnung.“

Auch sähen die Pläne des BMELs u. a. vor, dass die landwirtschaftlichen Betriebe durch den Staat kontrolliert würden. „Hier ist eine stärkere Zusammenarbeit mit bestehenden Kontrollsystemen der Wirtschaft dringend geboten“, so Römer weiter. „Die teilnehmenden Betriebe der ITW werden zum Beispiel zweimal pro Jahr kontrolliert. Die hierfür geschaffene Infrastruktur ist effizient und effektiv. Sie muss vom Staat berücksichtigt werden, denn dann würden Wirtschaft und Staat im Sinne des Tierwohls und des Steuerzahlers an einem Strang ziehen.“ Aus Sicht der Tierhalter sei es fraglich, ob noch weitere zusätzliche Kontrollen durch den Staat hinzukommen müssten. Auch könne der deutsche Staat selbst im Ausland keine am Tierhaltungskennzeichen teilnehmende Betriebe überprüfen und so gewährleisten, dass der gleiche Standard umgesetzt werde.

Mit dem Motiv „Etikettenschwindel: Schweine müssen weiter leiden“ weist der Deutsche Tierschutzbund auf die unzureichende Tierhaltungskennzeichnung hin
Mit dem Motiv „Etikettenschwindel: Schweine müssen weiter leiden“ weist der Deutsche Tierschutzbund auf die unzureichende Tierhaltungskennzeichnung hin Foto: Deutscher Tierschutzbund / unsplash / Zoe Schaeffer

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Die wohl schärfste Kritik an dem beschlossenen Tierhaltungskennzeichen äußert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Das heute beschlossene Tierhaltungskennzeichnungsgesetz verhilft keinem einzigen Tier zu einem besseren Leben. Wer das Gegenteil suggeriert, der täuscht die Öffentlichkeit, im schlimmsten Fall sogar bewusst“, kommentiert der Tierschützer. Mit dem Gesetz würden eindeutig tierschutzwidrige Haltungssysteme mit „Stall“ und „Stall+Platz“ gesiegelt und damit staatlicherseits dauerhaft legitimiert. „Wir erwarten, dass bei weiteren Entscheidungen der Bundesregierung der Tierschutz gestärkt und nicht weiter geschwächt wird.“

Eine aktuelle YouGov-Umfrage im Auftrag des Deutschen Tierschutzbundes belege, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Irre geführt wurden. Danach gingen rund 40 Prozent der Befragten davon aus, dass Schweine in der Haltungsstufe „Stall“ regelmäßig ausgewechseltes Stroh und Einstreu bekämen. „Und rund ein Drittel ist der Auffassung, dass die Kennzeichnung nicht nur die Haltung, sondern auch Transport, Schlachtung und Zucht einbeziehe. Schön wäre es. Hier liegt noch gewaltige Aufklärungsarbeit vor der Bundesregierung“, so Schröder weiter.

„Wenn die Bekenntnisse [und] die Versprechen der Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag etwas gelten sollen, dann muss jetzt eiligst nachgearbeitet werden.“ Das Tierschutzgesetz müsse grundlegend reformiert werden. Die Lücken im Tierschutzrecht müssten aufgearbeitet und die Stufen „Stall“ und „Stall+Platz“ zum Auslaufmodell erklärt werden. Der Bundesminister, die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag müssten zügig und mit klarer Tierschutzhandschrift nachlegen. „Sonst hat die Tierhaltungskennzeichnung keinerlei Wert und endet als Verbrauchertäuschung.“

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