28. Oktober 2022, 13:53 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Mit dem Finger in der Nase zu popeln, ist unter Menschen verpönt. Primaten sehen das nicht so eng. Schimpanse oder Orang-Utan verbringen gerne Zeit damit, verklumptes Nasensekret hervorzuholen und genüsslich abzuschlecken. Jetzt wurde dieses Verhalten erstmals auch für das Fingertier belegt.
Genüsslich in der Nase bohren und das Gefundene dann auch noch verspeisen? Solch ein Verhalten löst bei den meisten Menschen Ekel aus. Vor allem Kinder bohren oft ungeniert in der Nase und verzehren den Popel danach auch gerne mal. Wir sind jedoch nicht die einzigen Primaten, die diesem noch wenig erforschtem Verhalten nachgehen. Ein Team aus Wissenschaftlern trug nun sämtliche Studien zu diesem Thema zusammen und ergänzte die Auflistung der popelnden Primaten gleich noch um ein neues Mitglied: das Fingertier.
Anne Claire, Studienleiterin und Kuratorin für Säugetiere am Naturhistorischen Museum der Bürgergemeinde Bern sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin am britischen Natural History Museum, erwischte das Fingertier auf frischer Tat. Bei einem Besuch im Duke Lemur Center, einer primatologischen Forschungseinrichtung in North Carolina, beobachtete sie den nachtaktiven Primaten bei dem ungewöhnlichen Gebrauch seines langen Mittelfingers und hielt sein Verhalten gleich auf Video fest. Die Filmaufnahmen wurden nun vom Natural History Museum veröffentlicht.
Wie leben Fingertiere?
Das Fingertier, auch Aye-Aye genannt (Daubentonia madagascariensis), gehört zu der Gruppe der Lemuren. Der nachtaktive Allesfresser kommt nur auf der Insel Madagaskar vor. Sein wohl bizarrstes Merkmal ist der extrem lange und knöcherige Mittelfinger. Bei dem Exemplar auf dem Video war dieser acht Zentimeter lang. Bei einer Körpergröße von gerade mal 44 Zentimetern eine beachtliche Länge. Das Aye-Aye gebraucht ihn vor allem zur Nahrungsaufnahme.
Fingertiere sind Allesfresser und verspeisen neben Früchten und Nüssen gerne auch Insektenlarven. Diese spüren sie auf, indem sie auf Baumrinden klopfen. Dank ihres ausgezeichneten Gehörs können sie so ihre Beutetiere anhand der Hohlräume orten. Mit den Schneidezähnen nagen sie anschließend Löcher in die Rinde und führen ihren dünnen Finger hinein, um damit die Insektenlarven herauszupulen.
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„Es war unmöglich, das Popeln nicht zu bemerken“
Dass Aye-Ayes ihren langen Finger auch zum Hervorholen von Nasensekret gebrauchen, war bisher vollkommen unbekannt. Doch so ausgiebig wie das Fingertier im Video popelt, scheint dies keine ungewöhnliche Beschäftigung für den Primaten zu sein. „Es war unmöglich, das Popeln des Aye-Ayes nicht zu bemerken“, berichtet Studienleiterin Anne Claire in einer Pressemitteilung des Natural History Museum. „Das war nicht nur ein Verhalten, das eben mal auftritt. Das Tier war vollständig damit beschäftigt, seinen extrem langen Finger erstaunlich tief in seine Nase zu schieben und was auch immer nach dem Hervorholen daran kleben blieb, abzuschlecken.“
Um das Verhalten des Fingertiers besser zu verstehen, untersuchten die Forscher das kleine Tier sogar mittels Computertomografie. Dafür scannten sie den Kopf und die Hand des Fingertiers, um die genaue Position des Mittelfingers beim Popeln zu erfassen. Das Ergebnis zeigte, dass der Primat seinen langen Finger so tief in die Nase bohren kann, dass dieser bis zum Rachen reicht. Welchen Vorteil oder Effekt dieses Verhalten hat, müsse noch weiter erforscht werden, schreiben Claire und ihre Kollegin in ihrer Studie.1
Warum popeln Primaten?
Bisher gibt es wenige Untersuchungen darüber, warum wir Menschen oder andere Primaten in der Nase bohren. In ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichung hat das Forschungsteam sich die wenigen ernsthaften Studien, die es zu dem Thema gibt, einmal vorgenommen und deren Ergebnisse zusammengetragen. Insgesamt wurde dieses Verhalten bisher bei zwölf Primaten beobachtet – Menschen eingeschlossen. Die Frage, welchen positiven Effekt das Popeln auf Primaten hat, konnten die Wissenschaftler aber nicht beantworten. Um dies zu klären, müsse es mehr ernsthafte Untersuchungen zu dem Thema geben, merken Anne Claire und ihre Kollegen an.
Popeln könnte das Immunsystem stärken
Zumindest in Bezug auf den Menschen gibt es auf diesem Gebiet erste Erkenntnisse: So sei das Essen von Popeln laut einer Harvard-Studie gut für die Gesundheit, wie „Focus“ berichtete. Darin stellten Forscher fest, dass das getrocknete Nasensekret sogenannte Speichel-Mucine enthält. Diese sollen die Zähne vor Bakterien schützen. Zudem hat die Nase eine Filterfunktion. In dem Sekret sammeln sich also viele Bakterien an. Durch den Verzehr der Popel gelangen diese laut der Harvard-Studie in den Darm und können dort das Immunsystem stärken.
Vielleicht macht Popeln aber auch einfach nur Spaß. So merkte das Forscherteam um Anne Claire am Ende der Studie an, dass der Grund, warum Primaten so gerne das eigene Nasensekret verspeisen, auch einfach an der Textur, Knusprigkeit und Salzigkeit der Popel liegen könnte und eine clevere Methode darstelle, um an einen leckeren Snack zu gelangen.
Quellen:
- 1. Fabre, A.-C., Portela Miguez, R., Wall, C. E., Peckre, L. R., Ehmke, E., Boistel, R. (2022) A review of nose picking in primates with new evidence of its occurrence in Daubentonia madagascariensis. Journal of Zoology, doi.org/10.1111/jzo.13034
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Weitere Quellen
- Natural History Museum, „Aye-aye’s highly specialised finger is snot just for finding grubs“ (aufgerufen am 28.10.2022)
- Redaktionsnetwerk Deutschland, „Popelnde Primaten: Fingertier erstmals beim Nasebohren gefilmt“ (aufgerufen am 28.10.2022)
- Focus.de, „Nasebohren: Studie zeigt, dass Popeln gesund ist!“ (aufgerufen am 28.10.2022)