15. August 2023, 17:07 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Es sind Szenen, die kaum zu ertragen sind. Ein Mann prügelt brutal auf einen sichtlich verängstigen Hund ein. Immer wieder haut er den Kopf des Tieres auf den harten Boden und schlägt ihm anschließend mit der flachen Hand ins Gesicht. Das Video, das diese Hundemisshandlung zeigt, schlug in den letzten Tagen hohe Wellen – online und im echten Leben.
Über das Wochenende wurde ein Video auf der Instagram-Seite der Tierschutzorganisation PETA mehr als 1,1 Mio. Mal aufgerufen. Darin ist zu sehen, wie ein mittelgroßer Hund von unbekannter Rasse in einer Wohnung im niedersächsischen Schortens brutal misshandelt wird. Der Halter versieht das offensichtlich verängstige Tier nicht nur mit harten Schlägen, sondern hebt es auch hoch und wirft es mit voller Kraft zu Boden.
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Das Veterinäramt wusste von dem Fall
„Wir haben den Fall bereits gemeldet“, heißt es im Posting zum Clip. „Trotz Videobeweisen und Zeugenaussagen handelt die Behörde nicht. Bitte helft mit und schreibt den Behörden eine E-Mail mit der Bitte, den Hund sofort zu beschlagnahmen und tiermedizinisch untersuchen zu lassen.“ Die Behörde habe bereits von dem Fall gewusst, sagt Peter Höffken von PETA im Gespräch mit PETBOOK. Warum der gequälte Hund erst jetzt vor seinem gewalttätigen Halter gerettet wurde, kann er nicht verstehen. „Das Veterinäramt war seit Wochen über den Fall informiert. Deswegen konnten wir auch herleiten, dass da eben zu wenig passiert“, so Höffken.
„Es war nicht so, dass wir das Veterinäramt mit diesem Fall überfallen haben, so nach dem Motto: ‚Jetzt muss innerhalb von Stunden was passieren!‘ So war das nicht. Wir haben gewusst, dass das Veterinäramt schon längere Zeit an dem Fall dran war. Nachdem wir uns dort gemeldet haben, wurde quasi nur noch mal bestätigt, dass weiterhin keine Beschlagnahmung des Hundes geplant war.“
Auf PETBOOK-Anfrage sagte Dr. Melanie Schweizer vom Veterinäramt JadeWeser, dass der Hinweis und die betreffenden Videos erstmalig am 31.07.2023 beim Veterinäramt eingingen. Zwar stammen die Videos aus April 2023, wurden aber erst am 31.07.2023 beim Veterinäramt bekannt und von der Polizei sowie einer Hinweisgeberin zur Verfügung gestellt.
So erfuhr PETA von dem Fall
„Wir haben einen sogenannten Whistleblower-Hinweis bekommen“, erklärt Peter Höffken von PETA. So hätten die Tierschutzorganisation und er von der schlimmen Situation des Hundes in Schortens erfahren. „Wir haben ein Formular auf unserer Internetseite, wo Menschen Tierquälerei-Fälle melden können. Da kann man auch gleich Beweis-Material mit hochladen. Wir bekommen ungefähr 4000 Meldungen pro Jahr.“
„Bevor wir an die Öffentlichkeit gegangen sind, haben wir uns am Donnerstag erst mal nur an das Veterinäramt gewandt. Da wurde uns gesagt, man kenne den Fall und habe aber erst mal nur Auflagen verhängt, die der Halter einhalten muss. Da haben wir uns natürlich auch gefragt, was das denn für Auflagen sind, die man in so einem Fall verhängt?“ Darauf habe man bis heute keine Antwort bekommen. Es sei aber auch offensichtlich gewesen, so wie der Hund misshandelt wurde, dass da keine Auflagen mehr helfen würden, so Höffken.
„Ein Eingreifen des Veterinäramts Jade-Weser war überfällig“
„Der Hund muss jetzt raus! Deswegen – und nur deswegen – haben wir uns entschlossen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Für uns ist das auch wirklich das Mittel der letzten Wahl, weil wir wissen, dass wir damit natürlich auch viel auslösen. Es ist immer schöner, wenn die Behörden ohne viel Druck einfach so ihren Dienst machen und den Tieren helfen. Das geschah aber in diesem Fall nicht – daher die Veröffentlichung.“
Der Plan ist offensichtlich aufgegangen: Nachdem das Video am Freitag in den sozialen Netzwerken hochgeladen wurde, verbreiteten sich die furchtbaren Szenen wie ein Lauffeuer. Wie viele Tierschützer sich an die zuständige Behörde gewandt haben, lässt sich nicht sagen, doch der öffentliche Druck scheint den Prozess enorm befeuert zu haben, vermutet auch Peter Höffken. Denn am Samstag, bereits wenige Stunden nach Veröffentlichung des Videos, wurde der Hund beschlagnahmt und in Sicherheit gebracht. Wohin, ist nicht bekannt.
Bei PETA feiert man heute diesen Erfolg. „Wir sind erleichtert, dass der Hund endlich in Sicherheit und nicht länger der Gewalt seines Peinigers ausgesetzt ist“, so Lisa Bechtloff, PETAs Fachreferentin für Whistleblower-Fälle. „Hoffentlich kann er sich nun von den Schlägen und der Angst erholen und findet bald ein liebevolles Zuhause. Ein Eingreifen des Veterinäramts Jade-Weser war überfällig.“
Das sagt das Amt zu den schweren Anschuldigungen von PETA
Wenn das zuständige Veterinäramt wirklich seit Längeren von diesem Fall wusste, dann stellt sich natürlich die Frage: Warum wurde scheinbar erst durch öffentlichen Druck die Sicherstellung des Hundes in so kurzer Zeit möglich? Denn „das Veterinäramt hat uns am Donnerstag klipp und klar mitgeteilt, dass der Hund nicht beschlagnahmt wird“, sagt Höffken. „Deshalb haben wir gesagt, dass jetzt wirklich schnell gehandelt werden muss, weil wer weiß, was in den nächsten Tagen noch mit dem Hund passiert.“
Dr. Melanie Schweizer vom Veterinäramt JadeWeser schildert den Sachverhalt auf PETBOOK-Anfrage so: „Die Veröffentlichung durch Peta hatte keinen Einfluss auf die Bearbeitung. (…) Zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme durch Peta am Mittwoch, den 09.08.2023, war das Veterinäramt bereits tätig.“
Demnach sei bereits ein Verwaltungsverfahren zur Verhängung eines Tierhaltungsverbotes eingeleitet worden. Dieses Verfahren erfordere eine vorherige Anhörung des Tierhalters, die am 8. August schriftlich erfolgt sei, informiert Dr. Schweizer. „Aufgrund rechtsstaatlicher Grundsätze ist es erforderlich, die Rechte des Betreffenden im Verwaltungsverfahren zu wahren. Ansonsten besteht die Gefahr, dass das Verfahren verwaltungsgerichtlich scheitert und Tiere zurückgegeben werden müssen.“ Das will natürlich keiner – auch nicht PETA.
Wurde eine Lynchjustiz befürchtet?
Gut möglich, dass es noch länger gedauert hätte, bis der gepeinigte Hund seinem Halter weggenommen würde, deutet Schweizer an. „Um einen Hund unmittelbar aus der Haltung zu entnehmen, ist es erforderlich, dass eine gegenwärtige Gefahr besteht. Es wurde von hier ermittelt, inwiefern Anzeichen für aktuelle Misshandlungen vorliegen; hierzu konnten keine Erkenntnisse gewonnen werden.“ Es hätte also nachweislich noch mehr passieren müssen, damit das Tier gerettet wird. „Auch mehrfache Aufforderungen an die Tierschutzorganisationen bzw. die mit diesen in Kontakt stehende Hinweisgeberin, aktuelle Vorgänge zu benennen, brachten kein Ergebnis.“
Als Grund, warum auf einmal alles so schnell ging, nennt die Mitarbeiterin des Veterinäramts gegenüber PETBOOK die veränderte Sicherheitslage. „Der Hund wurde am Samstag (…) durch das Veterinäramt sichergestellt, da infolge der öffentlichen Drohungen auf den Social-Media-Plattformen die Gefahr bestand, dass ein Schaden gegen Hund und Halter entsteht. Zudem ist es nicht zu tolerieren, dass die Behörde im bereits laufenden sowie weiteren Verwaltungsverfahren keinen Zugang zu dem Hund haben könnte.“
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So geht es dem Hund heute
Dem Hund gehe es aber gut, versichert Schweizer. „Er wurde vom Veterinäramt untergebracht und bleibt unter unserer Obhut, bis das Verwaltungsverfahren abgeschlossen ist.“ Und wie geht es jetzt weiter? Die Polizei ermittelt nun gegen den Halter wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz. Was bedeutet, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass der Hund wieder zu seinem prügelnden Besitzer zurückmuss.
Dieser Fall zeigt, dass sich etwas für ein in Not geratenes Tier ändern kann, wenn nur eine Person Zivilcourage beweist. Deshalb möchte Höffken dazu ermutigen, eine Whistleblower-Meldung zu senden, wenn man Tierquälerei beobachtet.