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PETBOOK-Redakteurin

Warum Tierschützer jetzt massive Unterstützung der Politik benötigen

Hund im Tierheim
Das Abflachen der Corona-Pandemie und steigende Kosten für Futter und Tierarztkosten sorgen für eine massive Abgabewelle von Haustieren und bringen Tierheime an die Grenzen (Symbolbild) Foto: Getty Images
Porträt Saskia Schneider auf dem PETBOOK Relaunch
Redaktionsleiterin

4. Dezember 2022, 7:22 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Abgabewellen, Nachwuchsprobleme, Tierheimschließungen, Burnout. Beim Tierschutz sei es ist nicht 5 vor Zwölf, sondern 30 Sekunden vor Zwölf, verkündete Moderatorin Uta Brese auf der Verleihung des Deutschen Tierschutzpreises in Berlin. In Wirklichkeit ist es wahrscheinlich sehr viel später als wir wahrhaben wollen!

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Es ist schon sehr bezeichnend, wenn eine Moderatorin die Ansprache von Tierschutzbund-Präsident Thomas Schröder auf der Verleihung des Deutschen Tierschutzpreises 2022 mit folgenden Worten einleitet: „Die Tierheime stehen am Limit. Was passiert, wenn die Tierheime geschlossen werden? Wie soll es weitergehen?“ Die Antwort auf diese Frage kann (oder will) an diesem Abend niemand so richtig beantworten. Dafür wird umso deutlicher: Der Deutsche Tierschutz braucht dringend Unterstützung – und zwar von der Politik.

Der deutsche Tierschutz hat seine Belastungsgrenze schon längst überschritten

Nicht nur, dass fast alle Auffangstationen jetzt schon aus allen Nähten platzen. Wegen der hohen Kosten für Strom und Heizung droht jedem vierten Tierheim die Schließung, wie unter anderem „Zeit Online“ unter Berufung auf die dpa berichtete. Auf der Preisverleihung des Deutschen Tierschutzpreises 2022 berichten die Mitglieder der ausgezeichneten Organisationen ebenfalls ganz offen von ihren Sorgen und Ängsten. Keiner wisse, wie es demnächst weitergehe, einige hatten bereits, oder stehen noch, vor dem Burnout. Immer weniger seien bereit, unter diesen Umständen noch ehrenamtlich auszuhelfen, wichtige Spendengelder fehlten. Der deutsche Tierschutz ist nicht nur am Limit, er hat seine Belastungsgrenze schon längst überschritten.

Da hilft auch das wohlgemeinte und wohlverdiente Preisgeld von ein paar Tausend Euro wenig, welches den Gewinnern am Abend der Preisverleihung überreicht wird. Angesichts der Lage erscheint diese Summe wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Und dieser Tropfen ist mittlerweile zum Sinnbild für das geworden, was an Unterstützung für den deutschen Tierschutz bisher getan wird: Es werden sporadisch Brände gelöscht, ohne die Brandursache zu bekämpfen.

„Das Wissen über Tiere ist die Voraussetzung für einen achtsamen Umgang“

Um das Problem im Kern anzugehen, müssten dringend Gesetze erlassen werden, die aktiv verhindern, dass überhaupt so viele Tiere angeschafft werden. Der Vorschlag von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, eine europäische Positivliste einzuführen, mit der Begründung, dass „eine Python zu Hause nichts verloren“ habe, geht da nicht weit genug. Auch ein Weimaraner oder ein Husky hat nichts in einem Zuhause verloren, wo man sich nicht angemessen um seine Bedürfnisse kümmern kann.

So bemerkte Moderatorin Uta Brese an bei der Verleihung des Deutschen Tierschutzpreises 2022 sehr passend: „Das Wissen über Tiere ist die Voraussetzung für einen achtsamen Umgang.“ Tierschützer fordern schon seit Langem einen Sachkundenachweis, nicht nur zur Haltung von Exoten, sondern auch für Haustieren wie Hund und Katze.

„Darf erlaubt sein, was nicht verboten ist?“

Dieser Sachkundenachweis darf nicht wieder Ländersache sein, wie es bei Listenhunden oder dem Hundeführerschein der Fall ist. Es sollten deutschlandweit einheitliche Regelungen geschaffen, die zuvor mit Experten wie Tierschützern, Tierärzten und Zoologen entwickelt werden. Es ist in Deutschland viel zu einfach, an ein Tier zu kommen – und damit sind nicht nur Hunde, Katzen oder Kleintiere gemeint. Wie kann es sein, dass man in einem Zoofachgeschäft wie Zoo Zajac theoretisch Faultiere, Luchse oder Krokodile kaufen kann?

Andere Länder machen es vor. Spanien, das Land, das mit Stierkämpfen und der Misshandlung von Jagdhunden sonst nicht gerade im Tierschutz glänzt, führt nun eine Positivliste ein. Österreich hat in Wien die „Aktion scharf gegen illegalen Welpenhandel“ ins Leben gerufen. Dort wird in Zusammenarbeit mit dem Veterinäramt der Stadt in und dem der Tierschutzombudsstelle das Internet auf mögliche Verdachtsfälle durchforstet und der öffentliche Raum verstärkt beobachtet. Auch der Deutsche Tierschutz braucht dringend solch eine Unterstützung.

Tierschützer warnen schon seit Monaten vor Abgabewellen

Während der Corona-Pandemie ist die Zahl der Haustiere extrem gestiegen. Die Zahl der Hunde, Katzen oder Wellensittiche und sonstigen tierischen Mitbewohner in deutschen Haushalten stieg innerhalb von zwölf Monaten um fast eine Million auf knapp 35 Millionen, wie „Zeit Online“ berichtete. Die Nachfrage war so stark, dass Tierheime kurzfristig leer waren und Züchter lange Wartelisten hatten. Das befeuerte den ohnehin schon florierenden Handel mit illegalen Welpen und anderen Tieren. So verdienten sich viele unseriöse Vermehrer an dem Durst der Deutschen nach kuscheligen Gefährten im einsamen Home-Office eine goldene Nase.

Tierheime, Tierschützer und Hundetrainer warnten schon seit Monaten, und teils Jahren, vor einer enormen Abgabewelle, wie „Watson“ bereits im April des letzten Jahres schrieb. Eine vorher prognostizierte Katastrophe also, in die man sehenden Auges hineinlief. Passiert ist seitdem: fast nichts – oder definitiv zu wenig! Weder wurden die Tierheime erweitert oder ausgebaut, noch gab es verschärfte Gesetze zur Einfuhr von Welpen oder ernsthafte Bemühungen in der Politik, einheitlich und deutschlandweit Sachkundenachweise für Tierhalter einzuführen.

Tierhaltung wird zum Luxus

Durch den Krieg in der Ukraine stehen Tierhalter, Tierschützer und Tierheime jetzt auch noch vor dem Problem der steigenden Kosten für Gas und Heizung. Manchen Einrichtungen droht jetzt bereits die Schließung – dabei hat der Winter noch nicht einmal angefangen. Niemand kann absehen, wie hoch die Kosten am Ende sein werden. Gleichzeitig erhöhten die Tierärzte Ende November ihre Tarife. Nach 20 Jahren wohlverdient und überfällig, aber wohl zum ungünstigsten Zeitpunkt. Nach einem Artikel im Spiegel melden sich bereits immer mehr Leute bei den Haustiertafeln an, um sich ihre Tiere noch leisten zu können. Aber was passiert, wenn die Tiere krank werden oder einen Unfall haben? Dann kommen schnell mal Kosten von mehreren tausend Euro auf einen zu. Wer soll die noch tragen können?

So überrascht es nicht, dass nach der offiziellen Veranstaltung der Preisverleihung in privaten Gesprächen von mehreren Tierschützern zugegeben wird, keine Tiere mehr an Hartz-IV-Empfänger abzugeben. Verständlich, denn Leute haben ihre Tiere schon für weniger auf die Straße gesetzt. Und wir stehen erst am Anfang einer massiven Abgabewelle.

Tierschutz ist für Politiker unbequem

Derweil werden in Ländern wie Ungarn oder Polen lustig weiter Welpen produziert und auch in Deutschland umgesetzt. Es ist daher davon auszugehen, dass auch dieses Jahr zu Weihnachten wieder das ein oder andere Haustier-Geschenk unter dem Baum landen wird. Auch wenn der Bundesminister noch so gerne betont „Tiere sind keine Weihnachtsgeschenke“. Den Leuten wird es zu leicht gemacht, schnell an Hunde, Katzen und Meerschweinchen zu kommen oder diese zu einem lukrativen Preis zu verkaufen.

Leider bekommt der deutsche Tierschutz trotz der ernsten Lage kaum Unterstützung. Zwar zwackte Herr Özdemir erst kürzlich fünf Millionen Euro von Ukrainehilfe für Tierheime ab, wie „Topagrar“ berichtete. Gelder alleine reichen jedoch nicht mehr aus, um die katastrophalen Zustände aufzufangen, auf die wir uns zubewegen. Um wirklich etwas zu verändern, müsste die Politik schärfere Gesetze und Regelungen erlassen. Aber es gibt zu wenig Willen, zu wenig Kapazitäten, diese Regelungen auch zu kontrollieren und durchzusetzen und viel zu wenig ernste Konsequenzen für alle, die gegen solche Gesetze verstoßen. Tierschutz ist für die meisten Politiker unbequem. Wer will seinen zukünftigen Wählern schon gerne in Aussicht stellen, demnächst eine Prüfung abzulegen oder den geliebten Vierbeiner sonst abgeben zu müssen? Zudem gibt es in Anbetracht der politischen Lage oft Wichtigeres zu regeln. Wenn es darauf ankommt, bleiben Hunde und Katzen eben das, was sie für die meisten Politiker sind: nur Tiere.

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Ohne Unterstützung steuert der Tierschutz auf eine Katastrophe zu

Da wirkt es fast schon wie ein kleines Weihnachtswunder, dass Ebay Kleinanzeigen kürzlich verkündete, den Verkauf von Reptilien auf der Plattform zu verbieten und den Handel mit Jungtieren massiv einzuschränken. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, der aber wahrscheinlich zu spät kommt.

Während wir also gemütlich im Warmen sitzen (wer weiß wie lange noch), die Kerzen am Adventskranz anzünden, Kekse backen und uns auf Weihnachten einstellen, steuert der Tierschutz in Deutschland ohne Unterstützung aus der Politik weiter auf eine Katastrophe zu. Der Vergleich mit der Uhr, die 30 Sekunden vor 12 schlägt, erscheint da schon fast nicht stark genug. Ein amerikanisches Sprichwort beschreibt die Situation, die uns möglicherweise bevorsteht, viel passender: „When the shit hits the fan“ (zu Deutsch: Wenn die Kacke in den Ventilator fliegt). Oder, um es mit den Worten aus einem Instagram-Post der Hellhound-Foundation zu sagen: „Advent, Advent, der Tierschutz brennt“.

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