18. Mai 2023, 16:51 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Zahlreiche Tiere haben den Great Pacific Garbage Patch dauerhaft besiedelt. Das zeigen die Ergebnisse einer neuen Studie. Die Lebensgemeinschaften, die auf dem Müllstrudel im Pazifik entstehen, seien laut Wissenschaftlern aber unnatürlich – und könnten unbekannte ökologische Folgen mit sich ziehen.
Mülltüten, Fischnetze und alte Spielzeuge, so weit das Auge reicht: Der sogenannte „Great Pacific Garbage Patch“ – der größte Müllstrudel der Welt – klingt wohl nicht nach einem idealen Lebensraum. Die Ergebnisse einer neuen Studie im Fachjournal „Nature Ecology & Evolution“ zeigen aber: Zahlreiche Krustentiere, darunter Weich- und Krebstiere, haben sich auf dem Plastikmüll dauerhaft angesiedelt. Was steckt dahinter?
Mehr als 40 Tierarten auf dem Müllstrudel entdeckt
Rund 1,6 Millionen Quadratkilometer bedeckt der „Great Pacific Garbage Patch“ – das entspricht etwa viereinhalbmal der Fläche Deutschlands. Wissenschaftler gehen seit Längerem davon aus, dass diverse Organismen den Müllstrudel als Fortbewegungsmittel oder als kurzfristige Unterkunft nutzen. Dass die rund 79.000 Tonnen Plastikmüll zum dauerhaften Lebensraum für zahlreiche Tiere geworden sind, beschreiben Wissenschaftler aus den USA, Kanada und den Niederlanden aber nun zum ersten Mal ausführlich.
Zwischen November 2018 und Januar 2019 sammelten Leitautorin Linsey Haram und ihre Kollegen 105 Plastikteile aus dem Pazifik. Auf mehr als 90 Prozent fanden sie Hinweise auf Lebewesen. Das Interessante dabei: Das Team konnte insgesamt 484 individuelle Tierchen identifizieren, von denen 80 Prozent Arten angehören, die normalerweise in küstennahen Gebieten vorkommen.
„Es war überraschend zu sehen, wie häufig die Küstenarten waren“, sagte Haram gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN. Pelagische Arten – also Tiere und Pflanzen, die auf dem offenen Meer leben – lagen deutlich in der Minderzahl.
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Die Küstentiere pflanzen sich auf dem Müllstrudel fort
Den Studienautoren zufolge gab es aber nicht nur Beweise dafür, dass die Tierchen auf dem Great Pacific Garbage Patch leben, sondern auch, dass sie sich dort fortpflanzen. So entdeckten die Forscher etwa mehrere Flohkrebs-Weibchen, die Eier trugen und Brutpflege betrieben.
Laut Linda Amaral-Zettler, einer Meeresbiologin aus den Niederlanden, die nicht an der Studie beteiligt war, könne eine solche Fortpflanzung auf dem Müllstrudel negative Konsequenzen mit sich bringen. „Wenn man sich vermehren kann, kann man sich auch ausbreiten“, sagte sie gegenüber dem Wissenschaftsmagazin „Scientific American“. „Und wenn man sich ausbreiten kann, kann man auch [in fremde Lebensräume] eindringen.“
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Auf dem Great Pacific Garbage Patch ist die Konkurrenz groß
Etwa zwei Drittel der Trümmerteile beherbergten sowohl pelagische als auch Küstenarten. „Neopelagische Gemeinschaften“ nennen Haram und ihre Kollegen diese „unnatürlichen Nachbarschaften“. Wahrscheinlich würden die Tiere um Platz konkurrieren, so die Erstautorin gegenüber CNN. Denn auf dem offenen Ozean sei der Raum knapp. „Wahrscheinlich konkurrieren sie um Nahrungsressourcen – aber vielleicht fressen sie sich auch gegenseitig.“
Dass das Leben auf dem Müllstrudel gedeiht, belegen auch die Ergebnisse einer aktuellen Studie im Fachmagazin „PLOS Biology“. Forscher aus den USA und dem Vereinigten Königreich haben Proben aus der Umgebung des „Garbage Patch“ nach sogenanntem Neuston untersucht. Der Begriff bezeichnet alle Organismen, die direkt unter der Wasseroberfläche leben. Viele dieser Lebewesen schimmern oder leuchten in tollen Farben, etwa in Blau oder Rosa.
Bei seiner Analyse stellte das Forschungsteam fest, dass die Konzentration an Neuston im Zentrum des nordpazifischen Müllstrudels höher war als an den Rändern. Bei drei aus fünf Taxa, also Lebewesen-Gruppen, die genauer untersucht wurden, konnte zudem ein positiver Zusammenhang zwischen der Anzahl an Lebewesen und der Menge an Plastik identifiziert werden. Anders ausgedrückt: je mehr Plastik, desto mehr Neuston.
Welche Auswirkungen die Einführung neuer Arten auf dem Müllstrudel haben könnte, sei laut Haram noch nicht vollständig geklärt. Zudem sei noch unklar, wie die neuen Arten solche entlegenen Gebiete im Meer erreichen und dort überleben können. Es bedarf also noch weiterer Forschung, um das Ökosystem auf dem Great Pacific Garbage Patch besser zu verstehen.